Sankt Gallus beeindruckt die Menschen bis heute. Wir bewundern ihn etwa als einen radikalen Vertreter des frühmittelalterlichen irischen Mönchtums. Columban, Gallus und eine Vielzahl weiterer irischer Mönche haben mit ihrer Missionstätigkeit nach den Wirren der Völkerwanderungszeit weite Teile nördlich der Alpen neu bzw. wieder christianisiert. Mit ihrer außerordentlichen Gelehrsamkeit brachten die Iren neben ihrer Spiritualität auch ihre Kultur mit auf das Festland. Bücher und Wissenschaften waren den irischen Mönchen sehr wichtig. Daneben zeichneten sie sich durch eine äußerst strenge Lebensweise und harte Askese aus. Eine besondere Ausprägung der irischen Mönchsaskese war die Peregrinatio pro Christo.
Das lateinische Wort Peregrinatio kann etwa mit ›Auslandsaufenthalt‹ übersetzt werden. Die Peregrinatio pro Christo bedeutete demnach das Verlassen der Heimat für Christus. In die Fremde zu ziehen galt für die heimatverbundenen Iren als eine besonders harte Form der Askese. Denn fremd sein bedeutete damals gleich viel wie schutz- und rechtlos zu sein. Im Frühmittelalter war man in Irland grundsätzlich schon dann ein Fremder, wenn man das Gebiet der eigenen Sippe verließ. Die Insel war damals in etwa 100 bis 150 Kleinkönigtümer zersplittert, die Verbannung aus einem dieser Gebiete galt als schwere Strafe – denn als Verbannter galt man als »vogelfrei«.
Nun gab es irische Asketen, die freiwillig eine solche Verbannung auf sich nahmen und irgendwo in einer Einöde der Insel ein Kloster oder eine Einsiedelei errichteten. Man nannte dies das »Grüne Martyrium«. Das »Grüne Martyrium« sollte eine Alternative zum »Roten Martyrium« darstellen, das seit dem Ende der großen Christenverfolgungen nur noch ausnahmsweise zu erlangen war.
Allerdings weisen schon die ältesten irischen Rechtstexte darauf hin, dass die soziale und rechtliche Situation der Peregrini pro Christo in Irland selber gar nicht so prekär war, wie es den Asketen eigentlich lieb gewesen wäre. Einsiedler und Mönche genossen auf der Insel nicht nur größten Respekt, sondern auch weitgehende Privilegien. Damit galt die Selbstverbannung innerhalb von Irland für viele schon bald nicht mehr als die höchste Form der Askese.
Die Asketen unter den Asketen gingen deshalb noch einen Schritt weiter. Es gab Mönchsgruppen, die die Insel ganz verließen und als ›echte‹ Fremde auf dem europäischen Festland herumzogen, Klöster gründeten und die eingesessene Bevölkerung missionierten. Diese Form der Peregrinatio pro Christo nannte man in Irland das »Weiße Martyrium«.
Außerhalb Irlands, insbesondere in den damals noch heidnischen Gebieten Europas, genossen die Mönche wenig Schutz und keine Privilegien. Oft wurden sie gleich wieder vertrieben, kaum hatten sie sich irgendwo niedergelassen. Zahlreiche von ihnen erlitten auf dem Festland sogar das »Rote Martyrium«. Dennoch scheint die konsequente Lebensform der irischen Mönche auch bei den damaligen Festlandeuropäern großen Eindruck gemacht zu haben. Die Iren wurden offenbar als sehr glaubwürdige Vertreter des Christentums angesehen. Nur so lässt sich der große Erfolg der irischen Mission auf dem europäischen Festland erklären.