Gallus wurde um das Jahr 550 in Irland geboren. Seine Eltern brachten ihn noch als Kind ins Kloster Bangor. Nachdem Gallus schon länger im Kloster gelebt und die Priesterweihe empfangen hatte, folgte er mit elf weiteren Gefährten dem Mönchsvater Columban für eine lebenslange Pilgerschaft
(Peregrinatio pro Christo) in die Fremde. Die Mönche verließen Irland um das Jahr 590
Richtung europäisches Festland. In den Vogesen errichteten Columban und seine Brüder drei Klöster: Luxeuil, Annegray und Fontaines. Während dieser Zeit reglementierte Columban das Zusammenleben seiner Gemeinschaft mit einer äußerst strengen Klosterregel. Die wichtigste Tugend war für ihn die Demut, und dazu gehörte auch der unbedingte Gehorsam der Mönche gegenüber ihrem Abt. Dreimal am Tag und dreimal in der Nacht gab es ein gemeinsames Chorgebet, nur einmal am Tag hingegen – am Nachmittag um drei Uhr – gab es eine karge Mahlzeit. Übertretungen der Mönchsregel wurden hart geahndet, mit zusätzlichem Fasten beispielsweise oder mit Stockschlägen. Um 610 wurden die irischen Mönche wieder
aus Luxeuil vertrieben, weil sich Columban weigerte, die illegitimen Söhne des Burgunderkönigs Theuderich II. anzuerkennen. Unter Bewachung wurden Columban und seine irischen Gefährten in ein Schiff Richtung Atlantik verfrachtet, von wo aus sie in ihre Heimat zurückgebracht werden sollten. Die Ausschaffung wurde jedoch, so berichtet uns Jonas von Bobbio in der Columbansvita, durch ein Wunder verhindert. Es gelang den Ruderknechten trotz aller Anstrengung nicht, das Schiff mit den Iren an Bord aufs offene Meer hinaus zu bringen. Man erkannte diesen Vorfall als göttliches Zeichen, und die Mönche konnten ihr Werk auf dem Festland fortsetzen. Allerdings nicht mehr im burgundischen Luxeuil, sondern im benachbarten Königreich, wo sie von König Theudebert II. von Austrasien herzlich willkommen geheißen wurden. Columban wollte allerdings nicht mehr länger im Frankenreich verweilen, es zog ihn Richtung Italien, wo er wohl nicht nur den Langobardenkönig Agilulf treffen wollte (wie es in der Columbansvita heißt), sondern wo er vor allem Rom und die Apostelgräber besuchen wollte. Aus einem Brief, den Columban bereits um das Jahr 600 an Papst Gregor den Großen geschrieben hatte, geht hervor, dass Columban eigentlich Rom als großes Ziel seiner Reise vor Augen hatte. König Theudebert ließ die Mönche von Metz aus Richtung Süden weiterziehen. Columban versprach ihm, auf seiner Reise missionarisch tätig zu sein. Im östlichen Teil von Theudeberts Reich lebten die weitgehend noch heidnischen Alemannen sowie Keltoromanen, die zwar teilweise bereits einmal christianisiert gewesen waren, die nach dem Untergang des Weströmischen Reiches jedoch wieder zu ihren heidnischen Kulten zurückgekehrt waren. Durch die Christianisierung dieser Bevölkerung hoffte Theudebert, das Gebiet, das wir heute etwa mit der erweiterten Bodenseeregion gleichsetzen können, besser in das fränkische Reich integrieren zu können. So zog die Mönchsgruppe nun rheinaufwärts in die heutige Schweiz. Über Zürich gelangte sie nach Tuggen im heutigen Kanton Schwyz, wo die Mönche einen ersten Missionsversuch starteten. Gallus stach in Tuggen durch seinen missionarischen Eifer besonders hervor. Er zerstörte heidnische Götzenbilder, womit er allerdings den Zorn der Tuggener Bevölkerung auf sich und seine Mitbrüder zog. Die Mönche mussten fliehen. Sie wanderten weiter Richtung Bodensee, wo sie im alten römischen Kastell Arbon noch eine kleine Christengemeinde mit einem Priester namens Willimar fanden. Ihn fragten sie, ob er ihnen nicht einen geeigneten Ort zeigen könne, wo sie missionieren und so ihr Versprechen, das sie König Theudebert gegenüber abgegeben hatten, einlösen konnten. Willimar verwies sie auf den ehemaligen Römerort Bregenz, der nach der Eroberung durch die Alemannen wieder weitgehend ins Heidentum zurückgefallen sei. Bregenz eignete sich auch hervorragend als Stützpunkt für die Mission der Alemannen (Jonas von Bobbio nennt sie Sueben, also Schwaben) die nördlich des Bodensees siedelten. So ließen sich Columban und seine Gefährten in Bregenz nieder. Auch die Bevölkerung von Bregenz lernte Gallus – wie schon jene in Tuggen – als ungestümen Missionar kennen. Auch hier zerstörte er heidnische Götzenbilder und warf sie in den Bodensee. Schon nach zwei Jahren verließen Columban und seine Gefährten Bregenz wieder, Columban sah seinen Missionsversuch als gescheitert an. Er verließ nun endgültig das fränkische Reich und überquerte die Alpen. Im Langobardenreich gründete er in Bobbio noch einmal ein Kloster, in dem er im Jahr 615 als über 70-jähriger Greis starb. Nach Rom, dem eigentlichen (vielleicht auch nur vage erhofften) Ziel seiner Reise, haben Columbans Kräfte nicht mehr ausgereicht. Gallus ist seinem Meister nicht nach Italien gefolgt. Obwohl er damit gegen die irische Mönchsregel verstieß, blieb er am Bodensee zurück. Als Columban und seine Gefährten Bregenz verließen, wurde Gallus plötzlich von einem Fieber ergriffen, das ihm die Weitereise verunmöglichte. So versichern es uns wenigstens die Gallus-Biographen. Columban war offenbar der Meinung, dass Gallus durchaus in der Lage gewesen wäre, die Reise über die Alpen anzutreten. Deshalb bestrafte er seinen ungehorsamen Schüler hart. »Wenn du an meinen Mühen nicht teilhaben willst, so sollst du, solange ich lebe, nicht die Messe feiern.« Diesen Bann sprach Columban über Gallus aus. Der kranke Gallus fuhr auf dem Bodensee zurück nach Arbon, wo er vom befreundeten Priester Willimar gesund gepflegt wurde. Wieder erstarkt, sehnte sich Gallus nach einem stillen Eremitendasein und suchte in den umliegenden Urwäldern einen geeigneten Ort, wo er sich niederlassen konnte. Der ortskundige Diakon Hiltibod, der ein Gefährte von Willimar war, begleitete ihn durch die Wildnis. Gegen Abend rasteten Gallus und Hiltibod bei einem fischreichen Strudel am Flüsschen Steinach. Als sich Gallus einen Platz zum Beten suchte, stolperte er über einen Dornbusch und fiel zu Boden. Als ihm Hiltibod aufhelfen wollte, sagte Gallus: »Lass mich, dies ist mein Ruheplatz«. Er erachtete sein Hinfallen nämlich als ein Hinweis Gottes, dass er hierbleiben solle. Gallus errichtete ein Kreuz aus Haselruten und hängte seine Reliquientasche daran, um davor zu beten. Bei den Reliquien, die Gallus bei sich trug, handelte es um solche von Maria, Mauritius und Desiderius. Während er betete, kam ein Bär herbei und machte sich über die Essensreste her. Gallus befahl ihm, Holz fürs Feuer zu bringen. Und tatsächlich soll das Tier einen großen Holzpflock hergeholt und ins Feuer geworfen haben. Zum Dank reichte ihm Gallus ein Stück Brot und befahl ihm, sich für immer in die Berge zurückzuziehen und die Menschen künftig nicht mehr zu behelligen. Der Bär gehorchte. Der Diakon Hiltibod, der die ganze Szene mitverfolgt hatte, wusste nun, dass Gallus, der sogar über Bären gebieten konnte, ein Heiliger war. Von Überlingen her erreichte Gallus die eindringliche Bitte des alemannischen Herzogs Gunzo, seine von Dämonen besessene Tochter Fridiburga zu heilen. Schon mehrere Bischöfe hatten sich um sie gekümmert, doch waren bisher alle Bemühungen erfolglos geblieben. Doch Gallus fürchtete sich vor dem mächtigen Herzog, weshalb er über den Alpstein Richtung Süden floh. In Grabs im damals noch rätischen Rheintal lernte er den Diakon Johannes kennen und freundete sich mit ihm an. Doch der Arboner Priester Willimar suchte und fand Gallus in Grabs und konnte ihn doch noch dazu überreden, die besessene Fridiburga in Überlingen zu besuchen. Offenbar konnte Gallus seinem Freund, der ihn einst gesund gepflegt hatte, diese Bitte nicht abschlagen. Und tatsächlich gelang es ihm, Fridiburga zu heilen. Aus Dankbarkeit unterstütze Herzog Gunzo Gallus beim Bau seiner Zelle an der Steinach, wo Gallus laut den Viten fortan mit zwölf Gefährten lebte. Den Konstanzer Bischofssitz, der ihm angeboten wurde, lehnte Gallus ab und schlug stattdessen seinen Grabser Freund Johannes vor, der auch tatsächlich gewählt wurde. Gallus hatte nun schon zahlreiche Kostproben seiner Heiligkeit abgegeben. Er herrschte über den Bären und war als einziger in der Lage, Fridiburgas Teufel auszutreiben. Dennoch schwebte immer noch ein dunkler Schatten über ihm: Sein einstiger Lehrer hatte Gallus wegen seines Ungehorsams mit einem Bann belegt, dass er keine Messe mehr lesen dürfe, solange Columban noch am Leben war. Eines Morgens nun sagte Gallus zu seinem Schüler, dem Diakon Magnoald, er solle alles vorbereiten, damit er sogleich eine Heilige Messe feiern könne. Als ihn Magnoald an seinen Bann erinnerte, erwiderte Gallus, er habe in einer Vision gesehen, dass Columban in der Nacht verstorben sei. Deshalb müsse er für die Seelenruhe seines verehrten Lehrers sogleich eine Messe lesen. Nach der Messe schickte Gallus Magnoald auf den Weg nach Bobbio, wo dieser tatsächlich vom Tod Columbans erfuhr (23. November). Zum Zeichen der Aussöhnung hatte Columban einen Brief an Gallus hinterlassen, und er übertrug ihm seinen Abtstab, die so genannte Cambutta. Einer Legende nach soll Gallus die Cambutta an seinen Schüler Magnoald, der mit dem heiligen Magnus von Füssen gleichgesetzt wurde, weitergegeben haben. Als Magnusstab, mit dem im Allgäu noch heute Fluren eingesegnet werden, ist diese Reliquie erhalten geblieben. Gallus lebte nach Columbans Tod wohl noch mehr als 30 Jahre. Er verstarb an einem 16. Oktober; einige Historiker nennen das Jahr 640, andere das Jahr 650. Jedenfalls soll Gallus hoch betagt gewesen sein; in den Gallusviten ist die Rede von 95 Jahren. Gallus starb nach einer Predigt in Arbon, dem alten Römerkastell am Bodensee. Sein Körper wollte sich jedoch nicht in Arbon beerdigen lassen. Der Sarg ließ sich nicht an die vorgesehene Begräbnisstätte bewegen. Deshalb schlug der Konstanzer Bischof Johannes, der das Begräbnis leitete, ein Ordale vor – ein Gottesgericht. Zwei ungezähmte Pferde sollten den Sarg dahin tragen, wo Gallus beerdigt werden wollte. Sie brachten den Leichnam in die Eremitensiedlung an der Steinach. Im dortigen Bethaus wurde Gallus in einem Grab zwischen der Wand und dem Altar bestattet. So entstand die erste Sankt Gallus-Kirche.