Die Gallusvita des Mönchs Wetti

Der Reichenauer Mönch Wetti verfasste um das Jahr 820 eine Lebensbeschreibung des heiligen Gallus. Er griff dabei auf eine ältere, heute nur noch fragmentarisch überlieferte Vita (Vita sancti Galli vetustissima) zurück. Wetti, der sein Werk dem St.Galler Abt Gozbert (Regierungszeit 816–837) widmete, gliederte sein Werk in zwei Bücher:

1. Buch: Vom Leben und den Tugenden des seligen Bekenners Gallus

2. Buch: Über die Wunder, welche der Herr nach dem Tode des Gallus durch seine Verdienste gewirkt hat

Um die Orientierung im Text zu erleichtern, hat sich in der Forschung eine zusätzliche Einteilung in Kapitel eingebürgert, die hier übernommen wird. Der hier wiedergegebene Text folgt weitgehend der Übersetzung von August Potthast († 1898): Leben des heiligen Gallus und des Abtes Otmar von Sanktgallen. Nach der Ausgabe der Monumanta Germaniae übersetzt von Dr. A. Potthast. Zweite Auflage, neu bearbeitet und eingeleitet von W. Wattenbach. Leipzig 1888 (Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit 2).


Das Leben des heiligen Gallus

Es beginnt das erste Buch von dem Leben und den Tugenden des seligen Bekenners Gallus.

[1.] Es war ein Mann von edler Abkunft und mehr noch durch sein treffliches Leben leuchtend, den Gallus zu benennen die ehrwürdigen Altvordern uns überliefert haben. Dieser verlebte die Blüte seiner Jugendzeit auf der Insel Hybernia [Irland], und da er seit der Kindheit Gott angehangen und den Studien der freien Künste sich ergeben hatte, wurde er nach dem Willen seiner Eltern dem ehrwürdigen Manne Columban anvertraut. Denn dieser richtete seine Lebensweise nach den Beispielen der Väter ein und war allen ein Wegweiser der Demut; darum teilte er den bei ihm weilenden auf fruchtbringende Art seine liebliche Lehre mit. Unter diesen zeichnete sich der vorgenannte Knabe durch Demut und ernstes Wesen aus, indem er, seinem Lehrer in den göttlichen Bestrebungen folgend, jetzt schon das Vergängliche der Welt missachtete und seinen Brüdern überall den Weg zum himmlischen Reiche wies. Als er nämlich mit der Gnade Christi das erforderliche Alter erreicht hatte, beschritt er auf die Ermahnungen seiner geistigen Brüder und den Antrieb des vorgenannten Vaters hin, mit demütigem Widerstreben, jedoch dem Beispiele Christi gehorsam, die Stufe des Priestertums; in diesem zeichnete er sich durch Fortschritte aus, da er sich selber Christus als ein beständiges Opfer darbrachte, und schon von diesem Anfange her erzählt man offenkundige Wunder.

 

[2.] Als nun der Herr der Welt beschlossen hatte, aus entfernten Teilen der Welt den Unsrigen das Licht leuchten zu lassen, da folgte jener Mann, der das Irdische verachtete und das Himmlische erstrebte, mit den vorgenannten Brüdern, der Blüte des schottischen Volksstammes, unter Hintansetzung von allem Christus nach, uneingedenk des Vaters und der Mutter, der Verwandtschaft samt den verschiedenen Besitztümern, auf dass er verdiene im lichten Himmelreiche hundertfältige Belohnung zu empfangen [vgl. Mt 19,29]. So verließen sie denn nach gepflogener Beratung den irischen Hafen und landeten im Geleit günstiger Winde an den britannischen Gestaden; nachdem sie diese durchwandert, betraten sie endlich die ersehnten Fluren Galliens, wo damals Sigiberts Herrscherzügel verschiedene Völkerschaften lenkten und begaben sich voll Vertrauen auf die Liebe Christi sofort an den königlichen Hof desselben. Sigibert empfing sie gnädig und befahl, dass ihnen alles Geeignete mit Sorgfalt bereitet werde. Dann begann er die Ursache ihrer Reise zu erkunden und in seinem Geiste sich ihrer lieblichen Lehre zu erfreuen; nachdem dieselbe ordnungsgemäß dargelegt und mit Eifer dem Brauch gegen Pilger genügt war, werden sie zu einer Unterredung mit der königlichen Hoheit beschieden. Dort nun werden sie über ihre Herkunft und die Art ihres Klosterlebens befragt, und als die König dieses erfahren, ging er sie mit der Bitte an, in dem gallischen Gebiete einen Ort für ihre klösterliche Niederlassung auszuwählen und sich durch fernere Wanderung nicht weiter abzumüden: die königliche Huld werde ihnen dann in allem zu Willen sein. Der Gottesmann Columban erwiderte: »Alles, was ich hatte, habe ich des Namens des Herrn wegen verlassen [vgl. Mt 19,27], und wenn ich jetzt den Reichtum anderer begehre, bin ich vielleicht ein Abtrünniger vom Evangelium, um dessentwillen ich bisher gekämpft habe; den nicht ziemt es uns, nach den Vorteilen dieses hinfälligen Lebens zu trachten, sondern mit aller Kraft des Geistes die Vorschrift Christi im Herzen zu tragen, in der es heißt: <Wer zu mir kommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach> [Mt 16,24, Mk 8,34]. Wie wollen wir uns selbst verleugnen, wenn wir nicht unsere äußeren Güter um Christi willen verlassen, oder wie sein Kreuz auf uns nehmen, wenn wir nach irdischem Gut heftiges Verlangen tragen?« Auf diese Entgegnung ward ihm folgende königliche Antwort: »Wenn du Christus nachzufolgen und sein Kreuz auf dich zu nehmen begehrst, so wähle die Einsamkeit der Wildnis, in der du sowohl für die Vermehrung deines Lohnes, als auch für unser Heil ersprießlich Sorge tragen magst; nur ziehe nicht, unser Reich verlassend, zu andern Völkern.« Da gewann die Bitte des Königs das Übergewicht und jene Schar der Brüder erwählte die Abgeschiedenheit der Wüstenei. Nachdem dieses festgestellt worden, begaben sie sich in die unwirtliche Gegend, die der Mund des Volkes Vosagus [Vogesen] nennt. Indem sie nach einem Orte forschten, der sich zur Niederlassung für die Diener Gottes eigne, fanden sie endlich eine seit langem zerstörte Wohnstätte, welche durch die Wärme des Wassers das Herz der Ankömmlinge erfreute, welche noch die vor Alters angeführten Mauern umgaben und die von den Bewohnern jener Gegend Luxovium [Luxeuil] genannt wurde. Dort nun baute die Hand der Brüder ein Bethaus zu Ehren des heiligen Petrus, des erhabenen Apostelfürsten, und Gebäude, deren sie zum Aufenthalt bedurften. Als sie nun einige Zeit dort gewohnt und für Mönche das Geeignete eingerichtet hatten, kamen viele des burgundischen Volksstammes, und nicht minder auch von den Franken zu ihnen aus Verlangen nach dem himmlischen Reiche, und es entwickelte sich daselbst auf bewunderungswürdige Weise der Anfang eines klösterlichen Lebens.

 

[3.] Da eine Menge Edler die Wogen schwankende Welt verließ, so hatte, Gott sei Dank, der Ruf der Brüder allenthalben in den Gebieten Galliens und Germaniens zugenommen. Denn die Vollkommenheit ihres Lebens blieb auch dem König Theodorich [Theuderich] nicht verborgen, der häufig zu ihnen kam und sie um die Unterstützung ihres Gebetes ersuchte. Der heilige Mann Columban wandte ihm seine süßfließende Lehre zu und bezichtigte ihn auch heftig wegen der Beischläferinnen, denen er ohne Überlegung anhing, indem er ihn ermahnte, lieber in ein gesetzmäßiges Eheverhältnis zu treten, auf dass die Hoffnung des Reiches durch seine Unbedachtsamkeit nicht getäuscht, sondern zum Heile des Volkes für alle Zukunft bewahrt werde. Vielfach handelte der König nun nach dessen Ermahnungen, aber der Feind des Menschengeschlechts stachelte den Sinn Brunihildens [Brunichilds], seiner Großmutter, an, so dass er den heilsamen Rat des Gottesmannes zur Aufgabe seines schlechten Wandels von sich wies. Denn wie Zebabel [Isebel] das Reich des Ahab zugrunde richtete [vgl. 1 Kön, 21], so hinterging diese auch jenen, indem sie ihn einer gesetzmäßigen Ehe abwendig machte und sein Leben zum Hurenhause verdammte. Nur durch die Furcht, seine Ehre und Würde im königlichen Palast zu verlieren, wenn eine rechtmäßige Gattin mit ihm das edle Zepter teilte, wuchs der Hass gegen den Gottesmann derart, dass die vorgenannte Tochter des Teufels es vom König verlangte, dass jener nicht länger auf dem Gebiete seiner Herrschaft wohnen durfte. Denn es wurde eine Gesandtschaft abgeschickt, auf dass er aus dem Reiche vertrieben würde; jener aber begab sich von dannen und kam, wie es in seiner Lebensbeschreibung heißt, zum König Chlothar. Als er von diesem wohlwollend aufgenommen worden und ihn auf göttlichen Antrieb unterrichtet hatte, erbat er sich, dass er von ihm zu Theodobert [Theudebert], dem König der Austrasier, sicher geleitet werde. Man stimmt endlich der Bitte des Gottesmannes bei, und er wird mit allem Notwendigen zu dem König der Austrasier gesendet, der ihn mit großer Freude aufnimmt. Daselbst verweilte er nicht wenige Tage und unterrichtete ihn auf göttlichen Antrieb. Dann bat er um Erlaubnis zur Reise und königliches Geleit durch Oberdeutschland nach Italien, in welchem zu jener Zeit Egilolf regierte. Aber der vorgenannte König beschwor den Mann Gottes, in seinem Reiche zu bleiben, indem er versprach, dass er annehmliche und den Knechten Gottes passende Orte ausfindig mache, wo sie, wäre ihre Wohnung dort aufgeschlagen, viele Seelen für das himmlische Reich gewinnen könnten. Der Mann Gottes wog mit Bedacht diese Versprechungen ab und erwiderte darauf: er wolle der Bitte des Königs willfahren, dennoch aber unter keinen Umständen die fest beschlossene Reise aufgeben.

 

[4.] Nun überließ ihm der König die Wahl, wenn er irgendwo einen passenden Ort aufsuchen wolle; bei dieser Nachforschung kamen sie an den Fluss Lindimacus [Limmat], folgten dessen Lauf und erreichten eine Burg namens Turegum [Zürich]. Von dort gelangten sie nach dem Weiler, den das Volk Tucconia [Tuggen] nennt und der oben am See von Turegum gelegen ist. Dieser Ort gefiel, aber es missfielen die verkehrten Gewohnheiten der Bewohner. Grausamkeit und Bosheit herrschten unter ihnen und sie waren dem Aberglauben der Heiden ergeben. Als daher die Knechte Gottes unter ihnen ihren Wohnsitz genommen hatten, lehrten sie dieselben, Gott den Vater und den Sohn und den heiligen Geist anbeten. Denn Gallus, dessen Wunder zu erzählen wir mit Christi Gnade uns bemühen werden, und der dem Manne Gottes Columban, wie schon gesagt ist, von Beginn seines Klosterlebens an nachfolgte und an seinen Mühen teilnahm, dieser begann hier die Tempel der Heiden niederzubrennen und die Heiligtümer der Götter in den See zu versenken. Als diese nun ihre Tempel verbrannt sahen, ergriffen sie gegen jene die Waffen des Hasses, der so sehr ihre Herzen entflammte, dass sie nach gepflogener Beratung Gallus, den Mann Gottes, töten und Columban mit Schimpf und Schande aus ihrem Gebiete treiben wollten . Da der heilige Columban dieses vernahm, betete er: »Gott, Herr des Himmels, nach dessen Willen die ganze Welt gelenkt wird, schlage mit Unheil jenes Volk, damit, was es Übles deinen Knechten zudenkt, auf sein Haupt falle. Lass verderben ihre Kinder [Ps 109,13]; mag, wenn sie das mittlere Alter erreichen, Dummheit und Wahn ihr Teil sein, so dass sie von Schulden erdrückt, sich bekehren und ihre Schmach erkennen; und es möge an ihnen das Wort des Psalmisten erfüllt werden, der da sagt: <Sein Unglück wird auf seinen Kopf kommen und sein Frevel auf seinen Scheitel fallen. [Ps 7,17]>«

 

[5.] Hierauf zog er fort und erfüllte die apostolische Vorschrift, in der es heißt: »Gebt Raum dem Zorn« [Röm 12,19], und erreichte mit den Jüngern, die zur Ehre Christi wegeilten, den Flecken Arbona [Arbon], wo sie einen Priester namens Willimar trafen. Als dieser sie gesehen, soll er vor Freude ausgerufen haben: »Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn; der Herr ist Gott, der auch uns erleuchtet« [Ps 118,26-27]; und es soll ihm geantwortet sein: »Aus der Ferne hat uns der Herr gesammelt« [Ps 107,2]. Er ergriff sogleich die Hand desselben und führte sie zum Gebet. Nachdem sie nun miteinander gebetet, das Haus betreten und zum Mahl geistiger Freude sich niedergelegt hatten, soll der Erwählte Gottes Gallus auf Befehl seines Lehrers göttliche Aussprüche vorgetragen und das Herz der Hörer zur Liebe des himmlischen Vaterlandes entflammt haben. Als das der erwähnte Priester hörte, staunte er und benetzte sein Angesicht mit Tränen. Dort nun erfreuten sie sich zur Ehre Christi sieben Tage hindurch an göttlichen Unterhaltungen. Nach Verlauf derselben erfuhren sie von demselben Priester, dass in der Nähe eine zerstörte Stadt namens Pregenzia [Bregenz] sei, welche durch die Fruchtbarkeit des Bodens und die Nähe des Sees zu einem passenden Aufenthalt für die Knechte Gottes werden könne. Als sie dieses gehört hatten, sehnten sie sich darnach von ganzem Herzen.

 

[6.] Der Mann Gottes Columban bestieg zur Kundschaft mit Gallus, seinem trefflichsten Schüler und einem andern Diakon ein Schiff und begab sich zur Stadt. Dort nun errichtete sich die Hand der Brüder Wohnungen und betete inständig zu Christus für jenen Ort. Ebendaselbst verehrte das abergläubische Volk drei eherne und vergoldete Götzenbilder, denen es mehr anhing und mehr Gelübde darbrachte, als dem Schöpfer der Welt. Deshalb trug der Mann Gottes Columban aus Verlangen, den Aberglauben derselben zu vernichten, dem Gallus auf, eine Rede an das Volk zu halten, weil jener unter den andern sich durch Zierlichkeit der lateinischen Sprache und auch in der Redeweise jenes Volkes hervortat. Denn dasselbe hatte sich zahlreich versammelt zu der herkömmlichen Feierlichkeit im Tempel, mehr verwundert über den Anblick der Fremdlinge, als andächtig aus Ehrfurcht vor dem Gottesdienste. Dieser Versammlung berieselte der Auserwählte Gottes Gallus die Herzen mit honigträufelnden Worten, indem er sie ermahnte, sich zu bekehren zu ihrem Schöpfer Jesus Christus dem Sohne Gottes, der dem in Schmutz versunkenen und kaltsinnigen Menschengeschlechte den Weg zum Himmelreiche erschloss. Hierauf zerschmetterte er vor den Augen aller die weggenommenen Götzenbilder an den Felsen und schleuderte sie in die Tiefe des Sees. Da bekannte ein Teil des Volkes seine Sünden und glaubte, der andere ging zornig und aufgebracht in voller Wut von dannen. Und es segnete der Mann Gottes Columban Wasser, weihte damit die verunreinigten Orte und gab so der Kirche der hl. Aurelia die frühere Ehre zurück. Und es verweilte dort der fremde Kämpfer Christi mit seinen Jüngern während dreier Jahre. Sie übten nach Art der Bienen, der kleinsten Mutter, den Geist in verschiedenen Künsten: unter ihnen pflegte der Erwählte Gottes Gallus dem schuppentragenden Völkchen Nachstellungen zu bereiten, und oft erfreute er durch Christi Bescherung die Brüder, wenn er ihnen emsig des Lebens Notdurft darreichte.

 

[7.]  Im rollenden Laufe der Zeit pflegte der Erwählte Gottes Gallus die Netze in die klare Flut während der Stille der Nacht zu senken, als er einmal den Teufel vom Gipfel des Berges nach seinem Genossen rufen hörte, der sich in den Abgründen des Sees befand. Auf die Antwort desselben: »Hier bin ich!« entgegnete der Bergteufel: »Mache dich auf zu meiner Hilfe! Siehe, Fremdlinge sind gekommen, welche mich aus meinem Tempel geworfen haben; komm, komm, hilf uns, dieselben aus dem Lande treiben.« Der Seeteufel erwiderte: »Siehe, einer von jenen ist auf dem See, dem werde ich aber niemals schaden können. Denn ich wollte seine Netze zerreißen, aber besiegt trauere ich. Mit dem Zeichen des Gebetes ist er stets umgeben und niemals vom Schlafe überwältigt.« Als der Auserwählte Gallus dieses hörte, schützte er sich allenthalben mit dem Zeichen des Kreuzes und sprach zu ihnen: »Im Namen Jesu Christi befehle ich euch [Apg 16,18], weicht aus dieser Gegend und unterfangt euch nicht, irgendjemand hier zu verletzen!« Eilend kehrte er ans Gestade zurück und erzählte seinem Abte, was er gehört hatte. Da der Gottesmann Columban dieses vernahm, berief er die Brüder in die Kirche, indem er das gewohnte Zeichen gab. O wunderbare Sinnlosigkeit des Teufels! Noch ehe die Knechte Gottes ihr Gebet erhoben, vernahm man die Stimme des Gespenstes, indem sich ein Geheul und Gebrüll von schrecklichen Tönen durch die Höhen der Gebirge hören ließ. Trauernd entwich nun die Missgunst des Teufels, während das Gebet der Brüder demütig zum Herrn emporstieg. Christus, so schon des höchsten Lobes würdig, wurde von nun an mehr und mehr geehrt, da er sich würdigte, den Schrecken der bösen Geister von ihnen fern zu treiben.

 

[8.] Die Menschen aber, welche ihre Predigten verachteten, unternahmen es, ihnen wegen der Zertrümmerung ihrer Götter Leid zuzufügen. Sie begaben sich nämlich zu Cunzo dem Herzog dieses Landes und hinterbrachten ihm trügerische Anklagen in Verbindung mit dem Geiste der Lüge, indem sie sagten, dass wegen jener Fremdlinge die öffentliche Jagd in dieser Gegend zu Grunde gerichtet sei. Er sendete, wie man sagt, einen Boten an jene ab und befahl ihnen, von dort wegzuziehen. Und um die Unbilden gegen die Knechte Gottes zu vergrößern, wird ihnen eine Kuh gestohlen und in die Verborgenheit der Wildnis geführt. Als zwei Brüder sich aufmachten, diese zu suchen, trafen sie die Räuber selbst. Nun verbindet man mit dem Diebstahl einen Mord, indem von ihnen die Diener Christi getötet und ausgeplündert werden. Als die Schandtat vollführt war, werden jene lange in der Wildnis gesucht, jedoch endlich entseelt aufgefunden und unter Wehklagen zur Klause zurückgeführt. Da sprach der hl. Columban, gezwungen durch das beständige Drängen seiner Widersacher und durchdrungen vom Schmerz über die Leichen der Brüder zu seinen Genossen: »Wir haben hier eine goldene Schale, aber voll von Schlangen gefunden. Ihr aber betrübt Euch nicht [Neh 8,10]; denn Gott, dem wir dienen, wird seinen Engel senden [Apg 12,11], der uns zum König Italiens führen und ihn sanftmütig stimmen wird, auf dass er uns einen ruhigen Ort gewähre.«

 

[9.] Von dieser Reise der Kämpfer Christi hielt eine Fieberplage Gallus, den Erwählten Gottes, zurück. Denn gerade auf dem Punkte der Abreise warf er sich zu den Füssen seines Abtes und bekannte, dass er wegen Schwäche nicht fortziehen könnte. Aber der heilige Mann sagte mit heiterem Mute zu ihm, um ihn bei sich zurückzuhalten: »Wenn du meine Mühen nicht teilen willst, so wirst du bei meinen Lebzeiten die Messe nicht feiern.« Deshalb wurde dann dem eigenen Gutdünken überlassen, der so lange unter der Leitung anderer erzogen war. Wir glauben, dass dieses durch die göttliche Vorsehung zugelassen sei, damit der Erwählte Gottes Gallus jenem Volke zum ewigen Gewinn erhalten bliebe. Denn nachdem die Teilung vollzogen war, wird der erwähnte Gastfreund, der Priester Willimar, von Gallus, dem Knechte Gottes, mit Netzen und einem Schiffe aufgesucht, und es erneuert sich die beklommene Trauer, als man die Art und Weise der Trennung bespricht; und dabei bittet ihn Gallus um Obdach und Hilfe in seiner Schwachheit. Er wurde mit Freude aufgenommen, alle Liebe ihm erwiesen und den beiden Klerikern Maginold und Theodor aufgetragen, dass sie für ihn sorgten und ihn in der Nähe der Kirche pflegten. Als dieses mit Eifer besorgt war, wurde er durch die Gnade Christi gesund und für größere Kämpfe aufbewahrt.

 

[10.] Hierauf wurde ein gewisser Diakon Hiltibod, der treue Genosse des vorgenannten Priesters und ausgezeichnet vor andern durch Kunde jener Wildnis, von dem Erwählten Gottes Gallus mit diesen Worten angegangen: »Mein Sohn! Hast du jemals in der Abgeschiedenheit dieser Wildnis einen geeigneten Ort gefunden, darauf zu bauen ein Bethaus und eine passende Wohnung? Voll heftigen Verlangens ist meine Seele, während meines Lebens in der Einsamkeit zu verharren, da der Psalmist uns ermahnt und spricht: <Siehe, fliehend habe ich es aufgeschoben und ich verblieb in der Einsamkeit und erwartete den, der mich gesund mache.> [Ps 55,8-9]« Erwidernd sprach zu ihm der Diakon: »Mein Vater! Diese Wildnis ist rau und wasserreich, hat hohe Berge und enge Täler und verschiedenes Getier, sehr viele Bären und Herden von Wölfen und Schweinen. Ich befürchte, sie möchten über dich her stürzen, wenn ich dich dorthin führe.« Der Mann Gottes aber antwortete: »Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein [Röm 8,31]? Der Daniel aus der Löwengrube gerettet hat [Dan 6,17], ist auch mächtig, mich aus der Hand der wilden Tiere zu befreien.« Da der erwähnte Levit dessen Beharrlichkeit sah, sprach er: »Am nächsten Tage wollen wir in die Geheimnisse der Wälder dringen, ob wir vielleicht einen passenden Ort finden. Denn ich vertraue der Güte unseres Schöpfers, dass er uns würdig achtet, den Führer des Tobias uns zuzusenden [vgl. Tob 5].« Nach gewohnter Weise also verharrte der Mann Gottes während dieses Tages im Gebete, ohne Speise zu sich zu nehmen.

 

[11.] Mit Anbruch des andern Morgens aber begaben sie sich unter Gebet auf den Weg. Als nun die dreimal dritte Stunde des Tages verflossen war, forschte der Levit, ob der Mann Gottes sich erquicken wolle; er hörte jedoch von diesem, dass er nichts zu sich nehmen werde, bevor ihm durch Christi Gnade ein Ort geoffenbart würde, wo er seine Wohnung aufschlagen könne. Man treibt deshalb von neuem die schon ermüdeten Glieder an und gelangt endlich an ein Flüsschen namens Petrosa [Steinach]. Dort bietet sich ihnen eine Ruhestätte für die Nacht, da sich eine Menge schuppentragenden Getiers zeigt. Denn sie gelangten zu dem Orte, wo sich das Flüsschen vom Berge herunterstürzt und eine Höhlung im Felsen gebildet hatte. Das mitgebrachte Netz wird hineingesenkt und nicht wenige Fischlein werden gefangen, Feuer wird vom Leviten dem Stein entlockt und eine erquickende Mahlzeit bereitet. Unterdessen suchte der Mann Gottes das gewohnte Gebet, wobei er mit dem Fuß an einen Dornbusch stieß und niederfiel; als der Diakon ihm aufzuhelfen sich bestrebte, vernahm er die Worte: »Lass mich, dies ist meine Ruhe ewiglich; hier will ich wohnen, denn es gefällt mir wohl. [Ps 132,14]« Und als er sich vom Gebet erhoben hatte [vgl. Lk 22,45], machte er aus einer Haselrute ein Kreuz und befestigte daran eine Kapsel, in welcher sich Reliquien der Heiligen Jungfrau der Jungfrauen, des heiligen Desiderius und des erhabenen Heerführers Mauritius befanden. Hierauf erneuern beide ihr Gebet und der Mann Gottes sprach demütig flehend: »Herr Jesu Christe, Schöpfer der Welt, der du durch das Siegeszeichen des Kreuzes dem Menschengeschlecht zu Hilfe gekommen, gib zur Ehre deiner Auserwählten, dass jener Ort zu deinem Lobe bewohnbar sei.« Das Gebet zieht sich bis zum Abend hin und die Speise wird mit Danksagung eingenommen. Als sie die Glieder der Ruhe übergeben hatten, der Mann Gottes aber sich still erhob und vor jenem Heiligtum im Gebet verharrte, horchte sein Reisegefährte im Geheimen. Unterdessen näherte sich ein Bär vom Gebirge und verschlang die Überreste; zu ihm sprach Gallus, der Erwählte Gottes: »Bestie, im Namen unseres Herrn Jesu Christi befehle ich dir [Apg 16,18], nimm Holz und wirf es ins Feuer.« Jener aber kehrte sofort um, brachte einen sehr schweren Klotz und legte ihn ins Feuer; zum Lohn hierfür ward ihm vom Mann Gottes Brot dargereicht, jedoch der Befehl beigefügt: »Im Namen meines Herrn Jesu Christi weiche aus diesem Tal. Berge und Hügel mögen dir frei stehen, jedoch verletze hier nicht Vieh oder Menschen.« Als sein Reisegefährte dieses gesehen, stand er auf, warf sich jene zu Füssen und sprach: »Jetzt weiß ich [Apg 12,11], dass der Herr mit dir ist, denn die Tiere der Wildnis gehorchen dir.« Er aber vernahm sogleich: »Hüte dich, jemandem dieses zu sagen, bis du den Ruhm Gottes siehst [vgl. Mt 17,9].«

 

[12.] Als es aber Morgen geworden war, sagte der Diakon zu ihm: »Vater, was willst du, dass wir heute tun?« Jener erwiderte: »Ich bitte dich, mein Sohn, zürne nicht meinen Reden [Gen 18,32]; lass uns hier diesen Tag noch bleiben. Nimm die Netze und gehe zum Strudel; ich werde dir schnell folgen, vielleicht wird der Herr uns seine gewohnte Barmherzigkeit erzeigen, auf dass wir etwas haben um es unserem Gastfreunde als Geschenk von diesem Orte mitzubringen.« Zu ihm sprach der Levit: »Mir gefällt deine Rede;« und sogleich erhob er sich und eilte zum Strudel. Als er damit beschäftigt war, das Netz auszuwerfen, erschienen ihm zwei Teufel in Weibergestalt, die nackt am Ufer standen, gleichsam als wären sie im Begriff sich zu baden, und indem sie ihm die Scham ihres Körpers zeigten und zugleich Steine gegen ihn schleuderten, sagten sie: »Du hast jenen Mann in diese Wildnis geführt, einen ungerechten und neidischen Menschen, der uns immer übermächtig ist bei unsern bösen Taten.« Nachdem der Levit dieses vernommen, begab er sich eilenden Fußes zurück und verkündete das Geschehene dem Manne Gottes. Hierauf ergossen sich beide in Gebeten zu Christus. Der Heilige flehte nämlich: »Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, rechne es nicht meinen Verdiensten an, aber befiehl jenen Teufelinnen von diesem Orte zu weichen, auf dass er zu Ehren deines Namens geheiligt sei.« Und als sie sich vom Gebet erhoben und an den Strudel begeben hatten, entflohen die Teufelinnen durch den Lauf des Flusses bis zum Scheitel des Berges. Der Mann Gottes aber sprach: »Gespenstische Gestalten, ich befehle euch durch den Vater und den Sohn und den heiligen Geist, weichet von diesem Ort in die Wüstenei und kommt niemals mehr hierhin!« Darauf warfen sie ihr Netz aus und fingen schuppentragende Tierchen. Und wieder erneuert sich die List des alten Feindes; während sie noch die Fische zu sich zogen, hörten sie vom Gipfel des Berges Stimmen gleichsam zweier Weiber, die über den Tod der Ihrigen klagten und diese Worte hervorstießen: »Was tun wir oder wohin gehen wir? Wegen jenes Fremdlings ist es uns nicht erlaubt, weder unter Menschen noch in der Wildnis zu leben.« Nachher aber hörte derselbe Diakon zu dreimalen, als er dem Fange von Habichten nachging, vom Berge der Himilinberc [Himmelberg] heißt herab die Teufel mit Geschrei fragen, ob Gallus noch in der Wildnis wäre oder sich fortbegeben hätte.

 

[13.] Hierauf durchforschten sie Tal und Berg und fanden einen Wald zwischen zwei Bächen, eine anmutige Ebene und einen Ort, der zur Errichtung einer Zelle einlud. Nach dem Beispiel des hl. Jakob sprach, im Geiste die künftige Wohnung voraussehend, Gallus, der Erwählte Gottes: »Wahrlich, der Herr ist an diesem Orte [Gen 28,16].« Und auch dort begab sich ein neues Wunder: denn da es hier voll von Schlangen war, zeigten sie sich seit jenem Tage nicht ferner.

 

[14.] Der Schöpfer der englischen Tugend wird mehr und mehr verehrt und ihm Dank dargebracht. Als nun die Rede unter ihnen auf die Heimkehr aus der Wildnis kam, wurde der Levit vom Manne Gottes ersucht zurückzukehren und von ihm eine Frist bis zum dritten Tage bestimmt; dieses nahm der Reisegefährte hart auf, indem er wiederholte: dass er niemals ohne jenes Gegenwart es wagen werde, das Antlitz ihres Wirtes zu schauen. Aber die Rede des Mannes Gottes drang durch und der Levit kehrte heim. Nun lag der Heilige den Übungen ob und enthielt sich an den drei folgenden Tagen der körperlichen Nahrung. Am vierten aber ging er fort und besuchte unter Danksagungen den Priester von Arbona; dieser nahm ihn mit Freuden auf und gewährte ihm jedwede Aufwartung; sie lobten Christus und setzten sich des Essens wegen nieder, wobei der Levit unter andern Äußerungen des Frohsinns sagte: »Wenn ein Bär hier wäre, hätte ihm Gallus vielleicht den Segen gereicht.« Als der Priester nach dem Ursprunge dieser Worte fragte, wurde vom Leviten die Sache erzählt, wie sie sich zugetragen. Seitdem ward er von ihnen wie einer von den alten Vätern angesehen, denn sein Leben war hart und von Strenge durchdrungen. Während sie dort zusammen waren, kam ein Bote zum Priester Willimar und erzählte, dass Gaudentius, der Bischof der Stadt Constanz [Konstanz], verstorben sei; für dessen ewige Ruhe verharrten beide lange im Gebet.

 

[15.] Hierauf ward am siebten Tage dem erwähnten Priester ein Brief zugesendet, in welchem es hieß, dass er sich über zwölf Nächte mit dem Manne Gottes bei dem Herzog Cunzo in der Villa Jburninga [Überlingen] einfinden möge. Dies wurde deshalb betrieben, weil die einzige Tochter desselben, Fridiburga, sich in hoffnungslosem Zustande befand; denn ein böser Geist war in sie eingezogen und plagte sie mit unglaublichen Qualen [vgl. Mt 17,21; Mk 9,29]. Sie nahm nur wenig Speise, wälzte sich schäumend auf der Erde und nur vier Männer konnten sie halten; diese Art des Teufels war stumm bis zum dreißigsten Tage; darauf begann er zu reden. Jene aber war mit Sigibert, dem Sohne Theodorichs verlobt, und diesem tat ihr Vater durch Eilboten das Vorgefallene kund, und es wurden zur Hilfe zwei hohe Bischöfe geschickt. Willimar also wollte zu der festgesetzten Zeit eintreffen und forderte den Mann Gottes auf, mit ihm zu gehen. Von diesem erhielt er die Antwort: »Jenes ist nicht meine, sondern deine Reise. Geh du nur, mein Vater; was soll ich bei dem Fürsten dieser Welt [vgl. Joh 12,31; 14,30]? Ich werde zu meiner Zelle zurückkehren.« Ihm erwiderte der Priester: »Durchaus nicht möge dieses geschehen, sondern geh mit mir, um die Traurigkeit des Richters zu trösten, auf dass du vielleicht nie wider Willen zu ihm geführt werdest.« Aber das Vorhaben von jenem, der die weltliche Ehre floh, stand fest. Schnell begab er sich zu seiner kleinen Zelle zurück, und damit er noch mehr vor menschlicher Nachforschung sich verberge, sagte er früh zu den Brüdern, dass keiner den bestimmten Ort, wo er aufzufinden, angebe, sondern wenn sie zu heftig gedrängt würden, möchten sie bekunden, dass ein Brief seines Abtes Columban an ihn gelangt sei, recht schnell zu ihm nach Italien zu kommen, und so begab er sich mit zwei Jüngern in die Abgeschiedenheit der Wildnis. Nachdem er daher die Alpen überstiegen, kam er in den Wald namens Sennius [Sennwald], wo auch sehr nahe der Weiler Quaradaves [Grabs] war; dort fanden sie einen Diakon mit Namen Johannes, der Gott in Gerechtigkeit und Furcht diente [vgl. Ps 2,11]. Dieser führte sie in seine Wohnung und diente ihnen sieben Tage hindurch wie weit hergekommenen Pilgern, da sie angeben, dass sie aus weiter Ferne seien.

 

[16.] Wie der Priester den Weggang des Mannes Gottes erfuhr, schiffte er zu dem Herzog und verkündete ihm die Flucht des Gallus. Jener sprach zu ihm: »Schnell entsende an ihn eine Botschaft und berede ihn, zu mir zu kommen; wenn er durch Gott meine Tochter befreit, werde ich ihn mit Geschenken bereichern und auf den Bischofssitz der Stadt Constanz erheben.« Zu diesem Versuch kehrte der Priester zurück. Als daher diese von der königlichen Würde abgesendeten Bischöfe ankamen, bemächtigte sich eine ungeheure Traurigkeit der Eltern; sie jedoch reichten dem Mädchen königliche Geschenke dar; dieses aber riss sich los und entwand einem derer die sie hielten das Schwert und wollte dieselben töten. Und aus ihr sprach der Teufel zu einem der Bischöfe: »Du hast dem König versprochen, mich aus diesem Gefäß zu vertreiben; warum hast du nicht diene Tochter mitgebracht, welche du mit jener Nonne zeugtest?« Und zu dem andern sagte er: »Auch du hast gehurt mit drei fremden Weibern. Auf euer Geheiß werde ich niemals weichen, aber es ist ein Mann namens Gallus, der mich aus Tuccinia [Tuggen] vertrieb, wo ich lange gewohnt habe, und dort alle meine Wohnungen zerstörte, und wieder traf er mich in Pregentia [Bregenz], und von dort vertrieb er mich auf ähnliche Weise, er, den dieser Herzog aus eben dieser Gegend verbannt hatte; zur Strafe hierfür bin ich in dieses Mädchen gefahren. Wenn nicht gerade er kommt, werde ich von hier nicht weichen.« Einer aber der Bischöfe gab ihm eine Ohrfeige und sprach: »Verstumme, Satan!« Als dieser das Wort Gallus hörte, meinte er, es sei von dem Huhne die Rede; aber seine Schmähungen gegen die königlichen Boten hörten nicht auf, sondern er setzte ihnen zu mit geschwätzigen Worten. Drei Tage verweilten sie dort, wanderten zum Palast zurück und erzählten dem König alles nach der Reihenfolge.

 

[17.] Der Priester aber erfüllte den Befehl und fand den Mann Gottes in der Höhle lesend und sprach zu ihm die trostvollen Worte: »Fürchte dich nicht, mein Vater, zum Herzog zu kommen, weil er mir durch einen Eid geschworen hat, dass er dir kein Leid zufügen würde, sondern dass du nur unter Gebet die Hand auf das Haupt seiner Tochter legen sollst. Wenn Christus ihm durch dich zu Hilfe kommen wird, wird er dir den Bischofsstuhl von Constanz geben.« Sie redeten noch, siehe, als auf einmal der Diakon Johannes erschien und ungesäuertes Brot, ein Fläschlein Wein, Öl und Butter mit Honig und gebratene Fische zum Segnen ihm darreichte. Sie danken Christus und beginnen das Mahl. Da versprach der Mann Gottes, dass er am folgenden Tage reisen werde, und der erwähnte Levit wollte ihm sein Maultier nebst Sattel zum Reiten bringen. Aber jener, wie er überhaupt allen Pomp floh, sagte beständig, dass er die Brüder in der Zelle besuchen und so schnell wie möglich zum Flecken [Arbon] kommen müsse. Ihn verpflichtete jedoch der Priester für die Zusage durch einen Eid. Johannes kehrte mit dem Segen zurück und der Mann Gottes begab sich zur Zelle auf demselben Wege, auf dem er gekommen war. Nachdem er dort eine Nacht zugebracht hatte, wanderte er mit zwei Jüngern zu dem Flecken und fand dort einen zweiten von dem Herzog abgesendeten Boten mit dem Priester, der sie zur Eile antrieb, indem er sagte: »Schon drei Tage lebe das Mädchen ohne Speise.« Man bestieg ein Schiff und gelangte in derselben Nacht zum Herzog.

 

[18.] Am Morgen begab sich dieser mit ihnen in das Schlafgemach, wo die Mutter ihre Tochter mit geschlossenen Augen wie eine Tote hielt. Aus dem Munde der Tochter drang ein Schwefelgeruch, und es befand sich daselbst eine Menge Diener in Erwartung dessen, was sich zutragen werde. Der Heilige warf sich zum Gebet nieder und sprach unter Tränen: »Herr Jesus Christus, der du in diese Welt gekommen bist und dich gewürdigt hast, aus einer Jungfrau geboren zu werden, der du den Winden und dem Meere gebotst [vgl. Mt 8,26] und dem Satan zu weichen befahlst [vgl. Mt 4,10] und durch dein Leiden das Menschengeschlecht erlöst hast, befiehl diesem unreinen Geiste, aus jenem Mädchen zu fahren.« Und als er sich vom Gebet erhoben hatte, ergriff er ihre rechte Hand und richtete sie auf [vgl. Mk 1,31]. Denn der böse Geist plagte sie. Jener aber legte seine Hand auf ihr Haupt und sagte: »Ich befehle dir im Namen Jesu Christi, unreiner Geist, auszufahren und zu verlassen dieses Gefäß Gottes.« Nach diesen Worten blickten jene ihn mit geöffneten Augen an und der unreine Geist sprach: »Du bist Gallus, der mich schon früher verbannt hat, und ich bin hier eingekehrt, weil mein Vater dich mit deinen Genossen vertrieben hat; wenn du mich jetzt vertreibst, wohin soll ich gehen?« Der Mann Gottes erwiderte: »Wohin der Herr dich verstoßen hat, in den Abgrund.« Sogleich entschlüpfte er vor jener Augen aus dem Munde des Mädchens wie ein sehr hässlicher Vogel, schwarz und schaudererregend. Schnell erhob sich das Mädchen gesund und der Mann Gottes gab sie der Mutter zurück [vgl. 1 Kön 17,23; Lk 7,15].

 

[19.] Der Vater aber jubelte mit seinen Freunden und verlieh ihm die Geschenke, welche von der königlichen Würde dem Mädchen übersendet  waren. Den erwähnten Bischofsstuhl, welchen er ihm anbot, schlug der Mann Gottes mit diesen Worten aus: »So lange mein Lehrer Columban lebt, werde ich die Messe nicht feiern; wenn du daher mich hierzu erheben willst, so lass meine Briefe an meinen Lehrer gelangen: werde ich von ihm losgesprochen, so wirst du mich dir gehorsam befinden.« Zu ihm sprach der Herzog: »Es geschehe nach deinem Worte [Lk 1,38].« Der Erwählte Gottes kehrte heim mit den Geschenken, durch die er geehrt war. Der Herzog aber erteilte dem Vorsteher in Arbona den Befehl, beim Bau der Zelle jenem mit allen Gaubewohnern Unterstützung zu leisten. Der Mann Gottes zog in die Burg Arbona ein, sammelte um sich eine Menge von Armen und Bedürftigen und verteilte unter sie alle Geschenke, welche ihm vom Herzog gegeben waren. Aber sein Diener Meginald wollte ein silbernes und wegen der getriebenen Arbeit kostbares Gefäß aus Eifer für den Gottesdienst einbehalten und befragte deshalb den Meister. Doch er vernahm die Worte des himmlischen Pförtners: »Silber und Gold habe ich nicht [Apg 3,6]; du aber teile es aus.« Hierauf kehrte er zu seiner geliebten Einsamkeit zurück und übte sich im Kampfe des himmlischen Königs auf eine bewundernswerte Weise.

 

[20.] Darauf wurde an den Diakon Johannes von dem Manne Gottes ein Brief gerichtet, in welchem er ihn aufforderte, schnellstens zu ihm zu kommen. Nachdem dieser den Brief gelesen, begab er sich, willens den Wunsch zu erfüllen, eilig mit Geschenken auf den Weg und gelangte zu dessen Zelle, wo ihn die Brüder mit Ehren aufnahmen. Als ihn auch der Mann Gottes freundlich empfangen, forschte er nach dem glücklichen Verlauf der Reise und hörte von der ehrenvollen Aufnahme beim Fürsten; wobei die Befreiung des Mädchens, die Verleihung von Geschenken und die Antragung des Bischofsstuhls nicht vergessen wurden. »Ohne Befehl meines Abtes«, sagte der Mann Gottes, »wollte ich ihn nicht annehmen; aber du, mein Sohn, der du fähig bist meinen Ratschluss zu fassen, richte mit mir deine Aufmerksamkeit auf das göttliche Gesetz, sammle es im Innern deines Herzens und du wirst vielleicht mehreren nützen.« Als der Levit dieses hörte, warf er sich unter Danksagungen zu jenes Füssen nieder, sendete schnell die Begleiter zurück und übergab sich der Leitung desselben. Mit ihm trat er an den Quell der Mutter Philosophie und eignete sich tiefe Kenntnis des göttlichen Gesetzes an. Und nicht unähnlich ward er dem Verfasser des Evangeliums, da er Altes und Neues gründlich durchforschte [vgl. Mt 13,52].

 

[21.] Als der König Sigibert aber vernommen hatte, dass die Gesundheit dem Mädchen zurückgegeben sei, verlangte er vom Vater die Zusendung desselben. Dieser geleitete sie mit allem ausgerüstet bis an den Rhein und überschickte sie von dort unter Geleit und mit großer Ehre dem König. Er empfing sie gnädig und befragte sie nach der Wiedererlangung ihrer Gesundheit, welche die Bischöfe des königlichen Hofes ihr nicht hatten wiederverleihen können. Sie antwortete, es sei dort in der Wildnis ein Schotte [Ire] namens Gallus, durch den der Herr seine Gnade beweise. »Als deine Magd«, sagte sie, »sich schon in den letzten Zügen befand, kam er auf die Bitten meines Vaters, legte mir seine Hand auf, festigte mich durch das Zeichen des Kreuzes und befahl dem Teufel zu weichen. Gehorsam diesem Befehle stieg er vor den Augen jener, die mit mir im Hause waren, aus meinem Munde wie ein schwarzer und schauerlicher Rabe. Darauf empfing ich gesund den Leib des Herrn.« Nach diesen Worten warf sie sich zu Füssen des Königs und sprach: »Das Eine lass mich, gnädigster König, erlangen, dass deine Gnade um meinetwillen diesem Manne Gottes zu teil werde.« Der König aber fragte sie und sprach: »In welcher Wildnis ist sein Aufenthaltsort?« Das Mädchen sagte: »In dem Walde, der zum Gau Arbona gehört und zwischen dem See und den Alpen liegt.« Der König ließ nun einen Schutzbrief ausfertigen, dass der Mann Gottes von jetzt an auf königlichen Befehl seine Zelle behalten solle, und übersendete denselben mit zwei Pfund Gold und ebenso vielen Talenten Silber durch Boten, welche sich mit Demut näherten und die königliche Würde dessen Gebete dringend empfahlen. Dem Herzog Cunzo aber erteilte der König den Befehl, dem Manne Gottes bei der Errichtung seiner Zelle mit Arbeitern zu Hilfe zu kommen.

 

[22.] Hierauf beging der König das Hochzeitsgelage, wozu nicht wenige Fürsten berufen waren. Als er die Jungfrau in den Saal zu führen befohlen hatte, warf sie sich vor ihm nieder und sprach: »Herr, mein König, deine Magd ist noch schwach von der Krankheit und zudem die Berührung meiner Glieder nicht viel wert. Lass mich noch sieben Tage, bis ich wieder zu Kräften gekommen.« Ihr erwiderte der König: »Es geschehe nach deinem Willen«, und begab sich in die Pfalz; jene aber kehrte zu ihrer Kammer zurück. Während des Gelages nun wunderten sich viele, dass die Königin sich nicht zur Seite des Königs befinde; denn sie verheimlichte ihr Vorhaben bis zum siebten Tage. Als dieser erschienen, ging sie in die Kirche des Erzmärtyrers, schloss hinter sich die Türen, entkleidete sich der königlichen Gewänder und legte klösterliche an. Darauf fasste sie ein Horn des Altars und betete: »Heiliger Stephanus, der du dein Blut Christi wegen vergossen hast, sei heute für mich Unwürdige der Mittler, auf dass das Herz des Königs nach meinem Willen gelenkt werde und er diesen Schleier nicht von meinem Haupte nehme.« Als das die Männer sahen, welche sie begleitet hatten, verkündeten sie es eiligst dem König, der Priester und Fürsten zusammenberief und um ihren Rat befragte. Cyprianus, der Bischof von Arelat [Arles], sprach: »Als dieses Mädchen vom Teufel besessen war, hatte sie durch ein Gelübde sich verbunden, niemals von einem heiligen Leben zu lassen. Hüte dich, sie hiervon abwendig zu machen und in Sünde zu verfallen dadurch, dass sie Schlimmeres als früher erleide.« Nachdem dieses der gerechte und gottesfürchtige König vernommen und noch viele andere Priester um Rat gefragt hatte, begab er sich in die Kirche, wo sie war, ließ das königliche Gewand und die Krone, welche für sie bestimmt war, herbeibringen und sprach: »Komm heran zu mir.« Jene, in der Meinung, dass sie aus der Kirche fortgeführt werden solle, hielt das Horn des Altars noch fester. Da sprach zu ihr der König mit lauter Stimme: »Fürchte dich nicht zu mir zu kommen. Alles wird heute nach deinem Willen geschehen.« Sie aber erwiderte, ihr Haupt auf den Altar legend: »Siehe, ich bin Christi Magd, mir geschehe nach seinem Willen [vgl. Lk 1,38]. König Sigibert ließ sie durch die Priester wegführen und zu sich bringen, mit dem königlichen Gewande und Schleier und Krone schmücken und übergab sie dann mit folgenden Worten dem Herrn: »Wie du in diesem Schmuck mir bestimmt warst, so werde ich dich meinem Herrn Jesus Christus zur Braut schenken.« Darauf ergriff er ihre rechte Hand, legte sie auf den Altar und soll bei seinem Fortgange Tränen vergossen haben. Dann ließ er sie zu sich kommen, in der Pfalz neben sich niedersitzen, ehrte sie durch viele Geschenke und anvertraute ihr das Frauenkloster, welches in der Stadt Metz zu Ehren des hl. Petrus erbaut war; dort ist auch dieses geschehen. Alles dieses hatte das Mädchen nach dem Rate des Mannes Gottes Gallus getan, durch den sie mit der Hilfe es Herrn den Teufeln entrissen war.

 

[23.] Der vorerwähnte Johannes, der Zögling des Mannes Gottes, verharrte bei diesem und lernte vielfache Weisheit, die Auslegung der göttlichen Bücher und die Handarbeiten, welche Gallus gewöhnlich zu verrichten pflegte. In vielen Lehrgegenständen war er dort gleich einem Schüler, und da Christus in ihm das Geschenk seiner Gnade walten ließ, nahm er sofort in seinem Herzen auf, was er gesehen oder gehört hatte. Hier verweilte er drei Jahre und nahm zu an Sanftmut und Demut im Herrn.

 

[24.] Darauf sendete der vorerwähnte Herzog Cunzo dem Manne Gottes einen Brief, auf dass er nach Constanz komme und bei ihm einen würdigen Bischof erwähle. Und er berief zur Wahl den Bischof von Augsburg samt seiner Geistlichkeit und Gemeinde, und den von Speier [Speyer], und außerdem aus ganz Hochgermanien die Priester, Diakonen, Kleriker und Laien in ebendieselbe Stadt, auf dass ein würdiger Bischof erkoren werde. Durch Vermittlung des Herzogs und der Suevenfürsten [schwäbischen Fürsten] ward die Versammlung drei Tage lang im Beisein einer ungeheuren Volksmenge hingehalten. Der Mann Gottes nahm Johannes und Maginald zu sich und zog zur Stadt. Als er in die Versammlung getreten war, kam ihm der Herzog entgegen und sprach: »Gott, der durch die hl. Maria Fleisch werden wollte, und zu dessen Ehre diese Kirche geweiht ist, möge sich würdigen über uns den hl. Geist auszugießen und gebe uns einen Oberhirten zur Leitung des Volkes und zur Regierung seiner Kirche.« Und er forderte die Bischöfe auf, dass sie nach ihren Regeln wählten wen sie wollten. Da rief die ganze Geistlichkeit einstimmig: »Weil jener Gallus ein Mann Gottes ist, von gutem Rufe in dieser ganzen Gegend, erfahren in den heiligen Schriften und voll von Weisheit, gerecht und keusch, ein Spender von Almosen, mäßig und geduldig, Vater der Waisen und Witwen; so ist es billig, dass ein solcher den Bischofsstuhl einnehme.« Der Herzog aber sprach zu ihm: »Hörst du, was jene sagen?« Ihm erwiderte der Mann Gottes: »Sie haben gut gesprochen, wenn es nur wahr wäre. Jene, welche dieses sagen, wissen nicht, dass nach kanonischem Rechte ein Fremder nicht als Bischof geweiht werden darf. Aber hier weilt der Diakon Johannes aus eurer Gemeine bei mir, der mit allem diesem durch Christi Gnade ausgerüstet ist, und schicklich wäre es, ihm die Last der Regierung aufzulegen.«

 

[25.] Schnell wurde dieser in die Mitte der Versammlung beschieden und vom Herzog nach seiner Abstammung befragt. Als er erwiderte, dass seine Eltern in Rhätien [Rätien] ihren Ursprung hätten, sprach der Herzog zu ihm: »Hast du Kraft in dir, die Leitung der Kirche zu übernehmen?« Hierauf antwortete der Erwählte Gottes Gallus statt seiner, indem er die Vollkommenheit seines Lebens lobte. Während sie dieses und vieles andere behufs seiner Wahl mit dem Manne Gottes besprachen, zog jener sich demütig zurück und floh außerhalb der Stadt in die Kirche des hl. Stephanus. Ihm folgte eine Schar Priester und Volkes, die ihn wider Willen und traurig zurückführten. Laut erschallte die Stimme der Menge, als Johannes mit Einstimmung des Volkes zum Bischof erwählt wurde. Nach vollzogener Wahl wurde er von den erwähnten Bischöfen geweiht, und alle begehrten dringend, dass er sogleich die Messe feiere und dass der Mann Gottes mit seinen honigsüßen Lehren das Volk unterrichte. Begierig, die Herzen aus der göttlichen Quelle zu tränken, ergriff Gallus die Hand seines Zöglings, führte ihn auf eine Erhöhung, und indem der Bischof die Worte seines Lehrers erklärte, redete jener vom Ursprung des Himmels und der Vertreibung des ersten Menschen und knüpfte daran Ermahnungen zur Erlangung des himmlischen Erbes. Hierauf wurden die Enthaltsamkeit des Noah, die Treue Abrahams, die Beispiele der Patriarchen und die mosaischen Wunder vorgeführt und jene Taten des Alten Bundes zum Heil der Seelen für alle angewendet. Die Tapferkeit der Könige ward mit den tapferen Streitern des christlichen Kampfes verglichen, die einen unaufhörlichen Krieg der Tugenden gegen die Laster führen. Die Geschichte der Propheten lenkte er auf die Besserung der Sitten und Festigung des wahren Glaubens mit aller Fülle, und nachdem man die Mysterien des Alten Testaments durchlaufen hatte, gelangte man endlich zu der neuen Freude der Liebe Christi, wobei umso feierlicher gesprochen wurde, je Heilsameres dort zu finden ist. Nachdem die Wunder des Evangeliums und das Geheimnis des Leidens und der Auferstehung behandelt waren, sollen die anwesenden Zuhörer aus Verlangen nach dem Himmelreiche ihr Gesicht mit Tränen benetzt haben; und so kehrten alle erfreut und göttlicher Durchdringung voll nach Hause zurück. Der Erwählte Gottes aber Gallus verweilte bei seinem Zögling sieben Tage und streute in ihn umso reichlicher den Samen der göttlichen Tröstung, je eifriger er denselben in Umfassung göttlicher Beispiele erblickte. Und nachdem er seines Bischofs Segen empfangen, kehrte er heim zur bekannten Abgeschiedenheit der Wildnis. Ihn verfolgte der Bischof  mit seinem Eifer und ließ unter andern Beweisen der Liebe seine Diener mit dem Volke wetteifernd bei dem Bau der Zelle helfen.

 

[26.] Darauf begann nun der Heilige im Vertrauen auf diesen Beistand eine Kirche und Zellen für die Brüder. Mit nur zweimal sechs Genossen, die bei ihm wohnten, war er zufrieden, und es erschien ihnen unwürdig, in etwas von der vorgeschriebenen Regel abzuweichen. Als sie an einem Sonntage das Frühgebet beendigt und sich wieder zur Ruhe begeben hatten, rief der Mann Gottes beim ersten Lichte des Tages den Diakon Maginald und sprach zu ihm: »Erhebe dich schnell [Apg 12,7] und rüste mich zur Feier der Messe.« Dieser erwiderte: »Was ist das, mein Herr? Du willst die Messe feiern?« Jener sprach: »Nach der Nocturne dieser Nacht ist mir geoffenbart worden, dass mein Lehrer Columban in dem Herrn entschlafen; für seine Ruhe will ich das Opfer darbringen.« Sogleich wurde das Zeichen gegeben und die versammelten Brüder beteten inbrünstig, indem man für die Seele des Columban die Messe feierte. Als diese beendigt war, sagte der Mann Gottes zu dem erwähnten Diakon: »Nicht sei’s dir lästig, eile nach Italien und besuche dort das Kloster namens Bobium [Bobbio]; daselbst forsche fleißig nach dem, was sich mit meinem Abte zugetragen, merke Tag und Stunde an und verkünde es mir ohne Zögerung.« Ob dieses Auftrags staunte der Levit und sagte, dass er den Weg nicht kenne. Aber der Erwählte Gottes sprach: »Geh, mein Bruder, fürchte dich nicht, der Herr wird deine Schritte leiten [Spr 3,6].« Jener erbittet den Segen, begibt sich schnell auf den Weg und gelangt endlich unter göttlicher Führung nach dem Kloster Bobium. Hier erfuhr er alles, wie es seinem Lehrer offenbart war und blieb bei jenen Brüdern eine Nacht. Sie aber übersendeten dem Erwählten Gottes Gallus einen ausführlichen Brief über die Taten des hl. Columban mit dem Krummstock desselben und sagten: »Unser Lehrer hat uns noch bei seinen Lebzeiten aufgetragen, dass durch diesen Stab Gallus losgesprochen würde.« Mit Christi Gnade kehrte er am achten Tag zurück und überreichte den Brief mit dem Stabe. Nachdem der Bericht vorgelesen, ward die göttliche Gnade recht inständig für die Ruhe des Columban angerufen, indem man gemeinschaftlich eine feierliche Messe und süßen Psalmengesang darbrachte.

 

[27.] Eines Tages nun ereignete es sich, als er mit den Brüdern und dem Volke an dem Bethause arbeitete, dass ein Balken die Gegenwand nicht erreichte und um vier Handbreiten zu kurz erschien, so dass die Zimmerleute ihn fortwerfen wollten. Der Mann Gottes aber sprach im Vertrauen auf die göttliche Hilfe: »Steht ein wenig von eurer Arbeit ab und stärkt eure Körper durch die angerichteten Speisen.« Für eine Weile also stellten sie die Arbeit ein und gehorchten den Befehlen des Erwählten Gottes. Da gingen alle einträchtig ins Haus und nahmen Speise unter Danksagung zu sich. Nachdem das Mahl mit Gott beendet war, kehrten sie voll Eifer ans Werk zurück und fanden die erwähnte Bohle um einen halben Fuß länger als die übrigen. O wunderbar ist Gott in seinen Heiligen [Ps 68,36]! Was das natürliche Wachstum verweigert hatte, hatte der Glaube zugegeben, als der Stamm schon abgeschnitten war. Süßes Lob spendete man dem Erlöser der Welt, als dieses übernatürlich verlängerte Stück an seiner Stelle eingefügt wurde. Und unbillig halte ich es zu verschweigen, was Wunderbares daselbst der Herr Jesus nachher bewiesen hat; denn diejenigen, welche durch verdorbene Säfte gequält von Zahnweh betroffen werden, erlangen aus jenem Balken bis auf den heutigen Tag mit Christi Gnade Heilung, unterstützt durch die Verdienste dessen, den der Herr durch ein solches Wunder zu ehren für würdig geachtet hat.

 

[28.] Hierauf nun begab es sich, dass der Mann Gottes Eustasius, welcher einst dem ehrwürdigen Columban in der Lenkung des Klosters von Luxovium [Luxeuil] nachgefolgt war, dieses kummervolle Jammertal verließ. Aber die Genossenschaft der Brüder, nicht uneingedenk des früheren Zusammenlebens, betrieb die Übernahme des Vorstandes durch den Erwählten Gottes Gallus, und schickte nach übereinstimmender Beratung sechs Brüder aus seinen hiberischen [irischen] Begleitern an ihn mit einem Briefe ab, um die Wahl zu verkünden. Unter Führung der göttlichen Gnade erreichten sie die Zelle und zeigten ihm, nachdem er sie leutselig aufgenommen hatte, den Brief; da er aber den Zweck ihrer Sendung in demselben erkannte, begab er sich nach seiner Gewohnheit in die Heimlichkeit seiner Klause. »Ich, sprach er, habe meine Familie und mein Heimwesen Christi willen verlassen [vgl. Mt 19,27ff), und wieder soll ich nach irdischen Reichtümern greifen? Ich hatte beschlossen, nachdem ich meinen Brüdern fremd geworden und unbekannt meiner Mutter Kindern [vgl. Ps 69,9], ein Prophetensohn zu werden, und jetzt soll ich ein evangelischer Sämann werden, der rückwärts schauend nicht fürs Reich Gottes geeignet ist [vgl. Lk 9,62]. Einst gehorchte ich gern der Gewalt eurer Herrschaft, aber nun werde ich zufrieden mit dieser Einsamkeit meine Tage ohne Wankelmut hinbringen.« Mit diesen und andern süßen Worten widerstand er denen, die vermutet hatten, dass er ihr Hirt werden würde. Während dieser Verhandlungen rief er den einen Jünger zu sich und fragte ihn, was sie zu essen hätten. Als dieser erwiderte, dass sie nur einen Sester Mehl hätten, wurde schnell befohlen, Brot und Kraut herbeizuschaffen, indem der Mann Gottes der Wunder Christi gedachte, durch welche er die Völker in der Wüste speiste [vgl. Mt 14,13-21 usw.]. Währenddessen aber besuchte er mit den Netzen den nahen Strudel in Begleitung eines Schülers und der genannten Gastfreunde. Dort geschah zum Preise Christi ein Wunder, da sie einen gewaltigen Fisch erblickten, welcher vor zwei Tieren, die man Fischotter nennt, floh und deren Heißhunger er schon beinahe zur Beute geworden war. Ohne Verzug warf man das Netz aus und zog ein Mahl für die Männer Gottes aus dem Fluss. O Wunder! Die Länge desselben betrug 12 Palmen [Handbreit], die Breite vier, da dort vorher stets nur winzige Fischlein gefangen waren. Die erwähnten Tierlein nun zogen sich zurück und warteten gleichsam, um den Knechten Gottes wieder mit ihrer Hilfe gehorsam zu sein. Wieder ward das Netz hineingesenkt und übervoll aus dem Wasser gezogen, indem jene Tiere die großen Schuppenträger hineintrieben. Als das der auserwählte Streiter Christi sah, gab er einen Teil von ihnen den heimischen Gewässern zurück, und einen Teil ließ er für die lieben Gäste zubereiten und fügte hinzu: »Siehe«, sprach er, »eure Verdienste zeigen sich, weil wegen eurer Ankunft Christi Wunder erglänzten.« Jene entgegneten: dass sie sich solchen Verdienstes nicht bewusst seien, sondern dass zu Gallus Ruhme der Schöpfer der Welt dieses angeordnet habe; hier war die Demut Herrscherin, da jeder Teil sich gern für geringer hielt als der andere. Der Heilige kehrte nun mit seinen Genossen zur Zelle zurück, und es begegnete ihnen gerade an der Pforte ein Mann, der zwei Schläuche Wein und drei Maß Mehl brachte. Voll Dank gegen Christus wurde dieses angenommen und ein Mahl angestellt, welches mit Lesung der göttlichen Schriften und wechselseitiger süßer Liebe untermischt war. Einige Tage hielt er jene dann wegen der Ermüdung von der Reise bei sich zurück und gebot ihnen, sich auszuruhen. An diesen erzählte er ihnen beständig unter verschiedenen Durchforschungen des göttlichen Gesetzes die Taten des ehrwürdigen Columban; nachdem sie aber vollständig dessen wunderbare Zeichen in sich aufgenommen und unter andern Beweisen der Liebe gegenseitig heilige Küsse getauscht hatten [vgl. 1 Kor 16,20], wurden sie entlassen, traurig und freudig zugleich – traurig, weil sie einen solchen Beschirmer nicht als Lenker erworben, voller Freude aber, weil sie erfahren hatten, wie sehr der Herr ihm beistehe. Der Heilige dankte nun umso mehr der göttlichen Liebe, je sicherer er sich vor den Beschäftigungen der Welt erblickte. Er erneute Nachtwachen und Fasten wie zu Anfange seines Mönchtums. Wenn ich daher die verschiedenen Arten seiner Strenge, von denen er die schärferen immer für sich behielt, durchgehen wollte, so würden eher die Tage ausgehen und die Zungen ermatten. Aber ich werde denen, welche seine Taten zu hören wünschen, nur noch erzählen, wie er seinen seligen Lebenslauf vollendete, indem ich ihn um Stärkung durch sein Gebet anrufe, damit, was durch das Zeugnis wahrheitsliebender Männer festgestellt ist, durch die Fehler meiner armseligen Persönlichkeit nicht verworfen werde.

 

[29.] Als daher der Schöpfer der Welt die Verdienste desselben offenkundig machen wollte und viele ihn zu sehen heftiges Verlangen trugen, begab es sich, dass Willimar, der erwähnte Priester von Arbona, wegen seiner früheren Vertraulichkeit mit ihm zu der Zelle desselben kam. Wie gewöhnlich mit Freude aufgenommen, versuchte er es, den Mann Gottes durch inständige Bitten dahin zu bringen, dass er ihn eines Besuches in seiner Wohnung würdigen möchte; der Erwählte Gottes aber verweigerte dieses durchaus, indem er sagte: es sei jetzt nicht mehr sein Gebrauch, die Zelle zu verlassen, sondern er müsse von nun an noch mehr und auf das Anhaltendste seiner gewohnten Arbeit obliegen. Aber jener bat ihn wiederholt mit dringenden Bitten, indem er sagte: dass er dann von seiner väterlichen Fürsorge ganz verlassen sei, wenn er jetzt nicht verdiente, des Trostes seiner Lehre zu geniessen. »Habe ich denn«, sprach er, »du Auserwählter Gottes, gegen dich gesündigt [vgl. Lk 15,18], dass du es für unwürdig erachtest, die Wohnung deines Dieners zu besuchen? Bei dem, mit dessen Hilfe wir bis jetzt durch deine Lehre unterrichtet wurden, bitte ich dich, dass du der Erbauung wegen kommest und das Volk durch deine honigsüßen Vorträge lehrest, damit du für deine Mühe, das eifrige Volk zu unterrichten, unvergänglichen Lohn im himmlischen Reiche empfangest.« Der Mann Gottes, welcher sich schon vorgenommen hatte, unter keinen Umständen eine Versammlung des Volkes zu besuchen, dachte aber, wie es seine Gewohnheit war, mehr an den Nutzen der Menge und brach in sich den Vorsatz, den er bis an sein Ende festzuhalten gehofft hatte; denn wie der Apostel sagt: »Die Liebe sucht nicht das Ihre [1 Kor 13,5].« Nicht wie einer, der gierig nach irdischen Dingen trachtet, sondern wie ein demütiger Helfer vieler Menschen begab er sich mit dem Priester zum Flecken. Fürwahr eine heilige und Gott angenehme Genossenschaft, bei der nichts vorwaltete Außer vollkommene Liebe [vgl. 1 Joh 4,18]! Es ward nun bei der ersehnten Ankunft des Knechtes Gottes eine Versammlung des Volkes berufen und sie horchte mit größter Spannung auf seine honigsüße Lehre. Obgleich er aber fern von seiner Zelle war, so lag er dennoch nicht minder seiner gewohnten Arbeit ob, indem er mit dem göttlichen Samen nicht wenige Herzen befruchtet und sie dem Könige Christus verband. Dort verweilte er im Werke Gottes zwei Tage, mit Gewalt vom Priester und auch vom Volke gezwungen. Als er aber am dritten Tage seine Jünger wiederzusehen begehrte, ward er durch ein Fieberleiden verhindert, und dessen Heftigkeit nahm so sehr zu, dass er nicht einmal die gewöhnliche äußerst geringe Speise genoss. Ich glaube, dass dieses nach Gottes Willen nur darum geschehen ist, damit seine Verdienste umso schneller kund würden, indem, wenn ihm zur Stunde die irdische Reise versagt würde, es allen Zeiten offenbar werde, mit welche Ruhme der Erwählte Gottes an seinen Ort heimkehre. Die Schwäche seines Körpers nahm vierzehn Tage hindurch zu und es bereitete sich an diesen der erlauchte Streiter auf den Anblick Christi vor. Schon kam der vierzehnte Tag, an welchem, wie wir glauben, ihm der Lohn seiner Mühen erteilt ist. Seine Glieder waren vor Schwäche aufgelöst und bis auf  Haut und Knochen ganz zusammengeschwunden. Und dennoch stand er vom Gottesdienste nicht ab, sondern richtete entweder Trostgebete zum Himmel oder stieß erbauliche Anreden hervor, und gab unermüdet im Dienste Christi, dem er sich geweiht, im 95. Jahre seines Alters am 16. Tage des Monats Oktober dem Himmel seine fromme Seele zurück. Seinen Jahrestag feiern jetzt Berge und Hügel und alle Holzungen der Wälder mit ihren verschiedenen lebenden Wesen, da die Menge der Wunder, welche an diesem Tage geschehen und die Masse des Volkes, welches dort haufenweise zusammenströmt, unzählig ist. Jetzt liegt es dir, der du dies gelesen, einigermaßen vor Augen, wie demütig im Guten und vorsichtig in der Welt er sein hohes Alter hinbrachte. Nun mögen wir, wenn es gefällt, zu dem übergehen, was nach seinem Heimgange zum Beweise seiner Verdienste geschehen ist, indem wir in gemeinschaftlichem Gebet zu Christus, der da wunderbar in seinen Heiligen ist [Ps 68,36], flehen, dass die wenigen Wunder, welche wir in Erfahrung gebracht haben, im Sinne dessen erzählt werden, der da sprach: »Ich werde in deinem Munde sein [Ex 4,15].«

 

Ende des ersten Buches.

 

Es beginnt das zweite Buch über die Wunder, welche der Herr nach dem Tode des Gallus durch seine Verdienste gewirkt hat.

[30.] Das Gerücht nämlich, welches zu den Ohren vieler drang, erzählte auch dem erwähnten Johannes, Bischof von Constanz, von der Krankheit desselben. Dieser nur zufrieden, wenn er seinen Lehrer besuchte, gleichsam als hätte er aus dem Schatze und der Lehre des Gallus himmlischen und irdischen Reichtum, nahm passende Geschenke ins Schiff und eilte zu dem Flecken Arbona. Als er den Hafen erreicht hatte, hörte er die verworrenen Stimmen derer, welche den Mann Gottes bejammerten. Und sogleich forschte der Bischof, dessen Herz aus Furcht über den Verlust des Lehrers schon niedergeschmettert war, nach der Ursache. Nachdem das Ereignis seines Heimgangs erzählt war, ahmte der Bischof den Pförtner des Himmels nach, indem er sich vor Schmerz und Liebe nicht im Schiffe hielt, sondern aus Verlangen nach dem Meister ins Wasser warf [vgl. Mt 14,29]. Ich weiß, dass er schnell zum Leichnam gelangte, er, der sich mit Ergebenheit in solch eine Gefahr für denselben stürzte. Dort nun erneuerten sich Wehklagen und Trauer, indem die Seufzer des Bischofs und seiner Genossen gen Himmel stiegen. Denn der Körper des Heiligen befand sich schon im Totenschrein. Der Bischof fand es unerträglich, ihn nicht zu sehen, öffnete den Sarg und begann mit diesen Worten zu jammern: »Weh, weh, mein Vater! Warum hast du mich aus dem Hause meines Vaters geführt? Und jetzt eben hast du mich verwaist und trostlos zurückgelassen, da doch mein ganzes Vertrauen auf dir beruhte!« Lange weinend lag er über demselben und glaubte, sich niemals an seinem Anblick zu sättigen. Aber endlich richteten der Priester und die übrigen Umstehenden ihn auf und mahnten, dass er vielmehr für denselben zu beten habe. Nachdem er endlich die befreundeten Glieder verlassen, begab sich der Bischof mit der Geistlichkeit in die Kirche und unternahm es, für den Verstorbenen ein feierliches Messopfer darzubringen, während alle übrigen im Psalmengesang verharrten. Und jetzt, nach Beendigung eines so frommen Geschäfts, ergriff man die Kreuzesfahne und alles zur Bestattung Notwendige und kehrte unter Nachahmung der Gesänge des himmlischen Chores nach dem Hause zurück, um den Körper des Auserwählten Gottes der Erde zu übergeben. Aber da jetzt erzählt wird, was die göttliche Weisheit dort gewirkt hat, so ist nicht anzuzweifeln, dass ihn die ewige Ruhe sofort aufgenommen. Denn als der Bischof mit der Geistlichkeit zum Leichnam kam, begannen die Hände vieler den Sarg emporzuheben; aber nach Gottes Ratschluss blieb er unbeweglich, so dass, je mehr und angestrengter sie ihn aufzuheben versuchten, desto schwächer die menschliche Kraft bei Erhebung desselben wurde: das Wunder ward kund, und alle forschten staunend nach der Ursache. Aber der Bischof sprach unter den Übrigen: »In Wahrheit ich weiß, dass meinem Herrn Gallus jene Grabstätte nicht genehm ist; lasst uns einen Wink des hochthronenden Königs erkunden.« Sogleich ward befohlen, ungebändigte Pferde herbeizuführen, und die Diener beeilten sich, sie schleunigst anzulocken. Mit gar großer Mühe wurden sie herbeigeschafft, mit größerer Anstrengung jedoch angeschirrt und zu dem Leichnam geleitet, bei welchem der Bischof nebst Geistlichkeit und Volk also betete: »Herr Jesus Christus, zu dessen Liebe und Ehre jener Mann Gottes sein Vaterland verließ, indem er deinen Vorschriften folgte, wirke dem Menschengeschlecht ein staunenswertes Wunder und führe den Körper desselben durch ungezähmte Tiere, wohin immer auf diesem Erdreiche es dir gefällt.«

 

[31.] Und als alle »Amen« geantwortet hatten, durchging Willimar, der treue Genosse des Erwählten Gottes, die Armen und verteilte die Kleider desselben. Unter jenen fand er einen Gichtbrüchigen namens Maurus, der durch die Zusammenziehung der Glieder und Sehnen so gelähmt war, dass er nicht allein gehen konnte. Ihm wurden die Beinkleider und Schuhe des Mannes Gottes gereicht. Als er diese vor Freude sogleich anlegte, wurden die Banden seiner Lähmung gelöst; voll Jubel sprang er auf und verkündete mit lauter Stimme das Lob Christi [vgl. Apg 3,8], der sich gewürdigt hatte, durch die Verdienste des Mannes Gottes dieses zu wirken. Als das der Bischof und die unzählbare Volksmenge sahen, priesen sie den Namen des wundertätigen Herrn Jesu welcher zur Ehre seines Knechtes ein so offenbares Wunder kundgetan hatte. Sofort nun reichte man jenem eine Wachskerze und er folgte mit den übrigen der Bahre bis zur Grabstätte. Erwäge, o Leser, von welchem Verdienste jener Mann gewesen, bei dessen Bestattung einer, der bis dahin so wenig im Stande war zu Fuß zu gehen, ihn geleitete.

 

[32.] Nachdem nun vom Bischof und vom Priester die Bahre emporgehoben und auf die Pferde gesetzt war, sprach der erstere: »Nehmt die Zügel von ihren Köpfen und mögen sie gehen, wohin der Herr will.« Jetzt ergriff man die Kreuzesfahne und Kerzen und begab sich unter Psalmengesang auf den Weg, indem die Pferde voraufgingen. Aber o Wunder, ungewöhnlich in unserm Jahrhundert, die Pferde wichen weder zur Rechten noch zur Linken ab, bis sie geradewegs zur Zelle des Mannes Gottes kamen. Als sie dort stillstanden, eilte die Jüngerschar herbei, erhob den Sarg des Mannes Gottes und trug ihn auf den Schultern in die Kirche. Vor dem Altar wurde er niedergesetzt, und Priester und Geistlichkeit erneuten für ihn ihr Gebet. Darauf bereitete man das Grab zwischen Altar und Wand und übergab den Leichnam unter dem Absingen heiliger Melodien der Erde; und so kehrte der Bischof, nachdem er den Segen gespendet, unter unermesslichem Jubel und Dank des Volkes nach Hause zurück.

 

[33.] Auch das Wunder Jesu Christi an zwei Kerzen, welche während der ganzen Leichenfeier des Mannes Gottes nicht verlöschten, glaube ich nicht verschweigen zu dürfen. Die eine stand zu seinen Häuptern, die andere zu seinen Füssen, und dreißig Tage hindurch sah man ihre Flammen leuchten, so dass in Wahrheit das unauslöschliche Licht sich zeigte, welches Gallus ohne irdische Zuneigung liebte. Solange diese brannten, wurden Zahnscherzen durch Berührung des Wachses vertrieben, erfreuten sich Triefäugige der gehobenen Bitterkeit, jubelten Taube über das erlangte Gehör und dankten mehrere für die Entfernung verschiedener anderer Schwächen. Denn wer immer siech oder vom Fieber behaftet oder aus welch anderem Krankheitsgrunde in der Folge zu dem Grabe desselben kam, er kehrte gesund durch den Beistand des Heiligen Gottes zurück, wenn er gläubigen Herzens betete. Und die dort geschehenen Wunder, obgleich sie die menschliche Sprache nicht fassen kann, widerhallen dennoch durch weite Länderstrecken zum Preise Christi, der durch die Verdienste seines Auserwählten so Wunderbares den Völkern kundgetan hat.

 

[34.] Denjenigen aber, welche dem Leben des so großen Vaters nachzustreben verlangen, will ich verkünden, durch welche Wahrzeichen die Strenge seines Lebens bekannt geworden ist. Der Heilige Gottes hatte nämlich eine kleine hölzerne Truhe, deren Inhalt seine Schüler nicht kannten und welchen er unter dem Schutze eines Schlosses bis an sein Lebensende bewahrte. Nach dem Tode des Auserwählten Gottes öffnete sie der Bischof mit den Jüngern, da er begierig war, das Geheimnis zu erfahren, welches in derselben so lange verborgen gewesen. Sie fanden darin ein kleines härenes Gewand und eine eherne blutgetränkte Kette. Voll Verlangen, hierüber Sicheres zu erfahren, schauten sie nach dem Körper des Heiligen Gottes, an welchem sie durch die Umrisse des Gürtels das Fleisch an vier Stellen nach Form des Gurtes eingeschnitten sahen, indem die Wunde bis auf das Innere der Knochen gedrungen war, damit bewiesen werde, wie der Erwählte Gottes im Verborgenen sich für seinen König Christus gemartert hatte, da er dieses denen, welche während seines ganzen Lebens um ihn waren, niemals offenbarte. Aber wenn du am Kleinsten das Größere abwägen willst, so wirst du auch abwägen können, dass der Heilige Gottes sich lange durch unzählige Qualen gepeinigt habe. Die kleine Truhe wurde nun mit dem Gewande zu Häupten des Mannes Gottes an der Bahre befestigt und so bei dem erwähnten Leichenzuge nach der Zelle übertragen. Nachdem endlich das Begräbnis in gehöriger Weise vollzogen war, hingen sie die Truhe samt Ketten und Bußhemd in der Nähe des Kopfes an der Wand auf. Wenn der Glaube der Andächtigen es dort begehrte, erglänzten die Verdienste des hl. Gallus durch herrliche Wunder. Alles dieses ist bezeugt worden durch Maginald und Theodor, die Diakonen des Auserwählten Gottes, welche bis zu dem seligen Ende desselben gewürdigt waren, ihm dienstbar zu sein, aber auch durch unzählige andere, welche entweder dessen Leben betrachteten oder von wahrheitsliebenden Zeugen die Taten des Heiligen vernahmen.

 

[35.] Nachdem er aber vierzig Jahre im Grabe gelegen, kam der Graf Otwin mit einem großen Heere, verwüstete grausam einen Teil des Gaues Durgau [Thurgau], brannte Constanz und Arbona nieder, während seine Krieger eine Menge Männer mit der Schärfe des Schwertes erwürgten, Weiber und Kinder gefangen wegführten, das Vieh aber und unzähliges Getreide zu Grunde richteten. Aus Furcht hiervor wurde aus dem Gau Arbona eine Menge Gegenstände geflüchtet und in der Umgebung der Zelle des Mannes Gottes in der Erde verborgen; in dem Wunsche, diese vor dem Einfall der Feinde zu sichern, säten sie verschiedenes Getreide darüber, damit sie keine Hoffnung hätten, dieselben aufzufinden. Nachdem endlich die Verwüstung des Gaues vollführt war, kam der Feind bei Verfolgung der Spuren des fliehenden Volkes zur Zelle des Mannes Gottes und fand dort eine nicht unbedeutende Schar verschiedenen Geschlechtes. Die Ergriffenen wurden gebunden, in Fesseln an ihnen nicht genehme Orte getrieben und die jungen Leute elendiglich in die Gefangenschaft abgeführt. Jenes alles wurde durch den Eifer eines gewissen Tribunen Erchanold verraten, der von allem wegen der Nähe der Einsiedelei Kenntnis hatte. Obgleich er wusste, dass dort Wunder des Herrn geschehen seien, gab er nicht die Ehre dem Namen des Erlösers Jesus Christus, sondern betrat in seiner Verblendung die Kirche, wo er einen ihm bekannten Lahmen antraf, zu dem er unter Drohungen und Schmeicheleien sprach: »Sag mir, wo haben jene Arbonenser ihre Kleider und Gold und Silber, was sie in so großer Menge hatten, da sie fast nichts besaßen, als wir sie auffanden.« Ihm erwiderte jener: »Wenn ich ihr Verräter werde, auf welche Belohnung darf ich dann hoffen?« Von Habsucht geblendet antwortete dieser: »Wenn du alles wahrheitsgetreu enthüllst, sollst du Teil an unserer Beute haben.« Unverzüglich wurden sie an eine Stelle geführt, wo sie eine unterirdische Höhle und Schätze verschiedener Art fanden; voll Freude teilten sie diese unter einander und forschten nun, wie es zu geschehen pflegt, wenn man findet was man sucht, noch eifriger nach und durchzogen Wälder, Wiesen und Äcker. Erchanold selbst aber ging mit sieben Jünglingen in die Kirche, wo er bei verschlossenen Türen durch Klopfen auf den Fußboden einen Schatz zu erspähen wagte; was für ein herrlicher Schatz aber durch Gottes Gnade hier aufbewahrt wurde, das zeigte sich alsbald durch das Wirken des Weltenschöpfers. Als nämlich einer von ihnen auf das Grab des Heiligen Gottes geklopft und der Totenschrein wegen der Heftigkeit des Schlages widertönt hatte, rief er freudig aus: »Hier ist, was ihr sucht.« Hurtig begannen sie zu graben und gelangten bis zum Grabe des Mannes Gottes. Sie hoben ihn auf und sprachen: »Jene Romanen sind schlaue Leute, deshalb haben sie unter der Totentruhe ihre Schätze verborgen.« Und so wagten sie nachzuforschen; aber durch ein Wunder wurden sie schnell vertrieben. Denn ein gewaltiger Schreck überfiel sie, so dass ein jeder sein Heil in der Flucht suchte. Sie gelangten zu den Pforten der Kirche, wo sie einander in gegenseitigem Morde niederhieben. Aber Erchanold selbst, der begierig einen Ausweg suchte und herausspringen wollte, stieß mit dem Kopfe oben gegen das Türgesims, stürzte besinnungslos zu Boden und erlitt so die gerechte Strafe. Man führte ihn nach seiner Wohnung, aber unermessliche Schmerzen ergriffen ihn, so dass er ein Jahr lang seine Strafe büßte, indem er Haare und Nägel verlor und während seines ganzen Lebens die Verunstaltung nicht beseitigen konnte, welche er sich durch die Beleidigung des Auserwählten Gottes zugezogen.

 

[36.] Darauf vernahm Boso, der Bischof von Constanz, dass die Grabstätte des Mannes Gottes vom Feinde verwüstet und in der Zelle desselben Maginald und Theodor zurückgeblieben seien, deren Schwachheit es nicht gestattet hätte, den Leichnam von neuem der Erde zu übergeben. Bewogen durch solches Elend kam der Bischof demütig samt Priestern und Klerus zum Dienste des Heiligen. Er erblickte den heiligen Körper, der eines würdigen Grabes entbehrte, die nackten und den Augen einen traurigen Anblick gewährenden Altäre, und hörte zugleich das unerträgliche Wehklagen der genannten Brüder, welche in der Kirche lagen; er brachte den Trost der Tröstung, indem er sprach: »In der Angst rief ich den Herrn an und der Herr erhörte mich und tröstete mich. Der Herr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht; was können mir Menschen tun [Ps 118,5-6]?« Nach diesen und andern Aufmunterungen bestatteten sie die irdischen Überreste des heiligen Körpers in einem würdigen Sarge zwischen Altar und Wand, und errichteten über demselben ein den Verdiensten des Auserwählten entsprechendes Denkmal. Der Bischof verrichtete ein Werk der Liebe, indem er Lebensmittel  und Kleidung unter die dort wohnenden gottesfürchtigen Männer verteilte. Und nachdem sie auf diese Weise dem Dienste Gottes genügt hatten, kehrten sie voll Freude über das Verdienst eines solchen Patrons nach Hause zurück.

 

[37.] Lange Zeit nachher aber schickte der Hausmeier Pippin voll Wut und Zorn sein Heer ab, um Hochgermanien zu verwüsten, und sie umgaben dasselbe mit so großen Nöten, dass man weder die Menge des vergossenen menschlichen Blutes, noch die Zahl des niedergehauenen Volkes würde ermessen können. Während dieser Verwüstung sammelte sich ein Haufe von Flüchtlingen im Gau Arbona, von denen die meisten zur Zelle des Heiligen Gottes eilten, wo sie Hilfe von der Barmherzigkeit und Verehrung des Auserwählten Christi für sich hofften. Der Feind aber verfolgte sie schnell, da er sie in der Umgebung der vorerwähnten Zelle erkundete. Indem er ihnen nun mit List nachspürte, betraten fünf von ihnen die Kirche und stießen dort auf einige Frauen mit ihren Kindern. Als sie diese fragten, woher sie seien, nannten sie sich Dienerinnen des Heiligen. Die Feinde entgegneten: »Fort von hier wir kennen euern Heiligen nicht, auf dessen Schutz ihr euch verlasst.« Unter solcher Verachtung der Verdienste des ehrwürdigen Vaters führten sie jene gefangen nach Francien [Frankenreich]. Aber die göttliche Rache ließ während dieses Lebens diejenigen nicht unbestraft, welche Sinnlosigkeit zu solch einer verwerflichen Handlung leitete. So wurden sie denn in demselben Jahre, in welchem dies geschah, von dem alten Feinde angegriffen, von dem getrieben sie durch Städte und Dörfer rannten und beständig schrien: »Der Abt Gallus hat uns gebunden.« Daraus kann geschlossen werden, wie schwer sie sich versündigt haben, da sie auf diese Weise elendiglich ihr Leben endeten.

 

[38.] Zu ebendenselben Zeiten war dort ein gewisser Diakon bei Tag und Nacht ein beständiger Hüter der Kirche; der trug eines Abends in dieselbe eine Wachskerze und stellte sie auf den Kandelaber neben dem Grabe des Heiligen; aber damit desto mehr die Verdienste des Gallus erglänzten, je mehr Wunder Christus dort wirkte, so trug sich folgende Begebenheit zu. Das Licht fiel auf die Decke des Grabes, welche das Feuer bis zur Hälfte verzehrte, während die übrigen Grabdecken vom Brande unversehrt blieben und die Flammen weder das Bett noch den daran hängenden Stab berührten. Dieses haben in derselben Nacht und am folgenden Tage alle so gesehen. Als aber in der nächsten Nacht die Brüderschar sich zum Gottesdienst vorbereitet und die Kirche nach gewohnter Weise betreten hatte, fanden sie die Kerze neben dem Grabe brennen und zwei Jünglinge gleichsam zur Bedienung dort stehen, von denen der eine am Kopf-, der andere am Fußende jene verbrannte Decke hielt, mit welcher sie das Grab des Heiligen andächtig verhüllten. Große Furcht überkam die Anwesenden und jagte sie eilenden Fußes zu den bereitstehenden Lagern zurück. Als auf denselben weder Schlaf sie vor Furcht umfing, noch der nächtliche Gottesdienst gefeiert wurde, hörten sie die helltönende Glocke der Kirche und glaubten, dass dieses durch himmlische Berührung geschehen sei. Um es jedoch sicherer zu bewahrheiten, dass ein göttliches Wunder dort stattgefunden habe, vernahm man gleich darauf zwei psalmensingende Chöre, deren himmlische Melodien laut ertönten. An demselben Tage nun hielt Furcht sie von dem Betreten der Kirche ab, aber am folgenden versammelten sie sich an der Tür derselben, wo sie sich sehr lange im Gebete niederwarfen. Nach dessen Beendigung traten sie zitternd hinein und fanden die Decke unverletzt, welche sie vorher als vom Feuer verzehrt bejammert hatten. Und damit sicherer geglaubt werde, dass der Himmel dieses bewirkt habe, erschien die Länge und Breite derselben um drei Finger grösser. Demütigen Herzens priesen sie den Erlöser der Welt, der durch die Verdienste seines Knechtes solches zu wirken sich herabgelassen hatte.

 

[39.] Noch viele Erzählungen sind übergangen, da wir zu dem eilen, was durch eigene Anschauung erprobt ist. Zur Zeit des Hausmeiers Carlomann [Karlmann] lebte ein ziemlich armer Mensch in Perahtholtes-para [Bertoldsbaar], welcher der Andacht wegen zum Kloster des heiligen Gallus mit seiner Frau zu wallfahrten wünschte. Deshalb fing jene ein kleines Altartuch zu weben an, damit sie nicht mit leeren Händen erschiene, packte es in Erwartung der Reise um den Wachskuchen und stellte diesen in ihre Truhe. Währenddessen brannte aber unglücklicherweise ihr Haus nieder, in welchem das Feuer alles samt jener Truhe verzehrte. Als jedoch das Feuer gelöscht war und sie auf dem früheren Wohnplatz nachforschten, fanden sie nach dem wunderbaren Ratschluss des Regierers der Welt das kleine Altartuch mit dem Wachs unversehrt  in der Asche, und nicht im geringsten hatte das Feuer etwas davon zu verletzen gewagt, indem unerhörter Weise das Wachs dem Feuer widerstand, bis es im Dienste des heiligen Gallus verbrannt wurde. Das Wunder ist vielen bekannt, da das Lob Christi deshalb unter den Völkern sich verbreitete. Jene nun gingen ihrem Gelübde gemäß zum Kloster des Auserwählten Gottes und trugen das aus der Feuersbrunst gerettete Geschenk. Ihr Mund pries laut die Verdienste des Auserwählten Christi, als sie dem ehrwürdigen Abte Audomarus [Othmar] und den Brüdern das Geschehene erzählten; und jetzt waren so viele Zeugen des Wunders vorhanden, zu wie vielen in der umliegenden Gegend dieses gelangen konnte.

 

[40.] Man erzählt auch ein anderes Wunder, das zur Zeit des glorreichen Königs Pippin geschehen ist. Ein gewisser Willimar wurde von gewaltiger Schwäche geplagt und gelobte, dass er der Kirche des Auserwählten Christi ein Pferd und zwei Ochsen schenken wolle, wenn er durch die Barmherzigkeit Gottes die Gesundheit wiedererlange. Dies erfolgte am selben Tage, aber die Erfüllung des Gelübdes, welches er im Unglück gemacht hatte, blieb aufgeschoben bei wiederkehrender Gesundheit. Und hierauf begab es sich, dass der zeitige Herr desselben Pirhtilo die Kirche des Auserwählten Christi der Andacht wegen besuchte und mit ihm ebenderselbe Willimar als Lehnsmann auf dem Pferde zog, welches er gelobt hatte. Die Fürbitte des Heiligen erflehten sie demütig und die Brüderschar nahm sie ziemender Weise auf. Als sie endlich den Entschluss zur Rückkehr gefasst hatten und noch nicht weit von der Kirche entfernt waren, blieb Willimars Pferd stehen und fügte sich nicht dem Willen seines Reiters, vorwärts zu gehen; längere Zeit hieb er ihm Wunden mit den Sporen, und trotz dieser Strafe bewegte es sich nicht von der Stelle. Als der erhabene Mann Pirhtilo dieses sah und sich mit seinen Begleitern darüber wunderte, begannen sie jenen um die Ursache zu befragen. Da dieser sein Vergehen nicht verdecken konnte, wurde er voller Verwirrung dazu getrieben, den Hergang zu erzählen, indem er die Sünde bekannte, dass er sein Gelübde hinsichtlich des Pferdes nicht erfüllt habe. Eiligst kehrten sie daher zurück und brachten das Pferd dar, welches jener zur Ehre des Heiligen Gottes verheißen hatte. Und nachdem sie dann den Segen empfangen, kehrten sie unter Lobpreisungen Gottes zurück.

 

[41.] Und was ich jetzt einschieben will, ist im vierten Jahre der Herrschaft Carlomanns geschehen. In demselben Gau Perahtholtes-para lebte auf dem königlichen Landgut Rotunda villa [Rottweil] ein Mann, der die Fürbitte des Heiligen Gottes zu erlangen strebte, aber wegen Armut nichts hatte, was er darbringen konnte. Nachdem er hin und her gesonnen, wie er etwas zum Opfer für Gott erlangte, beging er auf Antrieb des Teufels eine Sünde. Denn in seiner Verblendung betrat er die königliche Hofstatt und stahl einen Bienenkorb. Als es ihn zu Hause geöffnet, die Bienen getötet, den Honig ausgeschieden und einen Wachskuchen bereitet hatte, begab er sich in Gesellschaft einer Menge Nachbarn zum Tempel des heiligen Gallus, um ihn dorthin zu tragen. Jedoch der König der Könige, welchem der Auserwählte Christi diente, wirkte hier ein Wunder und offenbarte den Betrug des verführten Mannes. Mit den übrigen Andächtigen betrat er die Kirche und zog zur Opferung das Wachs hervor; aber es erschien in seiner Hand als ein so harter Stein, dass man unter natürlichen Steinen kaum einen an Härte gleichen hätte finden können. Betroffen von Furcht, bekannte er dem Nebenmann, wegen welchen Verbrechens er diese Strafe erleide. Jener machte es dem Hüter der Kirche bekannt und unverzüglich erfuhr es die Menge. Das Lob des Schöpfers wurde unter unermesslichem Jubel erhoben, der sich hier herabgelassen hatte, den Stoff zu verwandeln. Und zur Ehre des Erlösers wird der Stein dort bis auf den heutigen Tag bewahrt, auf dass aus dem Anblick desselben den Betrügern Furcht und den Frommen Erbauung eingeflößt werde. Unzählige Wunder wirkte dort Christus im gegenwärtigen Jahrhundert durch seinen Auserwählten, wenn der Glaube der Andächtigen sie erflehte; wollte jemand alle diese erzählen, so würden ihm, wie ich glaube, eher die Tage als die Sprache fehlen. In diesen wenigen nur möge der Schöpfer der Welt gepriesen und angebetet werden, der mit dem Vater und dem heiligen Geiste herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.