Das Kloster St. Gallen

1937 publizierte Alois Scheiwiler das Werk »Das Kloster St. Gallen. Die Geschichte eines Kulturzentrums«. Es ist die letzte umfassende Darstellung der St.Galler Klostergeschichte. Das zuverlässig recherchierte und in flüssiger Sprache verfasste Buch ist auch heute noch allen zu empfehlen, die sich einen fundierten Überblick über die Geschichte des Klosters St.Gallen verschaffen möchten.

santkgallus.net stellt hier den Volltext von Scheiwilers Klostergeschichte bereit und möchte damit den Zugang zu diesem nach wie vor grundlegenden Werk vereinfachen. Die in Fraktur gedruckte Originalausgabe ist heute für viele Menschen nicht mehr ohne Anstrengung lesbar. Da auch die verfügbaren OCR-Programme die Frakturschrift nicht zuverlässig auflösen können, musste Scheiwilers Werk mit großem Aufwand manuell transkribiert werden. Herzlichen Dank an die Person, die diese unschätzbare Arbeit für sanktgallus.net geleistet hat.

Zum Autor

Alois Scheiwiler wurde 1872 in Gossau (SG) geboren. Er besuchte das Gymnasium im Kloster Einsiedeln und studierte danach in Innsbruck und Freiburg Theologie. 1896 wurde er in St.Gallen zum Priester geweiht. 1898–1904 war er Rektor der katholischen Kantonsrealschule (der heutigen Flade) in St.Gallen. 1899 gründete Scheiwiler zusammen mit Johann Baptist Jung die ersten christlichsozialen Arbeiter- und Arbeiterinnenvereine und war in der Folge maßgeblich am Aufbau der Christlichsozialen Bewegung in der Schweiz beteiligt.

Am 5. Oktober 1930 wurde Scheiwiler zum Bischof von St.Gallen geweiht. Auch als solcher blieb er gesellschaftlich engagiert. So nahm er beispielsweise 1932 an einer überkonfessionellen Kundgebung zur Genfer Abrüstungskonferenz teil und setzte sich für die Abstinenzbewegung ein. Alois Scheiwiler war ein unermüdlicher Publizist. Er verfasste gegen 3‘000 Publikationen, darunter zahlreiche Beiträge zur Geschichte des Klosters und der Region St.Gallen. Am 20. Juli 1938 starb Bischof Alois Scheiwiler in St.Gallen. Das 1937 erschienene Buch »Das Kloster St.Gallen. Die Geschichte eines Kulturzentrums« war sein letztes großes Werk zur Geschichte des Klosters St.Gallen.

Fotografie des jungen Priesters Alois Scheiwiler, später Abt von St.Gallen

Alois Scheiwiler (1872–1938).
Portrait aus dem Jahr 1907.
Bildquelle: Wikipedia.


Das Kloster St. Gallen
Die Geschichte eines Kulturzentrums
Von Dr. Aloisius Schweiwiler, Bischof von St. Gallen
Einsiedeln/Köln/St.Gallen 1937

  1. Der heilige Gallus
  2. Der heilige Otmar, erster Abt von St. Gallen
  3. Der Kampf um die Selbständigkeit
  4. Ein goldenes Zeitalter: Äbte – Wirtschaftliche Verhältnisse – Sitten und Bräuche – Wissenschaft und Schule – Künstler und Gelehrte
  5. Heimsuchungen, Niedergang, Tiefstand: Einfall der Ungarn – Tod Wiboradas – Kirchenbrand 937 – Lockerung der Klosterzucht – Sarazenenplage – Verwicklungen mit dem Bischof von Konstanz, dem Reich, den Grafen von Toggenburg, den Eidgenossen und Gotteshausleuten – Kriege mit den Appenzellern
  6. Langsamer Wiederaufstieg. Klosterreform unter Abt Ulrich Rösch
  7. Kirchliche, sittliche und soziale Verhältnisse vor der Glaubenstrennung
  8. Die Glaubenstrennung: Ursachen – Verlauf – Folgen
  9. Neuer Aufstieg – Hervorragende Mönche
  10. Der Krieg von 1712 – Flucht des Abtes – Plünderung des Klosters
  11. Letzte Blüte und Untergang der Abtei
  12. Kirchliche Verhältnisse nach dem Untergang des Klosters. Das Bistum St. Gallen – Hirten und Herde – Stätten des Gebets und der Arbeit   
  13. Literatur-Nachweis


Vorwort

Das vorliegende Buch will eine gedrängte, die wesentlichen Züge umfassende Geschichte der Gallusstiftung von ihren Anfängen bis auf unsere Tage bieten [1937]. Über den Untergang der Abtei hinaus behandelt es auch das seitherige kirchliche Geschehen an dieser Stätte. Neben dem dreibändigen Werk des Altmeisters st. gallischer Geschichtsschreibung, P. Ildefons von Arx, besitzen wir heute wohl eine große Anzahl tüchtiger Einzelstudien über verschiedenste Abschnitte der Kloster- und Bistumsgeschichte, aber eine zusammenfassende Arbeit fehlt noch immer. Es dürfte daher diese Veröffentlichung nicht bloß einen Akt dankbarer Pietät gegen das untergegangene Stift bedeuten, sondern ebenso sehr einem schon öfters ausgesprochenen Bedürfnis entgegenkommen und dem geistigen Heimatschutz einen Dienst erweisen, vielleicht auch zu weiteren Arbeiten anregen. Die wechselvolle, schicksalsschwere Geschichte der Stiftung des heiligen Gallus ist umso lehrreicher, da sich in ihr die Ereignisse der allgemeinen Geschichte auf mannigfache Art widerspiegeln. Den ersten Anstoß zu diesem Buch hat kein Geringerer als der um die st. gallische Geschichtsforschung vielverdiente Dr. H. Wartmann sel. gegeben, der schon vor vielen Jahren den Verfasser aufforderte, dasselbe in Angriff zu nehmen. Liebe und Interesse für die Geschichte der Heimat halfen dann, in jahrzehntelanger, freilich oft unterbrochener Arbeit die Bausteine herbeizuschaffen, die zum Werk notwendig waren. Möge es eine gute Aufnahme finden.
Der Verfasser [Alois Scheiwiler]


1. Kapitel

Der heilige Gallus

Der heilige Gallus, dem unsere Heimat ihren Namen und das kostbare Gut des christlichen Glaubens verdankt, wurde um das Jahr 550 in Irland als Spross einer edlen Familie geboren.

Schon hundert Jahre früher hatte der heilige Patrick, Irlands großer Apostel, daselbst das Evangelium verkündet, zahlreiche Kirchen und Klöster errichtet und das Christentum zu solcher Blüte gebracht, dass Irland »die Insel der Heiligen« genannt wurde. Patrick brachte die irische Kirche auch in engere Verbindung mit der Mutterkirche in Rom, wohin er persönlich gepilgert war, und von wo er den römischen Kirchengesang in seine Heimat verpflanzte.

Die irischen Klöster zeichneten sich aus durch eifrige Pflege von Kunst und Wissenschaft sowie als Bildungsstätten hervorragender Männer. Während Jahrhunderten zogen wissensdurstige Jünglinge aus England und vom Festland in Scharen nach der Grünen Insel, um hier zu Füßen berühmter Lehrer eine gediegene Ausbildung zu empfangen. Da Irland vor den Stürmen der Völkerwanderung bewahrt blieb, konnte das Christentum daselbst seine reichen Kräfte allseitig aufs herrlichste entfalten.

Unter den Klöstern des Landes nahm das im nordöstlichen Teil der Insel gelegene Bangor einen ersten Platz ein. Dieser Ort, so berichtet eine alte Quelle, wurde fruchtbar an heiligen Männern; gleich einem traubenbeladenen Weinstock entsandte er seinen Wohlgeruch nach allen Seiten und setzte seine Zweige ab bis an die Gestade des Meeres, ja weit über sie hinaus in ferne Zonen.

Um das Jahr 565 trat Kolumban der Jüngere in das Kloster Bangor ein und wurde durch seinen frommen Lebenswandel bald ein Vorbild für die Mitbrüder. Schon nach kurzer Zeit übertrug ihm Abt Komgall die Leitung der berühmten Klosterschule. Der Ruf des neuen Lehrers drang rasch über die Grenzen von Bangor hinaus, und die Vornehmen des Landes schätzten sich glücklich, ihre Söhne einem so hervorragenden Manne anzuvertrauen. Auch die Eltern des jungen Gallus übergaben den hoffnungsvollen Knaben freudig der Schule von Bangor.

Unter Kolumbans Leitung widmete sich Gallus dem Studium und der Beschäftigung mit den heiligen Schriften so erfolgreich, dass er die schwierigsten Stellen derselben erklären konnte und durch seine Beredsamkeit die Bewunderung der Zuhörer erregte. In Bangor wurde er auch zum Priester geweiht und brachte daselbst sein erstes heiliges Messopfer dar.

Eine lange Reihe von Jahren hatte Kolumban seine segensreiche Tätigkeit schon ausgeübt, als ihn die Sehnsucht erfasste, eine Pilgerfahrt für Christus nach fernen Ländern zu unternehmen. Es geschah damals häufig, dass iro-schottische Mönche, von einem geheimnisvollen Bußdrang ergriffen, ihre Heimat verließen und weite Reisen nach dem Festland unternahmen. Wie daheim waren sie auch in der Fremde Seelsorger und, wo sie auf Heiden stießen, deren Missionare. Während Jahrzehnten sehen wir diese wetterharten, abgetöteten Männer halb Europa durchwandern, die Reliquientasche um den Hals und einen Knotenstock in der rauen Hand. Manche unserer Städte und Klöster verdanken ihnen ihre Entstehung.

Kolumban eröffnete seinen Plan dem Abt Komgall; dieser aber wollte davon lange nichts wissen, da er einen so ausgezeichneten Lehrer kaum entbehren konnte. Die Bitte wurde jedoch so oft wiederholt, bis der Abt endlich die Einwilligung gab. Er ließ Kolumban vor sich rufen, erteilte ihm die Erlaubnis zur Abreise und ließ ihn nach eigener Auswahl seine Reisegefährten aus dem Kreis der Mönche bestimmen. Der Scheidende wählte zwölf von ihnen aus, darunter auch Gallus, empfahl sich dem Gebet der Zurückbleibenden und trat unter dem Segen des Abtes mit seiner auserlesenen Schar die Reise an. Es mochte um das Jahr 590 sein.

Bevor sie in der Bucht von Belfast das Schiff bestiegen, das sie für immer von den Gestaden der Heimat fortführen sollte, warfen sich alle nochmals auf die Knie nieder und flehten in längerem Gebet um den Beistand Gottes für ihre Fahrt.

Bei ruhiger See und günstigem Wind erreichten die Pilger glücklich die Küste der Bretagne. Von hier zogen sie weiter ins Frankenreich, um eine passende Stätte für ihr Wirken ausfindig zu machen. König Childebert in Metz gewährte den fremden Männern freundliche Aufnahme und wies ihnen einen Aufenthaltsort in den Vogesen an. Bald entstanden daselbst drei blühende Klöster Annegray, Luxeuil und Fontaines, zu denen von allen Seiten heilsbegierige Jünglinge herbeiströmten. Kolumban setzte eine gemeinsame Regel fest, die derjenigen von Bangor nachgebildet war. In kurzem stieg die Zahl der Mönche auf über 200. Sie führten ein äußerst strenges, abgetötetes Leben und beschäftigten sich nebst dem stundenlangen Chorgebet mit Landbau, mit dem Studium der Wissenschaften, sowie mit der Predigt des Evangeliums in der Umgebung.

Während zwanzig Jahren konnte sich das klösterliche Leben in den Vogesen ungehemmt und in schönster Weise entfalten. Die Wildnis ward in einen Gottesgarten verwandelt und herrliche Tugenden erblühten in der weltfernen Einsamkeit. Dann aber trat eine verhängnisvolle Wendung ein. Kolumban geriet mit den Bischöfen Galliens in einen Streit wegen der Osterberechnung und erregte nebstdem durch sein starres Festhalten an den irischen Gewohnheiten großen Widerwillen. Als der unerschrockene Mönch auch gegen das Lasterleben König Theuderichs II von Burgund mit grosser Schärfe auftrat, wurde er aus dem Land verwiesen und durch bewaffnete Mannschaft bis zur französischen Hafenstadt Nantes gebracht. Hier stand ein Schiff bereit, das ihn wieder in seine irische Heimat zurückführen sollte; aber widrige Winde hinderten die Überfahrt, und Kolumban, darin eine Fügung Gottes erblickend, entschloss sich, auf dem Festland zu verbleiben.

Mit seinen Gefährten, die aus Luxeuil nachgekommen waren, begab er sich an den Hof Theudeberts von Austrasien in Metz und von da moselab- und rheinaufwärts nach Alemannien, wo sie einen geeigneten Ort zur Predigt unter den Heiden auszuwählen gedachten. Vom Kastell Zürich aus gelangte die Schar, wahrscheinlich dem linken Seeufer folgend, zum Ort Tuggen am oberen Ende des Zürichsees und wollte daselbst einen längeren Aufenthalt nehmen; die Bewohner waren noch dem Heidentum ergeben.

Als der beredte und eifrige Gallus den Götzenhain verbrannte und die Götzenbilder in den See warf, gerieten die heidnischen Einwohner in Wut und suchten ihn zu töten. In der Hoffnung, anderswo mit besserem Erfolg zu wirken, wandten sich daher die fremden Missionare zur Flucht und kamen nach längerer Wanderung zum alten Römerlager Arbon am Bodensee, wo ihnen der christliche Priester Willimar gastliche Aufnahme gewährte.

Sieben Tage weilten sie in Arbon. Willimar empfahl ihnen darauf als Ort der Niederlassung Bregenz am oberen Ufer des Sees. Dort trafen sie eine früher der heiligen Aurelia geweihte Kirche, die bei der Zerstörung der Stadt durch die Alemannen verschont geblieben, von den Einwohnern aber nachmals zu einem heidnischen Tempel entweiht worden war. Die Glaubensboten warfen sich zum Gebet nieder, dann untersuchten sie die Gegend, und diese gefiel ihnen wegen ihrer schönen Lage und Beschaffenheit. Bei der Aureliakirche errichteten sie ihre Zellen. Auf Befehl Kolumbans hielt Gallus den herbeigeströmten Scharen des Volkes eine Rede, »begoss«, nach den Worten des alten Lebensbeschreibers, »ihre Herzen mit honigsüßen Lehren« und mahnte sie, dem Heidentum zu entsagen. Vor ihren Augen riss er die Götzenbilder von den Wänden des Kirchleins, schlug sie in Stücke und warf sie in den See. Kolumban weihte die Aureliakirche wieder ein.

Manche Bewohner nahmen den christlichen Glauben an, andere dagegen zürnten den Fremdlingen und wollten nichts von ihnen wissen. Sie fürchteten auch von denselben Nachteil für die Erträgnisse der Jagd und für ihre heidnischen Feste. Als dann im Jahr 612 König Theudebert, der Freund und Gönner der irischen Glaubensboten, von Theuderich, dem früheren Verfolger Kolumbans, bei Zülpich geschlagen und entthront wurde, mussten sie nach kaum zweijährigem Aufenthalt auch Bregenz verlassen. So führte denn Kolumban seinen schon früher gehegten Entschluss aus, weiter über die Alpen nach Italien zu ziehen und sich vom König der Langobarden einen Aufenthaltsort anweisen zu lassen.

Gallus war bei der Abreise seines Lehrers fieberkrank und entschuldigte sich, dass er jetzt unmöglich die weite Reise unternehmen könne, wobei wohl auch gewisse Meinungsverschiedenheiten mitspielten. Um ihn bei sich zu behalten und zur Mitreise zu nötigen, sprach der gestrenge Kolumban: »Wenn du an meinen Arbeiten nicht mehr teilnehmen willst, sollst du, solange ich lebe, die heilige Messe nicht mehr darbringen.« Wahrscheinlich glaubte der unerbittliche Vorgesetzte, Gallus nehme seine Kränklichkeit nur zum Vorwand, um zurückbleiben zu können. So ist, wie die älteste Geschichtsquelle bemerkt, Gallus, der Auserwählte des Herrn, unserem Volk zum ewigen Gewinn erhalten geblieben.

Der Kranke begab sich, sobald er konnte, nach Arbon zurück und erhielt dort liebevolle Verpflegung, bis seine Gesundheit wiederhergestellt war. Während Kolumban nach Italien reiste, wo er von König Agilulf und dessen Gemahlin Theudelinde, einer bayrischen Prinzessin, freundlich aufgenommen wurde und das Kloster Bobbio gründete, fand auch Gallus die ihm bestimmte Stätte. Er wünschte in einer Einöde die noch übrigen Tage seines Lebens zuzubringen. Der Diakon Hiltibold schilderte ihm die Gegend um das jetzige St. Gallen als eine Wildnis: »Sie ist rau, aber reich an Wasser, hat hohe Berge und enge Täler und verschiedenes Getier, sehr viele Bären und Scharen von Wölfen und Wildschweinen.«

In dieser Einsamkeit wollte sich Gallus niederlassen. Er stieg, von Hiltibold begleitet, hinauf zu dem südlich gelegenen Hochtal und erreichte gegen Abend die Stelle, wo die Steinach durch ihren Wasserfall vom Berg herunter in dem Felsen ein Becken ausgehöhlt hatte. Die beiden Männer fingen einige Fischlein und bereiteten ein spärliches Mahl. Gallus zog sich hierauf etwas weiter in den Wald zurück, um zu beten, fiel in einen Dornenstrauch und rief im Fallen die biblischen Worte aus: »Hier ist meine Ruhe in Ewigkeit, hier werde ich wohnen, weil ich sie mir erwählt habe.« Dann betete er weiter, richtete sich wieder auf, nahm eine Haselstaude, machte daraus ein Kreuz und befestigte es in der Erde. An seinem Hals trug er nach damaliger Sitte eine Tasche mit dem Bild der seligsten Jungfrau Maria sowie mit Reliquien des heiligen Märtyrerbischofs Desiderius von Vienne und des großen Glaubenshelden Mauritius, deren prächtige Statuen heute die Ostfassade unserer Kathedrale schmücken. Diese Tasche hing Gallus an das Kreuz, fiel auf die Knie und betete: »Herr Jesus Christus, Schöpfer der Welt, der du mit dem Siegeszeichen des heiligen Kreuzes dem menschlichen Geschlecht zu Hilfe gekommen bist, mache zur Ehre deiner göttlichen Mutter und deiner Heiligen diesen Ort für deinen Dienst bewohnbar.«

Die beiden Männer verharrten längere Zeit im Gebet und legten sich dann zur Ruhe. Gallus aber stand nach einiger Zeit wieder auf um im Gebet fortzufahren. Als ein Bär daherkam, gebot ihm der Heilige nach der legendenhaften Darstellung, Holz zum Feuer zu tragen, was das Tier auch tat. Gallus gab ihm dafür ein Stück Brot und befahl ihm, sich in die Berge zurückzuziehen und ferner niemandem mehr zu schaden. So zeigte sich in dem frommen Einsiedler, gleich wie bei manchen andern Heiligen, wieder jene ursprüngliche Macht des Menschen über die Tiere, welche durch den Sündenfall verlorengegangen war.

Gallus entließ nun den Diakon Hiltibold, der nach Arbon zurückkehrte; er selber aber verblieb an dieser Stätte und weihte sie durch Gebet und Fasten zur Ehre Gottes ein.

Inzwischen schickte Herzog Gunzo Boten in das Steinachtal, Gallus möchte kommen, um des Herzogs Tochter zu befreien, die von einem bösen Geist geplagt wurde. Doch der Einsiedler versuchte es, sich dieser Aufgabe durch die Flucht zu entziehen. Mehrere Tage weilte er bei dem Diakon Johannes in Grabs. Willimar von Arbon holte ihn dort ein und bewog ihn, nach Überlingen zum Herzog Gunzo zu gehen. Gallus traf dessen Tochter Fridiburga in einem bedauernswerten Zustand. Er warf sich auf die Knie, betete inbrünstig, legte dann der Kranken die Hände aufs Haupt und sprach: »Ich befehle dir, unreiner Geist, dass du ausziehest und weichest von diesem Geschöpfe Gottes.« Sogleich wurde die Tochter geheilt und Gallus führte sie zu ihrer glücklichen Mutter hin.

Etwa um das Jahr 615 befand sich bereits an der Steinach eine kleine Siedlung, worin zwölf treue Schüler mit Gallus vereint waren. Da sagte dieser eines Sonntags in aller Frühe zu dem Diakon Maginald: »Mache dich schnell auf und rüste mir alles her, damit ich die Messe darbringen kann.« Maginald entgegnete: »Herr, was ist das? Du willst die Messe feiern?« Gallus erwiderte: »Nach dem Nokturnoffizium dieser Nacht wurde mir geoffenbart, mein Lehrer Kolumban sei gestorben (21. November 615), und für die Ruhe seiner Seele will ich das Messopfer darbringen.« Alsbald wurde nun das Glöcklein* geläutet und für die Seele Kolumbans eine Totenmesse gehalten. [*In der Domsakristei zu St. Gallen wird eine kleine Glocke aus Eisenblech aufbewahrt, welche die Überlieferung als diejenige des heiligen Gallus bezeichnet. Jahrhunderte lang befand sie sich in der Aureliakirche zu Bregenz und kam im Jahr 1786 unter Abt Beda nach St. Gallen.]

Darauf sandte Gallus seinen Schüler Maginald nach Bobbio, wo dieser alles so fand, wie sein Lehrer gesagt hatte; schon nach acht Tagen kehrte er mit dem Stab Kolumbans ins Steinachtal zurück.

Mittlerweile sollte der bischöfliche Stuhl von Konstanz neu besetzt werden. Klerus und Volk wünschten Gallus zum Bischof. Doch dieser lehnte die hohe Würde ab und empfahl dafür seinen Schüler Johannes, der dann gewählt wurde. Bei der Bischofsweihe hielt Gallus eine noch erhaltene Predigt in lateinischer Sprache, welche der neue Oberhirte Johannes in der Landessprache dem Volk vortrug. Einige Jahre später erwählten die Mönche von Luxeuil als Nachfolger des verstorbenen Abtes Eustasius den Einsiedler an der Steinach zu ihrem Vorsteher. Aber auch diese Ehre wies derselbe zurück.

Bis zu seinem 95. Altersjahr lebte Gallus in der Einsamkeit des Steinachtales, unter Wachen, Beten und strengen Bußübungen. In den letzten Lebenstagen begab er sich auf dringende Bitten seines Freundes Willimar nach Arbon, predigte daselbst am Fest des heiligen Erzengels Michael und brachte zwei Tage in seelsorglicher Tätigkeit zu. Als er am dritten Tag wieder zu seiner Zelle zurückkehren wollte, erfasste ihn ein tödliches Fieber. Mit heiterem Gemüt bereitete er sich auf seine letzte Stunde vor und starb selig im Herrn am 16. Oktober eines unbekannten Jahres. Bischof Johannes, die Priester und das ganze Volk trauerten um den Toten wie um einen verlorenen Vater. Als man die Leiche beerdigen wollte, vermochten, wie die Legende erzählt, die Träger den Leichnam nicht von der Stelle zu heben. Auf den Rat des Bischofs wurden zwei junge, noch nicht gezähmte Pferde herbeigeführt und diesen der Sarg aufgelegt. Man ließ sie freien Schrittes voranlaufen, und sie trugen den Leichnam geraden Weges zur Zelle des Heiligen, wo seine Gefährten während dreißig Tagen Andachten für die Seelenruhe ihres toten Meisters hielten.

Noch bevor die Beerdigung stattfand, öffneten die Schüler eine hölzerne Schachtel, welche der Heilige stets vor ihnen verborgen gehalten hatte. Sie fanden darin einen Bußgürtel und diene kleine eiserne Kette, die von Blut gerötet war. Eine ringsum bis auf das Gebein eingeschnittene Wunde gab Zeugnis von den Abtötungen des Verstorbenen. Nach dem Begräbnis wurden diese ehrwürdigen Reliquien am Kopfende des Grabes aufgehängt*. [*Wir besitzen noch heute ein Bruchstück dieser Kette, die jeweils am Fest des Heiligen (16. Oktober) auf dem Gallusaltar der Kathedrale zur Verehrung ausgesetzt wird.]

Die Wunder, welche am Grab geschahen, und der Ruf von Gallus‘ Tugenden zogen Scharen frommer Pilger ins Steinachtal hinauf. Bald breitete sich die Verehrung des »Apostels Alemanniens« diesseits und jenseits des Bodensees, bis in den Breisgau und ins Elsass, nach Burgund und Lothringen, ja bis nach Italien aus. Die Galluszelle wurde rasch zu einem hochangesehenen alemannischen Volksheiligtum.

Elf Jahre ruhte der heilige Gallus im Grab, als der fränkische Heerführer Otwin einen Teil des Thurgaus mit Feuer und Schwert verwüstete. Viele Bewohner flohen in die Wildnis und kamen bis zur Galluszelle. Der Feind verfolgte sie dahin und drang in die Zelle ein in der Hoffnung, Silber und Gold und andere Kostbarkeiten zu finden. Was ihnen in die Hände fiel, verteilten die Räuber und zogen plündernd umher, um noch mehr Schätze zu erbeuten.

Dann kehrte Erchanold, einer der Führer, mit sieben jungen Leuten wieder zum Bethaus zurück, wo sie die Türe erbrachen und auf den Boden stampften, um Kostbarkeiten aufzustöbern. Als nun einer gerade über dem Grab des Heiligen mit den Füßen aufschlug und ein hohler Schall von unten empordrang, rief er aus: »Hier ist, was wir suchen!« Sie gruben nach und kamen zum Sarg des Heiligen. Diesen erhoben sie unter Hohngelächter und öffneten denselben, erschraken aber beim Anblick des Leichnams so sehr, dass sie entsetzt hinausstürmten. Dabei stieß Erchanold den Kopf heftig an die obere Türschwelle, musste nach Hause getragen werden und fiel in eine schwere Krankheit, die ihm Haare, Haut und Nägel losschälte und ihn für sein ganzes Leben verunstaltete.

Im Beisein des Bischofs Boso von Konstanz bestatteten die noch zurückgebliebenen Schüler Maginald und Theodor den Leichnam wieder zwischen dem Altare und der Wand; der Bischof aber errichtete über dem Grab einen steinernen Sarkophag.


2. Kapitel

Der heilige Otmar, erster Abt von St. Gallen

Nach dem Tod des heiligen Gallus setzten die Jünger ihre gewohnte Lebensweise fort; der kolumbanischen Regel gemäß beschäftigten sie sich mit Beten, Lesen, Handarbeit und Unterricht.

Allein die Zahl der Brüder nahm immer mehr ab, bis schließlich nur noch zwei übrig blieben. Auch verschiedene Heimsuchungen kamen über sie, so dass Gefahr drohte, dass die Gallusstiftung gänzlich zugrunde gehe.

Da gefiel es der göttlichen Vorsehung, einen Mann ins Steinachtal zu senden, der mit starker Hand dem Zerfall Einhalt gebot und in kurzer Zeit das klösterliche Leben zu neuer Blüte brachte. Der Zentgraf (Gaugraf) Waltram im Arbongau, dessen Besitzungen an die Galluszelle grenzten, veranlasste um das Jahr 720 den Priester Audomar oder Otmar, nach St. Gallen zu kommen. Dieser entstammte einem vornehmen alemannischen Geschlecht. Er verbrachte seine Jugendzeit beim Grafen Viktor von Rätien und war wohl ein Zögling der Priesterschule St. Luzius in Chur. Eine Zeitlang hatte Otmar die Kirche des heiligen Florian zu Ramünsch (Remüs) im Unterengadin besorgt, von wo ihn Waltram nach St. Gallen berief.

Gerecht und mild, bescheiden und tatkräftig, fromm und gelehrt, von der Bedeutung seiner Aufgabe tief durchdrungen, so steht Otmar am Anfang der langen Äbtereihe des Kloster St. Gallen als eine bei aller Güte doch ungemein willensstarke und kraftvolle Persönlichkeit.

Die erste Aufgabe, welche der jugendliche Abt durchführte, war die geistige Erneuerung des klösterlichen Lebens und die Vermehrung der Brüderzahl. Schon bald mussten die Klostergebäude erweitert werden, da die Zahl der Mönche auf über fünfzig stieg. Zur besseren Entfaltung des Gottesdienstes errichtete Otmar an Stelle der dürftigen Holzbaute eine größere Kirche. Im Verlauf der Jahre führte er auch statt der kolumbanischen die Benediktinerregel ein, die den Verhältnissen besser angepasst war, und die von den fränkischen Königen für das ganze Reich vorgeschrieben wurde.

Unter Otmars weiser kräftiger Leitung gelangte das Kloster zu hoher Blüte und erhielt von nah und fern bedeutende Schenkungen. Der fromme Abt verwendete diese Güter zum Besten der ihm anvertrauten Herde. Für sich selber völlig anspruchslos, verzichtete er bisweilen auf die notwendigsten Dinge, um Bedürftigen besser helfen zu können. In der Nähe des Klosters gründete er eine Herberge für Arme und Pilger sowie ein Siechenhaus für Kranke, denen er oft persönlich die niedrigsten Dienste erwies. Er ordnete sodann die Seelsorge für die noch spärliche Bevölkerung der Umgegend und ist dadurch der eigentliche Begründer der Pfarrei St. Gallen geworden. Auch eine Anleitung zur Ohrenbeichte soll er verfasst haben. In allem war er ein leuchtendes Vorbild für die Seinen.

Magnus und Theodor, zwei Mönche unter Otmar, zogen mit seiner Bewilligung über den Bodensee und legten den Grund zu den Klöstern Füssen und Kempten. Der heilige Magnus starb in Füssen um das Jahr 750, nachdem er daselbst 25 Jahre segensreich gewirkt hatte. Der heilige Theodor, der Apostel des Allgäus, kehrte nach St. Gallen zurück, und Abt Otmar sandte statt seiner den Missionsmönch Perehtgoz mit vier Mitbrüdern nach Kempten. So hat auch das Allgäu Christentum und Kultur teilweise dem Kloster St. Gallen zu verdanken.

Nah vierzigjähriger, erfolgreicher Tätigkeit brach über den heiligen Otmar eine furchtbare Prüfung herein, die seiner Tugend die Krone der Vollendung aufsetzte. Die Grafen Warin und Ruodhart waren lüstern nach dem stets sich mehrenden Besitzstand des Klosters und nahmen den Abt gefangen, als er eben zur Verteidigung der klösterlichen Rechte an den Königshof reiten wollte. Die Besitzungen des Klosters rissen sie gewalttätig an sich und zogen die ihm zukommenden Zinsen selber ein.

Lambert, ein ungeratener Mönch, ließ sich, wie die Überlieferung meldet, dazu herbei, den Heiligen eines Ehebruchs zu beschuldigen, woraufhin das geistliche Gericht zu Konstanz diesen der Abtwürde verlustig erklärte und zu ewigem Kerker verurteilte. Otmar unterwarf sich stillschweigend dem ungerechten Urteilsspruch, weil er gegen dieses Gewebe von Lügen jede Verteidigung für unnütz erachtete. Als man ihn aufforderte, sich zu rechtfertigen, sprach er nur die Worte: »Ich bekenne, dass ich viel gesündigt habe, aber in Bezug auf dieses Verbrechen nehme ich Gott zum Zeugen meiner Unschuld.«

Zuerst wurde der Verurteilte auf dem Schloss Bodman am Überlingersee gefangen gehalten, wo er ohne die Hilfe eines treuen Mönches dem Hungertod hätte erliegen müssen. Nachher kam er auf die kleine Rheininsel Werd bei Eschenz und lebte hier noch ein halbes Jahr unter vielem Gebet und strengen Bußübungen. Daselbst starb er 68 Jahre alt am 16. November 759. Er wurde in seinem Gefängnis begraben. Noch heute sieht man das Grab in der kleinen Schlosskapelle.

Nach wenigen Jahren schon führte die Vorsehung die Ehrenrettung des unschuldig Verurteilten herbei. Seinen Richter, Bischof Sidonius von Konstanz, soll am Grab des heiligen Gallus ein schlimmes Übel befallen haben, das ihn fast plötzlich hinwegraffte. Lambert, der falsche Zeuge, wurde am ganzen Körper lahm und musste auf dem Boden kriechen, er widerrief sein falsches Zeugnis und erachtete die schwere Heimsuchung als eine gerechte Strafe des Himmels.

Zehn Jahre nach dem Tod Otmars holten die St. Galler Mönche seine Leiche, die sie noch unversehrt fanden, von der Insel Werd ab, brachten sie in feierlichem Zug zu Schiff nach Steinach und von da nach St. Gallen, wo sie beim Johannesaltar eine würdige Grabstätte erhielt.

Ein lieblicher Kranz von Legenden windet sich um diese Heimführung der Leiche Otmars. Während rings auf dem See Sturm und Regen wüteten, zog der Nachen mit dem Heiligen ruhig und ungestört seines Weges. Die zu Häupten und Füßen des Toten brennenden Wachskerzen löschten während der Fahrt nicht aus. Auch der in einem »Legeli« vorhandene Wein nahm auf der ganzen Fahrt trotz des Gebrauches nicht ab.

Zahlreiche Wunder geschahen in der Folge an Otmars Grab, weshalb derselbe hundert Jahre später unter die Zahl der Heiligen aufgenommen wurde. Er ist neben Gallus der Bistums- und Landespatron von St. Gallen. Sein Fest wird am 16. November gefeiert. Auf der Insel Werd findet immer noch zu seiner Ehre jeden Mittwoch ein Gottesdienst für Pilger statt. Man verehrt den heiligen Otmar als herrliches Vorbild der Nächstenliebe wie auch als Schützer von Ehre und gutem Namen.


3. Kapitel

Der Kampf um die Selbstständigkeit

Nach dem Tod Otmars brachte Sidonius, Bischof von Konstanz und Abt der Reichenau, das Steinachkloster unter die bischöfliche Botmäßgkeit. Er bediente sich dabei der Mithilfe des Johannes (760–782), eines Reichenauer Mönches, der dem Kloster St. Gallen als Abt aufgedrängt wurde.

Sidonius schloss mit Johannes, seinem früheren Untergebenen, zwischen 759 und 760 einen Vertrag, demzufolge der Abt zwar die Befugnis hatte, das Kloster selbstständig zu verwalten, aber auch die Verpflichtung übernahm, einen jährlichen Zins, nämlich ein Pferd und eine Unze Gold, zum Unterhalt der Kirche des heiligen Stephan vor den Mauern der Stadt Konstanz an das Bistum zu bezahlen.

Diese Verpflichtung zu einer jährlichen Abgabe zeigt deutlich, dass das Kloster nicht nur kirchenrechtlich, sondern auch dinglich unter dem Bischof stand, d.h. dass der Bischof der Grundherr St. Gallens und dieses somit ein bischöfliches Kloster war. Erst nach jahrzehntelangem, zähem Ringen gelang es den st. gallischen Mönchen, dieses Abhängigkeitsverhältnis wieder aufzuheben.

Als zunächst Abt Johannes nach des Sidonius Tod auch Bischof von Konstanz und Abt der Reichenau wurde, kam St. Gallen vollständig unter die Herrschaft des Bischofs. Johannes ließ außerdem die obenerwähnte Übereinkunft mit Sidonius noch durch Kaiser Karl den Großen bestätigen.

Auf Johannes folgten zwei von den st. gallischen Mönchen gewählte Äbte, Ratpert, der weniger als ein Jahr, und Waldo, der nur anderthalb Jahre regierte und nachher Abt der Reichenau sowie Bischof von Pavia wurde.

Nach des letzteren Rücktritt setzte der Konstanzer Bischof Egino, um seine Rechte auf das Steinachkloster zu bekräftigen, den Weltpriester Werdo (784–811) zum Abt ein. Doch erkannten ihn die Mönche als solchen erst an, nachdem er das Ordenskleid angezogen hatte. Egino benahm sich vollständig als Herr der Abtei, und Werdo war nur sein Verwalter.

Eginos Nachfolger auf dem Konstanzer Bischofsstuhl Wolfleoz behielt, solange Werdo lebte, die Stellung seines Vorgängers gegenüber dem Kloster bei, obwohl er selber Mönch von St. Gallen war. Nach dem Tod Werdos aber zog er die Leitung der Abtei völlig an sich, wie früher der Abtbischof Johannes getan hatte. Die Hoffnung der Mönche, dass Wolfleoz als einer der Ihrigen das Kloster begünstigen möchte, erfüllte sich nicht. Dieser sorgte vor allem für die Rechte seiner Konstanzer Kirche und erlaubte sich sogar Übergriffe in die inneren Angelegenheiten des Klosters St. Gallen, so dass, wie Ratpert wohl übertrieben berichtet, die Mönche in bitterste Not gerieten und fast verhungern mussten.

St. Gallen sank infolge dieser widrigen Verhältnisse immer tiefer, und die klösterlichen Bauten verfielen derart, dass unter allen Gotteshäusern des fränkischen Reiches das st. gallische den armseligsten Eindruck machte.

Um aus ihrer bedrängten Lage herauszukommen, wandten sich die Mönche klagend an Kaiser Ludwig den Frommen. Dieser sicherte ihnen darauf im Jahre 816 die freie Abtwahl zu und verlieh zwei Jahre später dem Kloster die Immunität (Unabhängigkeit), wodurch dasselbe von Konstanz losgelöst und in den unmittelbaren Schutz des Königs aufgenommen wurde. Aus einem bischöflichen war es damit zu einem reichsunmittelbaren oder königlichen Kloster geworden. Die Zinspflicht an Konstanz bestand indessen noch weiter; sie bedeutete aber nur mehr eine Erinnerung an das frühere Abhängigkeitsverhältnis. Am 22. Juli 854 fiel endlich auch diese Verpflichtung weg. Zwischen Abt Grimald und Bischof Salomon I. kam eine Vereinbarung zustande, die König Ludwig der Deutsche am genannten Tag in Ulm bestätigte. Gegen Abtretung einer Reihe von Besitzungen wird das Kloster von allen rechtlichen Verpflichtungen gegenüber Konstanz für immer befreit, nur das kanonische Aufsichtsrecht des Bischofs bleibt vorbehalten. Dem Kloster wurde neuerdings die Immunität und das Recht der freien Abtwahl zugesichert, dagegen hatte es nunmehr jedes Jahr zwei Rosse mit Schilden und Lanzen abzuliefern. Es geschah dann freilich in der Folge noch öfters, dass die Könige ungeachtet des freien Wahlrechtes dem Kloster Äbte nach ihrem Willen aufdrängten.

Durch die freie Abtwahl und den Rücktritt des Abtbischofs Wolfleoz kam im Frühling 816 der hervorragende Mönch Gozbert (816–837) aus einem thurgauischen Geschlecht an die Spitze des Klosters. Der neue Abt setzte seine ganze Kraft ein, um die seit den Tagen Otmars der Abtei entrissenen Güter an dieselbe zurückzubringen. Er forderte die unrechtmäßigen Besitzer zu den öffentlichen Gerichten und bewies durch die Zeugenschaft der Gauleute sein Recht. Aber auch freiwillige Schenkungen erfolgten nun in reichem Maße. Übrigens hatten selbst in den Jahren der Konstanzer Herrschaft die Vergabungen an die Galluszelle nicht ganz aufgehört.

Das Hochgefühl über den nach langwieriger Fehde mit Konstanz errungenen Sieg und die erneute Sicherung des klösterlichen Besitzstandes gaben den Anstoß zu dem großartigen Werke des Klosterbaus, durch den sich Abt Gozbert vor allem einen unsterblichen Namen erworben hat. Bereits um das Jahr 820 lag dem Abt der Plan für einen Neubau vor. Die Stiftsbibliothek von St. Gallen bewahrt ihn noch heute als eines der kostbarsten Zeugnisse frühmittelalterlicher Baukunst. Er ist auf vier zusammengenähten Pergamentstücken entworfen, 77 cm breit und 111 cm lang. Seine volle Bedeutung für die Bau- und Kulturgeschichte der Frühzeit hat erstmals der gelehrte Benediktiner Mabillon erkannt. Der Plan wurde von Abt Heito in der Reichenau dem Abt Gozbert übermittelt und stellt das Idealschema einer benediktinischen Klosteranlage dar, wie sie auf dem Konzil zu Inden bei Aachen 816 unter Führung des Reformabtes Benedikt von Aniane festgelegt wurde.

Neben der majestätischen Kirche sind auf dem Plan zahlreiche Gebäude eingezeichnet für die verschiedenen Zwecke und Bedürfnisse der klösterlichen Gemeinschaft. So ein Krankenhaus mit Badestube, eine Arztwohnung mit Apotheke und Garten für Heilkräuter, Schreibstube und Büchersaal, dann Räume der Mönche und die Wohnung des Abtes, ein Haus für die Gäste, Werkstätten für die verschiedenen Handwerker, Gesinderäume, Stallungen, eine große Bäckerei und Brauerei, Dreschtenne und Mühle, ein Gasthaus für Pilger, Schule und Friedhof.

Im Jahr 830 wurde mit dem Bau der Münsterkirche begonnen. Vom leitenden Baumeister bis zum letzten Handlanger waren es meist Mönche, welche die Arbeiten verrichteten. Die Länge der Kirche betrug 200 Fuß, ihre Höhe im Mittelschiff 59 Fuß, in den Abseiten 27 Fuß, die Breite im Mittelschiff 46 Fuß, jene der Seitenschiffe 22 Fuß.

Das Mittelschiff war durch mächtige Pfeiler von den beiden Seitenschiffen getrennt. Quadern überwölbten die Mauern des Chores, und schöne Malereien zierten die flachen Holz- und Kassettendecken der drei Schiffe. Die Dachbedeckung bestand aus eichenen Schindeln, da man das Ziegelbrennen wohl damals in unserer Gegend noch nicht kannte. Rings an den Wänden befanden sich Altäre, in der Vorhalle war der Taufstein.

Getrennt von der Kirche standen, wie aus den bei der Renovation von 1934 aufgefundenen Mauerresten hervorzugehen scheint und wie sie auch auf dem Plan eingezeichnet sind, gegen Westen zwei runde Türme, in welchen man auf Wendeltreppen zu zwei Kapellen, den Erzengeln Michael und Gabriel geweiht, emporstieg. Die Kirche hatte eine doppelte, östliche und westliche Choranlage, mit zwei Hauptaltären; unter den beiden Chören befand sich je eine Krypta.

»Es würde zu weit führen«, so schreibt ein Zeitgenosse, der Mönch Ermenrich von Ellwangen, über die damalige Kunsttätigkeit der St. Galler Brüder, »wenn ich die vielen Diener Gottes mit Namen aufführen wollte, die ich in St. Gallen in allen Kunstfertigkeiten und Tugenden leuchten sah. Solch hohes Geschick in der Baukunst jeder Art findet sich kaum anderswo, und man kann hier in Wahrheit aus dem Nest auf die Vögel schließen, die darin wohnen. Wer seinen Blick auf den Tempel und das Klostergebäude richtet, wird mein Lob nicht übertrieben finden.«

Die Leitung über den ganzen Bau führte der Mönch Winithar; neben ihm werden besonders gerühmt der unermüdliche Isenrich, der die Axt nur aus der Hand legte, wenn ihn der Gottesdienst zur Kirche rief, der Säulenbearbeiter Ratger, der Bildhauer Werinbrecht; endlich hatte St. Gallen in Tancho einen eigenen Glockengießer, der sogar für den Kaiserdom zu Aachen eine Glocke fertigte.

Nach fünfjähriger Arbeit war die schöne Kirche im Jahre 835 vollendet. Zu ihrer Einweihung erschienen Wolfleoz, der Bischof von Konstanz, Ulrich, der Bischof von Basel, Erlebald, der Abt von Reichenau, die Großen aus ganz Alemannien und eine zahllose Menge Volkes.

Abt Gozbert erwarb sich ein weiteres Verdienst durch die Schaffung einer Bibliothek. Voll Eifer sorgte er für die Vermehrung der Bücherschätze und überließ seine eigene, für die damalige Zeit bedeutende Büchersammlung ebenfalls der Klosterbibliothek. Daneben scheute er weder Mühe noch Kosten, eine vorzügliche Schreibstube mit dem nötigen Material für das Kloster einzurichten. Die Mönche mussten sich im Schönschreiben, Zeichnen, Malen und Vergolden der Anfangsbuchstaben, in der Bearbeitung von Pergamentrollen, im Zurechtlegen und Einbinden der Bücher und andern Fertigkeiten ausbilden.
Zwei Jahre nach der Vollendung des Gallusmünsters dankte Gozbert ab und starb bald darauf.


4. Kapitel

Ein goldenes Zeitalter

Abt Gozbert hat das goldene Zeitalter der Gallusstiftung vorbereitet. Sein ausgezeichnetes Verwaltungstalent und seine geistigen Fähigkeiten schufen die Grundlagen, auf welchen treffliche Nachfolger weiterbauen und den glanzvollen Aufstieg des Klosters im 9. und 10. Jahrhundert herbeiführen konnten.

Unter Gozberts Nachfolger Bernwig trat durch die politischen Ereignisse, welche den Zerfall des karolingischen Kaiserreiches begleiteten, noch einmal ein kurzer Stillstand ein. Es waren die Zeiten, wo die Söhne Ludwigs des Frommen die zuerst wider den Vater erhobenen Waffen gegeneinander kehrten und um ihren Anteil an dem zerfallenen Reich stritten. Abt Bernwig hielt mit ganz Alemannien zu Kaiser Lothar. Ludwig der Deutsche, König von Bayern, machte aber Anspruch auf das Land und unterwarf es. Bernwig musste dann einem Anhänger dieses Königs, dem St. Galler Mönch Engilbert, Platz machen, und als sich Ludwig den Besitz der deutschen Lande bleibend gesichert hatte, verlieh er die angesehene Abtei seinem Erzkanzler Grimald (841 bis 872), der nicht Mönch, sondern Weltpriester war.

Die Klosterbrüder zeigten sich anfangs ungehalten über diese Ernennung, da ihnen der neue Abt unter Verletzung ihres freien Wahlrechts aufgedrängt wurde. Doch verschwand das Misstrauen bald vor Grimalds freundlichem Wohlwollen. Mit allem Eifer griff dieser in die von Gozbert angefangene innere und äußere Umwandlung des Klosters ein und führte sie mit Hilfe des in der berühmten Klosterschule zu Fulda gebildeten Dekans Hartmut aufs Beste weiter. Daneben erlaubte er den Mönchen, einen Stellvertreter für die Zeiten seiner häufigen Abwesenheit am Hofe zu wählen. Diese Wahl fiel auf den gelehrten Dekan Hartmut. Ihm empfahl Grimald die Sorge für das geistliche und leibliche Wohl der Brüder und überließ ihm großenteils die Leitung der Geschäfte. König Ludwig war mit diesen Anordnungen seines Kanzlers einverstanden und bestätigte die Rechte wie auch die volle Unabhängigkeit der Abtei aufs Neue.

Unter Grimald und Hartmut wurde die eigentliche Abtwohnung, der Hof oder die Pfalz genannt, vollendet. Über die Pracht dieses von Hofbaumeistern aufgeführten und von Reichenauer Mönchen ausgemalten Gebäudes wissen die Schriften des Klosters vieles zu erzählen. In diese Pfalz zog sich Grimald zurück, als sein Alter herannahte. Er stellte sich in allem den Mönchen gleich, nahm an ihren Gebetsübungen teil und erwarb sich durch seine Freigebigkeit den Namen eines Vaters der Armen. Er starb am 13. Juni 872 und wurde in St. Gallen begraben. Seine reiche Büchersammlung hinterließ er dem Kloster.

Der Nachfolger Hartmut (872–883) leitete das Kloster im gleichen Geist. Unter ihm trat der gutmütige, aber unfähige Kaiser Karl der Dicke in besonders nahen Verkehr mit der Abtei und begünstigte sie auf jede Weise.

Als Abt Hartmut etwa zwanzig Jahre unter Grimald und beinahe zwölf Jahre allein der Abtei vorgestanden hatte, wünschte er, seines Amtes enthoben zu werden. In feierlicher Weise legte er dasselbe bei einem Besuch Kaiser Karls anfangs Dezember 883 in dessen Hände nieder und behielt sich wie auch allen folgenden Äbten, die abdanken würden, die Einkünfte des Klosters zu Herisau, Waldkirch und Niederbüren vor. Unter ihm wurde vollendet, was Gozbert begonnen und Grimald fortgeführt hatte. Die Zierde des Hauses Gottes lag ihm vor allem am Herzen. Mit unverdrossenem Eifer sorgte auch er für die Äufnung der Bibliothek und übermachte ihr gleichfalls seine eigene Büchersammlung.

Grimald und Hartmut erbauten im Jahr 864, als Abt Otmar heiliggesprochen wurde, die schöne St. Otmarskirche, in welche sie bei deren Konsekration im Jahr 867 die kostbar gefassten Reliquien des Heiligen übertragen ließen.

Sicher vor den Anmaßungen geistlicher und weltlicher Großen genoss jetzt die Abtei den Schutz des ihr zugetanen Kaisers; alle ihre Angelegenheiten waren trefflich geordnet. Kirche und Klostergebäude standen in vollem Glanz da; die Klostergeistlichkeit genoss durch Frömmigkeit und Gelehrsamkeit hohes Ansehen. Die Büchersammlung und die Schule, durch welche St. Gallen für lange Zeit der Mittelpunkt des geistigen Lebens in weitem Umkreis geworden ist, galten als die Kleinodien des Klosters und wurden sorgfältig gepflegt.

Hartmuts Nachfolger Bernhart, durch seine Jugend und seinen Adel für den Königsdienst befähigt, wurde schon im Jahr 890 seines Amtes entsetzt, weil er sich in eine Erhebung gegen König Arnulf eingelassen hatte.

Zu der Zeit, als Notker der Stammler, Ratpert und Tutilo unter den Äbten Grimald und Hartmut in St. Gallen lehrten, fand sich unter den Zöglingen der äußern Klosterschule ein reich talentierter Knabe von vornehmer Abkunft mit Namen Salomon, den sein Großoheim, Bischof Salomon I. von Konstanz, zum geistlichen Stand bestimmt hatte und dessen sich Notker besonders annahm. Nach einem abenteuerlichen Vorleben bat dieser Zögling um Aufnahme ins Kloster, dessen Abtwürde sein Ehrgeiz erstrebte.

Als König Arnulf den Abt Bernhart abgesetzt hatte, wurde Salomon (890–919) wirklich durch die Wahl der Mönche und durch königlicher Bestätigung zum Abt erhoben. Fast gleichzeitig machte ihn Arnulf auch zum Bischof von Konstanz und damit zu einem der Großen des Reiches. Später fiel ihm noch die Abtei Pfäfers zu. Im Jahr 904 bestätigte auch zum ersten Mal ein Papst, Sergius III., das Recht der freien Abtwahl sowie alle von Königen und Kaisern verliehenen Vorrechte.

Als Abt von St. Gallen ließ es sich Salomon angelegen sein, den klösterlichen Besitzstand allseits zu sichern und zu mehren. Da er oft am königlichen Hof weilte und daselbst in hoher Gunst stand, kamen unter ihm zahlreiche Schenkungen an die Abtei. Der Schönschreibekunst, in welcher er selbst ein Meister war, wandte er eifrige Sorge zu; wahrscheinlich ließ er das prachtvolle Psalterium schreiben, das später nach Bamberg kam. Auch eine Anzahl Gedichte hat er verfasst.

Den Kirchenschatz von St. Gallen bereicherte der Abtbischof mit Büchern, Gefäßen und kostbaren Gewändern. Im Jahr 898 ließ er die St. Mangenkirche bauen und unter glänzenden Festlichkeiten den Arm des heiligen Magnus dorthin übertragen. Ebenso wurde das Chorherrenstift des heiligen Pelagius in Bischofszell, das erst den kirchenfeindlichen Stürmen der Neuzeit erlegen ist, von Abt Salomon gegründet.

Es ist erstaunlich, welch gewaltigen Umfang der st. gallische Klosterbesitz dank zahlreicher Schenkungen gegen Ende der Regierungszeit Salomons um das Jahr 920 bereits angenommen hatte. Neben kleineren und größeren Gebieten der heutigen Kantone St. Gallen, Thurgau, Zürich, Aargau und Bern, besaß die Abtei auch in Württemberg, Bayern und Baden, im Elsass und im Wormsgau, im Tirol und selbst in der Lombardei namhafte Besitzungen.

Nicht weniger als 160 000 Jucharten Boden an eigenen und an Zinsgütern, die es entweder selbst durch seine Leute oder als Lehen bebauen ließ, zählte das Kloster zu dieser Zeit. Sodann gehörten ihm 54 Kirchen mit ihren Gütern und Einkünften, nebst zahlreichen weiteren Naturgefällen und Zinsleistungen.

Die Besitzungen zerfielen in Höfe, die oft von beträchtlichem Umfang waren, ja ganze Gemeinden umfassten. Ein Hof bestand aus einer größeren oder kleineren Anzahl von Parzellen abgeteilter Äcker, Wiesen, Weiden, Waldungen, oft auch Alpen und Rebbergen mit den dazugehörigen Leibeigenen und Wirtschaftsgebäuden. Zu letzteren zählte man die Wohnhäuser, den Saal, Speicher, Keller, Werkstätte, Ställe, Heubehälter und oft auch eine Kirche. Unsere heutigen Flecken und Dörfer waren um diese Zeit vielfach nichts anderes als solche Höfe.

Der Mann, welchem die Abtei über einen Hof die Oberaufsicht und das Richteramt übertrug, hieß Meier (Villicus major, der Oberbauer). Die Verwalter der kleinen Höfe wurden Keller genannt, die weitverbreiteten Familiennamen Keller und Meier. Über größeren Gebieten stand ein Konventuale als Propst.

Das Volk setzte sich zusammen aus Freien und Leibeigenen. Die Freien waren allein im Besitz des Landes und der Gewalt. Sie leisteten auch Kriegsdienst. Die viel zahlreicheren Leibeigenen mussten ihren Herren die Höfe bebauen, die weiblichen durch Weben und Stricken der Herrschaftsfamilie dienen. Von dem Eigentum, das sie erwerben konnten und das oft nicht unbedeutend war, hatten sie einen gesetzlichen Naturalzins zu entrichten. Freie konnten aus Mangel an Geld in Leibeigenschaft geraten, Leibeigene dagegen sich die Freiheit erkaufen. Die Freien trugen lange Bärte, die Leibeigenen kurze.

Der Herr durfte seine Leibeigenen vertauschen, verschenken und verkaufen oder zu Lehen geben. Das Kloster St. Gallen hatte mehrere hundert Leibeigene. Diese Leibeigenschaft bildete eine wichtige Grundlage für seinen Wohlstand und die Blüte seiner Landwirtschaft. Ein Teil dieser Leute wohnte innerhalb des Klosterbezirks – die innere Familie – einige als Hausdiener oder Handwerker, z.B. Schneider, Schuster, Müller; andere als Hirten und Sennen, welche die zahlreichen Herden von Pferden, Kühen, Ziegen, Schafen und Schweinen besorgten; andere bauten Schiffe und führten auf dem Bodensee dem Kloster Bedürfnisse und Einkünfte zu. Eine zweite Gruppe der Leibeigenen – die äußere Familie – hielt sich auf den Höfen und Zinsgütern des Klosters auf, wo sie die vorkommenden Arbeiten zu verrichten hatten; oder sie besorgten ihr eigenes, ihnen angewiesenes Gut, von dem sie mit ihrer Haushaltung leben konnten, während ihnen die Pflicht oblag, davon den gesetzten Zins zu entrichten und an gewissen Tagen auf dem nächstgelegenen Klosterhof Fronarbeiten zu verrichten. Auf Fronfuhren kamen Korn und Wein, Leinwand, Wollstoff und Käse in die Lagerhäuser des Klosters.

Die Leibeigenen waren entsprechend den Besitzungen über das ganze weite Klostergebiet zerstreut. Ihre Lage war gar nicht unerträglich und jedenfalls sorgloser und gesicherter als diejenige zahlreicher Arbeiter und unselbständig Erwerbender in heutiger Zeit. Für dieselben hatte das Sprichwort volle Geltung: Unter dem Krummstab ist gut leben.

Das Kloster St. Gallen war weitherum der volksreichste Ort. Neben den über hundert Klosterbrüdern zählte es viele Leibeigene für die mannigfachen Arbeiten, dreihundert Studenten und zahlreiche Verpfründete. Dem entsprachen auch die Anstalten zur Verpflegung. Man hatte, wie von Arx erzählt, eherne Kochkessel von gewaltigem Umfang; einen Ofen, der auf einmal tausend Brote backen konnte; zum Bierbrauen eine Malzdörre für hundert Malter Gerste; Mühlen, für die jährlich zehn Mühlsteine nötig waren, um den Abgang zu ersetzen, und einen Garten mit Arzneipflanzen. Ein Gasthaus bot den vielen Reisenden von und nach Italien willkommene Unterkunft. Alten Leuten war das Kloster ein Asyl, Kranken ein Zufluchtsort, allen Bedürftigen eine gütige Heimstätte. Scharen Hilfesuchender von nah und fern empfingen hier jahraus, jahrein unzählige leibliche und geistige Wohltaten ganz im Sinne der weisheitsvollen Bestimmungen, wie sie von der benediktinischen Ordensregel aufgestellt sind.

Im 9. und 10. und teilweise noch im 11. Jahrhundert waren die Klöster und unter ihnen St. Gallen an vorderster Stelle die Mittelpunkte und Pflanzstätten der Kultur und des geistigen Lebens im Deutschen Reich. Hier hatte die Nation ihre Erziehungs- und Studienhäuser, die Stätten der Gelehrsamkeit und des feierlichen Gottesdienstes, hier auch das Muster und Vorbild für die Landwirtschaft.

Im ganzen Reich herrschte die Ordensregel des heiligen Benedikt, über deren genauer Beobachtung Kaiser und Reichsgesetze streng wachten. Namentlich Otto I. und Konrad II. waren hierin unerbittlich. Die Kaiser allein bestätigten auch die Äbte, entsetzten Unwürdige und erlaubten den nicht mehr Fähigen abzudanken. Neugewählte führten sie durch Überreichung des Abtstabes, den die Abgeordneten des Konvents an den Hof bringen und dem Kaiser übergeben mussten, in ihr Amt ein.

In St. Gallen wurden nur Freie zu Mitgliedern des Konvents aufgenommen. Es rühmte sich, ein »freiständisches« Kloster zu sein. Jünglinge vom hohen Adel wünschte man nicht, weil man die Erfahrung machte, dass sie leichter als andere entarteten und im Kloster Verwirrung anrichteten. Einzelne wurden von ihren Eltern schon als Kinder dem Klosterleben geweiht; sie hießen Oblati, Geopferte. Andere traten in reiferen Jahren oder als Priester, oft sogar als Verheiratete ins Kloster und hießen Bekehrte (Conversi). Beim Eintritt versprachen sie mit einem feierlichen Gelübde, im Kloster auszuharren und den Oberen Gehorsam zu leisten; später kam noch das Gelübde der Lebensbesserung hinzu. Die Namen der Neuaufgenommenen wie diejenigen der Verstorbenen wurden in ein eigenes Buch eingetragen.

Das Leben im Kloster war streng geregelt; um Mitternacht erhob man sich zur Mette. Täglich gab es nur zwei Mahlzeiten, am Mittag und am Abend. Der Fleischgenuss war einzig den Kranken und Schwächlichen gestattet. Die gewöhnliche Nahrung bestand aus Haferbrei und Hülsenfrüchten.

Zweihundert Jahre lang blieb der strenge Küchenzettel, den Abt Hartmut aufgestellt hatte, im Gebrauch. Jeder Mönch erhielt seinen Anteil an Speise, Trank und Kleidung besonders. Man speiste aber miteinander an dreizehn Tischen, wie man auch an dreizehn Pulten das Chorgebet sang.

Das Oberkleid hatte die Form der Dalmatik eines Diakons mit angehängter Kapuze; es war schwarz oder dunkelfarbig und die Kutte darunter weiß. Den Bart trugen sie kurz, die Haare etwas lang; auf dem Hinterhaupt war ein Teil derselben in Form einer runden Platte weggeschnitten.

Das Innere des Klosters hielt man gegen Fremde streng verschlossen; nur den Verbrüderten und den Großen des Reiches war der Eintritt in die Klausur gestattet, doch unter der Bedingung, dass sie über ihre Kleider eine Kutte anzogen und sich von einem Klosterbruder überallhin begleiten ließen.

Die genaue Beobachtung der Regel und der tugendhafte Lebenswandel, wodurch die st. gallischen Mönche sich auszeichneten, veranlassten viele Zeitgenossen, um die Aufnahme in die Zahl der Verbrüderten (Fratres Conscripti) zu bitten. Das Verzeichnis derselben besitzen wir noch. In diesem Verzeichnis stehen die Namen von Kaisern und Königen aus Deutschland, Frankreich und England, von Fürstinnen, vielen Bischöfen und Gliedern des Adels. Reiche Schenkungen und Gaben kamen hiedurch an das Kloster.

Eine andere Art geistlicher Bündnisse waren die Verbindungen zur gemeinsamen Fürbitte für die Verstorbenen. Das Kloster St. Gallen ging solche ein mit den Abteien Reichenau, Murbach und Rheinau, mit Bobbio, Disentis, Kempten, Pfäfers, Schänis und andern Klöstern und Domstiften. Man beging gegenseitig den Begräbnistag, den siebten, dreißigsten und den Jahrzeittag eines verstorbenen Mitgliedes mit Messe, Opfergang und Absingen von Psalmen.

Mit auserlesener Pracht und Feierlichkeit wurde der Gottesdienst gehalten. Die Kirche selber war mit Stuckaturen und Malereien geschmückt und an vielen Stellen vergoldet, der Tabernakel, die Kanzel, die Säulen, auf welchen die Hauptbalken ruhten, mit Silberblech beschlagen, die Altarblätter auf dem Hochaltar waren von Gold, die an zehn andern Altären mit Silber verfertigt. Man hatte einen Kelch aus Bernstein, viele silberne Ampeln und Kronen und köstlich gestickte Priesterkleider. Der Chorgesang war schön und ergreifend. An Sonn- und Festtagen wurden Umgänge gehalten, wobei die Priester Reliquienschreine trugen und Kranke sich auf den Boden niederwarfen, damit die Reliquien über sie hin getragen und ihnen dadurch die Gesundheit zuteilwürde. Den kranken und sterbenden Klosterbrüdern ließ man die größte leibliche und geistliche Fürsorge angedeihen. Unter den feierlichsten Zeremonien und in Anwesenheit des ganzen Konvents spendete man ihnen die letzten Tröstungen der Kirche, Wegzehrung und heilige Ölung.

Bei der Taufe wurden damals noch die Kinder ganz ins Wasser eingetaucht. In der Beichte prüfte der Priester die Beichtenden durch Fragen und legte ihnen für schwere Sünden sehr große, auch öffentliche Bußen auf. Die Priester lasen täglich die heilige Messe; auch solche, die aus Unwissenheit die Worte nicht verstanden, durften das tun, wenn sie nur einen untadelhaften Lebenswandel führten. Gleichgültige Dinge, wie das Anziehen neuer Kleider, das Haar- und Bartschneiden, wurden im Kloster mit vorgeschriebenen Gebeten verbunden.* [*Der alemannische Volksschlag war rasch in seinem Handeln, zu Gewalttätigkeit geneigt, leichtgläubig, voll Nationalstolz. Er glaubte, alle übrigen Deutschen an Geist und Tapferkeit zu übertreffen und behauptete, kein anderer Stamm habe so viele Heilige hervorgebracht wie die Schwaben. Der hl. Notker gab dem Reichenauer Abt auf die Frage nach der Lage St. Gallens zur Antwort, dass die Leute grob, der Glaube roh und der Boden überaus hart sei (dura viris, dura fide, durissima plebs). Den Vornehmen seiner Zeit machte es Ekkehard IV. zum Vorwurf, dass sie mit Hintansetzung der deutschen Töchter sich Frauen aus Italien und selbst aus Griechenland holten.]

Dem großen wirtschaftlichen und politischen Aufschwung der Abtei St. Gallen geht ihre literarische und künstlerische Hochblüte zur Seite.

Eine enge Verbindung bestand im Galluskloster zwischen Schule und Bibliothek. Die Bücherschätze mussten der Schule dienen, die letztere aber wirkte fördernd auf das Abschreiben von Büchern und die Äufnung der Bibliothek. Mönche und Schüler teilten sich oft in die Aufgabe des Abschreibens, das eine ebenso mühsame wie entsagungsvolle Arbeit war.

Schon unter dem dritten Nachfolger Gozberts, Abt Grimald, der auch einer der namhaftesten Gelehrten jener Zeit war, erlangte die Bibliothek einen für damalige Verhältnisse bedeutenden Umfang, wie das noch vorhandene Bücherverzeichnis dartut. Auf die Heiligen Schriften des Alten und Neuen Testaments haben die unermüdlichen Klosterschreiber den größten Fleiß verwendet. Dann folgen die Kirchenväter mit zahlreichen Büchern, hierauf die Heiligenlegenden, Konziliensammlungen, Briefe der Päpste, astronomische, philosophische und naturgeschichtliche Bücher, Grammatiken und Schriften über Politik. Auch der Korrektur wurde große Aufmerksamkeit gewidmet.

Man liebte es sehr, die Anfangsbuchstaben (Initialen) durch bunte Farben, goldene und silberne Tinten, durch Größe und Verzierungen auszuzeichnen. Bis heute hat sich der Glanz des Goldes und der Farben so gut erhalten, als wäre all das erst gestern gemacht worden. Ein solches Buch kostete hunderte, ja tausende von Gulden. Besonders schön wurden die Messbücher geschrieben. Mancher Mönch verwendete auf die Herstellung eines einzigen Buches ein halbes Menschenleben. Herrliche Einbände aus Gold, Silber, Goldblech und kostbaren Edelsteinen vollendeten das Kunstwerk.

Die besten Schönschreiber waren Sintram, »dessen Hand die ganze Welt bewunderte«, ferner Volkart, Waldo, Notker der Stammler und der Abtbischof Salomon. Noch ist von Sintram ein Evangelienbuch vorhanden, das alle Besucher der Stiftsbibliothek mit Staunen erfüllt; ebenso bildet Volkarts Psalmenbuch heute noch ein kostbares Kleinod der Bibliothek.

Wir können die Dienste, welche die Klöster durch Bücherabschreiben der Welt geleistet haben, nicht hoch genug anschlagen. Jene prächtigen Handschriften des 9. und 10. Jahrhunderts, wodurch viele kostbare Werke der griechischen und römischen Literatur vor dem Untergang gerettet wurden, werfen ein glänzendes Licht auf den Fleiß und die Geschicklichkeit der nicht selten als faul verschrienen Mönche. Oft wurden die Bücher noch mit schönen Gemälden und Bildern geschmückt, so dass manche behaupteten, sie seien nicht von Menschen, sondern von Engelshand geschrieben.

Bereits unter Abt Otmar scheint eine klösterliche Schule bestanden zu haben. Aber erst Hartmut, der von 872 – 883 dem Kloster vorstand, machte dieselbe zu einer der angesehensten Bildungsstätten Europas. Die Zahl der Studenten stieg bis auf 300.

Man teilte in den alten Klosterschulen alle Lehrgegenstände in die Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie und Musik ein und hieß die ersten drei Fächer das Trivium (Dreiweg), die vier letzten das Quadrivium (Vierweg), alle zusammen aber die sieben freien Künste. In der Grammatik lernte man die lateinische Sprache so vollkommen lesen, verstehen und sprechen, dass außer den kleinsten Knaben kein Student ein deutsches Wort sagen durfte. Nirgends in Deutschland schrieb man so gut Latein wie in St. Gallen. Auch das Griechische fand eifrige Pflege. Der sprachlichen und rhetorischen Ausbildung der Zöglinge wurde große Sorgfalt zuteil. Für die astronomischen Studien hatten die Mönche bereits einen Himmelsglobus konstruiert, den ersten vielleicht, der in Deutschland entstanden ist.

Es gab eine innere Schule, an der die Ordenskandidaten dem Studium oblagen, und eine äußere für die Laienstudenten. Die Disziplin war streng, und die Rute wurde nicht gespart. Zur Aufsicht waren besondere Wächter aufgestellt, welche bei Tag und Nacht die Runde zu machen hatten. Frohe Zeiten und Vakanztage fehlten aber auch nicht. Die Krone solcher Tage bildeten drei Dinge: Fackeln, um noch bei Licht die Unterhaltung fortsetzen zu können, Bäder und Wein.

Der Hauptfesttag für die Studenten war der 28. Dezember, das Fest der unschuldigen Kinder. Am Sonntag vor dem Fest der heiligen Katharina (25. November) versammelten sich alle Schüler beim Schulvorsteher und wählten den fleißigsten und bestgesitteten aus ihrer Mitte zum Schulabte. Dieser hatte, so lang seine Würde dauerte, allerlei Vorrechte und ernannte zwei Hofkapläne für seinen Dienst. Die Untergebenen beschenkten ihn mit Brot und Wein. Am Fest der unschuldigen Kinder wurde ihm in der Kirche ein schön geschmückter Betschemel hingestellt, auf dem er Platz nahm. Beim Nachtgebet wurden ihm vier Fackeln vorgetragen. Bei Tisch boten Küche und Keller ebenfalls alle ihre Kräfte zur Erhöhung des Festes auf. Unter lustigen Possen ging dann die Herrlichkeit zu Ende.

Berühmte Zöglinge dieser durch große Männer ausgezeichneten Schule waren Landolaus, Erzbischof von Treviso, welcher aus Alemannien stammte und bei der Absicht, vor seinem Tod die Stätten der Jugend nochmals zu besuchen, in Rorschach starb und seine Bücher dem Kloster vermachte; dann Eginolf, Bischof von Lausanne, der noch als Greis dankbaren Herzens der zu St. Gallen empfangenen Wohltaten gedachte; ferner Palazo, Bischof von Speyer, ein weithin bekannter Gelehrter; Hiltibald, Bischof von Chur; der heilige Konrad, Bischof von Konstanz; der heilige Ulrich, Bischof von Augsburg; Salomon III., Bischof von Konstanz und zugleich Abt von St. Gallen; sein etwas älterer Bruder Waldo, Bischof von Freising; Thietrich, Bischof von Metz; Notker, Bischof von Lüttich, der seine Kathedralschule nach dem Beispiel St. Gallens zu einer hochberühmten Pflanzstätte von Gelehrten erhob, und viele andere mehr.

Als Kaiser Konrad I. an Weihnachten des Jahres 911 bei Bischof Salomon in Konstanz zu Gast war, erzählte dieser von den schönen Abendprozessionen, welche während der Weihnachtstage im Kloster St. Gallen gehalten würden. »O, dass wir doch dort wären«, sprach der Kaiser, und wirklich machte er sich des andern Morgens samt dem Bischof und stattlichem Gefolge auf den Weg und kam gegen Mittag zur Steinach hinauf. Er überraschte die Mönche beim Essen, setzte sich an den Platz des Abtes und aß von allem, was aufgetragen wurde, nachdem er vorher befohlen hatte, nichts anderes als die gebräuchlichen Speisen zu bringen. Der Propst bedauerte sehr, dass der Kaiser gerade an diesem Tag gekommen sei. Denn morgen würden Erbsen ohne Hülsen und Weißbrot aufgestellt werden.

Während der Mahlzeit lasen die Klosterschüler der Reihe nach Abschnitte aus der Heiligen Schrift vor, und jedem der Knaben, der vom Lesepult herabstieg, steckte Konrad ein Geldstück in den Mund. Da der kleinste dieses weinend ausspie, meinte der Kaiser: »Der wird ein trefflicher Mönch werden.« Als die Schüler in feierlicher Prozession neben dem Kaiser vorbeischritten, ließ dieser, um ihre Disziplin auf die Probe zu stellen, einen Korb voll Äpfel ausleeren. Zur Freude des Herrschers blieben alle ganz ruhig, ohne sich umzuwenden. Deshalb verordnete er, dass die Klosterschüler jährlich drei Tage Ferien zur Erinnerung an seinen Aufenthalt in St. Gallen haben sollten. Diese drei Ferientage wurden noch im 18. Jahrhundert gehalten.

Durch mehr als 200 Jahre leuchtete die st. gallische Klosterschule wie ein mächtiger Lichtherd, der den Glanz von Gesittung, Wissenschaft und Kunst nach allen Gegenden Deutschlands und über seine Grenzen hinaus erstrahlen ließ.

Unsterblichen Ruhm hat insbesondere auch die Sängerschule von St. Gallen erworben. »Ganz Deutschland, ja vielleicht Europa«, schreibt Pater Anselm Schubiger, »vermag kaum eine ähnliche Anstalt aus jener Zeit aufzuweisen, die gleich der st. gallischen Sängerschule die alten Urgesänge der Kirche so lange in ihrer Reinheit erhalten, die in wenigen Jahrhunderten so viele in diesem Kunstfach erfahrene Männer hervorgebracht, so viele und so berühmte Tonwerke geliefert und endlich so reichhaltige und interessante Dokumente aus jener Zeit uns aufbewahrt hat.«

Es war im Jahr 790, so lautet der legendenhafte Bericht über den Ursprung der st. gallischen Sängerschule, als Kaiser Karl der Große von dem ihm befreundeten Papst Hadrian I. zwei römische Sänger erbat, um durch sie der jenseits der Alpen im Kirchengesang eingerissenen Unordnung zu steuern. Auf des Kaisers Bitte sandte der Papst zwei Sänger der römischen Schule, Petrus und Roman, mit zwei beglaubigten Abschriften des Gregorianischen Antiphonars nach Metz. Auf der Reise erkrankt, musste Roman im Kloster St. Gallen ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Nach seiner Genesung verordnete der Kaiser, dass er in St. Gallen bleiben und die dortigen Mönche im gregorianischen Gesang unterrichten solle.

Wie das Original der römischen Gesänge Gregors des Großen zu Rom noch damals in einem kostbaren Schrein neben dem Altar des heiligen Petrus aufbewahrt lag und allen Ankommenden zur Ansicht offen stand, so wurde von Roman auch die Abschrift in St. Gallen neben dem Altar der heiligen Apostel aufgestellt, mit Ehrfurcht Jahrhunderte hindurch an dieser Stätte verwahrt und den Besuchenden zur Ansicht dargeboten, um daran gleich wie in einem Spiegel alle abweichenden und fehlerhaften Gesänge erkennen und verbessern zu können.

Der römische Gesangmeister lehrte nach der alten Neumenschrift ohne Linien, wie sein von Rom mitgebrachtes Antiphonarium vorschrieb. Die damit verbundenen Schwierigkeiten wohl erkennend, fügte Roman den Neumen Vortragszeichen, Buchstaben von bestimmter, besonderer Bedeutung bei, welche den Sinn haben: hauchen, anschwellen, sinken, langsam, schneller, höher, beweglich usw.

Die Sängerschule Romans gewann einen hervorragenden Ruf und diente für weite Gegenden als Muster des reinen Kirchengesangs.

Nach dem Tod des großen Meisters setzten treffliche Schüler sein Wirken fort. Der erste von ihnen war Werinbert, einst Zögling des berühmten Rabanus Maurus von Fulda, im Reich der Töne und der Poesie sehr erfahren.

Auf Werinbert folgte Iso, der einer adeligen Familie im Thurgau entstammte und während mehreren Jahren Vorsteher der inneren Klosterschule war, »der berühmteste Gelehrte seiner Zeit«, ob seiner Wissenschaft und seiner musikalischen Kenntnisse weithin gefeiert. Auf dringende Bitten des Grafen Rudolf von Burgund wurde Iso nach Granfelden am Fuße des Jura gesandt, um dort eine neue Lehranstalt zu errichten. Abt Hartmut stellte aber die Bedingung, dass Iso nach drei Jahren wieder nach St. Gallen zurückkehre und jedes Jahr dreimal sein Kloster besuche. Doch starb er schon nach kurzer Zeit, erst 42 Jahre alt. Iso besaß auch einen besonderen Ruf in der Heilkunde, in welcher damals sonst nur Juden und Araber bewandert warten.

Glückliche Kuren unheilbarer Krankheiten, wie Aussatz, Blindheit, Gichtbruch, verraten in ihm einen Meister der Heilkunst. Vielleicht müssen aber diese wunderbaren Heilungen noch mehr seiner großen Frömmigkeit zugeschrieben werden, deren Ruf sich überall verbreitete, so dass ein vornehmer Burgunder nicht lange nach dem Tod des frommen Mönches dessen Leichnam wieder ausgraben und in sein Bethaus überführen ließ.

Neben Iso glänzte in dieser Zeit der Irländer Möngal, Marzellus genannt. Dieser machte in Gesellschaft von Landsleuten mit seinem Oheim, Bischof Markus, eine Wallfahrt nach Rom. Auf ihrer Rückreise nahmen die Irländer den Weg über St. Gallen, das Möngal so gut gefiel, dass er sich leicht bereden ließ, hier zu bleiben und auch den Oheim zum gleichen Entschluss bewegte. Beide schenkten ihre Reisepferde und das Geld den Begleitern, die nun ohne sie in die Heimat zurückkehren mussten, ihre Bücher aber übermachten sie dem Kloster.

Marzell leitete später die Klosterschule und bildete insbesondere die so berühmt gewordenen Mönche Ratpert, Notker den Stammler und Tutilo aus, welche in der Folge den römischen Kirchengesang in seiner Reinheit erhalten und mannigfach bereichert haben.

Wenn einst Augustinus in Tränen ausbrach, da er zu ersten Mal in der Kirche des heiligen Ambrosius zu Mailand die kirchlichen Hymnen vernahm, von welch ergreifender Wirkung mussten dann nicht jene alten, melodischen Choralgesänge sein, von denen die weiten Räume des Gallusmünsters Tag und Nacht widerhallten!

Im Chor standen dreizehn Singpulte, auf denen ebenso viele kostbar verzierte, mit Goldlettern beschriebene Psalterien aufgeschlagen waren. Da sang der ernste Chor der Mönche an Sonn- und Festtagen zum Schluss des nächtlichen Gottesdienstes die gedankentiefen Strophen des Ambrosianischen Lobgesanges; da begannen mit der aufsteigenden Morgenröte die Gesänge des Morgenlobes, aus Psalmen und Antiphonen, Hymnen und Gebeten bestehend; ihnen folgten in abgemessener Pause die übrigen kanonischen Tagzeiten. Da ward das Volk täglich durch den Introitusgesang zur Teilnahme an den heiligen Geheimnissen eingeladen; da hörte es in lautloser Stille die um Erbarmung flehenden Töne des Kyrie, erfreute sich am jubelnden Gloria, da vernahm es beim Graduale die Melodien der Sequenzen, die in hochfeierlichen Wechselgesängen die Festgeheimisse verherrlichten und darauf die einfachen Sätze des Credo. Da fühlte es sich beim Sanktus hingerissen, in das Lob des Dreimalheiligen einzustimmen und die Erbarmungen des göttlichen Lammes anzuflehen, das die Sünden der Welt hinweg nimmt.

Dabei hielten die alten Satzungen des Klosters streng darauf, dass alles in würdevoller Schönheit gesungen und jedes Übereilen oder Schleppen oder auch undeutliches Aussprechen sorgfältig vermieden werde.
Außer den gewöhnlichen, nach der Ordnung des Kirchenjahres sich wiederholenden liturgischen Gesängen, boten nicht selten außerordentliche Festanlässe Gelegenheit nicht bloß zu besonderen Liedervorträgen sondern auch zu ganz neuen Tonschöpfungen.

Als im Jahr 864 Bischof Salomon I. von Konstanz die Heiligsprechung des Abtes Otmar vollzog und dessen Reliquien feierlich erhob, trug der Gesamtchor der Mönche die Litanei und verschiedene Lobgesänge in den lieblichsten Weisen vor. Drei Jahre später ward die neuerbaute Otmarskirche eingeweiht und der Leib des Heiligen von den Priestern in feierlicher Prozession und in Gegenwart einer unzählbaren Volksmenge dahin übertragen. Die Mönche begleiteten den Zug unter Absingen herrlicher Lieder, die nur durch das Frohlocken der Menge und die Tränen innigster Rührung unterbrochen wurden.

Ein glänzendes Fest für das Kloster war auch jedes Mal der Besuch eines Fürsten oder eines Gliedes seiner Familie. In schön geordneter Prozession zog die ganze Klosterfamilie dem hohen Gast entgegen und geleitete ihn unter feierlichen Gesängen in die Kirche. So kam im Jahr 883 Kaiser Karl der Dicke, Ludwigs des Deutschen Sohn und Urenkel Karls des Großen, ein besonderer Freund St. Gallens, über die rätischen Hochgebirge hierher und kehrte als Gast im Kloster ein; eigens gedichtete Lieder ertönten zu seiner Ehre, und der Chor der Sänger empfing den Herrscher mit festlichem Gepränge. Der Kaiser weilte auch nie in der Nähe von St. Gallen, ohne das Kloster zu besuchen. Er setzte sich bei Tisch mitten unter die Mönche und bediente dieselben sogar in eigener Person. Sie hießen ihn daher nur »unsern Karl«. Den unter den Hausheiligen des Klosters verehrten Märtyrer Eusebius, der mit einigen schottischen Mönchen auf dem St. Viktorsberg bei Rankweil ein frommes Leben führte und nach der Legende mit einer Sense getötet wurde, suchte Karl öfters in Gewissensangelegenheiten auf.

Ein glanzvoller Tag war es auch, als Bischof Adalbero von Augsburg auf Bitten des Abtbischofs Salomon den Arm des heiligen Magnus aus Füssen nach St. Gallen brachte, damit diese kostbare Reliquie in die neuerbaute St. Mangenkirche übertragen würde. In feierlicher Prozession zog die Schar der Mönche, vom Volk begleitet, dem kostbaren Schatz eine weite Strecke entgegen und begrüßte mit Jubelliedern die heilige Reliquie.

Bei der St. Mangenkirche stiftete der Abtbischof Salomon eine Propstei mit der Verpflichtung des täglichen Chorgebetes; hier sollte das nahe Kloster eine Pflanzschule kirchlicher Sänger erhalten, denen die edle Aufgabe oblag, Gott und den heiligen Magnus durch die ehrwürdigen Urklänge des alten Chorals zu verherrlichen.

Unter den Schülern, welche von den beiden hervorragenden Meistern Iso und Möngal herangebildet wurden, haben besonders drei unsterblichen Ruhm erlangt, nämlich Ratbert, Notker und Tutilo.

Von adeligen Eltern aus Zürich abstammend, trat Ratpert nach 850 in das Kloster St. Gallen ein und erreichte sowohl in der Wissenschaft wie auch in der Tonkunst eine hohe Vollendung. Ein verzehrender Eifer für das Studium, den weder die Bitten der Freunde noch die Sorge um sein körperliches Wohl zu mindern vermochten, erfüllte ihn. Das Kloster verließ er so selten, dass er im Lauf eines Jahres nicht einmal die Fußbedeckung, die jedem zugeteilt ward, zur Hälfte verbrauchte.

Ratpert war auch ein vorzüglicher Dichter. Er verfasste ein Lobgedicht auf die Einweihung des Fraumünsters in Zürich und weihte dessen erster Äbtissin, der Königstochter Hildegard, die ergreifende Totenklage. Ferner dichtete er kirchliche Hymnen und lateinische Empfangsgedichte bei fürstlichen Besuchen im Kloster. Ein besonderes Verdienst Ratperts besteht darin, dass er als erster in einem wertvollen Geschichtswerk die Schicksale seines Klosters von dessen Anfängen bis zum Jahr 883 aufgeschrieben hat.

Die Musik verdankt diesem Mönch eine neue Liederform durch Wiederholung des Schlusssatzes oder Refrains, wahrscheinlich für Wechselgesang von Solo und Chor. Von ihm stammen Litaneien für die Prozession an gewöhnlichen Sonntagen, dann der Litaneigesang für die Oster- und Pfingsttaufe und ein tief empfundener Gesang auf die heilige Kommunion.

Besondere Erwähnung verdient auch sein deutsches Lied zum Lob des heiligen Gallus, das sich durch ungewöhnliche Anmut und Lieblichkeit auszeichnete und sehr volkstümlich wurde. Nach Ekkehards Übersetzung fängt es mit den Worten An:

»Jetzt will ich beginnen – ein Lied in frohem Jubelschall,
Frommer lebte keiner – als einst der heil’ge Gall.
Irland hat den Sohn gesandt – Schwaben Vater ihn genannt.«

Als Ratpert auf dem Sterbebett lag, besuchten ihn gleichzeitig vierzig Geistliche, die einst seine Schüler waren. Dankbar versprach jeder von ihnen, nach seinem Tod dreißig heilige Messen für seine Seelenruhe lesen zu wollen. Er dürfte bald nach dem Jahr 884 gestorben sein.

Noch weit größeren Ruhm gewann Ratperts Freund und Mitschüler Notker, wegen eines Sprachfehlers der Stammler geheißen. Um das Jahr 840 als Spross adeliger Eltern im Thurgau geboren, war Notker eine ausgesprochene Dichternatur von zartem Gemüt und lebendigem, phantasievollem Wesen.

Als Jüngling versuchte er sich schon in der Komposition geistlicher Gesänge, die seine Lehrer Iso und Möngal so trefflich fanden, dass sie dieselben den übrigen Schülern zur Nachahmung vorlegten.

Jedes seiner Lieder atmet Andacht und Erbauung, kindliche Teilnahme am Jubel der Kirche, Vertrauen auf Gottes Hilfe und den Schutz seiner Heiligen. Besonders waren es die Feste der Gottesmutter Maria, die Notker in lieblichen Feierklängen besang. Er war wohl der erste bekannte Sänger deutscher Nation, der die Herrlichkeiten Mariens in Musik und Poesie gepriesen hat.

Seine tieffühlende Seele konnte durch geringfügige Dinge zu den eigenartigsten Gesängen angeregt und begeistert werden. In der Nähe des Klosters befand sich eine Mühle, deren Rad, nur von spärlichem Wasser getrieben, ein eigentümliches, taktmäßiges, von gewissen Tönen begleitetes Knarren bewirkte. Als einst Notker den sonderbaren Tönen zuhorchte, fühlte er sich unwillkürlich zu der berühmten Pfingstsequenz angeregt: »Des Heiligen Geistes Gnade steh‘ uns allzeit bei«, in welcher der melodische Schluss jeder Strophe den Ausfluss des Wassers aus den Schaufeln des Wasserrades auf die täuschendste Weise nachahmt. Als sich Abt Ulrich V. im Jahr 1215 in Geschäften des Kaisers zu Rom aufhielt, konnte Papst Innozenz III. Notkers Sequenzen nicht genug preisen. Er rief auch gleich nach Beendigung des Gottesdienstes den Abt zu sich, erkundigte sich über den Meister jenes Liedes und machte Ulrich Vorwürfe, dass man von seinem Kloster aus keine Anstalten zur Heiligsprechung eines so hervorragenden Mannes treffe.

Ein anderes Mal kam Notker, wie die Überlieferung erzählt, bis an das Martinstobel, durch welches die Goldach ihre Fluten windet. Eben wurde über den tiefen Abgrund eine neue Brücke geschlagen. Notker sah, wie die Werkleute auf dem hohen Baugerüst schwebten und wie sie bei jedem Schritt der Gefahr des Todes ausgesetzt waren. Die Gefühle, die in diesem Augenblick seine Seele über des Lebens Hinfälligkeit bewegten, legte er in das bekannte Lied hinein: »Media vita in morte sumus«, das die St. Galler Mönche am Schluss der Komplet in der »dunkeln Kapelle« zu singen pflegten und das sich bis auf unsere Tage im Gedächtnis der Welt erhalten hat. Seine Urheberschaft wird allerdings von neueren Forschern dem heiligen Notker abgesprochen.

»Mitten im Leben
Sind wir vom Tode umgeben.
Wen suchen wir sonst in der Not
Als dich allein, dich, unsern Gott?
Du magst wohl über unsere Sünden
Gerechten Zorn empfinden;
Sieh, auf dich hofften unsre Väter,
Sie hofften, du warst ihr Erretter.
Heiliger Gott;
Verlass uns nicht, wenn einst des Alters Tage kommen,
Verlass uns nicht, wenn unsre Kraft verglommen!
Heiliger, barmherziger Erlöser,
Gib uns nicht in letzter Not
Dem bitteren Tod!«

Das Lied ergriff, wohin es drang, die Gemüter mächtig, und seine ernsten Trauerklänge ertönten hinfort auf Bittfahrten, in Zeiten schwerer Bedrängnis und unter den Schrecken des Todes. Man sang es als Notruf im Meeressturm, als Kriegslied in den Schlachten, und mehrere Jahrhunderte blieb es allgemeines Volkslied. Ja, der Aberglaube legte ihm sogar Zauberkraft bei, so dass es eine Zeitlang verboten wurde. Es ging später auch in protestantische Gesangbücher und in die Agende der englischen Hochkirche über.* [*Das »Media Vita« wird noch alljährlich am Fest des heiligen Gallus bei der Nachmittagsvesper in der Kathedrale gesungen, ebenso an den Prozessionen der Bittwoche.]

Notkers Name war schon zu seinen Lebzeiten weit und breit bekannt, so dass die gelehrtesten Männer um seine Freundschaft warben. Kaiser Karl III. bat oft um dessen Rat. Noch schöner aber ziert ihn der Tugendlorbeer. »Der sanfteste Mensch, bescheiden, stets freundlich und den Frieden im Herzen«, so wird er von Ekkehard geschildert. Schon als Knabe schien er mehr einem Engel als einem Menschen zu gleichen. Wagte es einer seiner Mitschüler, in seiner Gegenwart ein ungeziemendes Wort auszusprechen, so verwies er es ernstlich mit der Mahnung: »Vergesst nie, meine Brüder, dass wir einst über jedes unnütze Wort Rechenschaft abzulegen haben.« Dem heiligen Notker wird auch das reizvolle Karlsbüchlein zugeschrieben, das anekdotenhaft die Geschichte Karls des Großen erzählt.

Die Tage seines Alters widmete Notker gänzlich dem Gebet und Dienst Gottes; vom Todestag seines Verwandten Wolo an verrichtete er das tägliche Offizium eines Mönches doppelt, für sich und den verstorbenen Vetter; ganze Tage saß er in der Münsterkirche in einer Seitenkapelle des heiligen Petrus, in Gebet und Betrachtung versunken. Von schwerer Krankheit ergriffen, empfing er mit großer Andacht die Wegzehrung und die heilige Ölung, sagte seinen weinenden Mitbrüdern Lebewohl und erteilte ihnen vom Sterbelager aus den Segen. Dann empfahl er sich und das Kloster St. Gallen dem Schutz Gottes sowie der Heiligen Gallus und Otmar und entschlief ruhig und sanft wie er gelebt im Jahr 912. Sein Andenken aber ist in St. Gallen lebendig geblieben bis auf den heutigen Tag. Im Auftrag Papst Leos X. vollzog Bischof Hugo von Konstanz im Jahr 1513 die Heiligsprechung Notkers. Das Fest wird am 6. April gefeiert.

Ein vertrauter Freund Ratperts und Notkers war Tutilo, den man ob seiner glänzenden Geistesgaben als ein Universalgenie bezeichnet hat und der in den Urkunden des 10. und 11. Jahrhunderts ein Heiliger genannt wird.

Tutilos kühner Geist beherrschte alle Gebiete der Wissenschaft, und wie er auf dem Lehrstuhl durch sein Wissen die Schüler zur Bewunderung hinriss, so entzündete er auf der Kanzel, gleich mächtig der lateinischen wie der deutschen Sprache, durch sein bezauberndes Wort alle Herzen der Zuhörer.

Dieser Mönch war zugleich ein Meister der Malerei, ein hervorragender Bildhauer und ein berühmter Architekt. Bald wurde er nach Konstanz berufen, um für den Hauptaltar des Domes ein Kunstgemälde zu schaffen; bald weilte er in Geschäften seines Klosters zu Mainz; oder dann ist er im fernen Metz, wo er Bilder der Heiligen in erhabener Arbeit kunstvoll ausführt. Insbesondere erfüllte der Anblick seiner Marienbilder jedermann mit solcher Bewunderung, dass man behauptete, Maria selber habe bei seiner Arbeit die Zeichnung diktiert und den Meißel geführt.

Als er einst in der Stadt Metz das Bild der heiligen Jungfrau meißelte, verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, eine himmlisch glänzende Frau stehe an seiner Seite und unterrichte ihn bei seinem Kunstgeschäft. Kaum war das Gerede der Leute zu den Ohren des demütigen Mönches gedrungen, so verließ er alsbald die Stadt für immer. Das Bild aber war nach dem Bericht von Augenzeugen wie lebendig anzusehen.* [*In der Stiftsbibliothek werden noch heute zwei kostbare Elfenbeintafeln gezeigt, die von Tutilos Künstlerhand gearbeitet sind und den Einband des »Langen Evangeliums« bilden.]

Daneben war Tutilo imstande, die verschiedenen Musikinstrumente der damaligen Zeit zu spielen und den Söhnen der Adeligen darin Unterricht zu erteilen. Er bereicherte auch die kirchliche Tonkunst mit den Tropen, d.h. mit zierlichen aus Text und Melodie bestehenden Zusätzen, welche den Messgesängen einen besonders festlichen Charakter verliehen. Zu den seltenen Geistesgaben kam bei ihm eine außerordentliche Kraft und Größe des Körpers. Als er einst mitten in einem großen Wald von einigen bis an die Zähne bewaffneten Räubern angefallen wurde, stellte er sich ihnen mutig entgegen und sein feuriger Blick und die geballten Fäuste trieben die Unholde zu rascher Flucht. Kaiser Karl der Dicke machte sogar dem damaligen Abt von St. Gallen Vorwürfe, dass er einen solchen Haudegen an Körper und Geist in eine Kutte gesteckt habe. Tutilo starb nach 912.

Der herrliche Aufstieg von Schule und Abtei erlitt einen jähen Unterbruch durch zwei schwere Heimsuchungen, den Ungarneinfall und den Klosterbrand. Tüchtigen Äbten und hervorragenden Mönchen – darunter die Ekkeharde und Notkere – gelang es aber, eine nochmalige Blütezeit herbeizuführen.
Ekkehard I., während vielen Jahren Dekan des Klosters, war ein Schwestersohn der seligen Klausnerin Rachildis und ein Mitschüler des heiligen Ulrich. Bei Kaiser Otto I. und Papst Johannes XII. stand er in großer Achtung. Letzterer behielt ihn wegen seiner Gelehrsamkeit eine Zeit lang in Rom, besuchte ihn öfters während einer Krankheit und gab ihm kostbare Reliquien nach St. Gallen mit. Ein Freund der Armen und Notleidenden, duldete Ekkehard nicht, dass ein Spitaldiener einen betrügerischen Fremden übel behandelte. Dieser hatte die Gastfreundschaft des Klosters in Anspruch genommen und sich als lahm ausgegeben. Da bereitete man ihm nach damaliger Sitte ein heißes Bad; der Fremde rief in seiner Sprache caldo, caldo, d.h. warm, warm, der Diener aber meinte, das bedeute kalt, und goss immer heißeres Wasser zu, bis endlich der vermeintliche Lahme es nicht mehr aushielt und hurtig aus dem Bad sprang.

Ekkehard ist besonders berühmt geworden als Verfasser des Walthariliedes, das eine prächtige Sammlung deutscher Heldensagen und altgermanischen Reckentums – »nibelungischen Inhalt in virgilischem Gewand« – enthält. Ekkehard I., der im Jahr 973 starb, brachte vier Neffen ins Kloster, Ekkehard II. und III. sowie Purchart, den späteren Abt, und Notker Labeo.

Ekkehard II., der Höfling genannt, war ein stattlicher Mann, durch persönliche Gewandtheit, Beredsamkeit und Gelehrsamkeit ausgezeichnet. Mit Erlaubnis seines Abtes gab er auf dem Schloss Hohentwiel der Herzogin Hadwig, Gemahlin des schwäbischen Herzogs Burkard, Unterricht in der lateinischen Sprache und erklärte ihr den Dichter Virgil. Aus dieser Begebenheit hat Viktor Scheffel einen Roman gemacht, der in gewissen Punkten der geschichtlichen Wahrheit nicht entspricht. Durch Hadwig kam Ekkehard an den Hof Kaiser Ottos I., wo ihm die Erziehung Ottos II. und der Gottesdienst in der kaiserlichen Kapelle übertragen wurde. In dieser Stellung erwies er seinem Kloster gute Dienste beim Kaiser. Hernach wurde er Dompropst in Mainz und starb im Jahr 990.

Ekkehard III. begleitete seinen Vetter Ekkehard II. auf den Hohentwiel und unterrichtete daselbst die Kapläne der Herzogin Hadwig. Nachher war er dreißig Jahre lang Dekan in St. Gallen und bei seinen Mitbrüdern so beliebt, dass, als er starb, ein Mitbruder sich vor Schmerz über seinen Leichnam warf und ebenfalls verschied.

Notker der Arzt, ob seiner Strenge in der Klosterzucht auch Pfefferkorn genannt, war zugleich mit dem heiligen Ulrich von Notker dem Stammler erzogen worden und zeichnete sich in der Musik, Malerei, Schreibkunst und Arzneikunde aus. Otto I. hielt ihn als tüchtigen Arzt eine Zeit lang am kaiserlichen Hof. Im Alter verlor er das Augenlicht. Als am 14. August 972 Kaiser Otto I. von Italien her nach St. Gallen kam, erwies er Notker besondere Ehre und unterhielt sich aufs herzlichste mit ihm. Er und sein Sohn führten den Blinden sorglich an der Hand und nahmen neben ihm an der Tafel Platz, so dass dieser voll Rührung ausrief: »O ich glücklichster Blinder, der ich heute einen so hohen Führer habe!« Drei Jahre später starb er.

Als letzte Vertreter dieser ruhmvollen Epoche st. gallischen Geisteslebens erscheinen die zwei gefeierten Lehrer Notker Labeo und Ekkehard IV.

Notker Labeo, d.h. der Großlippige, war ein Universalgenie wie hundert Jahre vor ihm Tutilo und dabei ebenfalls ein Mann von ungewöhnlicher Tugend und Seelengröße. Vor seinem Tod legte er eine öffentliche Beichte ab, worin er als große Sünde bekannte, dass er einmal im klösterlichen Gewand einen Wolf getötet habe. Er verbat sich für seinen Körper das gebräuchliche Waschen nach dem Tod, weil er nicht wollte, dass man die seinen Leib umgürtende Bußkette entdecken sollte, befahl aber bei Annäherung der letzten Stunde, den Armen vor seinem Bett eine Mahlzeit zu geben, damit er die Augen in dem Vergnügen, die Hungrigen speisen zu sehen, schließen möchte.

Man nennt ihn Notker den Deutschen, weil ihm das Verdienst zukommt, die deutsche Sprache in der Literatur zu allgemeiner Bedeutung gebracht zu haben. Ildefons von Arx sagt von ihm: »Sein Name wird zu allen Zeiten denen, welche das Altdeutsche studieren, ehrwürdig sein.« Notker schloss in glänzender Weise die Epoche der althochdeutschen Literatur ab, deren bedeutendster Schriftsteller er war. Von ihm besitzen wir auch in deutscher Sprache die älteste Abhandlung über die Musik.

Von Freunden und Schülern tief betrauert, endete dieser heiligmäßige Mann sein Leben am 29. Juni 1022 infolge einer pestartigen Krankheit. Fast gleichzeitig starb in Italien sein Abt Purchart II., und innerhalb sechs Monaten folgten vier Klosterlehrer und mehrere andere Mönche den beiden ins Grab.

Notkers tüchtigster Schüler war Ekkehard IV. Nach dem Tod seines Lehrers wurde Ekkehard Vorsteher einer Schule in Mainz, wo er sich in der Musik und in der Schriftstellerei hervorragend betätigte, sowie auch das Waltharilied Ekkehards I. überarbeitete. Vom Kaiserhof reich beschenkt, kehrte er nach St. Gallen zurück und war noch drei Jahrzehnte lang unter Abt Nortpert in der Schule tätig. Während dieser Zeit verfasste er sein berühmtes Werk über die Geschichte des Mittelalters, das ihn als einen der besten und anmutigsten Erzähler erscheinen lässt. Mit seinem Tod um das Jahr 1060 sank der wissenschaftliche Ruhm St. Gallens auf Jahrhunderte ins Grab.


5. Kapitel

Heimsuchung, Niedergang, Tiefstand

Nach der glänzenden Regierung des Abtbischofs Salomon, der am 5. Januar 919 starb, brachen bald schwere Heimsuchungen über das Kloster St. Gallen herein.

Zunächst dauerte es über drei Jahre – ob wegen der äußeren Unruhen im Reich oder zufolge innerer Zwiste unter den Mönchen, ist unbekannt – bis wieder ein Abt gewählt wurde. Dieser hieß Hartmann und war ein guter Abt, voll treuer Sorge für die Mönche, für die Schule und das klösterliche Leben, aber, wie Ekkehard berichtet, weniger glücklich in der ökonomischen Verwaltung. Er starb schon nach drei Jahren und vier Monaten im September 925.

Auf ihn folgte Engilbert (925–933). Wenige Monate nach dessen Wahl brachen die Ungarn über das Land herein. Diese räuberischen Horden verbreiteten damals Furcht und Schrecken in halb Europa. Auf ihren flinken Rossen erschienen sie bald da bald dort und mordeten und plünderten, um ebenso rasch wieder zu verschwinden. Im Jahr 919 hatten sie Basel überfallen und in Brand gesteckt. Ursprünglich in der Gegend des Schwarzen Meeres ansässig, waren sie von da verdrängt worden und in die Donauebene vorgedrungen. Der Reichtum der deutschen Städte und Klöster sowie die vielen Kämpfe, in welche das Deutsche Reich verwickelt war, lockten sie zu immer neuen Einfällen. Ihrer raschen und beweglichen Kampfesweise konnten die schwerbewaffneten Deutschen lange Zeit nicht mit Erfolg begegnen. Erst in der Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg gelang es im Jahr 955 dem Kaiser Otto I. ihre furchtbare Macht zu brechen, wobei der heilige Ulrich, Bischof von Augsburg, kräftige Mithilfe leistete. Unter König Stephan dem Heiligen haben dann die Ungarn das Christentum angenommen und sind ein sesshaftes Volk geworden.

Abt Engilbert hatte auf die Kunde vom Herannahen der gefürchteten Reiter in vorsorglicher Weise einen befestigten Platz an der Sitter, die Waldburg, angelegt, wohin er sich mit seinen Mönchen und der waffenfähigen Mannschaft zurückzog. Greise, Frauen und Kinder wurden nach Wasserburg am Bodensee geschickt, die Bibliothek aber auf die Insel Reichenau geflüchtet. Am 1. Mai 926 erschienen die Ungarn vor dem Kloster St. Gallen, wo nur der halbverblödete Mönch Herribald zurückgeblieben war, mit dem sie ihre Späße trieben, ohne ihm aber ein Leid zuzufügen.

Nachdem sich die Ungarn bei einer üppigen Mahlzeit, bei Spiel und Wein gütlich getan, wurde ihnen von den ausgeschickten Spähern gemeldet, dass in der Nähe eine wohlbesetzte Festung liege. Diese sei schwer anzugreifen und wegen guter Verproviantierung nicht leicht auszuhungern. So beschlossen sie den Abzug und zündeten noch einige Häuser in der Nähe des Klosters an. Dieses selbst samt dem Bruder Herribald und einem Priester, den die Ungarn als Dolmetscher gefangengenommen hatten, blieben verschont. Die verwüstete Kirche wurde durch Bischof Noting von Konstanz wieder eingeweiht.

Das erlauchteste Opfer des Ungarneinfalls war die heilige Wiborada. Diese stammte aus dem vornehmen Geschlecht der Edlen von Altenklingen im Thurgau, verachtete aber schon als Kind weltlichen Glanz und ging zur Sommerszeit jeden Morgen barfuß nach der weitentlegenen Kirche, um der heiligen Messe beizuwohnen. Im Jahr 912 kam sie mit Bischof Salomon nach St. Gallen. In einem kleinen Häuschen bei St. Georgen brachte sie vier Jahre unter Bußübungen und anhaltendem Gebet zu. Darauf begehrte sie in einem Häuschen bei der St. Mangenkirche eingeschlossen zu werden, was zu jenen Zeiten gottinnige Seelen öfters zu tun pflegten. In dieser Klause brachte sie ein volles Jahrzehnt zu, mit Gebet und Werken der Nächstenliebe beschäftigt und von allem Volk hoch geehrt. Beim Herannahen der Ungarn wurde Wiborada aufgefordert zu fliehen. Doch sie wollte von einer Flucht nichts wissen. Die raublustigen Krieger legten dann Feuer an ihr Häuschen. Da aber die Flammen nicht anschlugen, stiegen die Verfolger auf das Dach, entfernten die Ziegel und versetzten der frommen Klausnerin mehrere Schwertstreiche. Sie starb am folgenden Morgen an den erhaltenen Wunden. Nach acht Tagen kehrten die geflohenen Mönche zurück und bestatteten den Leichnam der Jungfrau. Im Jahr 1047 wurde sie durch Papst Klemens II. heiliggesprochen. Ihr Fest fällt auf den 2. Mai. Zu Ehren der heiligen Wiborada entstand später das Klösterlein St. Georgen, welches bis zum Untergang der Abtei St. Gallen segensreich wirkte.

Abt Engilbert erwies sich als treuer Hüter klösterlicher Zucht und Ordnung; er suchte auch die Hungersnot, die sich allenthalben als Folge der Ungarneinfälle erhob, nach Kräften zu lindern und sorgte besonders für seine Klosterbrüder in väterlicher Weise.

Eine schlimmere Heimsuchung noch als den Ungarneinfall musste Abt Thieto (933–942) erfahren. Unter ihm ereignete sich der große Klosterbrand im Jahr 937.

Es war der 26. April, der Tag nach dem Fest des heiligen Markus. Einige Zöglinge der Klosterschule hatten sich so übel aufgeführt, dass sie nach damaliger strenger Sitte mit der Rute gezüchtigt werden sollten. Einer der Schuldigen wurde beauftragt, die auf dem Estrich befindlichen Ruten herunterzuholen. Um sich und seine Genoßen vor der Strafe zu schützen, ergriff er in Eile ein brennendes Scheit aus einem Ofen, sprang damit auf den Estrich, hielt es unter das dürre Dachgebälk und begann das Feuer anzublasen. Als der Schulaufseher ihm zurief, warum er so lange zögere, gab er zurück, es brenne im Haus, und wirklich hatten die dürren Schindeln Feuer gefasst. Der Nordwind strich darüber hin und fachte das Feuer noch mehr an. Glücklicherweise griff der Brand so langsam um sich, dass sämtliche Glocken, der ganze Kirchenschatz, die Reliquien und andere Kostbarkeiten gerettet werden konnten. Immerhin ging viel wertvolles Gut verloren; die goldenen Zieraten an den Kirchengewändern schmolzen, so dass das Gold tropfenweise aus der gesäuberten Asche hervorgesucht werden musste. Der vielbewunderte Bau Abt Gozberts war vernichtet, nachdem er wenig mehr als hundert Jahre gestanden hatte. Manches wurde noch geraubt und viele Bücher gestohlen. Welche Strafe den jugendlichen Bösewicht ereilte, ist in der Chronik nicht aufgezeichnet.

Verhängnisvoller als das Brandunglück war der Umstand, dass nachher Disziplin und Ordnung ins Wanken gerieten. Da weder Wohnungen noch Lebensmittel vorhanden waren, zerstreuten sich die Mönche zum Teil auf die verschiedenen Besitzungen des Klosters und gaben zu allerlei Gerede Anlass, andere warfen das klösterliche Gewand einfach weg.

Abt Thieto dankte ab und hatte seinen Halbbruder Kraloh (942–958) zum Nachfolger. Dieser erhielt 947 von Kaiser Otto I. das Zoll- und Münzrecht sowie die Befugnis, in Rorschach, wo immer viele nach und von Italien reisende Leute zusammenströmten, einen Markt zu errichten. Im Kloster suchte Kraloh die alte Zucht und Strenge wieder einzuführen, wobei er aber mit großer Härte vorging. Das brachte die Brüder so gegen ihn auf, dass er an den Kaiserhof flüchten musste.

Durch den heiligen Ulrich, Bischof von Augsburg, kam schließlich eine Aussöhnung zustande. Kraloh kehrte nach St. Gallen zurück. Er musste jedoch beständig eine Leibwache um sich haben, da ihm seine Feinde nach dem Leben trachteten. Auf einem Spazierritt nach Herisau, wo er sich öfters aufhielt, endete sein mühevolles Leben.

Während Kralohs Abwesenheit wurde im Jahr 953 Anno, durch gütiges, liebevolles Wesen dessen gerades Gegenstück, als Abt erkoren. Derselbe starb aber schon im 15. Monat der Regierung zum allgemeinen Leidwesen. Anno begann auf Grund eines Reichsgesetzes die um das Kloster entstandene Siedlung mit Türmen und Mauern zu befestigen und legte damit den Grund zur Stadt St. Gallen.

Nach dem Tod des gestrengen Kraloh wählten die Mönche den jungen Grafen Purchart I. zum Abt (959–971). Dieser war ein naher Verwandter des Kaiserhauses und schon als Kind einem Gelübde zufolge dem Kloster St. Gallen übergeben worden. Als ihn die Klostergeistlichen dem Kaiser vorstellten, äußerte sich Otto der Große unzufrieden darüber, dass sie einen so schwächlichen Jüngling und nicht vielmehr den tüchtigen Dekan Ekkehard I. zum Abt gemacht hätten. Erst als er vernahm, dass Ekkehard zuerst gewählt worden sei, aber wegen eines Beinbruchs abgelehnt habe, bestätigte er die Wahl Purcharts.

Die Abtei befand sich in einem traurigen Zustand. Zu den alten Wunden, welche der Ungarneinfall und die Feuersbrunst dem Kloster geschlagen hatten, kamen noch öfterer Misswachs und die Räubereien der Sarazenen. Letztere waren aus Spanien und Burgund bis in die Gebirgszüge der Ostschweiz vorgedrungen und fielen raubend und mordend über die erschreckte Bevölkerung her. Sie waren so verwegen, dass sie in St. Gallen von der Bernegg herab auf die Prozession, welche um die Stadt gehalten wurde, ihre scharfen Pfeile schossen. Aus Furcht vor diesen Räubern wagten die Leute nicht einmal mehr die Felder anzubauen. Nach langen Mühen gelang es endlich dem Dekan Waldo, sie auszukundschaften und einige von ihnen zu töten, die übrigen aber gefangen zu nehmen. In der Gefangenschaft weigerten sie sich jedoch hartnäckig, irgendeine Speise anzunehmen, und starben den Hungertod.

Die Wirtschaft der Abtei geriet in eine solche Zerrüttung, dass Purchart nach dem Römerzug, den er mit Kaiser Otto I. unternommen hatte, nicht mehr imstande war, die Klostergeistlichen zu ernähren, sondern ihnen erlauben musste, sich um ihre Bedürfnisse selber umzusehen. Im Jahr 967 bestätigte Papst Johann XIII. die Rechte und Freiheiten des Klosters.

Infolge eines Unfalls mit dem Pferd legte der Abt sein Amt nieder und zog sich in den »Winkel der Alten« zurück. Er hatte eifrig gewirkt und sich besonders gegen die Armen wie auch gegen seine Mitbrüder gütig erwiesen.

Purcharts Nachfolger Notker (971–975) vermochte trotz kurzer Regierungszeit das Kloster wirtschaftlich wieder in einen besseren Stand zu bringen. Unter ihm kehrte 972 Otto der Große auf der Rückreise aus Italien in St. Gallen ein. Bei diesem Anlass trat der Kaiser, um den Geist der Mönche zu prüfen, während des Vespergesangs unangemeldet mitten in den Chor und machte absichtlich Geräusch, indem er seinen Stock fallen ließ. Er war dann sehr erbaut, als sich keiner durch diesen Lärm in der Andacht stören ließ und er »keines einzigen Geistlichen Kopf noch Auge sich bewegen sah.«

Eine Kommission von angeblich acht Bischöfen und ebenso vielen Äbten vollzog im Auftrag des Kaisers 973 eine genaue Prüfung der klösterlichen Verhältnisse und erließ entsprechende Vorschriften. Diese Visitation stand im Zusammenhang mit den eifrigen Reformbestrebungen des Kaisers, der in allen Klöstern seines weiten Reiches die ursprüngliche Reinheit und Strenge der benediktinischen Ordensregel wieder herstellen wollte. Ein Abt Sandrat aus Trier, der zu diesem Zweck von Otto nach St. Gallen geschickt worden war, hatte nichts ausgerichtet, und der Kaiser betrachtete die St. Galler Mönche zwar als fromme und gelehrte Männer, nicht aber als genaue Beobachter der Ordenssatzungen.

Abt Notker vollendete den Bau der von Anno begonnenen Stadt- und Klostermauer und errichtete für die Söhne seiner Vasallen eine adelige Akademie. Sogar einen Zwinger für wilde, seltene Tiere, von denen er manche zähmte, ließ er bauen. An der Tafel mussten ihm nach dem Vorbild anderer hochgestellter Herren jener Zeit seine Edelknechte aufwarten. Der, welcher die Speisen auftrug, hieß Truchsess; jener, der die Getränke brachte, Schenk; daneben hatte der Marschall die Pferde zu besorgen und der Kämmerer wachte über Kleider und Einkünfte. Damit drang in die Klosterhallen ein Zug von Weltlichkeit ein, der sich später sehr unheilvoll auswirken sollte.

Streng und sorgsam wachte Notker über die klösterliche Disziplin, wie sie seit Abt Hartmut eingeführt war. Ungehorsame wurden öffentlich bestraft. Indessen ließ er seinen Mönchen sowie dem Hausgesinde, das aus 170 Leibeigenen bestand, auch mancherlei Freuden zukommen. Er erhielt den ehrenden Beinamen eines vortrefflichen Abtes.

Sein Nachfolger Immo (976–984) wandte eine Hauptsorge der Zierde des Gotteshauses zu. Er selbst und mehrere seiner Geistlichen waren kunsterfahrene Meister. Für den Hochaltar der unter seinen Vorgängern wieder notdürftig eingerichteten Münsterkirche fertigte Immo ein goldenes Altarblatt von hohem Wert; er ließ Messgewänder aus Purpur sticken, an denen die Stickerei biblische Geschichten darstellte und mit Gold und Edelsteinen besetzt war. Er bereicherte die Kirche mit so vielen Gefäßen und Paramenten, dass sich die Nachkommen wunderten, wo er all das Gold, die kostbaren Steine und den Purpur hergenommen habe. Er ließ die seit dem Brand noch nicht ganz hergestellte St. Otmarskirche mit Stuckaturen, Gold und Malereien ausschmücken und zierte die Wände des Münsters mit Darstellungen aus dem Leben des heiligen Gallus, so dass die Pracht der Gozbertkirche beinahe übertroffen wurde.

Die beiden Äbte Notker und Immo und ihr Nachfolger Ulrich I. (984–990) brachten die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse des Klosters wieder zur Blüte. Dagegen war Kerhart (990–1001) ein arger Verschleuderer des Klostervermögens und Verderber der Klosterzucht. Alles atmete auf, als dieser Abt nach elfjähriger Regierungszeit die Augen schloss.

Purchart II. (1001–1022), ein Neffe Ekkehards I., war als Knabe auf dem Hohentwiel gewesen, wo er die Herzogin Hadwig durch seine köstlichen Stegreifreime ergötzte. Abt Purchart machte wieder gut, was Kerhart verdorben hatte. In der klösterlichen Disziplin, in den Wissenschaften und im Verwaltungswesen erneuerte er die frühere Ordnung. Unter den Lehrern des Klosters glänzte damals besonders Notker, der Großlippige.

Mit Kaiser Heinrich dem Heiligen machte dieser Abt zwei Kriegszüge nach Italien mit; auf dem zweiten starb er an einer pestartigen Krankheit, die von den Soldaten auch nach St. Gallen heimgebracht wurde und hier viele Opfer forderte.

Unter Abt Thietpald (1022–1034) kam die Kaiserin Gisela nach St. Gallen und ließ sich sowie ihren Sohn Heinrich III. in die Zahl der mit dem Kloster Verbrüderten aufnehmen. Auch erbat sie vom Abt das Buch Job und die Psalmen, welche Notker Labeo in deutscher Sprache herausgegeben hatte. Die kaiserlichen Gäste machten der Abtei bedeutende Schenkungen.

Im Jahr 1034 trat Nortpert an die Spitze des Klosters, das er bis 1072 leitete. Seine Berufung ist ein deutliches Zeichen für die Erschlaffung der st. gallischen Klosterzucht. Er war kein St. Galler Mönch, sondern entstammte dem Kloster Stablo in den Niederlanden, das unter dem heiligen Abt Poppo eine führende Stellung in der Kluniazenser Klosterreform erlangt hatte. Kaiser Konrad II., voll Bewunderung für diese Reform, gab Abt Poppo die Vollmacht, allen Klöstern, die im Reich erledigt würden, aus seinem Gotteshaus Äbte vorzusetzen.

So kam Nortpert nach dem Tod Thietbalds mit einigen Mitbrüdern ins Kloster des heiligen Gallus, um hier die von Cluny in Frankreich ausgegangene und berühmt gewordene benediktinische Reform durchzuführen. Die ausländischen Mönche wurden jedoch mit großem Misstrauen betrachtet und mussten, Nortpert ausgenommen, bald wieder unverrichteter Dinge abziehen. Damit war ein entscheidender Wendepunkt zum Bessern verpasst, die so notwendige Reform abgelehnt und der Niedergang des Gallusklosters unaufhaltsam geworden.

Die Regierung Abt Nortperts erwies sich in manchem als eine gute; er sorgte gewissenhaft für die Mönche, erweiterte die Kirche und mehrte den Lebensunterhalt der Klosterfamilie. Auch gründete er im Jahr 1061 die Pfarrei Appenzell, die er mit beträchtlichen Einkünften ausstattete. Um die gleiche Zeit wurde eine Kapelle in Peterzell erbaut, aus der sich in der Folge Kloster und Pfarrei entwickelten.

Im Jahr 1040 besuchte Kaiser Heinrich III. St. Gallen und wurde sechs Jahre später von Abt Nortpert auf einem Italienerzug begleitet. Bei diesem Anlass erfolgte die Heiligsprechung der Klausnerin Wiborada.

Nortpert war der erste unter den kriegführenden st. gallischen Äbten. In jahrelanger Fehde suchte er gegenüber dem Bischof von Konstanz die Rechte der Abtei zu schützen.

Nach fast vierzigjähriger Regierung dankte Abt Nortpert ab, überlebte aber noch seinen Nachfolger Ulrich II., der schon nach vier Jahren starb.

Ulrich II. (1072–1076) hinterließ zufolge seiner Sparsamkeit eine günstige Finanzlage. Dann aber sank die Abtei unaufhaltsam tiefer und tiefer, bis von dem früheren Glanz kaum mehr ein Schatten übrig blieb. St. Gallen wurde ein freiherrliches Kloster, in welches bis zum Jahr 1418 nur noch Mönche aus adeligen Familie Zutritt fanden. Vadian nannte es darum eine Adelsherberge.

Nach Ulrichs II. Tod wurde St. Gallen in die schweren Kämpfe zwischen Papst Gregor VII. und Kaiser Heinrich IV. – den sogenannten Investiturstreit – hineingezogen. Dadurch wird der Übergang vom stillen, gelehrten Galluskloster, dem Sitz der Studien und des Gebets, zum geistlichen Fürstentum mit seinem Waffenlärm und seiner Weltlichkeit eingeleitet.

Der Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden hatte zum Nachfolger Ulrichs II. den Klostergeistlichen Lütold von Nellenburg ernannt, Heinrich IV. aber verdrängte diesen und setzte an seine Stelle einen Verwandten des Kaiserhauses, den sehr kriegerischen Ulrich III. von Eppenstein aus Kärnten (1077–1121). Abt Ulrich vertrat im südlichen Schwaben fast allein die Sache Heinrichs IV. gegen die Kiburger, Toggenburger, Bregenzer und Nellenburger Grafen. Auch der Bischof von Konstanz und der Reichenauer Abt standen gegen Ulrich. Dieser hatte daher einen aufreibenden Kampf gegen die vielfache Übermacht zu führen, gewann aber trotzdem große militärische Erfolge.

Abt Ekkehard von Reichenau ließ sogar auf der Bernegg oberhalb St. Gallen eine feste Burg mit doppeltem Graben aufführen und legte eine Besatzung hinein. Ulrich erstürmte jedoch die Trutzburg und machte sie dem Erdboden gleich.

Wiederholt besetzten die Feinde das Kloster St. Gallen, plünderten es und zerstörten die Pfalz. Das ganze Land litt schrecklich; vom Bodensee bis zum Alpstein blieb keine Ortschaft von Raub und Brand verschont; der Kirchenschatz wurde veräußert.

Für die vielen dem Kaiser geleisteten Dienste erlangte Ulrich von diesem im Jahr 1086 die Würde eines Patriarchen von Aquileja. Er behielt zwar die Abtei St. Gallen bei, musste aber doch oft abwesend sein, so dass allmählich wieder ruhigere Zeiten im St. Gallischen einzogen.

Abt Ulrich erbaute eine Kirche in St. Fiden und bestimmte zwei Chorherren für den Dienst an derselben. Auch soll er die Reliquien der hl. Fides aus Conques in Aquitanien nach St. Gallen gebracht haben. Er starb 1121 in Aquileja.

Neuer Wirrwarr entstand nach seinem Tod, da wieder zwei Äbte sich um das Kloster stritten, Heinrich von Twiel und Manegold von Mammern. Heinrich musste aber bald zurücktreten und Manegold konnte sich bis zum Jahr 1133 im Besitz der Abtei behaupten.

Von 1133–1167 stand an der Spitze des Klosters der tüchtige Werinher, der in friedlicher Wahl zum Abt erkoren wurde. Seine Bemühungen um eine bessere Zucht und Ordnung stießen bei den Mönchen auf großen Widerstand. Er mehrte den Besitz des Klosters, erneuerte mit der Reichenau die einstige Gebetsverbrüderung und gründete im Westen der Stadt St. Gallen die Kirche und Propstei St. Leonhard mit einer Propst- und zwei Chorherrenpfründen. Auch Ittingen, die spätere Kartause, brachte er an das Stift. Papst Innozenz II. bestätigte 1139 dem Kloster seinen Besitz, sowie die früher von Päpsten erhaltenen Freiheiten und Privilegien. Werinher bekam Anstände mit den Dienstmannen des Klosters wegen »ihrer Unverschämtheit«.

Um die auf dem Kloster liegende Schuldenlast zu tilgen, verkaufte dieser Abt die Schirmvogtei für 300 Silbermark an den Grafen Rudolf von Pfullendorf, der sie bei seinem Aufbruch nach Palästina 1180 an Kaiser Friedrich I. abtrat. Die Schirmvogtei wurde damit zur Reichsvogtei, mit der nun auch die hohe Gerichtsbarkeit über die Klosteruntertanen verbunden war.

Ulrich IV. von Tegerfeld (1167–1199), während einigen Jahren auch Bischof von Chur, sorgte für die Klosterzucht und war gütig gegen Arme, Witwen und Waisen. Ebenso bedachte er die verschiedenen Siedlungen frommer Frauen mit Geschenken und Vergabungen.

Sein Nachfolger Ulrich V., Graf von Veringen, war nur 49 Wochen Abt, machte aber in dieser kurzen Zeit große Schulden, während Heinrich I. von Klingen (1200–1204) die finanzielle Lage wieder ordnete. Bei Heinrichs Wahl wird die Zustimmung der Klosterbeamten (Vasallen) und des Volkes erwähnt, ein Zeichen, dass das Laienelement immer mehr Einfluss erlangte.

Der Niedergang des Klosters und die vielen Kämpfe, in die es verwickelt wurde, boten dem Dienstadel willkommene Gelegenheit, seine Macht zu vergrößern und sich in die inneren Verhältnisse der Abtei, namentlich bei Wahlen, einzumischen. Ja, diese Dienstmannen rissen sogar die Klostergüter an sich und machten sie erblich.

Das gemeinsame Klosterleben zerfiel. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts schon bewohnte jeder Konventherr sein eigenes Haus. Der Hof- und Militärdienst der Äbte, verbunden mit der immer höher steigenden sozialen Stellung der Ministerialen oder Vasallen zwang zur Ausleihe der Benefizien, wodurch die wirtschaftliche Kraft des Klosters schwere Stöße erlitt. Waffenlärm und weltliches Treiben zog in die heiligen Hallen ein, Wissenschaftspflege und Gottesdienst aber musste aus ihnen weichen. Eifrigere Mönche verließen deshalb öfters St. Gallen und schlossen sich den Orden der Franziskaner, Dominikaner oder Zisterzienser an.

Im Jahr 1207 erscheint zum ersten Mal der Titel Fürstabt für den Vorsteher des Klosters. Diese neue Benennung bringt den Wechsel der Dinge deutlich zum Ausdruck. Die alte Gallusstiftung ist vollends zum geistlichen Fürstentum geworden. Auch die Konventualen nannten sich nicht mehr Brüder, sondern Herren. Da sie der Wissenschaft unkundig waren, beriefen sie einen Fremden als Schulmeister oder Magister, übertrugen die Seelsorge an Weltgeistliche, hoben den Pfarrgottesdienst in der Klosterkirche auf und verlegten denselben in die St. Laurenzenkirche. Für die Besorgung der Reisenden und Kranken im Klosterspital stellen sie Laienbrüder an. Nach und nach wurde auch der gemeinschaftliche Tisch mit seiner einfachen Nahrung aufgegeben.

Um sich vom Chordienst ebenfalls frei zu machen, zogen die adeligen Mönche Weltgeistliche, so die Leutpriester von St. Mangen, St. Laurenzen und St. Leonhard, zu den religiösen Feierlichkeiten im Münster heran. Von der einstigen Blüte des Klosters St. Gallen blieb in diesen traurigen Zeiten nur noch die Erinnerung zurück. Immerhin gab es einzelne Mönche, die trotz des großen Verfalls der Abtei noch einiges schrieben und die Hauschronik fortsetzten. Es sind das Burkard, Konrad von Pfäfers und Ekkehard V. Dann aber führte ein Laie, Christian Kuchimeister, aus einem der ersten städtischen Geschlechter, die Chronik in deutscher Sprache weiter.

Vom Jahr 1204 – 1220 regierte Ulrich VI. aus dem mächtigen Grafengeschlecht der Edlen von Sax, ein tatkräftiger, kriegslustiger, weitblickender Abt. Sein Oheim, Heinrich von Sax, war Dekan des Klosters und ein tüchtiger Bauherr. Dieser ließ den gewaltigen Münsterturm aufführen, der erst im Jahr 1760 beim Neubau der Klosterkirche abgebrochen wurde. 80 Ochsen und die Arbeit von 500 Mann waren notwendig, um den Grundstein dieses Turms an Ort und Stelle zu schaffen. Der Turm war aus großen behauenen Quadersteinen errichtet und mit einem kupferbeschlagenen Überbau aus Holz gedeckt.

Heinrich von Sax zog seinen vielversprechenden Neffen Ulrich nach St. Gallen und unterrichtete ihn da in den Wissenschaften, sandte ihn dann nach Paris und Bologna, wo die Gottes- und Rechtsgelehrsamkeit von berühmten Professoren vorgetragen wurde, und ebnete ihm endlich den Weg zur Abtwürde.

Ulrich VI. verwickelte sich in einen schweren Streit mit dem Bischof Werner von Konstanz. Unweit der Kräzern auf dem Breitfeld fand im Jahr 1209 die entscheidende Schlacht zwischen den Äbtischen und den Bischöflichen statt, wobei Ulrich eine blutige Niederlage erlitt. An der Stelle, wo ein Teil der Gefallenen begraben wurde, steht noch heute die St. Barbarakapelle.

Im Jahr 1212 an griff Abt Ulrich immer mehr in die Reichspolitik ein. Auf die Nachricht, dass Friedrich II. aus Italien in Chur angekommen sei, eilte er mit starker Truppenmacht dem Kaiser entgegen, führte ihn nach St. Gallen und begleitete ihn von da nach Konstanz und Basel. Zum Dank hierfür machte ihn Kaiser Friedrich zu seinem Staatsrat und sandte ihn zweimal in wichtigen Angelegenheiten nach Rom. Papst Innozenz III. und sein Nachfolger Honorius II. waren dem Abt sehr gewogen und gaben ihm das Recht, Ring und Mitra zu gebrauchen.

In St. Gallen stellte Ulrich VI. die klösterliche Ordnung wieder einigermaßen her und wandte auch dem wissenschaftlichen Leben seine Sorge zu. Er übte den edlen Brauch, arme Wöchnerinnen vierzig Tage lang mit allem Notwendigen versehen zu lassen.

Als er sich zu einem dritten Römerzug rüstete, befiel ihn ein Fieber, das rasch seinen Tod herbeiführte. Dieses frühzeitige Ableben und den schweren Todeskampf sah man für eine Strafe an wegen des vielen Kriegführens. Der Sterbende selbst stellte seinen Mitbrüdern den Tod dar als ein Beispiel der Hinfälligkeit aller irdischen Dinge.

Rudolf von Güttingen (1220–1226) ahmte seinen Vorgänger darin nach, dass er die Klostergüter zum Besten der Verwandten hingab und dadurch die Abtei in Schulden stürzte. Durch reiche Geldspenden gelang es ihm auch, Bischof von Chur zu werden. Im Jahr 1225 kam Kardinal Konrad von Urach nach St. Gallen und predigte einen Kreuzzug. Eine Anzahl adeliger Herren folgten dem Ruf und zogen mit dem Kardinal und dem Abtbischof Rudolf nach Italien, wo letzterer und die meisten aus seinem Gefolge starben. In der Laterankirche fand Rudolf seine letzte Ruhestätte.

In großer Eile und Heimlichkeit, um einer Einmischung der adeligen Dienstmannen zuvorzukommen, wählten darauf die Kapitularen Konrad I. von Bussnang (1226–1239) zum Abt. Dieser war einer der hervorragendsten politischen Äbte St. Gallens und ein Mann, dem der Panzer besser stand als die Kutte. Bei Kaiser und Papst erfreute er sich hoher Gunst. Als Graf Diethelm von Toggenburg das Verbrechen des Brudermordes beging, tröstete Abt Konrad die schwergeprüften Eltern, ließ den ermordeten Grafen Friedrich ehrenvoll in St. Gallen bestatten und trat dem Brudermörder mit bewaffneter Macht entgegen. Zum Dank für diesen Edelmut übergab der Vater des Ermordeten die Stadt Wil nebst andern Besitzungen der Abtei St. Gallen.

Konrad unterhielt beständig ein kleines Heer von Reitern, Bogenschützen und Kriegsknechten, die immer marschfertig sein mussten. Die Freigebigkeit gegen seine Ritter trieb er bis zur Verschwendung. Bei einem Ritt von St. Gallen nach Konstanz verteilte er einmal 1100 Mark unter sie, da er versprochen hatte, solches zu geben, falls sie dessen würdig wären. Dem Edlen von Bodman, der ihm auf die Kunde von diesem Versprechen in gestrecktem Galopp nachgerannt war, ließ er auf der Rheinbrücke noch vierzig Mark auszahlen.

Als die Toggenburger in seiner Abwesenheit einen Einfall ins Stiftsgebiet unternahmen, sagte er zu Kaiser Friedrich II.: »Es ist nit groß Wunder, ob die Müs zu dem Herd gand, so die Katz davon kommt.« Lachend erwiderte der Kaiser: »Varent hin und verjagent die Müs.« Dann eilte Konrad nach Hause und erstürmte rasch die starkbefestigte Alttoggenburg.

Trotz seiner vielen politischen Unternehmungen und der unangebrachten Freigebigkeit hatte Abt Konrad doch immer Geld genug und hinterließ bei seinem Tod noch eine ansehnliche Summe für gute Zwecke; denn er war auch ein tüchtiger Finanzmann und umsichtiger Verwalter. Dabei kam er aber durch seine harten Steuern in Konflikt mit den Bürgern der Stadt St. Gallen, mit den Gotteshausleuten und den Herren von Rorschach. Für kirchliche Bedürfnisse hatte Konrad stets eine offene Hand.

Als Reichsfürst weilte er öfters am Hof König Heinrichs VII., der in Deutschland für seinen Vater Kaiser Friedrich II. die Regentschaft führte. Den großen Einfluss auf Heinrich benützte der Abt in gutem Sinne. Er suchte den Herrscher von einem Bruch mit dem kaiserlichen Vater zurückzuhalten; er riet ihm von seiner beabsichtigten Ehescheidung ab und verhalf auch der von ihren Verwandten verstoßenen Gräfin Elisabeth von Thüringen wieder zu ihren Gütern. Er hatte dieser heiligen Fürstin versprochen, er werde ihr Fürsprecher auf der Erde sein, wenn sie seine Fürsprecherin bei Gott sein wolle. Nach ihrer Heiligsprechung im Jahr 1235 baute er zu ihrer Ehre eine Kapelle und einen Altar in St. Gallen.

Seine Grabstätte erhielt der herrschgewaltige Abt im Zisterzienserstift Salem, mit dem er freundliche Beziehungen unterhalten hatte.

Konrads Nachfolger, Walter von Trauchburg (1239–1244), war ein gutmütiger Mann, der gerne in behaglicher Ruhe lebte und dabei viele Besitzungen des Klosters verlorengehen ließ. Als er gegen den Grafen Kraft I. von Toggenburg, der in einer dunkeln Nacht die Stadt Wil eingenommen hatte, zum Krieg rüsten musste, ritt er eines Tages nach Konstanz, legte die Abtwürde nieder und wurde Dominikaner.

Mit starker Hand führte nun Berchtold von Falkenstein aus dem Schwarzwald mehr als 27 Jahre (1244–1272) die Regierung. Dieser gewaltige Soldatenabt passte trefflich in jene wilde Zeit der Raufereien und des Faustrechts. In zahlreichen Fehden mit den Grafen von Toggenburg, mit dem Bischof von Konstanz und mit anderen Herren wusste Berchtold das Gebiet der Abtei St. Gallen so zu erweitern, dass er nebst dem Bischof von Konstanz der mächtigste Fürst in Süddeutschland wurde und vom Zürichsee bis zur Donau gebot. Er hielt auch die Ministerialen oder Dienstleute des Klosters, deren Macht und Einfluss der Abtei immer gefährlicher wurde, fest im Zügel.

Berchtold wandte sich von der hohenstaufischen Politik seiner Vorgänger ab und schwenkte zur päpstlichen über. An der Seite des Gegenkönigs Heinrich von Thüringen kämpfte er gegen die Anhänger Friedrichs II. und ließ sogar wider den im Bann befindlichen Kaiser im Jahr 1246 einen Kreuzzug predigen. Dafür erwies ihm Papst Innozenz IV. großes Wohlwollen, übergab ihm die Abtei Rheinau und verlieh ihm verschiedene, den Bischöfen zukommende Vorrechte. Mit Wohlgefalle sah der Papst den Rittersinn und die Prachtliebe im zahlreichen Gefolge des Abtes; insbesondere rechnete er es ihm zur Ehre an, als Berchtold alle seine Ritter in die seidenen Stoffe kleidete, die er vom Papst zum Geschenk erhalten, und in den Scharlach, den er dazu gekauft hatte. Später nahm Berchtold Partei für den letzten Hohenstaufer Konradin, der im September 1262 persönlich nach St. Gallen kam und hier mit großen Ehren empfangen wurde.

Jedes Jahr pflegte der fehdelustige Abt an seinem glänzenden Hof eine Zusammenkunft von Edelleuten zu veranstalten; so hielt er im Jahr 1269 eine solche von 900 Rittern, wobei Turniere, Feste aller Art und prunkvolle Gastgelage stattfanden und zahlreiche Edelknaben zu Rittern geschlagen wurden. Mit Graf Rudolf von Habsburg, dem späteren König, schloss er nach anfänglicher Fehde Freundschaft und half ihm zur Vergrößerung seiner Hausmacht.

Dem Konvent war Abt Berchtold ein strenger Herr und ging selbst gegen nahestehende Kapitularen unnachsichtig vor. Ihre Zahl war allerdings nur noch klein und vom gemeinsamen Leben nicht mehr die Rede. Für sich und seine Eltern und Geschwister stiftete Berchtold Jahrzeiten. Im Testament gedachte er vieler armer Klöster und wohltätiger Anstalten, wie er schon zu Lebzeiten manchen derselben, z.B. Magdenau, Feldbach, Töss, Tänikon und Wurmsbach ein großer Wohltäter war. Zu Weihnachten des Jahres 1271 feierte der Falkensteiner auf Schloss Rosenberg bei Herisau mit 70 Rittern und Sängern noch ein fröhliches Fest, auf der Rückkehr nach St. Gallen erlitt er bei der Sitterbrücke einen Schwächeanfall. Der berühmteste Arzt in Schwaben, Meister Michel, erklärte das Übel, eine eiternde Wunde, für unheilbar. Die Wunde verbreitete einen so unerträglichen Geruch, dass dem bisher fast allmächtigen Mann nur noch ein paar arme Leute dienen wollten. Man hielt diese ungewöhnliche Krankheit für eine Strafe Gottes, die er sich durch Bedrückung des Volkes zugezogen habe. Der Kranke aber beteuerte, dass er alles zum Schutz des Landes habe tun müssen. Während der Krankheit legte er Rechenschaft ab über den Zustand der Abtei. Dieselbe stand politisch mächtiger da als je. Endlich nach sechsmonatigen qualvollen Leiden starb Berchtold am 10. Juni 1272. In eine Bettdecke gehüllt, schleppte man den Toten die Stiege hinunter und begrub ihn so schnell wie möglich. Zum Trauergottesdienst erschien fast niemand, dagegen jubelten die Appenzeller durch die Stadt St. Gallen, dass ihr Bedränger gestorben sei.

In der letzten Regierungszeit Berchtolds traten die Gotteshausleute zu einem Geheimbund zusammen, der alle Stiftsuntertanen von Grüningen (Zürich) bis Wangen im Allgäu umfasste und den gemeinsamen Schutz gegen das scharfe Regiment des Abtes zum Zweck hatte.

Nach dem Tod Berchtolds wurden zwei Äbte gewählt, Heinrich von Wartenberg (1272–1274), der einen schlechten sittlichen Ruf hatte, und Ulrich VII. von Güttingen (1272–1277). Erbitterte Kämpfe zwischen den beiden Parteien waren die Folge dieser zwiespältigen Wahl.

Um sich die Bürger von St. Gallen geneigt zu machen, verlieh Ulrich der Stadt eine Handfeste, d.i. ihren ältesten Freiheitsbrief. Die von Abt Berchtold gesammelten Ersparnisse zehrte er auf und versetzte sogar die Kirchenzierden und kostbaren Kelche, so dass man für den Gottesdienst im Münster jedes Mal einen Kelch entlehnen musste. Zuletzt rief er den mächtigen Grafen Rudolf von Habsburg wider seine Gegner zu Hilfe und übergab ihm die Schirmvogtei über das Stiftsgebiet, welche der kluge Graf aufs Beste zum eigenen Vorteil auszunützen verstand. Rudolfs Untervogt, der gewalttätige Ulrich von Ramschwag, ein Dienstmann des Klosters, quälte das Volk mit unerhörter Strenge.

Die Erbitterung gegen Abt Ulrich von Güttingen wurde so groß, dass die Anhänger Heinrichs von Wartenberg nach des letzteren Tod mit Umgehung Ulrichs den Dekan Rumo von Ramstein (1274), (1277–1281) zum Abt wählten, was zu neuen schweren Kämpfen Anlass gab. Die Schulden des Klosters wuchsen dadurch ins Unerträgliche, von allen Seiten borgte Abt Rumo Geld; er hatte nicht einmal die Mittel, um das Kirchendach zu unterhalten; in Kirche und Kapellen drang der Regen ein, weshalb kein Gottesdienst mehr gehalten werden konnte. Schließlich dankte der unfähige, sogar des Schreibens unkundige Rumo im Jahr 1281 ab.

Zu seinem Nachfolger ernannten die elf Kapitularen den willensstarken, kriegerischen Wilhelm von Montfort (1281–1301), der einem mächtigen Adelsgeschlecht der Ostschweiz angehörte. Der neue Abt war entschlossen, die große Schuldenlast zu tilgen und eine bessere Ordnung im Kloster einzuführen. Zu vermehrter Sparsamkeit verlegte er seinen Wohnsitz auf das Schloss Rappenstein im Martinstobel und später mit nur wenigen Bedienten nach Verona in Italien. Auch drang er darauf, dass die Klosterherren die Priesterweihe empfangen, um sie dadurch an ein geordnetes Leben zu gewöhnen.

Bald wurde Wilhelm, über dessen Leben ein tragisches Geschick waltete, in jahrelange heftige Kämpfe mit dem König Rudolf von Habsburg hineingerissen. Rudolf ließ mitten in den st. gallischen Besitzungen das Städtchen Schwarzenbach erbauen und mit Leuten der Abtei bevölkern. Er brachte es sogar dazu, dass der Abt im Jahr 1288 mit dem Kirchenbann belegt und seiner Abtei verlustig erklärt wurde. Darauf führte der König einen Gegenabt, Konrad von Gundelfingen (1288–1291), in St. Gallen ein, durch den er in den Stiftslanden frei schalten und walten konnte. Wie ein gehetztes Wild musste der abgesetzte Fürstabt von Ort zu Ort fliehen, bis er in Alt Aspermont ob Maienfeld auf dem Schloss eines Bruders Ruhe und Sicherheit fand.

Da flog die Kunde vom Ableben König Rudolfs durch die Lande und Wilhelm eilte nach St. Gallen zurück, wo er mit Jubel empfangen wurde. Zum Dank für ihre Treue bestätigte er der Stadt die ihr von Ulrich VII. verliehene Handfeste in aller Form und legte damit den Grund zur allmählichen Loslösung der Stadt vom Kloster.

Zwischen den Söhnen König Rudolfs von Habsburg und deren zahlreichen Gegnern entbrannten neue Kämpfe, während denen auch die Stadt Wil verbrannt wurde und ihre Bürger nach Schwarzenbach übersiedelten. Wilhelm von Montfort schloss sich eng an König Adolf von Nassau an, der ihm dafür die st. gallische Schirmvogtei samt all ihren Rechten und Einkünften verpfändete. Mit einem St. Galler Fähnlein kämpfte Wilhelm heldenmütig an der Seite Adolfs in der Schlacht bei Göllheim, wo der König am 2. Juli 1298 Sieg und Leben verlor. Diese Niederlage war ein neuer schwerer Schlag für den unglücklichen Abt. Er geriet in Gefangenschaft und musste den österreichischen Herzog Albrecht, König Rudolfs Sohn, um Gnade anflehen. Ärmer als je zog er mit seinen Rittern nach Hause und sah sich genötigt, auf dem Weg Unterhalt und Kleider zu erbetteln.

Durch einen Vergleich mit dem inzwischen zum König erhobenen Albrecht erlangte dann die Abtei St. Gallen, dass das Städtchen Schwarzenbach abgebrochen wurde und dessen Bewohner nach Wil zurückkehren durften, woselbst sie ihre Häuser samt den Ringmauern auf der alten Brandstätte innert Jahresfrist wieder aufbauten.

Wilhelm von Montfort erlebte aber diese Wendung der Dinge nicht mehr; eine kurze Krankheit raffte ihn unversehen mit den Sterbesakramenten am 11. Oktober 1301 hinweg. Er wurde in der »dunkeln Kapelle« (heute Herz-Jesu-Kapelle) begraben.

In dieser trüben Zeit, wo Faustrecht und Krieg das Land mit Schrecken erfüllten, bot die Abtei St. Gallen ein klägliches Bild dar. Vom Geist des Benediktinerordens war kaum mehr eine Spur zu finden. Im Jahr 1328 nannte sich der Konventuale Berchtold von Falkenstein ausdrücklich »Korherre zu sant Gallen«. Den adeligen Mönchen galt ihr Beruf als bloße Versorgung. Sie machten kein Noviziat und keine Profess und empfingen in der Regel nicht einmal die Priesterweihe. Ihre Unwissenheit war so groß, dass der Gegenabt Konrad im Jahr 1291 urkundlich bestätigte, nicht schreiben zu können. In einer andern Urkunde vom Jahr 1297 erklären Rumo, der gewesene Abt, der Propst, der Kämmerer und andere Mönche ebenfalls, dass sie des Schreibens unkundig seien.

Da die Äbte als Reichsfürsten gezwungen waren, oft am Hof zu erscheinen und dem Kaiser auch Kriegsvolk zu stellen, mussten sie stets eine Truppenmacht unterhalten, was große Kosten verursachte und leicht zu Fehden Anlass bot. Auch geriet die Abtei dadurch in völlige Abhängigkeit von ihren Dienstleuten und Edelknechten, ohne deren Einverständnis nichts Wichtiges mehr getan werden konnte. Abt Wilhelm nannte sie sogar die Fürsten seines Gotteshauses.

In Gesellschaft dieser Ritter brachten die kriegerischen Äbte auf den verschiedenen Schlössern oder auf den Pfalzen zu St. Gallen und Wil oder auch im Feld ihr Leben zu. Gesang und Dichtkunst, die damals an den Höfen der Fürsten und in mancher Burg des benachbarten Thur- und Rheingaus in Blüte standen, wurden auch von den Äbten gepflegt. Dieser vornehme Hofstaat war so kostspielig, dass man es als Ersparnis ansah, wenn die Äbte mit einem mäßigen Gefolge nach Frankreich oder Italien reisten und dort in einer Stadt Aufenthalt nahmen. Außerhalb des Klosters, besonders am kaiserlichen Hof, gingen sie in weltlichen Kleidern.

Unter den Edelleuten oder Vasallen des Stifts standen jene voran, deren Väter ehedem die Person des Abtes bedient hatten. Ihre Verrichtungen waren allmählich zu Erbämtern geworden, die in der Regel vom Vater auf den Sohn übergingen. Die Edlen von Singenberg waren Truchsesse, die von Landegg Schenken, die von Falkenstein Marschälle, die Gielen Kämmerer. Beim Tod eines Abtes nahm der Marschall das beste Pferd, der Schenk alle angestochenen Weine, der Truchsess alles Schweinefleisch und der Kämmerer das Bett des Verstorbenen. Als die Prachtliebe und Weltlichkeit der Äbte immer größer wurde, wollten sie bei feierlichen Anlässen, besonders am Hoflager, sogar von Gliedern des hohen Adels bedient sein, so den Herzogen von Schwaben, von Teck, den Freiherren von Regensberg, den Edlen von Zollern, denen sie als Entgelt beträchtliche Gefälle und Lehen zuhielten. Nebst diesen Erbämtern, wie sie damals an den Fürstenhöfen zum guten Ton gehörten, gab es noch eine große Anzahl niederer Angestellten für den prunkvollen Haus- und Hofhalt.

Man darf allerdings nicht übersehen, dass die Gallusstiftung ohne den kriegerischen Mut dieser Äbte und ohne die politischen Talente eines Konrad von Bussnang oder Berchtold von Falkenstein in jenen Zeiten der Fehdelust und des Faustrechts wahrscheinlich untergegangen und eine Beute ihrer lüsternen Nachbarn geworden wäre.

Schlimmer noch als das 13. Jahrhundert sollte sich das 14. für die Abtei gestalten. Es war die Zeit, wo Rittertum und Adel von ihrer Höhe herabsanken und an deren Stelle die jungen Staatsgebilde der Städte und der bäuerlichen Gemeinden zu ungeahnter Macht emporstiegen; jene Zeit, wo die drei Waldstätte den Schweizerbund gründeten, und wo auch die Stadt St. Gallen im Verein mit den Appenzellern und Gotteshausleuten stürmisch nach größeren Freiheiten verlangte.

Die Regierung Heinrichs II. von Ramstein, welcher dem Kloster von 1301–1318 vorstand, war eine unglückliche. Um die gewaltige Schuldenlast zu beheben, bürdete Heinrich seinen Untergebenen immer neue Steuern auf, wodurch allgemeine Erbitterung entstand. Ein furchtbares Brandunglück legte zudem am 20. Oktober 1314 die ganze Stadt St. Gallen bis auf sechs Häuser sowie das Kloster samt dem Münster in Asche. Schrecken und Schaden waren so groß, dass man fast daran zweifelte, ob sich die Stadt je wieder aus ihrem Schutt erheben könne.

Der hochbetagte Abt erlag beinahe dem Kummer, raffte sich dann aber auf, um zu retten, was noch zu retten war. An einen Neubau der Münsterkirche durfte man bei den beschränkten Geldmitteln nicht denken. So wollte man nur ein neues Dach auf die ausgebrannten Mauern legen. Baumeister waren der Propst Heinrich von Lupfen und Konrad Kuchimeister von St. Gallen. Ein Fachmann aus Ravensburg führte die Arbeiten aus. Als er aber das neue Dach auf die durch zweimaligen Brand geschwächten Mauern legte, stürzte ein Teil derselben ein. Sie mussten neu aufgeführt und das Dach mit starken Balken untersperrt werden. So war der Bau an Schönheit und Dauerhaftigkeit dem früheren nicht vergleichbar.

Hiltbold von Werstein regierte 1318–1329. Er war ein gutmütiger Mann, der seine Hofbeamten schalten ließ und dessen Ohnmacht die Dienstmannen des Klosters zu ihren Gunsten ausnützten. Durch einen Schlaganfall verlor er die geistigen Fähigkeiten, so dass man ihn unter Vormundschaft stellen musste.

Von den nur fünf Kapitularen, die nach Hiltbolds Tod noch blieben, wurden zwei Äbte gewählt, wodurch wieder schwere Streitigkeiten entstanden, bis Papst Johannes XXII. den Konstanzer Bischof Rudolf II. von Montfort (1330–1333) zum Pfleger bestellte.

Schon nach drei Jahren jedoch musste Rudolf von diesem Amt zurücktreten, da der gleiche Papst über ihn wegen seiner Stellungnahme für Kaiser Ludwig den Bayern den Kirchenbann aussprach und dem Einsiedler Konventualen Hermann von Bonstetten (1333–1360) die Abtwürde verlieh. Am guten Willen, der zerrütteten Abtei aufzuhelfen, fehlte es dem neuen Abt nicht; er wurde aber in verschiedene Fehden verwickelt und konnte das weitere Ansteigen der Schuldenlast nicht hindern. Der vornehme Haushalt verschlang ebenfalls große Summen, die der Abt durch mancherlei Veräußerungen klösterlichen Gutes zu beschaffen suchte. Bei der Stadt St. Gallen und den Gotteshausleuten war Hermann wegen seiner Nachsicht und Gutherzigkeit wohl gelitten, besonders zu Beginn seiner Regierung. Er bestätigte der Stadt im Jahr 1334 die alte Handfeste.

Eine furchtbare Heimsuchung brachte um die Mitte des Jahrhunderts der Schwarze Tod, der durch ganz Europa wütete und dem auch in St. Gallen so viele Menschen erlagen, dass die Abtei keine Leute mehr finden konnte, um die Güter und Höfe zu bebauen.

Kaiser Karl IV. stattete im Jahr 1353 dem ihm treu ergebenen Abt einen Besuch ab, wobei aber der auf Sammlung von Heiligenreliquien erpichte Herrscher das Haupt des heiligen Otmar nebst andern Reliquien nach Prag fortführte. Alle Bemühungen, dieselben für St. Gallen zurückzugewinnen, waren in der Folge vergeblich.

Beim Tod Hermanns von Bonstetten lebten im Kloster noch sechs Kapitularen, die ihren Mitbruder Georg von Wildenstein (Wartenberg) (1360–1379) zum Abt erwählten. Mit aller Kraft bemühte sich Georg, den Haushalt des Stifts in guten Stand zu setzen und die Steuern und Abgaben wieder einzubringen, wie auch die Rechte auf das Stadtgebiet neu zu festigen. In dem großen Gegensatz, der sich zwischen Österreich und der jungen achtörtigen Eidgenossenschaft aufgetan hatte, nahm er für Österreich Partei. Mit der Stadt St. Gallen und den Appenzellern bekam Abt Georg schwere Anstände wegen der an beiden Orten auftretenden Bestrebungen, sich vom Kloster immer mehr unabhängig zu machen. Durch Eintritt in das Bürgerrecht der Stadt Lindau suchte er einen besseren Rückhalt gegenüber den ringsum drohenden Feinden. Die Stadt St. Gallen erlangte aber von König Wenzel eine Reihe bedeutender Vorrechte, darunter die wichtige Befugnis, Gotteshausleute als Bürger aufzunehmen.

Die Lage der Abtei war beim Tod Georgs von Wildenstein so beunruhigend, dass sich Kuno von Stoffeln (1379–1411) nur widerstrebend entschloss, die Nachfolge zu übernehmen. Kuno besaß Willensstärke und Ehrgeiz, auch hielt er nach adeliger Sitte auf Pracht und glänzendes Auftreten, war aber geizig gegen seine Dienstmannen und hart gegen die Armen. Über dem Privatleben des Abtes liegen dunkle Schatten. Gleich zu Beginn seiner Regierung erlangte Kuno die beiden Privilegien König Wenzels auf Einlösung aller vom Reich verpfändeten Klostervogteien und Befreiung der Gotteshausleute von königlichen Gerichten.

Die Appenzeller und die Bürger von St. Gallen weigerten sich anfänglich, dem neuen Abt zu huldigen, konnten dann aber durch den schwäbischen Städtebund dazu bewogen werden. Allein das friedliche Verhältnis war von kurzer Dauer. Die willkürliche und gewalttätige Einforderung der Gefälle und Abgaben erregte besonders bei den Appenzellern heftigen Unwillen. Dazukam der Übermut des Abtes und seiner Ordensbrüder, sowie der gänzliche Zerfall von Zucht und Ordnung im Kloster, wodurch die Abtei den letzten Rest an Achtung und Vertrauen beim Volk einbüßte und alles einer so lästigen und verhassten Herrschaft loszuwerden trachtete. Abt Kuno verband sich auch aufs engste mit Österreich.

Die glänzenden Siege der Eidgenossen bei Sempach und der Glarner bei Näfels, die in diese Zeit fielen, und in denen das Rittertum schmählich unterlag, verschärften auch im Bergland von Appenzell den entschlossenen Widerstand gegen Abt Kuno. Durch die Erfolge der Eidgenossen ermuntert, schlossen die Appenzeller im Jahr 1401 mit der Stadt St. Gallen und mehreren Gemeinden des Stiftsgebiets auf sieben Jahre den Volksbund, dessen Zweck es war, mit vereinter Kraft der Willkürherrschaft des Abtes entgegenzutreten. Auch der mächtige Graf Friedrich VII. von Toggenburg zeigte sich diesem Bund günstig.

Bald brachen Feindseligkeiten aus; von beiden Seiten wurden die schlimmsten Gräuel verübt. Den Bemühungen des schwäbischen Städtebundes gelang es dann, die Gotteshausleute samt der Stadt St. Gallen vom Bündnis mit den Appenzellern abzubringen, dafür verbanden sich die Bergleute mit Schwyz, das ihnen Hilfe sandte. Am 15. Mai 1403 errangen die Appenzeller in der Schlacht bei »Loch«, Vögelinsegg, einen leichten und völligen Sieg über das Heer der Städte und die äbtische Ritterschaft.

Abt Kuno wollte aber von dem zwischen den Appenzellern und dem Städtebund geschlossenen Frieden nichts wissen, und der Fehdezustand zwischen ihm und dem Bergvolk dauerte fort. Die Stadt St. Gallen trat wieder auf die Seite von Appenzell. Die Trümmerhaufen ausgebrannter Dörfer, das Jammergeschrei verzweifelnder Menschen, die Ruinen von über dreißig gebrochenen Burgen, das erschütternde Bild unbebauter Ländereien und hungernder Bewohner gaben den Gegenden der Ostschweiz und des benachbarten Vorarlberg ein trostloses Gepräge. Der Abt musste mit seinem Konvent nach Wil flüchten und betrieb von dort aus fieberhaft einen Rachezug gegen die widerspenstigen Untertanen.

Mitte Juni 1405 rückte ein Teil des von Kuno und dem thurgauischen Adel bei Herzog Friedrich von Österreich erbetenen Heeres vor die Stadt St. Gallen, während eine andere Abteilung durch das Rheintal nach den Appenzeller Bergen zog. An beiden Orten wurden jedoch die Österreicher zurückgeschlagen; insbesondere erlitten sie am 17. Juni 1405 beim Stoss eine schwere Niederlage.

Die Lage des Abtes war eine verzweifelte. In St. Gallen stand das Klostergebäude leer und bot leichtfertigem Gesindel Unterschlupf. Den Kirchenschatz hatte Kuno nach Wil mitgenommen, so dass 1406 ein Ratsbote dorthin geschickt werden musste, um die zur Feier der Karwoche erforderlichen Kirchengeräte zu verlangen. Die Schuldenlast war ungeheuer angewachsen, beinahe alle Vogteien, Gefälle und Liegenschaften mussten verpfändet und zum Teil verkauft werden; zuletzt sah sich der Abt gezwungen, auch noch die beiden Laienbrüder zu entlassen, damit sie anderswo ihr Auskommen fänden.

In der Stadt Wil wurde Kuno von den St. Gallern und Appenzellern belagert und zur Übergabe gezwungen, worauf ihn seine Feinde nach St. Gallen zurückbrachten und ihm demütigende Bedingungen auflegten. Ein Entscheid König Ruprechts setzte dann zwar den Abt in seine Rechte wieder ein, aber die Appenzeller gaben diesem königlichen Rechtsspruch keine Folge, verharrten vielmehr auch trotz eines nachmaligen Schiedsspruches der Eidgenossen vom Jahr 1421 in ihrer schroffen Kampfstellung gegen die Abtei.

Als Fürstabt Kuno am 19. Oktober 1411 sein ruheloses Leben beschloss, hatte das Kapitel nur noch zwei Mitglieder, Heinrich von Gundelfingen und Georg von Enne, welche auf dringende Bitten des Grafen Friedrich von Toggenburg sowie der vornehmsten adeligen Dienstmannen und der Bürger von St. Gallen übereinkamen, dass Heinrich die Abtei, Georg aber die Propstei und alle andern Ämter übernehme.

Abt Heinrich III. (1412–1418) besaß keine Weihen und war ganz verweltlicht. Für seine Bestätigung in Rom musste sich die Stadt St. Gallen verwenden. Der finanzielle Niedergang des Klosters wurde immer ärger. Außerdem zerstörte ein Kloster- und Stadtbrand am 20. April 1418 die Münsterkirche sowie einen Teil der Klostergebäude, worauf Heinrich abdankte. Mit ihm endet die »freiherrliche« Periode des Klosters.

Papst Martin V. übertrug nun die erledigte Abtei an Konrad von Pegau (1418), der sich auf dem Konstanzer Konzil durch seine Gelehrsamkeit und seinen Reformeifer hervorgetan hatte. Allein die trostlose Lage des Klosters, das ihm unrettbar verloren schien, machte auf Konrad einen so niederschmetternden Eindruck, dass er den Papst um Enthebung vom Amt bat.

Martin V. willfahrte dem Bittgesuch und setzte Heinrich IV. von Mansdorf (1419–1426), der nicht mehr Freiherr war, zum Abt ein und bestätigte zugleich alle Rechte und Freiheiten des Klosters. Der neue Abt war so arm, dass ihm die üblichen Abgaben an die päpstliche Kammer erlassen werden mussten. Seine Regierung ist angefüllt von Versuchen, die Appenzeller wieder zum Gehorsam gegen das Kloster zurückzuführen. Da dies nicht gelang, wurde über sie am 10. April 1426 das Interdikt, d.h. die Strafe der Einstellung aller kirchlichen Verrichtungen verhängt, worauf die Appenzeller an den Priestern ihre Wut ausließen, ja solche schwer misshandelten und erstachen, weil keiner mehr bei ihnen Gottesdienst halten wollte.


6. Kapitel

Langsamer Wiederaufstieg. Klosterreform unter Abt Ulrich Rösch

Zum dritten Mal kam Papst Martin V. nach dem Tod Heinrichs von Mansdorf in die Lage, die Abtei besetzen zu müssen, da nur noch ein einziger Konventuale übrigblieb. Die Wahl fiel auf den Großkeller des Klosters St. Blasien im Schwarzwald, Eglolf Blarer von Wartensee-Gyrsberg (1427–1442), einen St. Galler Bürger. Eglolf wagte aus Furcht vor den Appenzellern zunächst nicht nach St. Gallen zu gehen, sondern hielt sich über zwei Jahre in Wil auf. Als dann endlich, so erzählt die Chronik, »der Blarer in das Gotteshaus (St. Gallen) kam, da fand er ein zerstreut, elend, lieblos Ding, weder Korn, noch Geld, noch Geldes Wert, auch wenig Gottesdienst«.

Abt Eglolf suchte vor allem mit den Appenzellern wieder in ein geordnetes Verhältnis zu kommen. Am 26. Juli 1429 konnte endlich, dank dem Einfluss des Grafen Friederich VII. von Toggenburg und der diplomatischen Zähigkeit der eidgenössischen Gesandten, der Friede von Konstanz geschlossen werden, welcher dem jahrzehntelangen Rauben und Morden und der dadurch entstandenen Unsicherheit und Not ein Ende machte.

Durch diesen Friedensschluss wurde die fast völlige Unabhängigkeit der Appenzeller anerkannt und ihr Land von dem der übrigen Gotteshausleute gesondert. Als Grenzmarken hatten jene Stellen zu gelten, wo im Krieg Letzinen gewesen waren. Die Abtei verlor von ihren Gefällen im Bergland mehr als die Hälfte und hatte um den übrigen Teil derselben noch öfters langwierige Prozesse zu führen. Im Jahr 1513 wurde Appenzell als 13. Ort in den Bund der Eidgenossen aufgenommen. Abt Eglolf schloss 1437 für seine westlichen Besitzungen mit den Schwyzern ein Landrecht auf 20 Jahre, um für die Zukunft seines Stifts größere Sicherheit zu erlangen.

Von besonderer Tragweite waren die unter diesem Abt einsetzenden Reformbestrebungen, welche zum allmählichen Wiederaufstieg des Klosters führten. Auf einem Generalkapitel der Mainzer Ordensprovinz wurden dem Abt die Reform sowie auch der Anschluss an eine der damals bestehenden Reformkongregationen des Benediktinerordens nahegelegt. Er berief daher aus dem gutgeleiteten Kloster Hersfeld in Hessen, das zur Bursfelder Kongregation gehörte, einige Mönche. Die Ämter und Pfründen, wie sie sich unter den adeligen Äbten ausgebildet hatten, schaffte er ab und führte das gemeinsame Leben wieder ein, das Kloster wurde von den schlechten Weibern und ihrem Anhang gesäubert, die baufälligen, teilweise sogar eingestürzten Konventgebäude wieder instand gesetzt, ebenso verfallene oder abgebrannte Kapellen. Gegen Ende seiner Regierung begann er den Bau eines neuen gotischen Chors in der Münsterkirche. Baumeister war der aus dem Eremiten-Orden des heiligen Paulus in das Kloster St. Gallen übergetretene Johann Ostertag. Von den Dienstleuten (Ministerialen) forderte Eglolf das in ihren Händen befindliche Konventsiegel zurück. Er brach mit der verderblichen Unsitte, nur Adelige in das Stift aufzunehmen und stellte auch die Klosterschule wieder her.

In lebhafter Weise nahm sich die damals tagende Basler Kirchenversammlung der st. gallischen Klosterreform an und betraute damit eine besondere Kommission, welche von König Sigismund dem Rat der Stadt eigens empfohlen wurde. Als Ergebnis der Visitation stellte Kardinallegat Julian am 15. Oktober 1435 eine neue Ordnung für das Kloster auf.

Dem Abt musste aber unter Strafe der Exkommunikation befohlen werden, die Reform auch an seiner eigenen Person durchzuführen, sowie die Zahl der Mönche auf zwölf zu erhöhen und für sie die nötigen Räumlichkeiten zu besorgen. Zweien aus dem Konvent, die sich hauptsächlich um die Reform bemüht und dadurch den Zorn des Abtes erregt hatten, wurde erlaubt, für einige Zeit in ein anderes Kloster zu gehen. In seinem Unmut schickte dann Eglolf auch die übrigen Hersfelder Mönche wieder heim; dafür ließ er solche aus Kastl in der Oberpfalz, das der Mittelpunkt einer eifrigen Reformbewegung war, herbeikommen, damit sie die dort herrschende Ordnung einführten. Für die finanzielle Hebung der Abtei konnte Eglolf wenig erreichen.

Als sein Nachfolger wurde durch Papst Eugen IV. Kaspar von Breitenlandenberg bestimmt (1442–1457 (1463)), der einem weitverbreiteten und angesehenen Adelsgeschlecht des Tösstals entstammte. Er war Mönch der Reichenau und hatte in Bologna die Würde eines Doktors des Kanonischen Rechts erlangt. Bei seiner Wahl erst Subdiakon, widmete er sich als Abt mehr den Büchern und einem geselligen Leben als der Sorge um das Stift.

Am 30. November 1442 kam Kaiser Friedrich III. nach St. Gallen. Das Kloster war jedoch so armselig daran, dass es den Monarchen nicht als Gast aufnehmen konnte; umso glänzender hielt ihn die Stadt. Diese lehnte es im Bewusstsein der erlangten Machtstellung auch ab, dem Abt den Huldigungseid zu leisten, selbst nachdem sie vom Kaiser dazu aufgefordert worden war. Daraus entwickelte sich ein langjähriger Streit zwischen Kaspar und der Stadt St. Gallen. Um seine Stellung gegenüber der Stadt zu festigen und auch durch die Zeitverhältnisse gedrängt, schloss der Abt im Jahr 1451 mit den vier Orten Zürich, Glarus, Schwyz und Luzern ein ewiges Burg- und Landrecht ab, durch das die Fürstabtei erster zugewandter Ort der Eidgenossenschaft und von den vier Schirmorten stark abhängig wurde.

Anfangs führte Abt Kaspar die Reformarbeiten seines Vorgängers weiter. Die Mönche von Kastl ersetzte er aber durch solche aus dem Benediktinerstift Wiblingen in Württemberg, dessen Klosterzucht berühmt war. Dieser fortwährende Wechsel konnte allerdings keine dauernde Besserung hervorbringen. An sich selber wollte der adelige Abt von einer Reform ebenfalls nichts wissen.

»Er liebte«, schreibt von Arx, »sein Kloster als ein Fremder nie und bekannte selbst, dass er ihm nichts Gutes gönne und lieber sähe, wenn es in ein Chorherrenstift verwandelt würde. Nebstdem war er ein äußerst sorgloser und leichtsinniger Haushalter, überließ die Verwaltung einem Vertrauten, hängte vieles seiner Familie an, verwandte noch mehr auf Pracht und unnütze Dinge, machte schon in Italien, ehe er die Abtei gesehen hatte, 1200 Gulden Schulden und vermehrte solche jährlich um 1000 Gulden. Dadurch versetzte er das Kloster in eine unerschwingliche Schuldenlast, in welcher er, da ihm niemand mehr borgen wollte, nebst vielen andern im Jahr 1450 die Herrschaft Neu-Ravensburg der Stadt Lindau für 4500 Gulden verkaufte, seine Inful verpfändete, selbst die Abtei St. Gallen dem Abt von Petershausen zum Kauf antrug und seine Klostergeistlichen die größte Zeit des Jahres darben ließ, da der im Herbst gesammelte Vorrat an Früchten unter der Verwaltung seines Jägers immer schon im Frühling vergriffen war.«

Um diesen Übelständen ein Ende zu machen, wurde die Verwaltung der Abtei dem Großkeller Ulrich Rösch und dem Hofammann Zwick übertragen. Aber Kaspar ruhte nicht, bis wieder alles in seinen Händen war. Er ließ den Ulrich Rösch sogar ins Gefängnis werfen und verfolgte die um das Wohl des Klosters besorgten Mönche und Beamten heftig. Ja er fasste den Entschluss, die Abtei in ein Chorherrenstift umzuwandeln, wie die Luzerner es mit St. Leodegar gemacht hatten. In dieser Absicht verkaufte er der Stadt St. Gallen durch den Bernervertrag vom 8. Februar 1455 die Vogtei über das Stiftsgebiet um 1000 Gulden. Großer Jubel herrschte in der Stadt über diesen Vertrag, durch den sie sich mit einem Schlag am Ziel ihrer lang gehegten kühnsten Pläne und Hoffnungen erblickte.

Allein die Konventualen weigerten sich, den Verkauf anzuerkennen, ebenso die Äbte des allgemeinen Ordenskapitels; auch die Appenzeller samt den Gotteshausleuten traten gegen eine solche Machterweiterung der Stadt auf, und die eidgenössischen Orte erklärten die Abmachung für ungültig.

Kardinal Äneas Silvius Piccolomini, der spätere Papst Pius II., der die Schweizer Verhältnisse persönlich kannte, fällte am 9. November 1457 im Auftrag des Papstes Kalixt III. den Entscheid, dass Abt Kaspar gegen gewisse ihm noch verbleibende Rechte und Entschädigungen von der Verwaltung zurückzutreten und dieselbe an Ulrich Rösch zu übergeben habe.

Um die Summe von 7000 Gulden verzichtete sodann das Stift auf seine hoheitlichen Rechte über die Stadt, wodurch diese nunmehr von der Abtei unabhängig wurde und den Huldigungseid nicht mehr zu leisten hatte (5. Februar 1457).

Abt Kaspar hielt sich in der Folge meist zu Konstanz auf und lebte von der ihm bewilligten jährlichen Pension. Im Kloster St. Gallen war ihm eine Wohnung vorbehalten, die er noch hie und da benützte. Im Jahr 1463 verzichtete er freiwillig auf die Abtei und starb bald darauf im Haus seines Bruders zu Konstanz.

Mit Ulrich VIII., der von 1457–1463 als Pfleger und von da an bis zum Jahr 1491 als Abt das Kloster leitete, trat nun der gewaltige Wiederhersteller und »zweite Gründer« der Gallusstiftung an die Spitze der Abtei.

Geboren am 4. Juli 1426 zu Wangen im Allgäu, einer alten Besitzung St. Gallens, kam Ulrich, das Kind armer Bäckersleute, als Küchenjunge ins Kloster St. Gallen, wo Abt Eglolf auf den talentvollen, fleißigen Knaben aufmerksam wurde und ihm das Studium an der Klosterschule ermöglichte. Zwischen 1440 und 1445 trat er ins Kloster ein. Schon 1451 finden wir ihn als Großkeller in wichtiger Stellung. Abt Kaspar mochte ihn aber nicht leiden, da Rösch seinen Plänen beharrlich entgegenarbeitete. Ulrich bat daher um Entlassung aus dem Klosterverband, wogegen jedoch die eidgenössischen Schirmorte Verwahrung einlegten. Darauf ging er nach dem schwäbischen Stift Wiblingen. Bevor aber ein Jahr um war, wurde er zurückgerufen und zum Pfleger des Klosters aufgestellt. Nach dem Tod Kaspars ernannte Papst Pius II. den Pfleger Ulrich Rösch zum Abt.

Eine wichtige Amtshandlung des neuen Abtes bestand darin, dass er den Gottesdienst in der Klosterkirche, der wegen der geringen Zahl von Mönchen seit langem durch Weltgeistliche abgehalten wurde, feierlicher gestaltete. Ulrich errichtete eine eigene Predigerpfründe und eine Organistenstelle, sowie ein tägliches Frühamt zu Ehren der Mutter Gottes und der heiligen Joachim und Anna, bei dem sechs Geistliche mitzuwirken hatten; für die Teilnahme an der Predigt und am Gottesdienst im Münster wurden Ablässe von Rom erbeten. Mit großer Umsicht sorgte der Abt für die religiösen Bedürfnisse des Volkes. Bald setzte ein Aufschwung des kirchlichen Lebens ein, und statt in die St. Laurenzenkirche strömte das Volk nun wieder zum Münster des heiligen Gallus, was den Leutpriester von St. Laurenzen zu Beschwerden veranlasste.

Schon unter Abt Eglolf hatte man im Jahr 1439 den baufälligen Chor der Kirche abgebrochen und unter der kundigen Leitung des Mönches Ostertag einen neuen in gotischem Stil zu bauen angefangen. Der Bau schritt nur langsam vorwärts, ja stand zeitweise gänzlich still, bis endlich im Jahr 1483 Ulrich VIII. das herrliche Werk vollendete. Auch im Innern wurde die Kirche unter bedeutenden Kosten kunstvoll ausgestattet und mit einer neuen Orgel und mit prächtig geschnitzten Chorstühlen versehen.

Den Wissenschaften wandte Abt Ulrich ebenfalls seine Aufmerksamkeit zu. Er fasste den Plan, die unter Abt Eglolf neu eröffnete, aber wieder eingegangene Klosterschule auf eine sichere finanzielle Grundlage zu stellen, indem er durch Papst Innozenz VIII. die Pfarrei Gossau dem Stift einverleiben ließ, so dass deren Einkünfte für die Besoldung einer Lehrkraft verwendet werden konnten. An die Spitze der Anstalt sollte Johann Bischof von Wil, ein hervorragender Gelehrter, treten, der in Pavia den juristischen Doktorgrad erlangt hatte. Magister Gaza, wohl ein geborener Grieche, war für Griechisch, Latein und Musik in Aussicht genommen. Es scheint aber, dass der großzügige Plan nicht ausgeführt werden konnte. Talentvolle Mönche sandte Ulrich zur weiteren Ausbildung auf Universitäten, so nach Leipzig und Pavia.

Die Handschriften und Bücher der kostbaren Bibliothek fanden sich zu größerer Sicherheit in dem festen, an die Kirche angebauten Turm. Hier hatte während des Konzils von Konstanz der gelehrte Italiener Poggio Bracciolini im Sommer 1416 nach wertvollen Handschriften gefahndet und einige derselben ohne weiteres mitgenommen. Um ähnlichen Diebstählen und Entfremdungen vorzubeugen, ließ Ulrich noch als Pfleger ein Verzeichnis aller bedeutenderen Bücher anfertigen, das erste seit dem neunten Jahrhundert. Er bereicherte auch die Bibliothek mit wichtigen Beständen und setzte für sie eine jährliche Summe von 100 Gulden fest, den Ertrag eines Bauerngutes in einem benachbarten Dorf.

Wie groß der Eifer im Studieren unter Abt Ulrich war, zeigt sich darin, dass sein Koch Hans Rimel die lateinische, griechische und hebräische Sprache verstand, eine Büchersammlung besaß und in mehreren wissenschaftlichen Fächern gut bewandert war. Das Stift St. Gallen bekam wieder eigene Geschichtsschreiber, Redner, Schriftsteller, Schönschreiber*. [*Bedeutende Konventualen dieser Zeit waren neben dem gelehrten Dr. Johannes Bischof und dem Baumeister Johannes Ostertag noch besonders der vielgereiste, schreibselige Gallus Kemly, »die interessanteste Figur unter den St. Gallermönchen des 15. Jahrhunderts«, Simon Gelbfrand, Heinrich Schüchti, welch letzterer als Abt von Fischingen postuliert, während 45 Jahren die Abtei gut leitete, und der Münsterprediger Ludwig von Helmsdorf, von dem noch Predigten erhalten sind.]

Abt Ulrich gebührt ferner das Verdienst, die Wiederherstellung der Klosterzucht glücklich eingeleitet zu haben. Er hielt streng auf klösterliche Disziplin, so dass schon im zweiten Jahr seiner Regierung zwei Mönche wegen der allzu großen Strenge austraten. Die zweimal vorgenommene Visitation konnte im Allgemeinen einen guten Geist feststellen. Die Laienbrüder, die unter Abt Kaspar aus dem Brüderhaus in das eigentliche Kloster hineingekommen waren, wies Ulrich wieder in ihre frühere Wohnung zurück. Sie sollten Mesnerdienste in der Kirche und den Krankendienst im Kloster versehen und daneben sich durch ihrer Hände Arbeit, besonders durch Kerzenziehen und Tuchweben den Unterhalt verdienen. Die Zahl der Klostergeistlichen stieg allmählich auf zwanzig.

Ulrich Rösch war ein ausgezeichneter Haushalter und verstand es meisterhaft, den zerrütteten Finanzhaushalt des Klosters wieder in einen glänzenden Zustand zu setzen. Zahlreiche Höfe, Burgen, Vogteien und Grundherrschaften kamen durch ihn an die Abtei. Verschiedene Pfarreien brachte er durch Inkorporation in den vollen Besitz des Klosters.

Dem geldbedürftigen Petermann von Raron kaufte Ulrich die nach dem Tod des letzten Toggenburger Grafen Friedrich VII. (+1436) an das Walliser Geschlecht der Freiherren von Raron übergegangene Grafschaft Toggenburg um 14‘500 Gulden ab. Das schon länger bestehende Landrecht mit Schwyz und Glarus behielten die Toggenburger auch fernerhin bei. Das Toggenburg hatte damals 22 Pfarreien, drei Klöster und drei Burgen. Die Abtei St. Gallen wurde durch diesen Kauf zu einer Doppelmonarchie und der arme Bäckerssohn von Wangen zum länderreichsten Fürsten in der Schweiz. Der geschlossene Territorialstaat des Stiftsgebiets, dieses jahrhundertealte Ziel fürst-äbtlicher Politik, war nun zur glücklichen Vollendung gebracht. Dagegen scheiterte der heiße Wunsch des Abtes, auch das Rheintal zu gewinnen, am Widerstand der Appenzeller.

Woher nahm Ulrich, der die Abtei in ganz trostlosem Zustand antreten musste, die Mittel für all diese Unternehmungen? Zunächst bemühte er sich, die Einkünfte zu ordnen und die Schulden zu tilgen. Die Einkünfterodel wurden genau geprüft, die Offnungen (Gemeindeordnungen) neu aufgerichtet, die pflichtigen Abgaben, auch wenn sie schon lange nicht mehr entrichtet worden waren, wieder eingefordert und die klösterliche Hauswirtschaft bis ins Kleinste geregelt. In St. Gallen, Rorschach und Wil errichtete der umsichtige Abt Statthaltereien und legte den Grund zu einer einheitlichen Verwaltungsorganisation, die sich in ihren großen Zügen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erhalten hat. Die Alte Landschaft (Fürstenland) zerfiel in das Oberamt und das Unteramt, letzteres nur aus dem Wileramt bestehend. Das Oberamt umfasste das Rorschacher-, Landshofmeister- und Oberberger- oder Gossaueramt. Dazu kam noch das Romanshorner Amt. Hervorragendes Herrschertalent und hohe diplomatische Kunst, Sparsamkeit und außerordentlicher Scharfblick für alle Einzelheiten der Wirtschaft, sowie peinliche Ordnung im Verwaltungs- und Zinssystem halfen dem Abt, sein gewaltiges Werk zu vollbringen. Freilich ging das alles nicht ohne Prozesse und Streitigkeiten ab, wenn auch Ulrich nichts Anderes tat, als was sein gutes Recht war. Verletzung fremder Rechte lag ihm fern, wenngleich Feinde und Neider den »roten Uli«, wie sie ihn wegen seiner Haare spöttisch nannten, auf jede Weise beschimpften und verleumdeten.

Die Gotteshausleute waren ihm gram, weil er in den Offnungen ihre Pflichten und Rechte urkundlich genau festlegte. Den Appezellern bangte ob ihrer in langen Kämpfen errungenen Freiheiten. Der Stadt St. Gallen, an deren Spitze der gewandte Bürgermeister Ulrich Varnbühler stand, trat Rösch entgegen, wo immer sie ihre Herrschaftsrechte ausdehnen wollte. Es kam so weit, dass der Abt in St. Gallen seines Lebens nicht mehr sicher war. Einmal entrann er den Städtern, die ihn erstechen wollten, nur durch rasche Flucht in den Glockenturm. Er hielt sich deshalb meist in der Pfalz zu Wil auf.

Im November 1479 schloss Ulrich, um für die Abtei größeren Schutz zu erlangen, den Hauptmannschaftsvertrag mit den vier Schirmorten, wonach diese abwechslungsweise einen Vertreter, den sogenannten Schirmhauptmann, in die Stiftslande sandten und sich eidlich verpflichteten, des Klosters Interessen allseitig zu wahren. Dieser Vertrag hatte indessen auch manche Nachteile im Gefolge; und der Schirmhauptmann wurde gelegentlich zum Klostervogt.

Endlich fasste der tatkräftige Abt den folgenschweren Entschluss, das Kloster nach Rorschach zu verlegen, wofür er in einer glänzenden Rede die Zustimmung des Konvents erlangte. Er hatte an die Stadt das Gesuch gerichtet um ein eigenes Tor in der Ringmauer, das für die klösterliche Ordnung notwendig zu sein schien, war aber rundweg abgewiesen worden. Die Verlegung des Klosters sollte nun all den Scherereien und Übelständen ein Ende machen. Nach erfolgter päpstlicher und kaiserlicher Bestätigung liess Ulrich im Jahr 1487 den Neubau auf Mariaberg durch einen tüchtigen Baumeister, Erasmus Grasser aus Bayern, beginnen. Als aber die stattliche Anlage der Vollendung entgegenging, rotteten sich am 28. Juli 1489 St. Galler, Appenzeller, Rheintaler und Gotteshausleute zusammen, zogen bei 2000 Mann stark vor das neue Kloster und zerstörten dasselbe samt der bereits eingeweihten Kapelle bis auf den Grund. Die bewegliche Habe vernichteten sie oder nahmen dieselbe als Beute mit.

Diese Gewalttat war in hohem Maße ein Werk jenes aufrührerischen Geistes, der nach den Burgunderkriegen durch weite Volkskreise ging und rasch zu wilden Ausbrüchen führte. Die kurz vor dem Klosterbruch geschehene Hinrichtung Hans Waldmanns in Zürich wurde als verdientes Volksgericht gegen übermütige Herrengewalt betrachtet und mag nicht ohne Einfluss auf die Rorschacher Klosterstürmer gewesen sein.

Der Papst verhängte den Kirchenbann über die Frevler. Abt Ulrich forderte neben ihrer Bestrafung vollen Schadenersatz. Er wandte sich auch klagend an die Schirmorte, während seine Gegner bei den andern eidgenössischen Ständen wider ihn auftraten. Außerdem schlossen Appenzell und St. Gallen mit dem größeren Teil der Gotteshausgemeinden ein Schutz- und Trutzbündnis, die sogenannte Waldkircher Allianz, die eine sehr feindselige Haltung gegen Ulrich einnahm. Vermittlungsversuche scheiterten, und es kam zum St. Gallerkrieg. Im Februar 1490 rückten 8000 Eidgenossen in das Stiftsgebiet ein. Die Gotteshausleute streckten ohne Gegenwehr die Waffen; die Appenzeller aber blieben hinter ihren Letzinen und wagten ebenfalls keinen Kampf. Nur die Stadt rüstete sich gegen den anrückenden Feind, musste aber nach viertägiger Belagerung kapitulieren. Am 7. März 1490 wurde in Einsiedeln der Friede geschlossen.

Bürgermeister Varnbühler, die Seele des Widerstands gegen den Abt, floh als Bote verkleidet über den Bodensee und warf das Stadtsigill in die Fluten. Schwere Strafen wurden über die Aufständischen verhängt. Das Waldkircher Bündnis musste aufgelöst werden, den Appenzellern wurde das Rheintal abgenommen und ein Schadenersatz von 4500 Gulden an die Abtei auferlegt. Die Stadt verlor ihre Rechte auf Schloss Oberberg mit den Gerichten Oberdorf und Andwil sowie ihre Besitzungen in Steinach und musste dem Abt noch 4000 Gulden bezahlen. Die Hauptgewinner des Streites waren die Eidgenossen, deren Macht sich nunmehr bis an den Bodensee ausdehnte.

Abt Ulrich ging zwar siegreich, aber nicht ohne schmerzliche Verluste aus dem scharfen Ringen hervor. Der angerichtete Schaden wurde dem Stift bei weitem nicht mehr ersetzt. Zudem geriet es in noch größere Abhängigkeit von den Schirmorten und musste in St. Gallen verbleiben.

Bald nach dem Friedensschluss wurde Ulrich Rösch, durch die Sorgen und Anstrengungen namentlich der letzten Jahre aufgerieben, von einer tödlichen Krankheit erfasst, an welcher er zu Wil am 13. März 1491 starb. Seine Leiche wurde mit großem Gepränge nach St. Gallen überführt und in einem prunkvollen Grabmal bestattet, das dreißig Jahre später dem Bildersturm zum Opfer fiel.

Ein zeitgenössischer Schriftsteller bemerkt von ihm: »Er war von außerordentlicher Klugheit und großer Festigkeit, ein Mann, der nie ein Ziel verloren gab. Zur Nachtzeit hatte er neben sich ein Täfelchen mit Kreide; darauf notierte er sich die Gedanken, die ihm etwa plötzlich kamen, beriet sie dann mit seinen Ratgebern am Morgen und vollzog sie. Er brachte es dahin, dass die Abtei St. Gallen eine der mächtigsten und angesehensten in Europa wurde.«

Vadian aber, der dem zähen Widersacher seiner Vaterstadt immer gram blieb, schreibt: »Kein Abt ist uns grämer und ufsätziger gsin, wiewol er alweg guot Wort gab und sich erschaint, als ob im wider uns zu handeln nit lieb were; wolt aber aines Strohalms groß unser Statt nit nachlassen noch zuogeben.«

Die Grabschrift des großen Abtes lautete (in deutscher Übersetzung):

Zweifelnd stehe ich an: nenn’ Mönch oder Herrscher ich Ulrich.
Klösterlich streng war das Kleid, königlich groß das Gemüt.
Beides mütterlich jetzt hat aufgenommen die Erde,
Da im Himmel Monarch nicht ihm erlaubt war zu sein.

Die lange und kräftige Regierung dieses Abtes hatte das Stift nach innen und außen so gestärkt, dass es den bald losbrechenden Stürmen der Glaubensspaltung gewachsen war. Mit Recht hat man ihn den zweiten Gründer des Klosters St. Gallen genannt.

Ordenszucht, Kunst und Wissenschaft blühten unter ihm neu auf. Bei Kaiser und Papst stand er in hohem Ansehen und wurde von ihnen zu wichtigen Missionen verwendet. Papst Sixtus IV. verlieh ihm verschiedene bischöfliche Rechte und trug sich sogar mit dem Gedanken, ihn zum Kardinal zu erheben, was aber Ulrich ablehnte. Ein ausgeprägter Zug seiner Regierung ist die entschiedene Anlehnung an die Eidgenossen, denen er bei ihren Kriegen, besonders gegen Karl den Kühnen, Bundeshilfe leistete. Durch Abt Ulrich VIII. wurde die Abtei St. Gallen vorwiegend in den schweizerischen Interessenkreis hineingezogen, nachdem sie jahrhundertelang mit den Geschicken des deutschen Reiches eng verbunden gewesen war.

Die Äbte sahen sich indessen noch öfters genötigt, den Schutz des Reichsoberhauptes anzurufen, wenn sie von den Eidgenossen verlassen waren. Es kam deshalb der Spruch auf: Die st. gallischen Äbte tragen Schweizer- und Schwabenhosen und ziehen je nach dem Wind bald die einen, bald die andern an. Sie blieben auch bis zum Untergang des Stifts Reichsfürsten und empfingen regelmäßig vom Kaiser die Regalien, d.h. die Belehnung mit der weltlichen Herrschaft.

Nach dem Tod Ulrichs VIII. wählte das Kapitel – seit mehr denn hundert Jahren wieder zum ersten Mal – einen Abt in der Person des Gotthard Giel von Glattburg-Gielsberg (1491–1504). Abt Gotthard war ein prunkliebender Mann, der sich gern in fröhlicher Gesellschaft aufhielt und es mit den geistlichen Pflichten nicht sonderlich ernst nahm. Auch suchte er seiner durch allerlei Schicksalsschläge in Bedrängnis geratenen Familie wieder zu größerem Ansehen und Reichtum zu verhelfen.

In der Politik folgte Gotthard den Wegen seines Vorgängers. Er begann den Wiederaufbau des zerstörten Klosters in Rorschach, das aber nur für Schul- und Verwaltungszwecke zu dienen hatte. Im Stiftsgebäude St. Gallen wurden manche Verbesserungen angebracht und dasselbe für den fürstlichen Hofhalt mit größter Pracht ausgestattet. Der Flecken Rorschach erhielt einen Korn- und Wochenmarkt, wodurch Steinach, der bisherige Anlageplatz für die Schiffe, seine jahrhundertelang innegehabte Vorzugsstellung einbüßte.

Während des Schwabenkriegs leistete Gotthard den Eidgenossen kräftige Hilfe und wirkte auf ihrer Seite im Herbst 1499 bei den Friedensverhandlungen zu Basel mit. Sie lohnten ihm jedoch seine Dienste schlecht, indem sie bei der Festlegung der Grenzen zwischen dem Thurgau und den Stiftslanden das Kloster St. Gallen benachteiligten und anderseits ihre Reche im Rheintal auf Kosten der Abtei ausdehnten.


7. Kapitel

Kirchliche, sittliche und soziale Verhältnisse vor der Glaubenstrennung

Während das Christentum in Churrätien wohl schon im 3. und 4. Jahrhundert Eingang gefunden hatte – der erste urkundlich bezeugte Bischof von Chur, Asinio, begegnet uns 451 – blieb Alemannien noch bis zum 7. Jahrhundert großenteils heidnisch.

Der heilige Gallus, der »Apostel Alemanniens«, hat bereits in einigen Gegenden der heutigen Ostschweiz gepredigt und die Bewohner mit der christlichen Religion bekannt gemacht. Besonders aber waren es seine Schüler und Nachfolger, welche in den Jahrzehnten bis zum Auftreten des heiligen Otmar die damals noch spärliche Bevölkerung zum Christentum bekehrt und den Grund zu den ersten Gotteshäusern in unserem Land gelegt haben. Als solche erscheinen in den ältesten Urkunden die Kirchen von Wattwil, Jonschwil, Niederhelfenschwil, Henau, Oberbüren, Berg, Steinach, Bernhardszell, Uznach, Gams, Herisau und Gossau. Sie waren meist Eigenkirchen des Klosters St. Gallen.

Wo immer neue Besitzungen durch Kauf oder Tausch oder Schenkung an St. Gallen kamen, bildete es eine erste Sorge des Klosters, den Bewohnern Gelegenheit zum Gottesdienst zu schaffen und ihnen Priester zu geben. Daher treffen wir st. gallische Pfarreien in weitem Umkreis, im Thurgau und Zürichgau, im Bernbiet und in Schwaben, im Aargau und Breisgau, im Schwarzwald und in Rätien. St. Gallen erscheint neben Konstanz und Reichenau als das wichtigste religiöse Zentrum Süddeutschlands und der Schweiz.

Eine besondere Eigenart der Zeit um die Jahrtausendwende war das Klausnerleben, wie es die heilige Wiborada geführt hat. Fromme Jungfrauen und Witwen, manchmal auch Männer ließen sich in eine enge Zelle einschließen, in der sie bis zu ihrem Lebensende verbleiben wollten. In Gebet und Abtötung, aber auch mit Werken der Nächstenliebe verbrachten sie oft Jahrzehnte in solcher Abgeschlossenheit und erreichten dabei nicht selten ein hohes Alter.

Der st. gallische Mönch und Priester Hartker begab sich nach dem Tod der Klausnerin Bertrad um das Jahr 987 in deren verlassene Zelle zu St. Georgen. Diese war so niedrig, dass er nicht aufrecht stehen konnte; ein Stein bildete das Kopfkissen. Die Zeit, die ihm vom Beten, Lesen und Betrachten übrigblieb, benützte Hartker zum Abschreiben von Büchern, deren noch zwei erhalten sind. Selbst in seiner letzten Krankheit bat er die Brüder, die ihm beistehen wollten, solange er atme, seine Zelle nicht zu betreten. Fast dreißig Jahre hatte er darin zugebracht.

Allmählich trat an Stelle dieser außerordentlich strengen Lebensweise die Sitte, dass mehrere nach Vollkommenheit strebende Personen gemeinsam ein Haus bewohnten, von wo sie den Gottesdienst in der Pfarrkirche besuchten und daneben weltlichen Geschäften nachgehen durften. Sie hießen auch Waldbrüder und Waldschwestern. Im 12. Jahrhundert ergriffen die Bauerntöchter, welche nicht leicht in einem Kloster Aufnahme fanden, häufig diese Lebensart und errichteten in Wäldern, auf Felsen und in Bergschluchten solche Häuser. Die meisten dieser Siedlungen gingen aber mangels einer gesicherten Stiftung mit der Zeit wieder ein.

Eine solche Niederlassung befand sich in St. Gallen bei der St. Johanneskapelle auf dem Friedhof. Die Bewohnerinnen dieses Hauses verstiegen sich zu argem Aberglauben, von dem sie nicht abzubringen waren, bis der Papst im Jahr 1325 den Kirchenbann über sie verhängte und allen Gläubigen verbot, mit der Meisterin Elisabeth Riserin und ihren Mitschwestern zu reden, zu essen, zu trinken, zu kaufen, zu verkaufen, sie in Häuser einzuladen, Mühlen, Märkte oder den nämlichen Feuerherd mit ihnen zu gebrauchen.
Weitere Schwesternhäuser waren zu St. Georgen, bei St. Leonhard, bei St. Mangen und St. Jakob; außerhalb der Stadt St. Gallen zu Notkersegg, zu Wonnenstein, im Huntobel und Steinertobel bei Mörschwil, ferner in Gossau und Waldkirch, sodann in Paneregg bei Wattwil, in Grabs, Mels, Ragaz und Walenstadt.

Aber auch die Männer schlossen sich zum gemeinsamen Leben zusammen, so in Jona und Kaltbrunn, besonders aber im Sedel bei Ganterschwil, ferner auf »Unser Frauen Bühl« in Speicher und am Nollenberg. Klausner und Klausnerinnen lebten meist nach Art der alten Einsiedler von Ägypten und Syrien ohne eine bestimmte Regel und ohne eigentliche Gelübde.

Die Klausen und Waldhäuser waren gewöhnlich von Bauerntöchtern, die Klöster und Samnungen dagegen von Adeligen und Bürgerstöchtern bewohnt.

Auf Grund und Boden der Abtei St. Gallen und zum Teil aus deren Lehensgütern stifteten angesehene Familien die Klöster St. Katharina in St. Gallen (1228) und Magdenau bei Flawil (1244); letzteres schloss sich dem Zisterzienserorden an.

Das Frauenkloster St. Katharina nahm im Jahr 1284 die Regel des hl. Augustinus an, ging aber 1368 zum Dominikanerorden über. Nach einer Zeit des Niedergangs der klösterlichen Zucht erhob sich dieses Kloster unter der ausgezeichneten Angela Varnbühler, die während 33 Jahren (1476–1509) dessen Priorin war, zu hoher Blüte.

Die Pfarrei St. Gallen hatte eine sehr große Ausdehnung. Nicht bloß das ganze Gebiet zwischen Sitter und Goldach nebst Gaiserwald und Wittenbach, sondern auch beträchtliche Teile des Appenzellerlandes, so die Gemeinden Teufen, Hundwil, Gais, Bühler und der größere Teil von Trogen gehörten bis Ende des 15. Jahrhunderts zur Pfarrei St. Gallen. Sie mussten hier ihre Kinder taufen lassen, die Ehen schließen und ihre Toten auf dem st. gallischen Friedhof, der zwischen Münster und St. Laurenzen lag, begraben. Die Zahl der Bewohner war allerdings noch klein. Als Pfarrkirche galt die St. Otmarskirche beim Münster, wo ein Klostergeistlicher als Pfarrer wirkte, bis der fortschreitende Zerfall des Stifts die pfarrlichen Verrichtungen nach St. Laurenzen übertrug.

Neben der Münster- und St. Laurenzenkirche, welch letztere zum ersten Mal in einer Urkunde des Jahres 1225 erwähnt ist, gab es noch mehrere Kirchen sowie eine größere Anzahl Kapellen in und um St. Gallen, davon etwa zwanzig im Klosterbezirk. Während den Jahrhunderten des Niedergangs konnte der Gottesdienst im Münster oft nur durch Zuzug von Weltgeistlichen aufrechterhalten werden.

Die Seelsorge in der weitausgedehnten Pfarrei hatte der Leutpriester von St. Laurenzen mit einem oder zwei Helfern zu versehen. Dabei leisteten die sogenannten Terminierer, ein Franziskaner, ein Augustiner und ein Dominikaner Beihilfe.

Der st. gallische Kirchensprengel stand unter dem Bischof von Konstanz, dessen Diözese sich damals fast über die ganze deutsche Schweiz erstreckte. Der große Umfang dieses Bistums hatte die schwerwiegende Folge, dass sich der Bischof nur wenig mit den schweizerischen Verhältnissen befasste. Die Kaplaneien im Münster und die Pfründen an der St. Mangenkirche waren der geistlichen Gewalt und Gerichtsbarkeit des Abtes unterstellt.

In den der Abtei St. Gallen zugehörigen Pfarreien geschah auf Grund des Lehensrechtes die Einsetzung der Pfarrer auf folgende Weise. Der Erwählte musste seine Pfründe vom Abt kniend empfangen und eidlich geloben, demselben getreu zu sein, die Pfarrei mit Lesen und Beten zu versehen, deren Rechtsame zu behaupten, von den Einkünften derselben nichts zu entäußern, die Pfarrei ohne Erlaubnis nicht umzutauschen. Darauf setzte ihm der Abt das Birett auf und reichte ihm die Hand. Die so bestellten Geistlichen wurden noch zum Bischof geschickt, um von ihm die geistliche Gewalt zu empfangen. So ergaben sich die drei Rechte der Ernennung, der Präsentation oder Vorstellung und der Bestätigung oder Konfirmation.

Ein arger Übelstand lag darin, dass einem einzelnen Geistlichen oft mehrere Pfründen übertragen wurden, von denen er wohl die Einkünfte bezog, die er aber durch Vikare mit kärglichem Gehalt versehen ließ.

Antonius Thalmann aus Jonschwil wurde 1486 im Alter von zwölf Jahren Pfarrer von Wattwil. Er war mütterlicherseits ein Oheim des Bürgermeisters Joachim Vadian in St. Gallen und erwarb sich zu Bologna den Doktortitel beider Rechte. Neben der Pfarrei Wattwil besaß er noch mehrere Pfründen, so die Pfarreien Jonschwil, Henau, Berneck und eine Chorherrenstelle in Bischofszell, obwohl er im Jahr 1501 noch nicht Priester war, sondern erst die niederen Weihen empfangen hatte. Sein Wohnsitz befand sich im Schlösschen Feldeck bei Jonschwil, wo er ein sehr unerbauliches Leben führte. In einem Streit wurde er vom eigenen Diener durch mehrere Schüsse schwer verwundet.

Noch schlimmer war die Unsitte, dass in gewissen Monaten freigewordene Pfarreien mit Umgehung der wahlberechtigten Organe von Rom aus besetzt wurden, und zwar oft mit wenig geeigneten Persönlichkeiten, bisweilen sogar Laien. Die so Ernannten, die begreiflicherweise geringes Ansehen genossen, nannte man Kurtisanen oder Guardiknechte. Diese Übelstände haben mitgeholfen, den Boden zu bereiten, auf dem sich die Glaubensspaltung entwickeln konnte.

Tiefgehenden Einfluss auf das st. gallische Kirchenwesen hat besonders Abt Ulrich Rösch ausgeübt. Wie er die Mutterkirche zu neuem Glanz erhob und durch ihren prächtigen Gottesdienst das Volk von der St. Laurenzenkriche wieder ins Kloster zog, so behielt er auch die kirchlichen Angelegenheiten des ganzen Landes stets im Auge. Er löste Grub von Rorschach, Trogen von Altstätten, Teufen, Hundwil und Gais von St. Laurenzen ab und machte sie zu selbständigen Pfarreien, die freilich der Mutterkirche gegenüber noch gewisse Verpflichtungen hatten. Die großen Pfarreien Altstätten, Marbach, Berneck, Rorschach, Gossau, Wil, Kirchberg wurden durch ihn mit päpstlicher Erlaubnis der Abtei St. Gallen einverleibt, wodurch ihre Einkünfte, nach Abzug des Gehaltes für den Leutpriester, dem Kloster zuflossen, dieses aber den ganzen Einfluss über die Pfarreien erlangte.

Rege Sorgfalt wandte Ulrich den Klöstern seines Gebietes zu; dem zu St. Johann war er Schirmherr; das zu St. Katharina in St. Gallen förderte er eifrig; denen zu St. Georgen, Wonnenstein und Grimmenstein erwies er sich als Wohltäter; im Kilchtobel zu Waldkirch entstand unter ihm ein neues Schwesternhaus, das aber bald wieder einging.

Die Besetzung von mehr denn sechzig Pfründen, von denen 19 im jetzigen Kanton St. Gallen, mehrere in andern schweizerischen Gebieten, die übrigen jenseits des Rheins und des Bodensees lagen, stand dem Abt zu. Die Pfrundgüter galten als Lehensgüter der Abtei, daher der Lehenseid beim Antritt der Pfründen.

Verschiedene Bruderschaften dienten einer eifrigen Pflege des religiösen Lebens. Das Volk war bestrebt, durch reiche Vergabungen und Jahrzeiten für das Seelenheil der Lebenden und Abgestorbenen möglichst weitgehende Sorge zu tragen. In besonderer Blüte stand das Ablasswesen, bei dem aber mancherlei Missbräuche vorkamen. Mit großer Strenge wurde das Fastengebot gehalten. Während der ganzen vierzigtägigen Fastenzeit wie auch an allen Freitagen und Samstagen des Jahres war der Fleischgenuss und der Genuss alles dessen, was vom Fleisch kommt, als Butter, Milch, Eier, verboten. Letztere Bestimmung wurde aber unter Abt Ulrich Rösch gemildert. An den eigentlichen Fasttagen durfte nur einmal des Tages um die elfte Stunde eine Mahlzeit eingenommen werden.

Auch die Kleidung war in der Fastenzeit ohne alle Zieraten. In der Kirche wurden die Bilder der Heiligen mit Tüchern verhüllt und die Altarschreine verschlossen. Unter dem Chorbogen hing das große »Hungertuch«.

In glänzender Weise, mit Entfaltung aller Pracht und Teilnahme der ganzen Bevölkerung wurden die kirchlichen Feste begangen. Namentlich die Prozessionen waren sehr beliebt. Am Palmsonntag begab sich das Volk, Palmen tragend, vom Münster nach St. Mangen. Hier wurde die Palmweihe vorgenommen, worauf die Prozession ins Münster zurückkehrte. Die Zurückkehrenden zogen einen künstlich gefertigten Esel, auf dem ein Mann, Christus darstellend, saß, in die Kirche hinein. Auch die Grablegung des Herrn am Karfreitag und die Auferstehungsfeier am Karsamstag geschahen in sehr anschaulicher, dramatischer Weise.

Am Markustag (25. April), wo es meist noch empfindlich kalt ist, besuchte das Volk barfuß die St. Mangenkirche. An den drei Tagen der Bittwoche ging die erste Prozession mit Kreuz und Fahnen aus dem Klosterhof die Stadt hinunter nach St. Mangen, dann über den großen Brühl nach St. Fiden und zur Kapelle der heiligen Maria Magdalena im Linsenbühl. Die zweite zog aus dem Kloster und der Stadt nach St. Georgen, von dort durch das Demutstal, wo man das Kreuz in den Weiher tauchte, über Hofstetten den Berg hinunter nach St. Leonhard zu Predigt und Hochamt und dann ins Kloster zurück. Die dritte begab sich nach der St. Jakobskirche in der Langgasse, dann über Laimat zur St. Peter- und Paulskapelle auf Rotmonten und zurück ins Kloster.

Der sogenannte Kreuztag (3. Mai) vereinigte auf dem Brühl vor der Stadt eine zahllose Volksmenge aus den Pfarreien der alten Landschaft, aus Appenzell und dem Rheintal mit ihren Geistlichen. Jede Pfarrei wurde durch den Stadtschreiber aufgerufen, an ihrer Spitze standen Tambouren, Pfeifer und Hellebardiere in Harnisch; die ganze Prozession wurde eröffnet durch die Kreuz- und Fahnenträger aus den Kloster- und Stadtkirchen. Dann kamen die singenden Schüler, der amtierende Geistliche mit seinen Leviten, die Welt- und Ordenspriester, welche die Reliquien der Heiligen Gallus, Konstanzius, Remaklus in kostbaren Särgen trugen, endlich in bestimmter Reihenfolge alle anwesenden Pfarreien.

Dieser großartige Zug bewegte sich unter dem Geläute sämtlicher Glocken des Klosters und der Stadt durch das Brühltor über den Markt die Stadt hinauf zur Münsterkirche, um dem Hochamt und der Predigt beizuwohnen, nach deren Schluss wieder jede Pfarrei nach Hause zog.

Am Fronleichnamsfest wurde von Geistlichkeit und Volk aus der Stadt und den umliegenden Ortschaften das Allerheiligste vom Müllertor aus um die ganze Stadt durch alle Hauptgassen und wieder durch dieses Tor hindurch ins Kloster zurückbegleitet. Die Gassen waren mit Laubwerk, die Häuser mit herausgehängten Teppichen und Gemälden prächtig geziert, und auf den Hauptplätzen reichgeschmückte Altäre aufgestellt. Hier zeigte sich das alte St. Gallen ganz besonders als eine fromme katholische Stadt.

Das Jahrhundert vor der Glaubensspaltung war eine Zeit gewaltiger Gärung. Auf allen Gebieten des Lebens machten sich die Vorboten großer Umwälzungen und das Nahen einer neuen Zeit bemerkbar. Zunächst steht dieses Neue noch friedlich neben den althergebrachten Anschauungen und Bräuchen des Mittelalters, um sich dann immer ungestümer und erfolgreicher seinen eigenen Weg zu bahnen.

Die Schweizer galten als ein frommes, dem Apostolischen Stuhl besonders treu ergebenes Volk und erhielten von Papst Julius II. den Ehrentitel »Beschützer der Freiheit der Kirche«. Bern, Freiburg, Basel schufen damals ihre herrlichen Münster. Auch in St. Gallen wurde sowohl die Klosterkirche wie St. Laurenzen mit viel Kunstsinn verschönert, und das Volk steuerte freudig dazu bei. Eine neue Blüte kirchlicher Kunst kündigte sich verheißungsvoll im ganzen Land an, wurde dann aber durch den losbrechenden Glaubensstreit jäh geknickt. Die Altstätter bauten noch kurz vor der Glaubensspaltung ihren Schwestern im Nonnental ein neues Kloster.

Wie eifrig das mystische Leben gepflegt wurde, bezeugen die noch erhaltenen Bücher aus den Vereinigungen frommer Brüder und Schwestern, die sich im 15. Jahrhundert rings um die Mauern St. Gallens befanden. Einige dieser Schriften gehörten den Feldnonnen der oberen und unteren Klause bei St. Leonhard. Als die letzteren nach ihrer Vertreibung das Klösterchen der heiligen Wiborada in St. Georgen bezogen, nahmen sie ihre liebsten Bücher mit. Auch die Benediktinerinnen von St. Georgen müssen eine besondere Vorliebe für mystische Bücher gehabt haben. Ihre Beichtväter schrieben ihnen eine ganze Reihe solcher ab, die man noch heute in der Stiftsbibliothek vorfindet. Das Kloster St. Katharina in St. Gallen stand nicht minder ehrenvoll da. Ein Verzeichnis aus dem Jahr 1484 gibt an, dass dieses Gotteshaus damals 158 lateinische und 43 deutsche Bände und außerdem 65 Gebetbücher besaß. Unverkennbar herrschte während den Jahrzehnten vor der Glaubensspaltung in weiten Kreisen noch tiefe Religiosität und großer Opfersinn, wenn auch dabei oft Äußerlichkeit und Mechanismus unterlaufen mochte.

Die sittlichen Verhältnisse dieses Zeitalters hatten schon infolge des alten Zürichkriegs mit seinen schrecklichen Gräueln stark gelitten, verschlimmerten sich aber besonders durch die Burgunderkriege und das Söldnerwesen in bedenklichster Weise. Die Übelstände griffen umso eher auch auf die Ostschweiz über, weil das Stift St. Gallen seit dem Jahr 1451 und die Stadt seit 1454 zugewandte Orte der Eidgenossenschaft waren und deshalb an deren Kriegen teilnehmen mussten. Wie eine Epidemie wütete die Reisläuferei unter der Jungmannschaft. Zu Tausenden zogen Jünglinge und Männer aus allen Teilen des Landes in fremde Dienste, wo sie wohl ihren Blick erweitern konnten, aber auch häufig an Leib und Seele Schaden litten. Die Zurückgekommenen verprassten ihr Geld und mochten nicht mehr arbeiten. Sie zechten, stahlen, rauften und spielten in den Wirtshäusern und wurden eine wahre Landplage. Im Jahr 1480 verfielen in der Schweiz innert kurzer Monate 1500 Diebe und Vagabunden dem Galgen; es waren meist dienstlose Reisläufer. Oft brachten die Söldner schlimme Krankheiten aus dem Welschland nach Hause und verpesteten damit ihre Umgebung. In St. Gallen wurde ihnen eine eigene Gottesdienstgelegenheit angewiesen, um andere Leute vor Ansteckung zu schützen.

Ein wilder Fest- und Vergnügungstaumel, Luxus und Kleiderpracht sowie unsinnige Verschwendungssucht nahmen zu dieser Zeit in den Städten überhand, während das arme Volk auf dem Land vielfach Not litt. Die Heilighaltung der Ehe und ein sittenreines Familienleben schwanden in manchen Kreisen dahin.

In Bezug auf Volksbildung ist zu unterscheiden zwischen bedeutenderen Ortschaften und volksarmen Gegenden. Die einstmals so blühende Klosterschule hatte längst ihren Glanz verloren und diente nur noch bescheidenen klösterlichen Ansprüchen. Erst unter Ulrich VIII. begann ihr Wiederaufstieg. Dagegen gab es in der Stadt St. Gallen schon wegen ihrer ausgedehnten Handelsbeziehungen verschiedene Bildungsgelegenheiten. Die frühere äußere Klosterschule wurde von der Stadt weitergeführt. An St. Katharina bestand eine Mädchenschule. Daneben gab es noch Privatschulen, die von vermögenden Familien unterhalten wurden. Auch in manchen Gemeinden des heutigen Kantons trifft man teilweise schon früh deutsche Schulen, so in Wil, Rorschach, Rapperswil, Berneck, Marbach, Rheineck, Lichtensteig, Ragaz, Sargans, Mels. Deshalb war die Zahl derer, die lesen und schreiben konnten, nicht so gering, wie man öfters annimmt. Nebstdem bot sich da und dort, besonders bei Geistlichen Gelegenheit, Latein zu lernen. Zwingli erhielt den ersten Lateinunterricht von seinem Oheim, Dekan Bartholomäus Zwingli in Weesen.

Schlimmer waren das Bauernvolk und überhaupt die ärmeren Volksklassen daran, deren Kenntnisse sich im Allgemeinen auf die wichtigsten Religionswahrheiten und die notwendigsten Gebete beschränkten. Der »dumme Bauer« bildet eine ständige Figur der Zeit.

In den bessergestellten Kreisen herrschte ein fieberhafter Bildungshunger. Es war das Zeitalter des Humanismus. Die Erfindung der Buchdruckerkunst und der Fall Konstantinopels hatten dem Abendland eine Fülle neuer Bildungsquellen erschlossen, zu denen sich die Geister hindrängten. Auch aus st. gallischen Landen zogen überraschend viele Jünglinge auf die Universitäten, darunter manche, die den geistlichen Stand im Auge hatten. Für das eigentliche theologische Studium fiel aber dabei wenig ab. Man beschäftigte sich zumeist mit philosophischen und humanistischen Fächern und schaute in spöttischer Verachtung auf die scholastische Theologie herunter. Jene, die nicht auf eine Universität gehen konnten, erwarben sich dürftige Kenntnisse an irgendeiner Lateinschule, wie solche zu Feldkirch und im Kloster St. Gallen bestanden.

In beiden Fällen war die theologische Ausbildung äußerst mangelhaft. Beim Weiheexamen in Konstanz prüfte der Archidiakon über die notwendigsten Kenntnisse in der praktischen Seelsorge, der Kantor über die Ausübung des Gesangs und der liturgischen Verrichtungen, der Kustos über das Verstehen des kirchlichen Lateins. Dass solche Seelsorger beim Ausbruch der Glaubenskämpfe den wortgewandten Neuerern nicht Rede und Antwort stehen konnten, liegt auf der Hand. Schlimmer noch war es, dass die Studenten von den fremden Schulen sehr oft kirchenfeindliche Anschauungen und lockere Sitten mit nach Hause brachten.

Für eine ernste aszetische Erziehung der Geistlichen geschah ebenfalls wenig, so dass es nicht wundernimmt, wenn der Klerus auf keiner hohen Stufe stand und immer mehr an Achtung verlor. Die rohen Bräuche der Zeit färbten auch auf die Diener des Heiligtums ab. Sie trugen gleich den Laien den Degen an der Seite und ließen sich zu blutigen Raufereien fortreißen. Das ärgste Laster aber war ihre Unenthaltsamkeit, die so allgemein herrschte, dass sie fast für selbstverständlich gehalten wurde. Diese haltlosen Geistlichen liefen dann scharenweise zur Neuerung über, in der sie ein bequemes Mittel sahen, um sich zu rechtfertigen und den drohenden kirchlichen Strafen zu entgehen.

Wie viel ein guter Klerus vermocht hätte, zeigt die Gemeinde Montlingen, die unter ihrem mutigen, trefflichen Pfarrer Theobald Hutter als einzige Pfarrei des Rheintals allen Anstürmen der Neuerung standhielt. Leider bildeten solche Seelsorger eine Ausnahme. Im fast gänzlichen Versagen des Klerus liegt eine Hauptursache für den religiösen Umsturz in unsern Landen.

Wohl hallte durch das ganze 15. Jahrhundert der Ruf nach einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern. Die Konzilien von Konstanz und Basel sowie manche edle kirchlich gesinnte Männer gaben sich Mühe, eine solche herbeizuführen. Es hätte aber hierzu einer Reihe von Päpsten bedurft wie Gregor VII., Innozenz III., Leo I.; ein Alexander VI., ein Julius II., ein Leo X. waren nicht die Männer, um diese Riesenaufgabe zu lösen. Die vielen politischen Händel, in welche das Papsttum damals verwickelt wurde, brachten zudem eine verhängnisvolle Zersplitterung der Kräfte und lenkten häufig den Blick von der großen Hauptaufgabe des Reformwerks ab.

Die Bischöfe von Konstanz als Oberhirten fast der ganzen deutschen Schweiz, bemühten sich zwar, Klerus und Volk auf bessere Wege zu führen, konnten aber bei der Selbstherrlichkeit der schweizerischen Regierungen auf kirchlichem Gebiet nicht viel erreichen. Sogar Abt Gotthard Giel stellte sich an der Spitze des Landkapitels St. Gallen den Reformversuchen seines Oberhirten entgegen.

Bischof Hugo von Hohenlandenberg (1496–1532) erließ schon zu Beginn seiner Amtstätigkeit treffliche Synodalverordnungen mit strengen Vorschriften über Glauben, Leben und Amtstätigkeit der Geistlichen. Diese Vorschriften wurden aber nur zum kleinsten Teil durchgeführt, weil man beim »alten Herkommen« bleiben wollte. Immer und immer wieder mahnte, bat, beschwor und befahl der Bischof seinem Klerus, umzukehren und ein priesterliches Leben zu führen. Weltliches Treiben und weltliche Kleidung, sündhafter oder verdächtiger Umgang mit Frauenspersonen, leichtfertiges Betreten der Nonnenklöster, Karten- und Würfelspiel, unmäßiges Trinken, Zank und gewinnsüchtiges Handeltreiben müsse endlich von den Priestern aufgegeben werden. Den Unfolgsamen drohte er mit den schärfsten kirchlichen Strafen. Allein die weltlichen Behörden, welche diesen Verfügungen des Bischofs ihren starken Arm hätten leihen sollen, taten nichts, ja hielten sogar über fehlbare Geistliche die schützende Hand, so dass diese ungestraft ihr leichtfertiges Leben fortsetzen konnten. Als der Klerus die Gefolgschaft versagte, wandte sich der Bischof an das Volk, dass die Gläubigen mit aufgehobenen Händen beten möchten für die gefährdeten Priester. Ja, als bereits die Flamme des Aufruhrs gegen Papst und Kirche durch die halbe Eidgenossenschaft züngelte, erließ Bischof Hugo am 16. Februar 1526 nochmals einen ergreifenden Hirtenbrief, der wie ein letzter Appell zur Umkehr und zur Treue gegen den alten Glauben anmutet.

Das stark entwickelte, selbstherrliche Staatskirchentum der Eidgenossen, durch welches jede ernste Reform verunmöglicht wurde, bot dann in der Folge den Obrigkeiten der neugläubigen Städte eine willkommene Handhabe, um das ganze Kirchenwesen an sich zu reißen und nach eigenem Plan zu gestalten.

Was neben der Verderbnis des Klerus sehr viel zur religiösen Umwälzung beigetragen hat, sind endlich die sozialen Verhältnisse. Wie die unteren Volksklassen der Schulbildung entbehrten, so war auch ihre soziale Lage eine drückende. Wohl hatte das Sprichwort: Unter dem Krummstab ist gut leben, seine Geltung noch nicht ganz verloren; und die st. gallischen Bauern erfreuten sich besserer Lebensverhältnisse als ihre Standesgenossen jenseits des Bodensees. Aber das Feudalwesen hatte doch viele Härten im Gefolge, die man umso bitterer empfand, als sich in den Städten unter dem Schutz der Innungen ein freies und kraftvolles Bürgertum entfaltete. Die Klagen der Bauern wollten nicht mehr verstummen. Das Reislaufen entzog dem Land zudem die besten Arbeitskräfte und brachte im Ganzen weder sittlichen noch materiellen Gewinn, sondern vielmehr unberechenbaren Schaden. Die einschneidenden, wenn auch nicht ungerechten Reformen Abt Ulrichs VIII. hatten den durch die Appenzeller Kriege und andere politische Ereignisse mächtig entfachten Freiheitsdrang der Gemeinden gewaltsam zurückgedämmt und ihre Steuerlasten erhöht. Davon blieb ein scharfer Stachel bei den Untertanen zurück. Jener »Fuchs« Gerster, Ammann zu Lömmiswil, der ein Hauptführer des Aufstandes der Gotteshausleute wider Abt Ulrich VIII. gewesen war, taucht im Jahr 1527 als alter Mann bei der Verbrüderung zwischen Zürich-St. Gallen und der äbtischen Landschaft neuerdings führend auf.

Die Zeit um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert war außerdem eine ausgesprochene Krisenzeit und von elementaren Wetterschäden heimgesucht, was wiederum auf die unteren Klassen drückte. Die Werte stiegen, das Geld sank. Eine Inflation trat ein. Der einfache Mann konnte nicht verstehen, dass der Gulden nur mehr die Hälfte seines früheren Wertes haben sollte. Daher großes Klagen und steigende Unzufriedenheit beim armen Volk. Wie verlockend musste diesen geplagten Leuten der Ruf in die Ohren klingen: Freiheit von Zinsen und Zehnten, Befreiung von der Herrschaft des Abtes und seiner oft gewalttätigen Vögte, Abwälzung aller Pflichten und Lasten, die nicht im Wort Gottes begründet sind. Die so weitverbreitete soziale Hochspannung in einer Zeit wirtschaftlichen Niedergangs und drückender Not, wie sie damals über dem Land lastete, musste zu einer gewaltsamen Entladung kommen, sobald nur der zündende Funke in dieses Pulverfass geworfen wurde.


8. Kapitel

Die Glaubenstrennung

Nach dem Tod des Abtes Gotthard stellten die 21 Kapitularen eine Reihe von Bestimmungen auf, welche dessen Nachfolger vor Antritt seines Amtes eidlich zu geloben hatte, damit die unter dem verstorbenen Abt wieder eingerissenen Missstände beseitigt und ferngehalten würden.

Ein neuer Abt sollte ohne Vorwissen des Kapitels kein Geld mehr borgen sowie keine Verpfändungen oder Verkäufe vornehmen; ebenso dürfe er keine Bauten unternehmen, die mehr als fünfhundert Gulden kosten, und keine Ämter ohne Zustimmung des Kapitels vergeben. Blutsverwandte sollten dabei nie den Vorzug vor andern tüchtigen Leuten haben. Bei Besetzung von Pfründen hat er auf das Kapitel zu hören; aus deren Einkünften soll immer der eine oder andere Konventuale auf eine höhere Schule geschickt werden. Die Klostermitglieder hat der Abt mit allem Nötigen, auch Arzneien, genügend zu versehen.

Die Wahl fiel auf den Subprior Franz von Gaisberg (1504–1529), den einzigen Sohn einer aus Konstanz stammenden, in St. Gallen eingebürgerten Patrizierfamilie, den Vadian, sein Vetter, als einen »gar stillen und züchtigen Mann« bezeichnet.

Ritter Anton von Gaisberg hatte seinen Sohn Franz in die Schule nach St. Gallen getan, in der Hoffnung, dass derselbe die Neigung zum geistlichen Stand verliere und sich einer weltlichen Laufbahn zuwende. Hier aber bat der junge Gaisberg um Aufnahme ins Kloster, zu dessen besten Mitgliedern er bald zählte. Abt Franz begab sich, um die päpstliche Bestätigung zu erlangen, persönlich nach Rom. Auf der Reise erhielt er irgendwo in den Speisen Gift, das für einen andern bestimmt war. Davon kränkelte der vordem gesunde, blühende Mann zeitlebens.

Mit der Stadt St. Gallen ergab sich kurz nach dem Amtsantritt ein langwieriger Span wegen der St. Laurenzenkirche, die sich vom Kloster gänzlich unabhängig machen wollte. Nach vielem Prozessieren wurde endlich durch den päpstlichen Legaten Achilles de Grassis der viel Aufregung verursachende Handel im August des Jahres 1509 beigelegt. Die Vorrechte der Münsterkirche fanden dabei neuerdings ihre Bestätigung, doch wurde auch St. Laurenzen als Pfarrkirche erklärt. Sechs Jahre später erhob sich ein neuer Streit wegen der weltlichen Gerichtsbarkeit im Klosterbezirk. Das rasche Eingreifen der Eidgenossen beendete diesen Zwist, indem die volle Gerichtsbarkeit, den Blutbann ausgenommen, dem Abt zugesprochen wurde.

Als Verbündeter der Eidgenossen sandte Abt Franz seine Truppen auch nach Oberitalien, wo sie an den Waffentaten von Pavia, Novarra und Marignano teilnahmen. Zum Lohn hierfür erhielten die Alte Landschaft und das Toggenburg neben päpstlichen Pensionen prächtige Banner als Geschenk Nach der unglücklichen Schlacht bei Marignano wandte sich Abt Franz gleich den Eidgenossen der französischen Politik zu. Bemühungen des Abtes, die alten Ansprüche St. Gallens auf die kleine Abtei Massino in der Lombardei wieder geltend zu machen, führten zu keinem Erfolg.

Im Jahr 1513 wurde durch Bischof Hugo von Konstanz die Heiligsprechung Notkers des Stammlers im Auftrag Papst Leos X. vollzogen. Dieses denkwürdige Ereignis weckte in St. Gallen ein begeistertes Echo und gab Anlass zu glänzenden Festen. Freudig und feierlich erklangen zu Ehren des neuen Heiligen seine Sequenzen und Lieder durch die Hallen der Münsterkirche. Abt Franz dichtete selber zwei Sequenzen auf Notker, welche Ereignisse aus dessen Leben schildern. Ein Konventuale unternahm es, die Schöpfungen Notkers und der übrigen St. Galler Mönche in einem Buch zu sammeln, das Leonhard Wirstlin mit schönen Initialen und Bildern, Franz Gaisberg aber mit einer Vorrede versah.

Dieser Leonhard Wirstlin, Mönch zu St. Ulrich in Augsburg, galt als der berühmteste Schreiber und Illuminator (Buntmaler) jener Zeit. Man hatte ihn eigens herkommen lassen, damit er die gottesdienstlichen Bücher mit möglichster Pracht ausschmücke und einige Konventherren ebenfalls in diese Kunst einführe. Der Weltgeistliche Fridolin Sicher aus Bischofszell, Organist im Münster, dem wir auch eine Chronik verdanken, schrieb ebenfalls Bücher zum Gebrauch beim Gottesdienst. Aus Seligenstadt wurde sodann der gelehrte Pater Laurenz Schab nach St. Gallen berufen, der den Auftrag erhielt, aus den Werken der Bibliothek eine Geschichte des Klosters und seiner bekannteren Konventualen zusammenzustellen.

Ein großes Verdienst erwarb sich Abt Franz noch besonders dadurch, dass er, an die ruhmvolle st. gallische Vergangenheit anknüpfend, den Choralgesang zu neuem Leben erweckte und so dem liturgischen Gottesdienst erhöhten Glanz verlieh. Vadian nannte ihn darum einen »großen Zeremonier«, was für einen Benediktinerabt wahrlich keine Unehre bedeutet.

Da die alten Chorbücher wegen ihres kleinen Formats und der engen Schrift nur von wenigen zugleich benützt werden konnten, wurden neue Gesangbücher hergestellt. Es entwickelte sich in den Klosterzellen eine rege Tätigkeit auf diesem Gebiet. Man ließ sogar Handschriften von auswärts kommen, um die st. gallische Gesangstradition der früheren Zeiten genau festzustellen.

Für die Zierde des Gotteshauses opferte Gaisberg bedeutende Summen, die er dank seines haushälterischen Sinnes und seiner finanziellen Umsicht aufbrachte. Um 1500 Gulden wurde die Orgel restauriert und die Altäre mit kunstvollen Gemälden versehen, für welche ein Konstanzer Meister 2000 Gulden erhielt; der Hochaltar war ein Meisterwerk spätgotischen Stils; der prachtvolle Thron des Abtes kam auf 1800 Gulden zu stehen. Ein schönes Sakramentshäuschen war bereits in Arbon bestellt, wurde aber wegen des losbrechenden Glaubenssturms nicht mehr ausgeführt.

Alle diese Dinge beweisen, dass das Kloster St. Gallen am Vorabend der Glaubensspaltung nicht unrühmlich dastand und dass es eine Reihe tüchtiger Männer unter seinen Konventualen zählte. Einer aus ihnen, Ludwig Blarer von Wartensee, wurde von den Schwyzern als Abt in das tief zerrüttete Kloster Einsiedeln berufen. Franz Gaisberg leuchtete seinen Mönchen in treuer Haltung des klösterlichen Standes voran und wachte auch mit größter Gewissenhaftigkeit über die Rechte des Klosters.

Indessen rückte die schwere Gewitterwolke immer näher, aus welcher sich der verheerende Sturm der Glaubensspaltung entladen sollte. Gleichsam als Vorbote des nahenden Unheils brach im Jahr 1519 eine schreckliche Pest aus, der in der Stadt St. Gallen allein 1700 Menschen zum Opfer fielen. Darunter befanden sich einige Geistliche, die mit besonderem Eifer dem katholischen Glauben anhingen und der lutherischen Neuerung abgeneigt waren.

Auch der schweizerischen und st. gallischen Reformationsbewegung hat das Auftreten Martin Luthers Anstoß und Auftrieb gegeben. Seine scharfen Angriffe gegen die Kirche wurden in der deutschen Schweiz bald bekannt und seine Schriften fanden rasche Verbreitung. Einer der ersten, der Luthers Ideen begeistert aufnahm und dessen Bücher hierher brachte, war Joachim von Watt (1484–1551), gewöhnlich Vadian genannt. Dieser entstammte einem angesehenen Geschlecht der Stadt St. Gallen und empfing seine erste Ausbildung in der Lateinschule des Klosters. Mit 18 Jahren ging er, wie damals manche Schweizer, auch Zwingli, an die Universität Wien, wo er sich eine ausgezeichnete humanistische Bildung aneignete, Professor der klassischen Sprachen und 1516 Rektor wurde. Kaiser Maximilian krönte ihn mit dem Dichterlorbeer. Daneben erwarb er sich den Doktorgrad in der Medizin. Eine humanistische Erstlingsschrift widmete er mit schmeichelnden Worten seinem Vetter Franz Gaisberg.

Im Jahr 1518 verließ Vadian die Stadt Wien, vielleicht wegen der dort ausgebrochenen Pest, und kehrte mit den neuen Anschauungen in seine Heimat zurück, wo er zum Stadtarzt bestellt wurde. Er hatte nahe Beziehungen zu Zürich; seine Frau war die Schwester des späteren Hauptes der Wiedertäufer, Konrad Grebel. Auch mit Zwingli verband ihn enge Freundschaft. Bald sammelte sich um den gefeierten St. Galler Humanisten ein Kreis Gleichgesinnter, die ihn hoch verehrten und feurige Verfechter der religiösen Neuerung wurden, wie die beiden Rheintaler Benedikt Burgauer, Pfarrer von Marbach, und Hans Vogler in Altstätten. Aber Vadian war auch eine überlegene Führernatur. In kluger Weise wusste er zunächst einige Geistliche der Stadt, so den alten Dekan Hermann Miles, Pfarrer zu St. Mangen, den Leutpriester Benedikt Burgauer, nun Pfarrer von St. Laurenzen, den Pfarrhelfer Wolfgang Wetter und andere zu gewinnen, machte sie mit den Schriften Luthers bekannt und erklärte ihnen die Apostelgeschichte in dessen Sinn. Auch im städtischen Rat war er für die Neuerung tätig. Volkstümliche Unterweisungen durch den aus Waldshut vertriebenen Dr. Balthasar Hubmeyer und Christoph Schappeler aus Memmingen, einen St. Galler Bürger, wirkten im gleichen Geist.

So hatte die Neuerung in der Stadt bereits festen Fuß gefasst, als Ende 1523 Johannes Kessler, neben Vadian der bedeutendste Förderer des neuen Glaubens, aus Wittenberg zurückkehrte. 1502 oder 1503 in St. Gallen geboren und früh des Vaters beraubt, besuchte auch Kessler, der zum geistlichen Stand bestimmt war, die Lateinschule im Kloster und wirkte als Sängerknabe beim Gottesdienst mit. 1521 zog er nach Basel, um den berühmten Erasmus von Rotterdam und den späteren Reformator Ökolampadius zu hören, und begab sich endlich, vom Ruhm Luthers angelockt, auf die Hochschule in Wittenberg.

Vom geistlichen Beruf wollte er jetzt nichts mehr wissen und erlernte das Sattlerhandwerk, wurde aber von mehreren Mitbürgern gebeten, ihnen die Heilige Schrift auszulegen, da er ja Luther selbst gehört habe. Er hielt darum zuerst in einem Privathaus, dann wegen des großen Andrangs in den Zunftstuben biblische Lektionen. Später wurde er als Prediger angestellt und zuletzt an die Spitze der St. Galler Kirche berufen.
Allmählich fingen auch andere zu predigen an, so dass man allenthalben auf Gruppen von Städtern und Landleuten stieß, die über Bibel und Kirche disputierten. Gegenstand des Disputs waren besonders die Ablässe, das Anrufen der Heiligen, die Verehrung der Bilder, das Fegfeuer, die Ordensgelübde, die Gebete und Zeremonien der Kirche, die Gewalt des Papstes; bald wurden auch das Messopfer und fast alle Sakramente angegriffen.

Abt Franz widersetzte sich von Anfang an der Glaubensneuerung, weshalb ihm Papst Hadrian schon im Jahr 1522 ein Anerkennungsschreiben zukommen ließ. Der Abt sagte zu den Neuerern: »Ihr rühmet euch ohne Ursache des Evangeliums, selbes ist mir von jeher bekannt und werter gewesen als euch; ich will mir aber dessen Sinn lieber von der Kirche als von Luther erklären lassen.« Er gab auch strenge Verordnungen gegen die neue Lehre heraus und ließ dieselbe durch den tüchtigen Münsterprediger Dr. Wendelin Oswald, einen Dominikaner aus Sommeri, von der Kanzel aus bekämpfen. Die katholischen Orte der Eidgenossenschaft verboten ebenfalls den »frechen, ungewichten Buben und Winkelpredigern« und dem »Kesselflicker« (Johannes Kessler) jegliches Predigen aufs schärfste.

Doch die Lawine rollte weiter. Am 4. April 1524 setzte der städtische Rat einen ersten Markstein des neuen Glaubens, indem er den Seelsorgern der Stadt befahl, das »Evangelium hell, klar und nach rechtem christlichem Verstand, ohne Beimischung menschlichen Zusatzes« zu predigen. Zugleich wurde aus Anhängern der neuen Lehre eine Viererkommission zur Überwachung in Religionsangelegenheiten aufgestellt. Schon begann man auch, die Bilder aus der St. Laurenzenkirche zu entfernen, jedoch um Aufsehen zu vermeiden, nur allmählich und in nächtlicher Stunde.

Die beiden blühenden Frauenklöster St. Katharina und St. Leonhard hatten ebenfalls schwere Quälereien zu erdulden, bis sie endlich ganz aufgehoben wurden. Fast alle Klosterfrauen blieben jedoch dem Glauben und ihren Gelübden treu.

Inzwischen erhob sich aber ein Feind, der den Häuptern des neuen Religionswesens viel zu schaffen machte. Es waren die Wiedertäufer, die sich, unter Führung des Konrad Grebel aus Zürich, in St. Gallen, im Appenzellerland und Toggenburg verbreiteten und unter steter Berufung auf die Bibel furchtbare Ausschreitungen verübten. Einer hieb seinem Bruder den Kopf ab, um das Opfer Abrahams nachzuahmen; eine Dienstmagd gab sich für den leibhaftigen Christus aus und tat mir ihren »Aposteln« einige Tage lang die verrücktesten Dinge; in Teufen warteten zwölfhundert, in drei Haufen getrennt, auf Speise und Trank, die ihnen der himmlische Vater gewähren würde, bis sie der Hunger auseinandertrieb. Andere spielten auf den Straßen mit Sand, da geschrieben stehe: »Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so könnt ihr ins Himmelreich nicht eingehen.«

Die Katholiken riefen den Neugläubigen höhnisch zu: »Seht da, wohin die Zwinglilehre und die eigenmächtige Schriftauslegung führt.« Die Wiedertäufer hingegen beriefen sich Zwingli und dessen Anhängern gegenüber auf das »pure und lautere Wort Gottes«, das sie richtiger verstehen und durchführen als die Reformierten.

Schließlich musste die Wiedertäuferei mit Gewalt niedergeschlagen werden.

Im Januar 1526 hörte Wolfgang Wetter, Vikar an St. Laurenzen, als erster auf, die Messe zu lesen; die andern Geistlichen fuhren noch einige Monate damit fort, bis sie auf ein warnendes »Zedeli« hin ebenfalls davon abstanden. Sie traten dann auch in den Ehestand ein.

Gegen Ende dieses Jahres wurde die St. Laurenzenkirche endgültig von Bildwerken und katholischen Erinnerungen »gesäubert«. Drei Tage brauchte es, bis sie »ordentlich sauber und rein« geworden war. Die Katholiken warfen den Bilderstürmern vor, sie hätten aus der Kirche einen »höstadel und rossstall« gemacht. An Ostern 1527 wurde zum ersten Mal die Abendmahlsfeier nach dem von Zwingli aufgestellten Ritus gehalten.

Nachdem die Neuerung in der Stadt St. Gallen zum Sieg gelangt war und sich in der Eidgenossenschaft immer weiter ausbreitete, bekam der städtische Rat den Mut, auch auf das Rechtsgebiet der Abtei hinüberzugreifen und hier gewalttätig vorzugehen.

Zunächst wurde der Münsterprediger Wendelin Oswald, der den Kampf für den alten Glauben so kräftig geführt hatte, ausgewiesen und musste nach Einsiedeln fliehen. Auch gegen seinen Nachfolger auf der Münsterkanzel, den aus Stammheim von den Zürichern vertriebenen Dekan Adam Moser, trat Vadian sofort klagend vor den Abt, ließ denselben in den Kerker werfen, grausam foltern und aus St. Gallen ausweisen. Dem Kaplan Hans Wettach an der Linsenbühlkirche entzog der Rat das Bürgerrecht, da er nicht vom Messelesen abstehen wollte. Die vom Abt besoldeten Kapläne des Liebfrauenamtes im Kloster wurden verwarnt, weil sie auf die Bitte von Sterbenden diesen die letzten Sakramente gespendet hatten.
Als der Abt den Geistlichen von St. Mangen, der Lehenskirche des Kloster, ihre Pfründen aufkündete, weil sie nach dem Willen der städtischen Obrigkeit geheiratet hatten, befahl der Rat, auch dort die Bilder zu entfernen, was am 28. Februar 1528 zuletzt von allen Stadtkirchen geschah. Dabei wurden die Überreste der hier verehrten Klausnerinnen Wiborada und Rachildis aus ihren Gräbern gezerrt und mitsamt den Reliquien des heiligen Magnus verbrannt und die Asche heimlich verscharrt.

Nachdem die Wahlen vom 28. Juni 1528 den Rat von allen katholischen Mitgliedern befreit hatten, schritt man schon am 17. Juli zum vollständigen Verbot der heiligen Messe. Den Kaplänen des Frühamtes im Münster, die seit jeher in der Stadt wohnten, wurde Weisung gegeben, sie müssen entweder von der Messe abstehen oder die Stadt verlassen. Sie zogen das letztere vor und wurden vom Abt um ein billiges Kostgeld ins Kloster aufgenommen. Im Weitern erlaubte sich der Rat, vom Abt nichts weniger als die Abstellung der katholischen Predigt im Münster zu verlangen mit der Drohung, dass die Stadt sonst selber handeln werde.

Infolge dieser Gewalttaten entschloss sich der schwerkranke Abt Franz im Februar 1529 nach dem Schloss Rorschach überzusiedeln, um wenigstens ruhig sterben zu können.

Ende November 1528 hatte Zürich als Schirmort der Abtei einen fanatischen Anhänger Zwinglis, den Hauptmann Jakob Frei, in die Stiftslandschaft geschickt. Da zugleich Vadian im Januar 1529 zum zweiten Mal Bürgermeister wurde, waren nunmehr die Grundlagen geschaffen, um dem Reformationswerk in St. Gallen die Krone aufzusetzen durch den denkwürdigen Münstersturm vom 23. Februar 1529.

Im Vertrauen auf den Beistand Zürichs fasste der städtische Rat am Morgen dieses unseligen Tages den Beschluss, das Münster von seinen »Götzen auszuräumen«. Am Mittag verkündete eine Abordnung des Rates diesen Beschluss dem Dekan des Klosters, Otmar Wild, genannt Gluss, der samt seinen Mitbrüdern dagegen feierlich protestierte.

Bereits hatte sich eine große Volksmenge mit allerlei Werkzeugen vor dem Gallusmünster zusammengerottet, um beim ersten Zeichen über die »Götzenbilder« herzufallen. Im Chor der Klosterkirche trat Vadian vor die Versammelten, nahm alle Verantwortung auf sich und erklärte, dass der städtische Rat beschlossen habe, noch heute die Bilder zu entfernen und zu verbrennen.

»Sieh zu!« so schildert Johann Kessler als Augenzeuge den vandalischen Vorgang, »kaum hatte er (Vadian) den Mund geschlossen, jederman fiel in die Götzen. Man reiß sie ab den Altären, Wänden und Sülen, die Altär wurden zerschlagen, die Götzen mit den Äxten zerschitet oder mit Hämmern zerschmettert; du hättest gemeint, es geschehe eine Feldschlacht. Wie war ein Getümel, wie ein Gebrecht wie ein Tosen in dem hohen Gewölb! … Was köstlicher, was subtiler Kunst und Arbeit ging zu Schitern!«

In zweieinhalb Stunden war die traurige Arbeit vollendet. Alle Kunstwerke aus Holz und Stein, die frommer Sinn seit Jahrhunderten geschaffen hatte, bildeten einen riesigen Trümmerhaufen. 40 Wagen voll von zerstörten Bildern, Kruzifixen und andern heiligen Gegenständen führte man auf den Brüel und verbrannte sie.

Ildefons von Arx, der st. gallische Geschichtsschreiber, berechnete seinerzeit den Schaden dieses Bildersturms auf 160‘000 Gulden, was nach heutigem Geldwert eine vielmal größere Summe bedeutet. Auch die Leiber der Heiligen wurden aus ihren Gräbern gerissen; diejenigen der heiligen Otmar und Notker konnten die Mönche durch List retten und nach Wil, später nach Einsiedeln flüchten. Vom Leib des heiligen Gallus gelang es einem treu gebliebenen Katholiken noch einige Gebeine dem Feuer zu entreißen.

Am Tag nach dem Bildersturm wurden die 35 Altäre aus dem Kloster entfernt und die Treppenstufen und steinernen Statuen dazu benützt, Türen und Fenster des Kirchenschatzes zuzumauern. 24 Glocken wurden nach Lindau geschickt und dort zu einer großen Kanone, die man zum Spott »Rohraff« hieß, umgegossen. Sämtliche Gemälde, welche das Innere der Kirche schmückten, mussten einer weißen Tünche Platz machen; der hohe Lettner, der den Mönchschor von der Laienkirche schied, verschwand, und ein großer Predigtstuhl wurde an seine Stelle gesetzt. Viele alte Denkmäler, Inschriften und Kunstsachen samt dem wundertätigen Marienbild »im Gatter«* fielen der Vernichtung anheim. [*Der Marienaltar mit dem wundertätigen Muttergottesbild, wegen des ihn umgebenden Gitters »Unsere Frau im Gatter« genannt, war das Ziel zahlreicher Wallfahrer von nah und fern, die hier Trost und Hilfe suchten. In zwei Büchern (Stiftsarchiv Bd. 389 und 390) sind eine Menge von Erhörungen aufgezeichnet. Nach der Glaubensspaltung erlosch die berühmte Wallfahrt.]

Schon am 7. März 1529 eröffnete Dominikus Zili, der Schulmeister an der Lateinschule, vor 4000 Personen, nach Absingen des 51. Psalms, den reformierten Gottesdienst im Münster, rings in den Stiftslanden aber schlugen die Flammen der Empörung wider Abt und Kloster lichterloh empor.

Während dieser Ereignisse lag Franz Gaisberg, von seinen eigenen Leuten gefangen gehalten, todkrank im St. Annaschloss in Rorschach. Zürich hatte die Absicht, nach Franzens Tod keine neue Abtwahl vornehmen zu lassen. Als der Abt am 21. März 1529 gestorben war, trug sein Kämmerling Michael Rösch, um den Tod zu verheimlichen, die Speisen auch weiterhin in das Sterbegemach, wo man den Leichnam in einen Sarg verschlossen hatte. Unterdessen war Pater Kilian Germann, dem man ein Zeichen vom Tod des Abtes gegeben hatte, nach Einsiedeln geritten, um die dorthin geflüchteten Konventualen zu sammeln und von ihnen im »Roten Löwen« zu Rapperswil am 25. März die Abtwahl vornehmen zu lassen. Sie fiel auf Kilian Germann, einen Toggenburger aus Bazenheid. Zur nicht geringen Überraschung für die Feinde des Klosters wurde dann miteinander der Tod des Abtes Franz und die Wahl seines Nachfolgers verkündet.

Elf Kapitularen hatten gegen den Bildersturm und die Beraubung des Klosters feierlichen Protest eingelegt und durch einen urkundlich aufgesetzten Kapitelbeschluss ihre Treue zu Glauben und Orden ausgesprochen. Sechs jüngere Mitglieder des Konvents fielen ab. Die Treugebliebenen fanden in Einsiedeln ihr vorläufiges Asyl.

Während die Glaubensneuerung in der Stadt St. Gallen fast ausschließlich ein Werk des durch Vadian verkörperten Staatskirchentums war, erscheint sie in den Stiftslanden vorwiegend als eine sozialrevolutionäre Bewegung mit dem Ziel, von der äbtischen Herrschaft frei zu werden.

Dr. Schappeler, Prediger zu Memmingen und später zu St. Gallen, hatte ein Buch unter das Volk geworfen, worin er den Bauern aus der Bibel zu beweisen suchte, dass es unchristlich sei, von den Gläubigen Zinsen und Abgaben zu fordern, und dass der Himmel den Bauern offen, dem Adel aber und der Geistlichkeit verschlossen sei. Diese Lehren, als Wort Gottes vorgetragen, wurden vom Landvolk in Schwaben und in der östlichen Schweiz mit unbeschreiblichem Beifall aufgenommen. »Da, da«, sprach ein Bauer zum andern, »das ist das recht Evangeli. Lueg, lueg, wie hant die alten Pfaffen gelogen und falsch gepredigt, man sollt die Buben alle zu todt schlagen, wie hant sie uns also herrlich betrogen und beschissen.«

Schon gingen die Bauern mit dem Plan um, die Klöster St. Gallen, Münsterlingen, Feldbach, Däniken auszurauben; im Thurgau wurde wirklich die Kartause Ittingen von einem wütenden Volkshaufen erstürmt und angezündet. Die aufständischen deutschen Bauern nahten sich in wilden Scharen der Schweizergrenze, wo man vor ihnen zitterte und sie bat, das Land nicht zu betreten. Ihre Antwort lautete: »Sie zögen herum wie die Krähen in der Luft, und wohin das Gotteswort, der Geist und ihre Not triebe.«

In der alten st. gallischen Landschaft verweigerten die Leute dem Kloster die Abgaben und gingen gewalttätig gegen den Rechtsbeistand des Abtes, Dr. Winkler in St. Fiden, vor.

Um noch schlimmere Ausschreitungen zu verhindern, setzten die vier Schirmorte auf Bitten des Abtes Franz einen Rechtstag auf Mitte Juli 1525 nach Rapperswil an, bei welchem die Gotteshausleute ihre Wünsche und Klagen vorbringen sollten.

Sie begannen ihre Rede mit der Anfrage: Ob der Abt, der gegenwärtig war, sie bei dem Gotteswort, dem Evangelium, der Heiligen Schrift und göttlichen Wahrheit wolle bleiben lassen; auch erklärten sie, dass die bisher üblichen Abgaben »ganz unchristlich wider die Lehr und das Wort Gottes und wider christliche brüderliche Liebe« seien.

Der Abt antwortete darauf, dass er nicht da sei, um über das Evangelium mit ihnen zu disputieren, sondern um ihre Klagen entgegenzunehmen. Fälle, Fastnachtshennen und andere schuldige Abgaben dem Kloster zu leisten sei Recht und Pflicht und widerspreche keineswegs dem Wort Gottes und der Heiligen Schrift.

Nach Verhörung aller Parteien fällten die Abgesandten der vier Schirmorte den Rechtsspruch, dass dem Abt und Kloster St. Gallen die bisherigen Befugnisse und Einkünfte verbleiben sollen.

Allein die aufgeregten Geister ließen sich durch solche Sprüche nicht mehr beruhigen. Den Untertanen des Abtes schien die Gelegenheit zu günstig, von allen Lasten frei zu werden, als dass sie dieselbe nicht mit größter Entschlossenheit ausgenützt hätten. Von Seiten der Stadt wurde hinwieder alles getan, um diese revolutionäre Stimmung zu schüren und damit den Bestand der Abtei selbst zu untergraben. Insgeheim nährte man in St. Gallen Wunsch und Hoffnung, nach dem Untergang des Stifts die äbtischen Gebiete zu einer ostschweizerischen Republik unter Führung der Stadt zusammenzuschließen, ein Plan, dem freilich das mächtige Zürich entgegenstand, da es selber Absichten auf die Stiftslandschaft hatte.

Einige Pfarrherren des Stiftsgebiets, darunter besonders Pelagi Stein in Goldach und Christoph von Landenberg in Oberbüren, waren mit aller Schärfe für die Neuerung tätig und erklärten im Einklang mit den neugläubigen Stadtgeistlichen, dass die Messe kein Opfer, sondern nur ein Testament, die Beichte kein Sakrament, sondern ein verwerflicher Missbrauch sei.

Geistliche hingegen, welche das neue Religionswesen bekämpften, wurden verfolgt und schwer gebüßt. Den Pfarrer von Niederbüren, Franz Schindelin, der seine Pfarrkinder vor der Neuerung warnte, nahmen die St. Galler gefangen, als er sich zu einem Freund nach St. Fiden begeben wollte, und spannten ihn auf die Folter. Er verlor seine Pfründe. Der Pfarrhelfer von Wil, Dr. Franz Sonnenschein, wurde ebenfalls bei einem Besuch in St. Gallen gefangengenommen, in den Turm gesperrt und jämmerlich gefoltert, weil er gegen die Zürcher, Berner und St. Galler geschmäht hatte.

Noch schlimmer erging es dem Münsterprediger Adam Moser, ehemals Pfarrer in Stammheim, der nach der Ausweisung des Dr. Wendelin Oswald die Klosterkanzel inne hatte und heftig gegen die Neuerung auftrat. Als er St. Gallen verlassen und nach Wil reiten wollte, schlugen ihm die Wächter das Tor zu und führten ihn ins Gefängnis. Durch lange Kerkerhaft geschwächt, wurde der alte Mann in das Kreuzfeuer einer heftigen Disputation mit den Prädikanten versetzt. Da man ihm drohte, ihn vor das Hochgericht zu stellen, erklärte er sich zuletzt bereit, am Weihnachtsfest in der Laurenzenkirche öffentlichen Widerruf zu leisten und eine Bürgschaft von 250 Gulden einzugehen mit dem Versprechen, sich nie für diese Gefangenschaft zu rächen.

Wie ein Lauffeuer ging die Kunde durchs Land, der alte Dekan habe öffentlich seine Predigten widerrufen und den Prädikanten recht gegeben. »Das habe mehr geschadet, als wenn man sonst viel mehr Pfaffen gefangen hätte, denn dieses Mannli war also keck und tapfer auf der Kanzel, dass vil Lüt Herz und Glauben uf in hatten«, bemerkt der Chronist Sicher. Viele Gotteshausleute traten deshalb der Neuerung bei.

Im Mai 1527 wurde in St. Gallen ein großartiges Schützenfest abgehalten, das der Verbrüderung zwischen den Gotteshausleuten einerseits und den Städten Zürich und St. Gallen anderseits diente und damit der Glaubensneuerung mächtigen Vorschub leistete. Vierhundert bewaffnete Männer aus Rorschach, Waldkirch, Gossau. Goldach, Straubenzell, Lömmiswil und Tablat erschienen zum Fest, und ihr Sprecher, der 80jährige Ammann von Lömmiswil, »Fuchs« Gerster, einst im St. Gallerkrieg das Haupt der Rebellen gegen Abt Ulrich VIII. und sein Kloster, schenkte der Stadt Zürich namens der genannten Gemeinden einen schönen schweren Ochsen mit der Bitte, es möchten sich die Zürcher die Gotteshausleute »allweg befohlen« sein lassen.

Als dann Zürich den Draufgänger und vertrauten Freund Zwinglis, Jakob Frei, als Schirmhauptmann in die Stiftslande schickte, hieß es ringsum, »jetzt werde dem Gotzhus das Ende geläutet«. Eine allgemeine »Götzenbrunst« (Zerstörung der religiösen Bilder) setzte bald darauf ein, und der Abfall des Fürstenlandes vollzog sich rasch auf der ganzen Linie. Arbon, Waldkirch, Altstätten, Rorschach, Berg, Berneck, Kastl, Sommeri, Güttingen, Romanshorn, Steinach, Hagenwil, Gossau und die übrigen Gemeinden »räumten« ihre Kirchen aus und gingen zur neuen Lehre über. Einzig die Stadt Wil blieb teilweise dem Glauben treu, obwohl Jakob Frei gerade hier alles versucht hatte, die neue Lehre einzuführen; die Bürger verbargen Bilder und Reliquien, um sie nach dem für Zürich ungünstigen Ausgang des Kappelerkriegs wieder im Triumphe in die St. Nikolauskirche zurückzubringen.

Trotz des ausdrücklichen Verbots der Zürcher huldigte indessen ein Teil der Gotteshausleute dem neuen Abt Kilian Germann. Da sandte Zürich ein Truppenaufgebot unter Rudolf Lavater nach Wil, wo sich der Abt aufhielt. Kilian musste fliehen und entwich am 7. Juni 1529 von Steinach aus über den See nach Überlingen. Seine Flucht stürzte die Anhänger des alten Glaubens in völlige Mutlosigkeit, den Gegnern aber bot sie willkommenen Anlass, die Volksleidenschaften aufzuwühlen und den Abt sogar landesverräterischer Pläne zu bezichtigen.

Bald war die Stiftslandschaft vollständig in den Händen der Zürcher, und die Hochflut der Reformationsbewegung brach über die ganze Ostschweiz herein. Die dem katholischen Glauben treu gebliebenen Seelsorger wurden vertrieben und Prädikanten an ihre Stelle gesetzt. Die Lage der Abtei gestaltete sich immer bedrohlicher. Schon verlangten die Gotteshausleute auf einem Tage zu Wil eine eigene Verfassung und völlige Unabhängigkeit. In St. Gallen besetzte der Rat am 8. Juni 1529 das Kloster, nahm die noch dort befindlichen Konventualen, Brüder und Kapläne gefangen und zwang die Mönche, das Ordenskleid abzulegen. Nach vier Tagen entließ man sie aus der Gefangenschaft gegen das Versprechen, jeden Verkehr mit dem Abt aufzugeben und die Kutte nicht wieder anzuziehen. Die Kapläne wurden des Landes verwiesen und flohen nach Mehrerau, wo Abt Kilian für sie sorgen ließ. In den Stiftslanden aber schalteten die Zürcher als die eigentlichen Herren.

Inzwischen kam es zu dem für die Katholiken ungünstigen ersten Kappelerfrieden, der den Zürchern ihre angemasste Herrschaft im St. Gallischen beließ. Abt Kilian gab sich alle Mühe, wieder zu seinem Recht zu gelangen, wobei ihn die beiden Schirmorte Schwyz und Luzern lebhaft unterstützten; aber Zürich, vereint mit Glarus, durchkreuzte seine Bemühungen fortwährend und führte sogar eine neue Verfassung im Stiftsgebiet ein, welche der äbtischen Regierung den Todesstoß versetzte und die Stiftslande in völlige Abhängigkeit von Zürich brachte. Da keine Hilfe bei den Eidgenossen zu finden war, wandte sich Kilian als Reichsfürst an den Kaiser und ging persönlich auf den Reichstag nach Augsburg. Karl V. hatte jedoch in Deutschland selber, wo die lutherische Lehre immer mehr um sich griff, so schwere Arbeit, dass er dem Abt nur gute Worte für die Zukunft geben konnte.

Das Toggenburg sagte sich unterdessen am 19. Juni 1530 förmlich vom Stift los, trat in das christliche Burgrecht mit den reformierten Ständen und erlegte den Kaufpreis von 144‘500 Gulden. Die Stadt St. Gallen aber erwarb von Zürich und Glarus, beziehungsweise von den Gotteshausleuten, am 25. August 1530 die Klostergebäude, sowie Renten und Lehen innerhalb des Stadtbezirks um 14‘000 Gulden, wovon 3000 Fl. den abgefallenen Mönchen zukommen sollten. Das Stift wurde vollständig ausgeplündert; viel wertvolles Gut und kostbare Urkunden gingen dabei zugrunde*. [*Archivsachen, Gültbriefe und Kostbarkeiten wurden teilweise geflüchtet und teilweise vergraben. Bruder Jöri hatte die Kapitalbriefe des Otmarspitals zu Rorschach in sichern Verwahr gebracht und das silberne Kirchen- und Tafelgeschirr zu Wil in einem Stall vergraben; er kam dafür in Gefangenschaft, konnte aber selbst durch die Folter nicht dazu gebracht werden, sein Geheimnis zu offenbaren.]

Im Kloster wurden allerlei Veränderungen vorgenommen, die Kapelle des heiligen Gallus abgebrochen, eine andere Kapelle in einen Kalkofen, eine weitere in eine Werkstätte umgewandelt und vom Spysertor zum Müllertor eine Straße mitten durch den Klosterbezirk angelegt.

Kurz nach diesen schmerzlichen Ereignissen ereilte den unglücklichen Abt bereits der Tod. Er wollte am 30. August 1530 von Bregenz nach dem Schloss Wolfurt, seiner damaligen Residenz, zurückkehren und ritt über die ziemlich hochgehende Bregenzer Ach. Inmitten des Flusses glitt das Pferd aus und begrub den Reiter unter sich. Dieser musste, eingeengt von seinem schweren Regenmantel, hilflos ersticken, und die rasch herbeigeeilten Diener konnten nur noch seine Leiche an Land bringen.

Die neue Abtwahl erfolgte am 19. September 1530 im Kloster Mehrerau und fiel auf Diethelm Blarer von Wartensee (1530–1564). Verwandt mit dem Prälaten Ludwig Blarer von Einsiedeln, besaß der neue Klostervorsteher einflussreiche Verbindungen sowohl in der Eidgenossenschaft als im Deutschen Reich. Zur Wiedergewinnung der Abtei St. Gallen vermochte er aber wenig zu tun. Das St. Galler-Geschäft ruhte vorläufig, nachdem die Stiftslandschaft eine Art selbständiger Verfassung erhalten hatte und das Kloster von der Stadt St. Gallen in Besitz genommen war. Auch vom Kaiser war keine Hilfe zu erwarten.

Da beging Zürich einen neuen Rechtsbruch. Ende November 1530 war die Amtsdauer des Stiftshauptmanns Jakob Frei abgelaufen, und ein Luzerner kam an die Reihe. Allein der von Luzern bestimmte Nachfolger sollte bei seinem Antritt die neue Verfassung der Stiftslandschaft beschwören, welche diese tatsächlich von Abt und Stift vollständig loslöste. Als Luzern das verweigerte, hielt ihm Zürich die verschärfte Forderung entgegen, dass die Gotteshausleute nur einen Hauptmann annehmen werden, der »evangelischer leer nit zuwider« sei. So blieb der Zürcher Jakob Frei ohne Rücksicht auf das unbestreitbare Recht Luzerns in seinem Amt.

Die neue Lehre fand namentlich im Toggenburg schon früh starke Verbreitung. In Wildhaus war Ulrich Zwingli am 1. Januar 1484 als Sohn des Ammanns Heinrich Zwingli und der Frau Margaretha Meili, Schwester des späteren Abtes von Fischingen, geboren worden. Mit 10 Jahren kam er zu seinem Oheim, Dekan Zwingli nach Weesen, der den talentvollen Knaben für die höheren Studien vorbereitete. Nachher studierte Zwingli zu Basel, Bern und Wien und bekleidete sodann eine Lehrstelle in Basel. Von 1506–1516 wirkte er als Pfarrer in Glarus, von 1516–1518 als Leutpriester in Einsiedeln, dann bis zu seinem Tod in Zürich.

Von Zürich aus suchte Zwingli mit besonderem Eifer seine Landsleute im Toggenburg für die neue Lehre zu gewinnen. Diese gefiel den Toggenburgern umso mehr, weil sie hofften, dadurch von der Herrschaft des Abtes und damit von Steuern und Abgabenfrei zu werden. Zwinglis ergebenste Anhänger waren Geistliche, zumeist geborene Toggenburger. Im Dezember 1526 sah sich daher Abt Franz veranlasst, bei den Schirmorten Schwyz und Glarus Hilfe zu suchen wider die »üppigen, schnöden und aufrührerischen lutherischen Pfaffen«, welche das Volk zum Ungehorsam gegen die Obrigkeit verleiteten. Einer der lautesten Rufer war Pfarrer Dörig auf dem Hemberg, der dem Bischof von Konstanz frechen Trotz entgegensetzte und die Gnadenkapelle zu Einsiedeln eine Mördergrube nannte.

Im Jahr 1529 war die zwinglische Lehre bereits von vier Fünfteln der Bevölkerung und von beinahe allen Pfarreien angenommen worden. Überall entfernte man, oft unter wüsten Szenen, Bilder und Altäre aus den Gotteshäusern, stellte reformierte Prediger an und räumte den Neuerern die Kirchen ein. Der Abt von St. Johann entfloh. Zur Befestigung des neuen Glaubens wurde am 15. Februar 1529 im Beisein Zwinglis die erste Synode der toggenburgischen Geistlichkeit zu Lichtensteig abgehalten und von derselben gemeinsam mit dem Landrat eine neue Kirchenorganisation festgesetzt.

Die Glaubensneuerung im Rheintal zeigt besonders stark das Gepräge einer sozialrevolutionären Bewegung, bei der wie im Fürstenland religiöse Beweggründe erst in zweiter Linie standen. Zürich nützte geschickt die Unzufriedenheit der Rheintaler mit den eidgenössischen Vögten und der Abtei St. Gallen aus, indem es ihnen Befreiung von den bisherigen Vorgesetzten und den drückenden Abgaben verhieß, wenn sie zur neuen Lehre übertreten.

Zuerst neigten die Pfarrer von Berneck, St. Margrethen und Marbach der Neuerung zu. Auch kamen Weiber von den Appenzeller Bergen herunter, um die Lehren Luthers zu verkünden. Der Landvogt Melchior Gisler aus Uri ließ infolgedessen die Pfarrherren von Berneck und St. Margrethen entfernen. Ebenso wurde Benedikt Burgauer, Vadians Studienfreund, der Pfarrei Marbach verlustig erklärt und kam an die St. Laurenzenkirche in St. Gallen, ohne aber seine frühere Stelle aufzugeben.

Der Hauptreformator des Rheintals war Hans Vogler, Sohn des gleichnamigen Ammanns von Altstätten. Auf sein Ansuchen sandte Zürich den Valentin Fortmüller von Diessenhofen, der aus Waldshut vertrieben worden war, als Pfarrer nach Altstätten. Im November 1528 erfolgte ein wüster Bildersturm. Altäre und Bilder im Wert von 2000 Gulden wurden bei der Kalkgrube auf der Breite verbrannt, das katholische Pfarrhaus verwüstet und die Klosterfrauen von Maria Hilf vertrieben, worauf sie bis 1532 in Appenzell blieben; sogar den Landvogt Sebastian Kretz von Unterwalden ließ Vogler in den sogenannten Schelmenturm werfen, weil Kretz der Neuerung sehr feindlich war. Die strengen Sittenverordnungen von Zürich betreffend Kleidung, Wirtschaftsbesuch und Spielen wurden nun auch im Rheintal eingeführt, das Kegeln am Sonntag war streng verboten; man durfte nichts anderes singen als Psalmen und geistliche Lieder, später wurde sogar das »unverschämte« Tabakrauchen auf dem Kirchweg untersagt. Unter militärischer Mithilfe von Seiten Zürichs feierte die neue Lehre ihren Triumphzug durch alle Pfarreien des Rheintals. Einzig Montlingen mit seinen Filialgemeinden Oberriet, Kriessern, Kobelwald und Mäder lieb treu beim alten Glauben, dank der eifrigen Tätigkeit des Pfarrers Theobald Hutter von Kriessern, den die Neugläubigen aus Appenzell verjagt hatten. In Altstätten bekämpfte besonders Pfarrer Dr. Winkler von Winkelbach aus Südtirol, ein tüchtiger Rechtsgelehrter, der aber selten in seiner Pfarrei war, die Neuerung. Nach der Abberufung des hitzigen reformierten Pfarrers Fortmüller kam Andreas Bodenstein von Karlstadt, ein Sachse, zuerst Freund Luthers, dann von ihm verfolgt, weil er glaubte, das Evangelium auch nach eigenem Sinn auslegen zu dürfen, als Pfarrer nach Altstätten, wo er von 1528–1534 wirkte. Am 24. Dezember 1541 starb Bodenstein als Professor in Basel. Nach dem zweiten Kappelerfrieden kehrten zahlreiche Anhänger der Neuerung auch im Rheintal wieder zum alten Glauben zurück. Ammann Vogler musste in die Verbannung ziehen.

Die Appenzeller waren je nach dem Standpunkt ihrer Geistlichen teils für, teils gegen die Neuerung. Die Pfarrherren Jakob Schurtanner in Teufen, Walter Klarer in Hundwil, Pelagius Amstein in Trogen und Matthias Kessler in Gais zogen viele Pfarrkinder zur Lehre Zwinglis hinüber, wogegen Joseph Forer in Herisau, Theobald Hutter mit Kaplan Laurenz Fässler in Appenzell und Balthasar Stäheli in Urnäsch ihre Gemeinden anfänglich beim alten Glauben zu erhalten vermochten. Bald aber nahm die Neuerung, besonders durch Vadian gefördert, einen raschen Fortgang, so dass nur noch die inneren Rhoden katholisch blieben. Hundwil, Trogen und Teufen schaffen schon im Jahr 1522, bevor noch Zürich dies wagte, den katholischen Gottesdienst ab und schritten zur Wahl von neugläubigen Geistlichen. Die früheren Zerwürfnisse und Kämpfe mit der Abtei St. Gallen, sowie der lebhafte Freiheitsdrang des Appenzeller Volkes hatten den Boden für die religiöse Umwälzung vorbereitet.

Während die Lehre Zwinglis in einem anhaltenden Siegeszug immer größere Teile der deutschen Schweiz erfasste, wuchs auch der Widerstand gegen dieselbe in den fünf katholischen Orten. Alle Versuche Zürichs, diesen Widerstand zu brechen, waren umsonst. Die Spannung zwischen den Neugläubigen und der Innerschweiz nahm bedrohliche Formen an. Näher und näher rückte die Gefahr des Bürgerkriegs. Eine Korn- und Salzsperre gegen die fünf Orte drängte diese schließlich zur Kriegserklärung. In Zürich selbst machte sich wider das schroffe Parteiregiment des Reformators steigende Unzufriedenheit bemerkbar.

Am 11. Oktober 1531 brachten die katholischen Truppen den Zürchern bei Kappel eine schwere Niederlage bei. Zwingli und mehrere Führer der Glaubensneuerung fanden in der Schlacht den Tod. Ein zweiter Sieg der Katholiken in der Nacht vom 23.–24. Oktober, wobei der Stiftshauptmann Frei mit vielen St. Gallern und Toggenburgern fiel, führte zum zweiten Kappelerfrieden am 16. November. Dieser zweite Landfriede hatte den Stillstand der reformatorischen Bewegung in der deutschen Schweiz zur Folge, ja leitete mancherorts, auch im St. Gallischen, ihren Rückgang ein. Bürgermeister Vadian brach bei der Nachricht von dem zu Dänikon bei Baar geschlossenen Friedensvertrag in die schmerzlichen Worte aus: »O einer frommen Stadt St. Gallen!« und musste krank über Zürich nach Hause gebracht werden.

In Wil ritt bereits am 6. Dezember der Luzerner Jakob am Ort, von der im Herzen katholisch gebliebenen Bürgerschaft mit Jubel begrüßt, als Schirmhauptmann ein. Zwei Tage darauf wurde das Fest Mariä Empfängnis besonders glanzvoll gefeiert. In aller Eile hatten die Bürger ihre heimlich verborgenen Altarzierden und Bilder wieder hervorgeholt. Am 12. Dezember hielt Abt Diethelm seinen Einzug in die Stadt und nahm darauf die Huldigung der Gotteshausleute zu Gossau und Lömmiswil entgegen.

Abt Diethelm erließ von Wil aus, dessen Bürgerschaft ihn freudig empfangen hatte, im Dezember 1531 ein Schreiben an die Stadt St. Gallen, worin er das gesamte Eigentum des Klosters zurückforderte und für die zerstörten Güter und Gegenstände einen Schadenersatz von 60‘000 Gulden verlangte. Die Stadt erklärte sich unter dem Druck der Schirmorte bereit, mit der Abtei einen Vergleich abzuschließen. Daraufhin wurde der Verkauf des Klosters von Seiten der beiden Stände Zürich und Glarus an St. Gallen aufgehoben und dasselbe dem Konvent zurückgestellt, ebenso die Summe von 10‘000 Gulden als Schadenersatz bestimmt. Was noch an klösterlichem Eigentum in städtischen Händen war, musste zurückgebracht werden. Hingegen sollte die Stadt ungehindert bei ihrem Glauben bleiben dürfen. Vadian atmete auf, denn er hatte weit Schlimmeres befürchtet.

Sofort nach Abschluss dieses Vertrags hielt Abt Diethelm Ende Februar 1532, von 40 Berittenen begleitet, seinen feierlichen Einzug in St. Gallen. Der städtische Rat hatte ausdrücklichen Befehl gegeben, dass niemand ans Fenster gehen dürfe, wenn der Abt mit seinem Gefolge zum Kloster hinaufreite, was auch pünktlich befolgt wurde.

Am 14. April 1532 richtete der städtische Rat an alle Zünfte die freundliche Einladung, sich der »päpstlichen Opfermesse« zu enthalten. Das hinderte jedoch manche Stadtbewohner nicht, die heilige Messe und den übrigen Gottesdienst in der Klosterkirche weiter zu besuchen und so ihrer Anhänglichkeit an den alten Glauben Ausdruck zu geben. Da verkündete der Rat, dass jeder Bürger oder Dienstbote, Frau oder Mann, jung oder alt, der hinfür hier oder anderswo die Messe besuche, zur Vesper oder Komplet gehe, Paternoster (Rosenkranz), geweihtes Salz, Wasser, Kerzen oder Palmen gebrauche, jedes Mal die hohe Busse von 10 Pfund Pfennig* zu bezahlen habe. [*Ein Ochs kostete etwa 3 Pfund Pfennig. Der Monatslohn eines Söldners war 2 ½–3 ½ Pfund Pfennig; 51 Fuder Holz kosteten im Winter 1407/08 3 ½ Pfund, zwei Wintergewänder für Stadtknechte 3 Pfund.]

Selbst derjenige, welcher eine solche katholische Handlung seines Nachbarn bemerke, ohne ihn anzuzeigen, werde mit der gleichen Summe gebüßt. Dass aber trotz dieser harten Maßnahmen noch länger katholische Gesinnung in einzelnen wachblieb, zeigt der Umstand, dass die ehemalige heldenhafte Oberin der Feldnonnen zu St. Leonhard, Wiborada Fluri, im Jahr 1538 mit Gefängnis bestraft wurde, weil sie einem Todkranken geraten hatte, zu beichten und die Wegzehrung zu empfangen. »Ich hat im geraten, das ich och gern het gehept, so ich in der not wer.«

Bald gelangte indessen das jede katholische Lebensäusserung erstickende Staatskirchentum zur vollständigen Herrschaft, und die Reformation setzte sich in der Stadt St. Gallen lückenlos durch. Die meisten Landgemeinden aber kehrten ohne großes Widerstreben zum alten Glauben zurück. In Waldkirch, Gossau und Rorschach, von wo der erste Anstoß zur Neuerung in der Stiftslandschaft ausgegangen war, zeigte sich Widerstand. Allein auch dieser war bald gebrochen, nachdem der Abt den Prädikanten von Gossau, Walter Klarer, abgesetzt und des Landes verwiesen hatte.

In zäher und kluger Arbeit vermochte Diethelm Blarer während seiner langen Regierung den Katholizismus allseitig zu stärken, so dass die Abtei St. Gallen zum starken Bollwerk desselben in der Ostschweiz wurde.
Eine besondere Schwierigkeit zeigte sich darin, dass überall großer Mangel an katholischen Geistlichen herrschte, während bei den Reformierten Überfluss an Predigern vorhanden war, denn neben den abgefallenen Priestern drängten sich viele aus ihren Pfarreien vertriebene »Schwaben« und auch manche Weltliche zum Predigtamt herbei. So musste Abt Diethelm, sehr gegen seinen Willen, die Prädikanten in einigen Gemeinden noch dulden, bis es ihm möglich wurde, sie durch katholische Priester zu ersetzen.

Die Worte der Rorschacher und Frauenfelder Vermittlung, dass, nachdem der Priester seine Predigt und Messe geendet hätte, »der Predikant auch ufston und predigen möge«, nahm die äbtische Regierung im engsten Sinn und gestattete den neugläubigen Geistlichen außer dem Predigen keine andere pfarrliche Verrichtung, so dass die katholischen Pfarrherren die Taufen, Trauungen, Begräbnisse und selbst die Abendmahlsspendung auch bei den Reformierten vorzunehmen hatten. Schließlich verbot der Abt, von den beiden katholischen Schirmorten Schwyz und Luzern unterstützt, die öffentliche Ausübung des reformierten Bekenntnisses in seinem Land, wie das die neugläubigen Orte den Katholiken gegenüber schon zu Beginn der Glaubensänderung getan hatten.

Darauf fingen die Neugläubigen an, außer Landes reformierte Kirchen zu besuchen, bis das gleichfalls untersagt wurde. Dann versteckten sie sich in ihren Häusern, um insgeheim Gottesdienst zu halten, oder blieben außerhalb der Kirchen stehen, was aber nicht geduldet wurde. Da sie sich nunmehr von den Katholiken nur noch darin unterschieden, dass sie nie zur Beichte gingen und die Kommunion nicht empfingen, ließ die Regierung sie viele Jahre in Ruhe. Die Kirchen des Landes wurden nach und nach gleich dem Münster zu St. Gallen wieder eingeweiht, nachdem sie, wie ein altes Jahrzeitbuch bemerkt, eine »spelunca latronum«, eine Räuberhöhle, gewesen waren.

Grossen Widerständen begegnete die Wiederherstellung der äbtischen Herrschaft im Toggenburg. Schon im Jahr 1532 wurde zwar durch den Einfluss des Standes Schwyz und die Vermittlung der sieben Orte das Land dem Abt wieder zugesprochen, aber erst der toggenburgische Landfriede vom 22. Mai 1538 brachte einen endgültigen Vergleich, worauf die Toggenburger dem Abt wieder huldigten. Bezüglich des Glaubens sollten die Leute nicht weiter behelligt werden, nur das gegenseitige »Schmützen und Schmähen« habe zu unterbleiben. Äußerlich war damit die Ruhe hergestellt, aber im Innern dauerten die Kämpfe besonders wegen des konfessionellen Gegensatzes weiter, und zwar so lange, als das Toggenburg überhaupt unter der äbtischen Herrschaft stand*. [*Die meisten Gemeinden im Alttoggenburg kehrten zum katholischen Glauben zurück. In den gemischten Gemeinden wurden die Pfrundgüter nach der Seelenzahl aufgeteilt und die Kirchen beiden Konfessionen zur gemeinsamen Benützung überlassen (Paritätische Kirchen).]

Eine zwischen der Stadt St. Gallen und dem Kloster bestehende Spannung wurde durch die Schirmorte in einem Vertrag vom 9. September 1549 beigelegt; die Abtei verlor dadurch fast alle noch vorhandenen Rechte in der Stadt.

Abt Diethelm verstand es auch, in Nachahmung der Politik seines glänzenden Vorgängers Ulrich VIII., den Besitzstand des Klosters bedeutend zu erweitern. So konnte er am 16. Dezember 1555 mit päpstlicher Erlaubnis, im Beisein der Prälaten von Einsiedeln und Muri, wie auch der Gesandten von Schwyz und Glarus, die Abtei St. Johann im Thurtal, die dem Verfall nahe gewesen, dem Kloster St. Gallen einverleiben. Der letzte Abt Johannes Zoller von Götzis, erst 18 Jahre alt, hinkend, nicht Priester, »ein Taugenichts«, war schon im Jahr 1545 abgesetzt worden. Seit der Einverleibung von St. Johann führte der st. gallische Abt in seinem viergeteilten Wappen auch dasjenige von St. Johann: ein weißes Lamm im blauen Feld, das eine Kreuzfahne trägt. Später hielten sich in der Regel zwölf St. Galler Mönche mit einem Prior in diesem Kloster auf für Zwecke der Verwaltung, Seelsorge und Schule. Der Umsicht Diethelms gelang es ferner schon im Lauf der dreißiger Jahre, die schwer bedrohten Frauenklöster Magdenau und Wattwil zu retten und einer besseren Zukunft entgegenzuführen.

Ein eigenartiges Mittel, wodurch die st. gallischen Äbte der katholischen Religion im Toggenburg wirksam aufzuhelfen suchten, war die erleichterte Einbürgerung. So wurden vom Jahr 1536 bis 1690 nicht weniger als 379 katholische Familienväter zu Landsleuten im Toggenburg angenommen.

Einen lehrreichen Einblick in den Sittenzerfall jener Zeit und zugleich in den Eifer Abt Diethelms um Hebung von Religion und Sittlichkeit gewähren seine Mandate für die Alte Landschaft im Jahr 1534, für das Toggenburg 1538, für das Rheintal 1546. Gegen Wucher, Fluchen, Schwören, Sonntagsentheiligung, Spielen und Trinken wurde scharf vorgegangen. Einem Schwörer wurde im Rheintal der Weingenuss für sein Lebtag verboten, ein Gotteslästerer ward mit dem Schwert hingerichtet. Das Tanzen war im Toggenburg ganz untersagt, im Rheintal stark eingeschränkt. Die Sittenpolizei wurde scharf gehandhabt.

Mit gleicher Strenge suchte man den Geboten der Kirche Nachachtung zu verschaffen. Im Jahr 1571 lagen in der Alten Landschaft über vierzig Personen darum in den Gefängnissen, weil sie die österliche Beichte nicht verrichtet hatten. Ein rheintalischer Landvogt verurteilte im Jahr 1542 drei Männer, die ohne vorhergehende Beichte die Kommunion empfangen hatten, zum Tod, welches Urteil die regierenden Orte bestätigten und nur auf inständige Fürbitten in andere schwere Strafen umwandelten.

Daneben fing die Geistlichkeit an, durch eifrigen Unterricht die Sitten des Volkes zu verbessern. Noch im Jahr 1555 waren, wie sich Abt Diethelm ausdrückt, »leider viele Personen vorhanden, die das Vaterunser, den Glauben, die zehn Gebote Gottes nicht durchscheidentlich beten noch aussprechen konnten, da vil wie das unvernünftig Veh leben«. Er gebot darum, dass in der Alten Landschaft, im Toggenburg und Rheintal jeder, der das vierzehnte Jahr erreicht hätte, von welcher Religion er sein möge, alle Jahre seinem Pfarrer sich vorstellen, ihm die genannten drei Stücke aufsagen und sich dafür ein Zeugnis geben lassen müsse. Den protestantischen Pfarrern im Toggenburg ward dies sogar in ihren Anstellungseid hineingesetzt. Widerspenstige wurden mit Gefängnis und im Wiederholungsfall mit Landesverweisung bestraft. Der Abt wies die Pfarrherren an, alle Sonn- und Feiertage, in der Advent- und Fastenzeit sogar täglich zu predigen, und befahl dem Volk, diese Predigten zu besuchen. Am Sonntagnachmittag wurde statt des bisher üblichen Vespergesangs die Christenlehre eingeführt und dem Volk verschiedene Erbauungsbücher, wie z.B. der »Kanisi«, in die Hand gegeben.

An Abt Diethelm erging zu wiederholten Malen vom Papst selber, dann vom Erzbischof in Mainz und vom Konstanzer Bischof, sowie vom päpstlichen Legaten die Einladung, bei der Kirchenversammlung in Trient zu erscheinen. Bei der ersten Ankündigung dieses Konzils ermahnte der Abt jedermann, fleißig in die Predigt zu gehen, nach derselben und täglich während dem Mittagläuten mit »zertanen Armen« fünf Vaterunser, Ave Maria und den Glauben zu beten, damit das Konzil einen glücklichen Verlauf nehme. Auf die dritte Einladung hin ließ sich Diethelm durch die Eidgenossen entschuldigen und bestellte zuerst den Erzbischof von Mainz, dann den Bischof von Chur zu seinem Stellvertreter. Als das Konzil zum vierten Mal zusammentrat, ordneten die katholischen Stände der Eidgenossenschaft den Landammann von Nidwalden, Melchior Lussi, nach Trient ab, Abt Diethelm aber sandte in Verbindung mit den übrigen schweizerischen Äbten den Fürstabt Joachim Einhorn von Einsiedeln dorthin. Joachim verreiste am 4. Mai 1562 mit Landammann Lussi und dem rechtskundigen Pfarrer von Gossau, Florian Flerch, als seinem Notar nach der Konzilsstadt, wo die schweizerische Abordnung mit großen Ehren aufgenommen wurde und von der 19. Sitzung bis zum Schluss des Konzils den Verhandlungen beiwohnte.

Unter Diethelm tat sich besonders der edle Konventuale Johann Hess, Doktor der Theologie, als ausgezeichneter Prediger und kraftvoller Verteidiger des katholischen Glaubens hervor.

Als nach dem Sieg der fünf alten Orte bei Kappel die vertriebenen Mönche wieder in ihr Kloster zurückgekehrt waren, gab sich Diethelm Blarer große Mühe, den gesunkenen Gottesdienst und Kirchengesang in der Münsterkirche wieder zum alten Glanz zurückzuführen. Er berief zu diesem Zweck den berühmten Musiker Manfred Barbarin Lupus von Correggio nach St. Gallen, der den älteren einfachen gregorianischen Choral mit dem neuen Figuralgesang verband und nach dieser Weise die Messgesänge, Vespern, Responsorien, Hymnen und Antiphonen in zwei prachtvollen Foliantbänden bearbeitete. Abt Diethelm und andere hatten zwar Bedenken, der neue Figuralgesang möchte dem Ernst religiöser Feiern weniger angemessen sein. Dagegen verteidigte der gelehrte P. Mauritius Enk die Vorzüge der neuen Sangesweise in zwei Schutzschriften.

Diethelm Blarer starb infolge der damals wütenden Pest am 18. Dezember 1564. Er wird mit Recht als der dritte Gründer des Klosters St. Gallen gefeiert. Er hatte die gesetzliche Ordnung in seinen Landen wiederhergestellt, der Abtei ihre Rechte zurückgewonnen, den Gottesdienst und die klösterliche Zucht bedeutend gehoben, der Pflege von Wissenschaft und Bildung durch Errichtung eines Bibliothekgebäudes neuen Antrieb gegeben und endlich mit dem Erlass scharfer Sittenmandate der weitherum herrschenden Verwilderung und Zuchtlosigkeit einen starken Riegel gesteckt.

Auf Diethelm folgte am 20. Dezember 1564 der erst 34jährige Otmar Kunz von Wil, dessen eifriges Streben auf eine gute Verwaltung, den geistigen und materiellen Ausbau der Abtei sowie die Kräftigung des Katholizismus gerichtet war. Die Stadt St. Gallen nahm bei der Abtweihe eine unfreundliche Haltung ein.

Otmar Kunz erwies sich als großer Freund der Armen. Mit dem Geld aus den französischen Söldnerdiensten gründete er das Siechenhaus in Bruggen, das bis zur Aufhebung des Klosters St. Gallen vielen Armen und Kranken eine Heimstätte bot. Er selber blieb arm. Seine Hinterlassenschaft betrug nur 131 Gulden Bargeld.

Zur Hebung der Klosterzucht erließ Otmar nach der Konstanzer Diözesansynode von 1567 im Sinn des Konzils von Trient treffliche Vorschriften, die einen neuen Aufstieg der Gallusstiftung anbahnten. Hand in Hand mit der Pflege von Tugend und Frömmigkeit ging seine Sorge um den eifrigen Betrieb der Wissenschaften und eine bessere Ausbildung der Klostergeistlichen.

Die Bibliothek vermehrte Otmar um einige hundert Bände und gab dafür 5000 Gulden aus. Das meiste wurde in Paris von den dort studierenden Konventualen Mauritius Enk und Joachim Opser angekauft. Neben Paris, wo das Kloster an dem von Jesuiten geleiteten berühmten Kolleg Clermont durch König Karl IX. Freiplätze hatte, besuchten St. Galler Mönche die Hochschule Dillingen. In schöner Weise entfaltete sich darum der wissenschaftliche Geist unter den Kapitularen; namentlich stand das Studium der Heiligen Schrift und der für ihr Verständnis notwendigen Sprachen auf einer bemerkenswerten Höhe. Bald wurden st. gallische Mönche in andere Klöster begehrt, um die gefährdete oder zerfallene Ordenszucht wieder aufzurichten.

Im Jahr 1566 erhielt Abt Otmar vom Papst Pius V. ein Anerkennungsschreiben für seine Ergebenheit gegenüber der Kirche, seinen Eifer gegen die Irrlehren und seine gute Klosterzucht. Was frühere Äbte wiederholt umsonst angestrebt hatten, nämlich ein eigenes Tor für den Klosterbezirk, das konnte Otmar endlich erreichen. Auf Betreiben der vier Schirmorte verstand sich die Stadt dazu, dass eine Mauer, welche Stadt und Kloster voneinander trennte, und für letzteres ein eigenes Tor, später Karlstor genannt, errichtet wurde. Es war das ein großer Gewinn für die klösterliche Ordnung.

Während der Regierungszeit Otmars kam im August 1570 der heilige Karl Borromäus auf seiner Reise nach Hohenems, wo er eine verheiratete Schwester hatte, auch ins Stift St. Gallen. Der Heilige äußerte im Allgemeinen seine Zufriedenheit über den Stand des Klosters und blieb in brieflichem Verkehr mit dem Fürstabt. Gegenstand ihrer Unterredung war die möglichste Förderung des katholischen Glaubens in der Ostschweiz sowie die Errichtung von Schulen. Wenn auch der große Mailänder Bischof keinen unmittelbaren Einfluss auf die st. gallischen Lande ausgeübt hat, so trug doch sein Besuch viel dazu bei, den Reformeifer im Stift lebendig zu erhalten. Ermuntert durch den heiligen Karl, bemühte sich Abt Otmar, die letzten Überreste des Glaubensabfalls in der Alten Landschaft zu beseitigen.

Im Einverständnis mit Luzern und Schwyz gab er 1572 ein Mandat heraus, demzufolge jedermann vom 14. Altersjahr an auf die künftige Osterzeit und von da an immer beichten und kommunizieren müsse; wer das nicht tun wolle, habe innert einer bestimmten Frist das Land zu verlassen. Nur wenige sollen ausgewandert sein. Im Vergleich zur unerbittlichen Schärfe, mit der man damals in den neugläubigen Orten gegen die Katholiken vorging, muss das Verhalten der st. gallischen Äbte gegenüber ihren reformierten Untertanen ein äußerst mildes genannt werden.

Mitten aus seiner eifrigen Wirksamkeit wurde Abt Otmar im besten Mannesalter herausgerissen. Er starb, erst 46 Jahre alt, in seiner Heimat Wil am 27. Januar 1577. Vierzig Wiler Bürger geleiteten die Leiche nach St. Gallen.

Otmars Nachfolger, der erst 29jährige Stiftsdekan Joachim Opser, war ebenfalls ein Wiler. Sein Vater hatte um des Glaubens willen die Stadt St. Gallen verlassen und das Bürgerrecht von Wil erworben.

Von 1570–1574 studierte Joachim am Kolleg Clermont in Paris, wo Jesuiten von europäischem Ruf als Lehrer wirkten. Seine noch vorhandenen, fein geschriebenen Briefe und Kollegienhefte aus der Pariser Zeit legen beredtes Zeugnis ab von dem religiösen und wissenschaftlichen Eifer der zu Paris studierenden St. Galler Mönche, an deren Spitze Joachim Opser stand. Seine Mitbrüder in Paris waren Mauritius Enk von Altstätten, ein tüchtiger Sprachkenner und später st. gallischer Bibliothekar, Johann Rustaller, ein geschätzter Dichter, Adam Giel von Gielsberg bei Wängi, der nachher zum Studium nach Rom geschickt im Germanikum starb, Bruder Ulrich Ösch von Balgach, später Altvater (Vorsteher) im St. Otmarsspital.

Nach St. Gallen zurückgekehrt, war Opser bald die rechte Hand seines Abtes, der ihn zum Dekan erhob. Mit besonderer Hingabe widmete er sich der Verkündigung des Gotteswortes. Manche seiner trefflichen Predigten sind noch erhalten. Er las und schrieb in deutscher, französischer, lateinischer, griechischer und hebräischer Sprache, kannte die besten Bücher seiner Zeit und schaffte sich viele derselben an; er stand auch mit tüchtigen Männern im Briefwechsel, war ein gründlicher Gottesgelehrter und voll Eifer für Wissenschaft, Frömmigkeit und gute Sitten.

Zwei Tage nach Otmars Tod wurde Joachim Opser einstimmig zum Abt gewählt. In der Absicht, Religion und Wissenschaft zu heben, sandte der junge Abt fähige Köpfe an die hohen Schulen von Paris und Dillingen. Auch auf die Sitten der ihm unterstellten Weltgeistlichen hatte er ein wachsames Auge und ging mit unerbittlicher Strenge gegen Fehlbare vor. Jeder neu angestellte Pfarrer musste mit Mund, Hand und Schrift schwören, verdächtigen Umgang zu meiden. Bald zeigte sich denn auch eine entschiedene Besserung der in allen Volksständen tief gesunkenen Sittlichkeit. Unterstützt von dem seeleneifrigen Kapuziner P. Ludwig von Sachsen, führte Joachim viele Irrgläubige, namentlich im Toggenburg, zur Kirche zurück und gewann auch die Gemeinde Grub wieder für den katholischen Glauben.

Weniger glücklich erwies sich der Abt in der materiellen Verwaltung. So veräußerte er den Klosterbesitz Neu-Ravensburg um 24‘000 Gulden an die Stadt Wangen, weshalb ihm ein Rat von vier Konventualen zur Überwachung an die Seite gestellt wurde.

Der Churer Bischof Beat a Porta wünschte den St. Galler Abt zu seinem Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge, und Papst Gregor XIII. ernannte darauf Joachim zum Weihbischof von Chur. Dieser tat alles, um sich dem gefährlichen Amt zu entziehen. Auch die Schirmorte Schwyz und Luzern rieten entschieden ab. Doch, wie von Arx bemerkt, »die störrischen Bündner, welche um diese Zeit den Bischof Beat sehr bedrängten und ihn, wenn er einen Ausländer zum Koadjutor nehmen würde, zu erschlagen drohten, befreiten Joachim von der drohenden Würde«. Dem Nuntius Bonhomini, der 1579 eine Visitation vornahm, begegnete der Abt anfänglich mit Zurückhaltung, verstand sich dann aber gut mit ihm.

Bei aller Sorge für die Rechte des Klosters wusste Joachim mit der Stadt St. Gallen das beste nachbarliche Verhältnis zu unterhalten und vorkommende Anstände ohne Streit beizulegen, so dass er sich den Ruhm des friedfertigsten unter den st. galllischen Äbten erwarb. Bei einem zwischen der Stadt St. Gallen und Appenzell A.Rh. ausgebrochenen erbitterten Kalenderstreit, der sich auf die Darstellung des Wappenbären bezog, wurde er von beiden Parteien als Schiedsrichter erkoren und schlichtete den Handel in Minne.

Damit der damals nicht selten vorkommende traurige Fall, dass Schweizer und Stiftsangehörige in fremden Diensten gegeneinander kämpfen, verhütet werde, erließ Abt Joachim 1588 und 1589 ein strenges Verbot der Truppenwerbungen für Frankreich. Als am 17. Juli 1588 der Blitz in den Turm der Stiftskirche schlug und denselben ausbrannte sowie die Glocken verzehrte, bewahrte die tätige Hilfeleistung der Stadtbürger Kirche und Stiftsgebäude vor weiterem Schaden. – Der ernstliche Versuch des Abtes, eine strengere Klosterzucht durchzuführen und die Klausur zu verschärfen, scheiterte am hartnäckigen Widerstand einiger unzufriedener Kapitularen.

Bei der im Jahr 1594 heftig auftretenden Pestkrankheit ließ Joachim alle Konventualen, sechs ausgenommen, an sichere Orte gehen, während er selber mit den Zurückbleibenden alle seine Kräfte in den Dienst des geängstigten Volkes stellte. Bei einer Predigt am Fest des hl. Bartholomäus traf ihn ein Schlaganfall, dem er noch am selben Tag erlag. Katholiken wie Protestanten beklagten seinen frühen Tod. Er wurde als erster unter den Äbten in der Klosterkirche beigesetzt.


9. Kapitel

Neuer Aufstieg – Hervorragende Mönche

Bernhard Müller von Ochsenhausen (1594–1630), der zu den tüchtigsten Vorstehern der Gallusstiftung zu zählen ist, brachte die von seinen Vorgängern begonnene Reform zum glücklichen Abschluss. Er hat als erster unter den Äbten ein Tagebuch geführt, was dann alle seine Nachfolger taten. Damit schufen die Fürstäbte eine wahre Fundgrube für die st. gallische Klostergeschichte der letzten 200 Jahre. Mit ihm beginnt auch die Reihe der Porträts der St. Galler Äbte.

Schon im ersten Jahr seiner Regierung vollzog der päpstliche Nuntius Hieronymus Portia zusammen mit Abt Georg von Weingarten eine strenge Visitation des Klosters. Dabei wurde alles abgeschnitten, was sich in irgendeiner Weise mit der Regel, den Gelübden und der klösterlichen Zucht nicht vertrug. Einige Klosterherren wollten zwar gewisse althergebrachte Vergünstigungen nicht preisgeben, aber der junge Abt bestand unerbittlich auf dem Vollzug der Reform und erklärte, eher auf die Abtei zu verzichten als von der strengen Zucht abzuweichen. Durch dieses entschlossene Auftreten sicherte er den guten Stand des Klosters für die Zukunft. Bald war es so weit, dass St. Gallen als eines der bestgeordneten Klöster in Deutschland galt, und dass st. gallische Mönche von vielen Seiten her als Reformatoren anderer Konvente und selbst als Äbte begehrt wurden. Bernhard krönte sein Reformwerk damit, dass er in Verbindung mit den Äbten von Einsiedeln, Muri und Fischingen im Jahr 1602 die Helvetische Benediktinerkongregation gründete, der sich später die übrigen Benediktinerklöster der Schweiz anschlossen und die zu einem neuen Aufschwung des Benediktinerordens in unserem Land beitrug. Auch der Verbesserung der st. gallischen Frauenklöster wandte Abt Bernhard große Aufmerksamkeit zu. Er wurde dabei durch die Oberin des Klosters Paneregg bei Wattwil, Elisabetha Spitzlin aus Lichtensteig, eine Frau von ganz hervorragenden Eigenschaften, kräftig unterstützt. Viele Frauenklöster des In- und Auslands erbaten sich Klosterfrauen aus Wattwil, um mit deren Hilfe die echte franziskanische Ordenszucht durchzuführen. Bedeutenden Anteil an diesem Aufblühen des klösterlichen Lebens hatten die kurz vorher in der Schweiz eingeführten Kapuziner, deren Dienste die Äbte Bernhard und Joachim eifrig in Anspruch nahmen, und die auch durch Volksmissionen zahlreiche Irrgläubige zur Mutterkirche zurückführten.

Neben der Sorge für eine strenge Klosterzucht war Bernhard unablässig bemüht, den katholischen Glauben in seinem Land zu festigen. In Oberglatt und Mogelsberg sowie im Obertoggenburg stellte er den katholischen Gottesdienst wieder her und gab für Errichtung von Pfründen und Pfarrhäusern 31‘360 Gulden aus. Hierüber waren die reformierten Toggenburger, hinter denen die Zürcher standen, sehr aufgebracht und erregten Unruhen. Am 9. November 1621 ermordeten vier Nesslauer den treukatholischen Hofammann Johann Ledergerber, als er, den Rosenkranz betend, von Nesslau gegen Wildhaus ritt. Erst acht Jahre später wurden durch streitende Weiber die Namen der Mörder bekannt, worauf ihre Bestrafung erfolgte.

Um die gleiche Zeit brach im Kloster Alt St. Johann eine Kolik artige Krankheit aus, an der nacheinander mehrere Insassen starben, während andere gelähmt wurden. Man dachte an Vergiftung und wusste sich schließlich nicht anders zu helfen, als dass man das Kloster anderswohin verlegte. Als Ort hierfür wurde Sidwald bei Nesslau, das heutige Neu St. Johann, gewählt, wo der Neubau im Jahr 1629 bezogen werden konnte. Die herrliche Kirche wurde erst unter Abt Gallus II. vollendet und am 17. Mai 1680 eingeweiht.

Auch in St. Gallen war Abt Bernhard baulich tätig. Er erweiterte das Gallusmünster, schmückte es mit neuen Altären, Malereien und einer neuen Orgel. Die Sakristei wurde vollständig umgebaut. Die St. Otmarskirche ließ er niederlegen und an ihrer Stelle einen Neubau aufführen, der am 16. Oktober 1628 eingeweiht wurde. Bei diesem Anlass fand die feierliche Übertragung der Reliquien von Gallus, Otmar, Notker, Konstantius und Remaklus statt. Der Kirchen- und Reliquienschatz gewann unter Bernhard große Bereicherung.

Das wissenschaftliche Leben erhob sich während der Regierungszeit dieses Abtes zu hoher Blüte. Er selber hatte nach glänzenden Studien zu Dillingen den Doktortitel in der Philosophie und Theologie erworben. Nebstdem besaß er tüchtige Kenntnisse in der Naturwissenschaft. Noch im hohen Alter konnte er jede Blume in seinem Garten nach ihrem lateinischen, griechischen und deutschen Namen bezeichnen. Er war auch ein ausgezeichneter Prediger sowohl in deutscher als in lateinischer Sprache, wir besitzen noch manche seiner Vorträge. Fähige Mönche ließ er an den hohen Schulen zu Paris, Dillingen, Rom, Freiburg, Salzburg, Ingolstadt, Dôle in Burgund studieren und opferte für diesen Zweck 21‘662 Gulden.

Das Stift St. Gallen übernahm bei dem Wiederaufblühen der Wissenschaften unter den schweizerischen Katholiken die Führung. Gottes- und Weltweisheit waren in ihm heimisch; Rechtswissenschaft und Altertumskunde, Geschichte und Literatur, die lateinische, griechische und hebräische Sprache, ja selbst das Syrische und Chaldäische, als Hilfswissenschaften der Bibelkunde, fanden sorgsame Pflege.

Abt Bernhard verwirklichte auch den schon von Franz Gaisberg gehegten, durch die Reformationswirren aber vereitelten Plan, eine Schule für die unteren Gymnasialklassen in Rorschach zu errichten. Daraus sollte eine Art Zentralstudium für den Benediktinerorden werden; man dachte sogar an die Errichtung einer Universität für die katholische Schweiz und das Deutsche Reich. Die Studenten führten im Jahr 1625 ein Schauspiel in griechischer Sprache auf, das noch erhalten ist; schon früher, 1550, war ein lateinisches Stück, die Geschichte Daniels, über die Bretter gegangen.

Durch weise Umsicht und Sparsamkeit wusste Abt Bernhard die nötigen Mittel für seine bedeutsamen Unternehmungen zu gewinnen. Eine Reihe wertvoller Besitzungen, so die Herrschaften Hemberg und Staringen, Neu-Ravensburg, Ebringen und Norsingen brachte er an das Stift St. Gallen. Auch um die Erschließung neuer Verdienstquellen für sein Volk gab er sich große Mühe, errichtete eine Papiermühle und führte unter schweren Opfern den Leinwandhandel im Stiftsgebiet ein. Nicht geringe Geldsummen flossen ihm aus den Bündnissen mit Frankreich und Spanien zu, indem er österreichische, spanische und französische Truppenwerbungen und gelegentlich den Durchmarsch fremder Truppen gestattete. Anstände, die sich unter Abt Joachim mit der bischöflichen Kurie von Konstanz ergeben hatten, konnte Bernhard glücklich erledigen. Am 22. März 1613 kam ein Konkordat zwischen dem Bischof und der Abtei zustande, demzufolge diese letztere mit wenigen Einschränkungen freie Hand in der oberhirtlichen Leitung der Stiftslande erhielt. Abt Bernhard schuf darum im Jahr 1614 ein eigenes Ordinariat, dessen Inhaber den Namen eines Offizials führte. Dieses Offizialat war der Vorläufer des späteren Bistums St. Gallen. Seit 1616 erfolgten alle drei Jahre Visitationen sämtlicher Pfarreien des Stiftsgebiets durch den Abt persönlich oder durch seinen Offizial, was sich zum großen Segen für den Aufschwung des religiösen Lebens auswirkte. Im Jahr 1614 gab Bernhard auch ein neues Brevier heraus.

Schwere Heimsuchungen für das Kloster und für das ganze Land waren die Pestjahre 1611 und 1629. Bei dem »großen Tod« von 1611, den ein Student von Basel nach St. Gallen gebracht hatte, starben hier 1396 Menschen, in der Pfarrei Wil 1000, in der Pfarrei Eschenbach 119 Erwachsene und 138 Kinder. Noch schlimmer wütete die Pest nach einer großen Hungersnot im Jahr 1629. In St. Gallen wurden 1630 Menschen hinweggerafft, in der Pfarrei Wil 1060, in der Alten Landschaft 19‘953, im Thurgau sogar 31‘584. Ganze Dörfer starben aus. Ein Bauerngut konnte während einer Nacht in sieben Hände übergehen. Es kam vor, dass alle Überlebenden einer Ortschaft an einem Tisch Platz fanden, wie es von Wattwil, von Peterzell, Brunnadern und Hemberg berichtet wird. Alte Friedhofinschriften lauteten: »Klag über Klag, 99 in einem Grab. Sieben Hansen in einem Grab, ist das nicht eine große Klag.«

Abt Bernhard, der beim Ausbruch der Pest bereits kränkelte, zog sich auf Drängen des Konvents nach Rorschach zurück und ließ auch seine Mönche an sichere Orte gehen. Bei einer Anfrage, wer zum Dienst der Pestkranken in St. Gallen bleiben wolle, hatten sich sämtliche Konventualen in schriftlicher Antwort hierzu bereit erklärt. Einige wurden dann mit dem schweren Amt betraut und übten dasselbe in heldenmütiger Weise aus, bis sie zumeist der schrecklichen Krankheit erlagen. Zehn Priester, sowie mehrere Novizen und Brüder starben an der Pest. Der Konvent war so entvölkert worden, dass die erste Aufgabe des auf Bernhard folgenden Abtes Pius darin bestand, neue Mitglieder zu gewinnen.

Am 13. April 1630 entsagte Bernhard der Abtei und schon am 17. Dezember desselben Jahres machte ein Schlaganfall seinem arbeitsreichen Leben ein Ende.

Das kraftvolle, reichgesegnete Wirken Abt Bernhards fand eine glückliche Fortsetzung durch drei ausgezeichnete Nachfolger: Pius Reher, Gallus Alt und Zölestin Sfondrati.

Pius Reher von Bleienried bei Weingarten (1630–1654), der sich während der Pestzeit durch seinen Heldenmut und seine Hingabe für die Kranken ausgezeichnet hatte, wurde am 15. April 1630 zum Abt gewählt. Schon zu Beginn seiner Regierung entbrannte ein heftiger Streit wegen der Ehegerichtsbarkeit mit den reformierten Rheintalern und Toggenburgern, denen wie immer die Zürcher den Rücken stärkten. Es drohte sogar ein Krieg auszubrechen. Erst im Jahr 1637 kam durch Vermittlung des französischen Prinzen Rohan der Vergleich von Elgg zustande, der die obschwebenden Fragen regelte. In Ehesachen durften die Reformierten an Zürich gelangen, die Prediger aber ernannte der Abt aus einem von Zürich gemachten Dreiervorschlag.

Zweimal erschienen unter Abt Pius schwedische Heere an den st. gallischen Grenzen, das erste Mal im September 1633, als General Horn die Stadt Konstanz belagerte und durch seine Truppen die Dörfer Romanshorn, Hagenwil und Sommeri plündern ließ. Das Herannahen kaiserlicher Truppen nötigte dann aber die Schweden zum Rückzug. Aus Schwyz und Luzern wurden darauf der Kirchenschatz und die Kostbarkeiten des Klosters, die man vor den Schweden dorthin geflüchtet hatte, wieder nach St. Gallen zurückgebracht. Eine schlimme Nachwirkung dieses Schwedeneinfalls war die Pestseuche, die im August 1635 ausbrach und unter Mensch und Vieh schrecklich aufräumte. Auch jetzt wieder blieb Pius wie sechs Jahre früher furchtlos auf seinem Posten und tat alles, um die Krankheit zurückzudämmen und den von derselben Befallenen jegliche Hilfe zu verschaffen.

In den folgenden Jahren wurde die Schweiz vom weiter tobenden Krieg nicht mehr direkt berührt. Dagegen hatten die im Breisgau gelegenen Besitzungen der Abtei St. Gallen von Seiten der Schweden furchtbar zu leiden. Aufhängen der Leute an den Füßen über dem Feuerherd und der berüchtigte »Schwedentrunk« (Eingießen abscheulicher Jauche), waren an der Tagesordnung.

Bei Beginn des Jahres 1647 heulte aber aufs Neue die Sturmglocke durch das st. gallische Land. Abt Pius war gerade in Wil. Auf der Rückreise begegneten ihm schon die fliehenden Mönche. Der schwedische General Wrangel hatte die Stadt Bregenz eingenommen und bedrohte Lindau und Konstanz, während zugleich ein französisches Heer unter Turenne sich der Schweiz näherte.

Das heraufsteigende Ungewitter einigte die durch konfessionellen Hader getrennten Eidgenossen wieder. Auf einer Tagung zu Wil entwarfen sie vom 17. bis 31. Januar 1647 unter dem Namen Defensionale einen Verteidigungsplan, den man als erste Wehrverfassung der Schweiz bezeichnen könnte. Als die eidgenössischen und äbtischen Truppen am Bodensee lagen, sorgte Abt Pius mit großem Eifer für ihre leiblichen und geistigen Bedürfnisse. Er visitierte persönlich das Lager, öffnete auch seine Vorratskammern in Rorschach zur raschen und billigen Versorgung der vaterländischen Armee und ermunterte die Truppen zur Pflichterfüllung in den Stunden der Gefahr. Für die Militärseelsorge sandte er zwei Klostergeistliche. Das entschiedene Auftreten der Eidgenossen bewirkte, dass die Schwedengefahr ohne Schaden für die Schweiz vorüberging.

Dem Stift St. Gallen brachte indessen der Dreißigjährige Krieg mancherlei Lasten. Zeitweilig beherbergte es über 50 Ordensmänner und zahlreiche Laien aus dem Deutschen Reich, die vor den Schweden geflohen waren. Abt Pius übte eine wahrhaft fürstliche Gastfreundschaft an den armen Emigranten, obwohl seine eigenen Besitzungen jenseits des Bodensees durch das wüste Treiben der schwedischen Truppen schwer gelitten hatten. Die jüngeren Mönche unter den Flüchtlingen wurden auf die Schulen von Rorschach und Neu St. Johann geschickt, damit sie ihre Verbannungszeit in nützlicher Weise verwenden. Auch die Äbte von Weingarten, Bregenz, Ochsenhausen, Ottobeuren, Zwiefalten, Kempten fanden ein Asyl in St. Gallen. Teilweise brachten sie den kostbaren Kirchenschatz ihrer Klöster daselbst in Sicherheit.

Wenige Jahre nach dem Westfälischen Frieden von 1648, welcher dem Dreißigjährigen Krieg ein Ende bereitete und der Schweiz die volle Unabhängigkeit vom Deutschen Reich brachte, entbrannte der religiöse Zwist unter den Eidgenossen heftiger denn je, und es wäre wohl schon jetzt zum Bürgerkrieg gekommen, hätte nicht der ausbrechende Bauernaufstand den Dingen rasch eine andere Richtung gegeben.

Luzern bat den Abt um Waffenhilfe gegen die aufständischen Bauern, worauf dieser am 2. Juni 1653 dem Schirmort 500 Mann zusandte. Die äbtischen Kompagnien mussten den Luzerner »Gnädigen Herren« behilflich sein, das Entlebuch von den Aufständischen zu säubern und an den armen Bauern grausame Rache zu nehmen. Nach einem Monat kehrten die St. Galler, ohne Schaden erlitten zu haben, von Luzern reich belohnt in die Heimat zurück. – Mit der Stadt St. Gallen hielt Pius gute Nachbarschaft und lud gelegentlich die Bürgermeister zu einem »Fastnachtsküchlein« ein.

In den 24 Jahren seiner Regierung war der Abt unermüdlich tätig, das religiöse Leben zu fördern. Zunächst stellte er in seiner eigenen Person das Bild eines vollendeten Ordensmannes dar. Er führte, wie sein Lebensbeschreiber bemerkt, ein engelähnliches Leben; die übermäßige Enthaltsamkeit und Abtötung schwächte sogar seine Gesundheit. Rührend war die Andacht des Abtes zum heiligsten Altarssakrament. Fünfmal jeden Tag pflegte er eine Besuchung desselben zu machen, Briefe über heikle Regierungsangelegenheiten legte er auf den Altar nieder, um erst nach einiger Zeit seine durch Klugheit ausgezeichneten Antworten zu geben.

Als eifriger Marienverehrer ließ er das Fest der Unbefleckten Empfängnis schon damals sehr feierlich begehen und führte durch den Dominikanerprior von Konstanz die Rosenkranzbruderschaft ein, bei deren monatlichen Versammlungen er mit Vorliebe predigte. Er war ein Redner von gewinnender Liebenswürdigkeit und hinreißender Kraft. Klosterbrüder aus Salem errichteten für die Summe von 17‘000 Gulden einen prächtigen, mit dem heute noch vorhandenen Bild Mariens, einem Geschenk des Kardinals Barberini, geschmückten Hochaltar, der leider beim Umbau der Kirche unter Abt Zölestin Gugger beseitigt wurde. Nebstdem erbaute Pius sieben Altäre in der Münsterkirche und ließ in Lindau eine neue Glocke gießen. Sein Wohltätigkeitssinn kannte keine Grenzen.

Groß war auch der Eifer des Abtes für die Wissenschaften. Sein Wahlspruch lautete: »Lieber will ich den Teufel in Menschengestalt als einen ungebildeten Mönch im Kloster sehen.« Er war selber ein tüchtiger Professor in den alten Sprachen und in der Theologie gewesen. Zwei Klostergeistliche mussten bei einem Juden das Hebräische lernen und dann für die Weiterpflege dieser Sprache im Stift St. Gallen sorgen. Ebenso führte er das früher blühende Studium der Mathematik wieder ein. Die Rorschacher Schule erweiterte Pius durch Hinzufügung der Philosophie und Theologie, wofür er seine fähigsten Leute zum Studium nach Rom, Ingolstadt, Dillingen und Dôle sandte. Bedeutende Geldsummen wurden für die Äufnung der Bibliothek verwendet und ihr die Einkünfte der Kirchen von Goldach und Grub zugewiesen.

Im Jahr 1633 gründete Pius eine eigene Buchdruckerei mit Buchbinderwerkstätte, die sich zuerst in Neu St. Johann befand, dann aber nach St. Gallen verlegt wurde und zu den besteingerichteten der damaligen Zeit gehörte. Prächtige Werke sind aus ihr hervorgegangen, wie die Sammlung st. gallischer Urkunden und die Lehrbücher des Stifts.

In seinem Eifer für die Zierde des Hauses Gottes war Pius so glücklich, eine Anzahl kostbarer Reliquien aus der Nähe und Ferne zu bekommen. Disentis schenkte einen Arm des heiligen Magnus, Solothurn Reliquien von den Märtyrern der Thebäischen Legion, aus Rom wurden die Leiber der heiligen Antonin, Theodor, Leander und Marinus nach St. Gallen gebracht. Papst Urban VIII. übersandte dem am römischen Hof hochgeschätzten Prälaten den Katakombenheiligen und Märtyrer Honoratus, bei dessen Übertragung ein Fest von unbeschreiblichem Glanz in der Klosterkirche gefeiert wurde.

Grosses leistete Fürstabt Pius sodann als Visitator seines ausgedehnten Territoriums, dessen Priester er wiederholt zu Synodalversammlungen berief, ferner als Oberer der st. gallischen Frauenklöster, denen er eigene Beichtiger gab, um die Klausur zu festigen, und endlich als Vorsteher der Helvetischen Benediktinerkongregation, deren Klöster er fleißig besuchte und zu unerschütterlicher Regeltreue anhielt. Selbst auf ausländische Stifte erstreckte sich die edle Hirtensorge des heiligmäßigen St. Galler Abtes.
Am 21. Juni 1644 errichtete Rom die sogenannte Benediktinermission für die Schweiz und ernannte zu ihrem Präfekten den St. Galler Abt Pius. Sie war mit großen Vollmachten ausgerüstet und sollte sich vor allem um die Rückkehr der Irrgläubigen bemühen. Ihre Leitung blieb bis zum Tod des letzten Abtes von St. Gallen, Pankratius Forster, bei den st. gallischen Äbten und ging dann im Jahr 1829 auf Einsiedeln über.

Heilig wie sein Leben war auch das Sterben unseres Abtes. Vom Jahr 1650 an wurde er durch fortgesetzte Krankheiten heimgesucht. Noch auf seinem Krankenbett arbeitete er an einer deutschen Lebensbeschreibung des heiligen Gallus, die durch zahlreiche eingestreute Dialoge zu einer volkstümlichen Apologie des katholischen Glaubens werden sollte, um dadurch insbesondere die Toggenburger zu bekehren.

Ein Aufenthalt in Wil, wo der Kranke noch den Grundstein zu dem von Reichsvogt Georg Renner gestifteten Kapuzinerkloster legte, brachte keine Besserung. Heimgekehrt, las Pius am Fest der Unbefleckten Empfängnis, 8. Dezember 1654, zum letzten Mal die heilige Messe. Am folgenden Tag empfing er die Sterbesakramente und richtete darauf eine ergreifende Abschiedsrede an die ganze versammelte Klosterfamilie.

Zweimal sprach er mit erhobener Stimme: »Wenn ihr die Regel verwerfet, wird Gott auch euch verwerfen. Das Kloster St. Gallen«, so sagte er weiter, »ist berühmt in der Schweiz, doch daran liegt nicht viel. Tugenden sind der wahre Ruhm. Ich sterbe, und ihr folget mir nach; dazu sind wir auf Erden, um bald hinüberzugehen. Seid gehorsam meinem Nachfolger. Ich sterbe gern. Nichts hält mich zurück. Ich will leben und sterben im katholischen Glauben.« Darauf umarmte er jeden einzelnen und segnete ihn.

Die Uhr schlug halb neun. Die Mönche mussten in den Chor gehen; als sie zögerten, sprach der Sterbende: »Ite, ite, geht nur.« Bis gegen zehn Uhr dauerte das Offizium, dann kamen sie wieder. Der sterbende Abt saß in seinem Lehnstuhl, ein Kreuz in der Hand, bald dieses anblickend, bald zum Himmel schauend. Plötzlich trat der Todeskampf ein. Man verrichtete die Sterbegebete. Um zehn Uhr verschied er ruhig – »ein Hammer der Irrgläubigen, eine Stütze der Katholiken, ein Vorbild für die ganze Welt.«

Fünf Tage blieb die Leiche aufgebahrt. Wangen und Lippen sahen rötlich aus, mehr einem Lebenden ähnlich als einem Toten; ein lieblicher Geruch ging von ihm aus. Eine zahlreiche Menschenmenge strömte herbei, um des Toten Kleider zu berühren; auch Rosenkränze wurden mit der Leiche in Berührung gebracht. Zum Grab kam noch lange Zeit viel Volk, um dort Trost zu suchen und Erhörung in mancherlei Anliegen zu finden.

Mit Pius Reher war einer der heiligsten Äbte von St. Gallen dahingegangen.

Am darauffolgenden 17. Dezember wurde Gallus Alt (1654–1687), ein Rheintaler aus Oberriet, zum Abt gewählt, ein Mann von höchster Einfachheit, der auch als Fürstabt mit seinen schlichten Verwandten in großer Herzlichkeit verkehrte.

Gleich in den Beginn der Regierung dieses Abtes fallen die Wirren, die dem ersten Villmergerkrieg vorangingen. Von den katholischen Eidgenossen aufgefordert, zum Krieg zu rüsten, bot der Abt zwar die Mannschaften auf und traf auch sonst Verteidigungsanstalten, erklärte jedoch, neutral bleiben zu wollen. Dabei zeigten sich die von Zürich stets begünstigten Toggenburger ungehorsam gegen ihren Landesherrn, und auch die Bewohner von Romanshorn und Kesswil weigerten sich, dem Truppenaufgebot des Abtes Folge zu leisten. Trotzdem Zürich für die Thurgauer einstand, wurden diese vom Abt gebüßt; den Toggenburgern dagegen musste er Straflosigkeit angedeihen lassen.

Nach dem für die Katholiken günstigen Ausgang des Villmergerkriegs wurde die Unruhe in der Schweiz nur noch größer. Besonders zeigten sich die Toggenburger störrisch gegen das äbtische Regiment, und nur durch kluges Entgegenkommen konnte der Landfriede noch für einige Zeit mühsam aufrechterhalten werden.

Seit dem Jahr 1658 gewann der damals zum Landeshofmeister erwählte Baron Fidel von Thurn, ein außerordentlich geschickter Diplomat, immer größeren Einfluss auf die Politik der Abtei St. Gallen. Sehr gewandt wusste dieser hochbefähigte Mann in den verschiedenen Konflikten die Interessen des Stifts, nicht minder aber auch die seinigen, zu wahren. Anfänglich begünstigte er Frankreich, das von 1669 bis 1670 aus den Stiftslanden allein 16 Kompagnien Söldner erhielt. Als aber Kaiser Leopold im Jahr 1674 das Stift als Reichsstand zur Hilfe aufforderte und 1676 durch die Franzosen die st. gallische Herrschaft Ebringen geplündert wurde, schwenkte Thurn zum Kaiser hinüber, von dem er sich größere Vorteile versprach. Das bedeutete für die fürstäbtliche Politik eine verhängnisvolle Wendung, die sich bitter rächte, denn Frankreichs Einfluss auf die Schweiz war in stetem Wachsen begriffen. Im Jahr 1677 berief der Abt seine sämtlichen Truppen aus den französischen Diensten zurück, und Thurn begann auch auf den Tagsatzungen dem französischen Gesandten entgegenzuarbeiten*. [*Versuche des Barons von Thurn, für das Rheintal eine gemeinsame Landesverwaltung zu errichten, an welcher die 8 regierenden Orte und der Abt von St. Gallen gleichen Anteil haben sollten (Kommunell), scheiterten am Widerstand Zürichs und an der feindseligen Haltung von Schwyz.]

Mit dem Herzog von Savoyen schloss Baron Thurn im Namen des Stifts ebenfalls ein Bündnis ab, wofür die Äbte den hohen Annuntiatenorden erhielten, bis nach dem Tod des letzten Fürstabtes die Ordenskette veräußert wurde.

Im Kloster hielt Abt Gallus auf strengste Zucht. Fleißig besuchte er die Zimmer der Mönche und ließ alles daraus entfernen, was nicht ganz notwendig war. Oft mussten sie die Zellen von einem Tag zum andern wechseln, ohne das Geringste mitnehmen zu dürfen, damit sie von jeder Anhänglichkeit frei würden. Als im Jahr 1686 eine Vesper mit Instrumentalmusik in der Stiftskirche aufgeführt wurde, erzürnte sich Gallus darüber so sehr, dass er dem Dekan eine schwere Strafe aufzulegen und den Kapellmeister einzusperren willens war. Er begnügte sich dann aber damit, dass er den Mönchen viele Gebete zur Buße auferlegte, um die Strafe des Himmels wegen dieses Vergehens abzuwenden. Unter Zölestin Sfondrati fand dann allerdings diese Art Musik aus den umliegenden Klöstern auch Einzug in St. Gallen und konnte sich bis zur Auflösung des Stifts darin erhalten. Bisweilen setzte Gallus die Tüchtigsten auf geringe Stellen, wie er z.B. den gefeierten Rechtslehrer Zölestin Sfondrati mitten im Schuljahr von der Universität Salzburg heim rief und zuerst zum Hilfspriester für die arme Kapelle in Untereggen, hernach zum Beichtiger des bescheidenen Frauenklosters St. Georgen ernannte.

Grund zu solchem Vorgehen bot dem Abt nebst seiner strengen Auffassung von klösterlicher Disziplin besonders der Abfall des sehr angesehenen P. Maurus Heidelberger, der im September 1681 nach Zürich entwichen war, und dessen Apostasie im In- und Ausland ungeheures Aufsehen erregte. Gegen Ende seines Lebens kehrte der Abgefallene wieder zurück und starb mit der Kirche ausgesöhnt.

Gallus hob auch im Jahr 1666 das Gymnasium in Rorschach wieder auf, weil ihm das lange Fern sein der Mönche vom Kloster der inneren Ordnung nachteilig erschien.

Die traurige Verirrung des vorgenannten P. Maurus trug viel dazu bei, dass Wachsamkeit und Eifer im st. gallischen Konvent zu hoher Blüte kamen.

Im Laufe seiner 33jährigen Regierung nahm Abt Gallus 105 neue Mitglieder in den Klosterverband auf, so dass die Zahl der Konventualen von 27 im Jahr 1594 und von 45 unter Abt Pius auf über 70 stieg. Daher sah sich der Abt gezwungen, zwei neue Konventgebäude zu errichten, das eine in südlicher, das andere in östlicher Richtung, die beide heute noch bestehen. Auf dem südlichen Flügel ist das kräftig ausgeführte Wappen des Abtes angebracht. Zahlreiche Kirchen und Kapellen ringsum im Land, darunter die prächtige Kirche von Neu St. Johann, sind ebenfalls auf Abt Gallus zurückzuführen.

Die Weltgeistlichkeit seines Gebietes hielt Gallus stetsfort zu treuer Pflichterfüllung an und hob durch eifrige Visitationen den religiösen Eifer wie nicht minder den ökonomischen Stand der Pfarreien. Auch die Angelegenheiten der schweizerischen Benediktinerkongregation nahmen ihn stark in Anspruch, zumal die misslichen Zustände im Kloster Pfäfers, für dessen Einverleibung an Einsiedeln (1682) er sehr tätig war. Klostergeistliche von St. Gallen wirkten in den Stiften Fulda, Kempten, Murbach und Ettenheimmünster. Den Frauenklöstern des Stiftsgebiets wandte Abt Gallus ebenfalls seine eifrige Sorge zu, so dass man ihn einen Reformator derselben genannt hat. Unter seiner Regierung wurde das Kapuzinerkloster in Wil, dem er bis zum Tod ein edler Gönner blieb, vollendet.

Kein anderer Abt hat eifriger als er das Predigtamt geübt. Es gab wenige Gotteshäuser in seinem ganzen Gebiet, wo er nicht das eine oder andere Mal die Kanzel bestieg, um dem Volk das Wort Gottes zu verkünden. Selbst die nachmittägige Christenlehre besuchte er gern und hielt dieselbe bisweilen in eigener Person.

Wenn öffentliche Gefahren und Heimsuchungen Kirche oder Staat bedrängten, wurde das 40stündige Gebet angeordnet und die Bevölkerung der Stiftslande in eindringlicher Weise zur Sühne und Busse gemahnt. Für die Hebung von Sittlichkeit und Volkswohl bediente sich Abt Gallus gern der Sittenmandate, die ihm als weltlichem Herrscher zustanden.

Ein solches Mandat erließ der Abt am 27. März 1657 gegen die Laster der Unkeuschheit, Völlerei, Hoffart sowie gegen Fluchen und Gotteslästerung:

1. Die Hoffart betreffend: Weil viele Untertanen mit kostbaren Gewändern und ausländischen Modeformen über ihren Stand sich kleiden, die Dienstboten seidene Schnüre und Knöpfe auf den Kleidern tragen; die ledigen und verheirateten Frauenspersonen Schmuck, Ketten und Gürtel von Silber, goldene Ringe, köstliche Hinterfürhüte, Spitzen und Krägen gebrauchen, selbst dem Almosen Nachgehende sich mit dem Laster der Hoffart besudeln, so sollen geistliche und weltliche Amtleute auf dergleichen Ungebühr fleißiges Aufsehen halten, der Obrigkeit Anzeige machen, auch etwa zum öffentlichen Gespött den Einen oder Andern solche Kleidungsstücke abziehen und zu obrigkeitlichen Handen nehmen.

2. Das Laster der Unzucht betreffend: Da es oft geschieht, dass solches so weit getrieben wird, bis das Ergebnis des geführten Wandels schaubarlich zum Vorschein kommt, so werden Ledige und Verheiratete ernstlich ermahnt, sich aller Unzucht zu enthalten, indem die darin Ergriffenen mit öffentlichen Leibesstrafen, Einspannung in die Geigen (eine Art Pranger), Aufstellung vor der Kirche mit strohgeflochtenen Kränzen und Degen angetan, auch mit Gefangenschaft bei Wasser und Brot bestraft würden.

3. Für das Fluchen, Schwören und Gotteslästern werden öffentliche Kirchenbußen mit brennenden Kerzen in den Händen, schärfere Gefangenschaft und andere öffentliche Leibesstrafen angedroht.

4. Hinsichtlich der Völlerei und Trunksucht zeige die tägliche Erfahrung, dass dieses Laster bei herrschender Wohlfeilheit stark im Gange sei, namentlich bei verwahrlosten, armen und übelhausenden Leuten, die gleichsam täglich vor dem Wein- und Mostzapfen sitzen, sich anfüllen, dass sie weder stehen noch gehen, nicht reden noch deuten können und zum Ärgernis der Leute an Straßen und Wegen liegend gefunden werden; wofern solche »volle Zapfen« gefunden würden, soll man sie anzeigen und von Obrigkeits wegen an einen Ort setzen, mit Wasser und Brod wohl ausnüchtern und mit Verbot der Wirts- und Mosthäuser abstrafen. Den Wirten wird strenge verboten, Leuten, die vom Besuch der Wirtshäuser obrigkeitlich ausgeschlossen waren oder die auf Unkosten und zum Nachteil ihrer Haushaltung zehrten, etwas zukommen zu lassen.

Ein Handwerksmandat vom Jahr 1661 verordnete die zunftmäßige Betreibung der Handwerke im Stiftsgebiet und verpflichtete die Handwerksgesellen zu dreijähriger Wanderschaft, um auswärts das Erlernte zu vervollkommnen.

Einige Jahre später erfolgte ein Landmandat mit strengen Bestimmungen zum Schutz des Witwen- und Waisengutes.

Zu den glänzendsten Geschehnissen der Regierungszeit dieses Abtes gehören die großen Translationsfeste von Katakombenheiligen zu Lichtensteig, Wil, Rorschach, Wildhaus und St. Gallen. Mit unbeschreiblicher Pracht und unter dem Andrang mächtiger Volksscharen aus nah und fern wurden diese Anlässe begangen, die von der religiösen Lebensfülle jenes Zeitalters Zeugnis geben.

Im Charakterbild des Abtes Gallus stehen scheinbare Gegensätze eng nebeneinander: schlichte, fast bäurische Einfachheit neben vollem Bewusstsein fürstlicher Würde, äußerste Sparsamkeit neben großzügiger Wohltätigkeit, unerbittliche Strenge neben fast mütterlicher Sorge, Blick für die kleinsten Dinge des alltäglichen Lebens neben dem warmen Interesse für die großen Aufgaben von Wissenschaft und Kunst.

Seine Tagebücher bieten ein treffliches Bild der damaligen Zeit; alle wichtigen Ereignisse in Staat und Kirche in der Schweiz und im Ausland werden erwähnt; selbst den Wetterkalender von über vierzig Jahren Tag um Tag findet man darin verzeichnet.

Besonders eindrucksvoll zeigen die Tagebuchblätter das große Gottvertrauen des Fürstabtes in jeder Lebenslage. Bei einem schweren Unfall, der ihm am 31. Mai 1673 auf der Heimkehr von Neu St. Johann nach St. Gallen unweit des Dorfes Peterzell zustieß, waren seine ersten Worte: »Der Herr behüte uns und bewahre uns, wunderbar hat mich Gott der Herr heimgesucht.«

Wegen der Ungeschicklichkeit der damaligen Chirurgen musste das Bein nach einiger Zeit nochmals gebrochen werden. Trotz der ungeheuren Schmerzen dieser Operation ermunterte Gallus die Ärzte, nur tapfer zuzugreifen und ihn keineswegs zu schonen. Während des langen Krankenlagers, das ihn vom Mai bis in den September zu Peterzell an das Bett fesselte, gab der Patient kein einziges Zeichen der Ungeduld, ermunterte im Gegenteil seine Besucher zu festem Vertrauen. Als ihn eines Tages die jüngeren Fratres aus St. Gallen besuchten (den fünfstündigen Weg hatten sie zu Fuß zurückgelegt) und mit bekümmerter Miene an sein Schmerzenslager tragen, da unterhielt er sich mit ihnen so voller Güte und Heiterkeit, dass sie ganz froh und getröstet anderntags wieder heimkehrten. Am 27. September wurde der Prälat in einer Sänfte nach St. Gallen getragen, wo ihn seine glücklichen Söhne mit Anreden in vier Sprachen (deutsch, lateinisch, griechisch und hebräisch) begrüßten und durch ein feierliches Hochamt mit Tedeum und dem Geläute aller Glocken ehrten. Erst am 25. Februar des folgenden Jahres konnte er wieder die heilige Messe feiern.

Einen ergreifenden Beweis von Seelengröße gab Abt Gallus auch, als im Juli 1679 das Schloss Neu-Ravensburg durch einen Brand zerstört wurde. Er schrieb an den Dekan und Konvent zu St. Gallen (29. Juli 1679): »Es geziemt den Kindern Gottes, dem himmlischen Vater bei jeder Heimsuchung Dank zu sagen; daher verordne ich, dass nächste Woche ein Dankgottesdienst gehalten werde für diese gnädige Heimsuchung; vielleicht haben wir mit andern in ihrer Trübsal kein brüderliches Mitgefühl gehabt, so dass Gott uns väterlich züchtigt. Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, wie es dem Herrn gefiel, so ist es geschehen. Der Name des Herrn sei gepriesen.« Um den echten benediktinischen Geist in der Klosterfamilie zu erhalten und zu vermehren, hielt Gallus derselben häufige Ansprachen, mehrere hundert an der Zahl.

Zwei Bücher kamen gleichsam nie aus seiner Hand: Die Regel des heiligen Benediktus und das Büchlein der Nachfolge Christi. Sie waren ihm Leitstern und Kompass für sein persönliches Leben wie für die Leitung seiner Untergebenen und für die gesamte Regierungstätigkeit.

Alljährlich pflegte Abt Gallus auch das Siechenhaus in Bruggen zu besuchen, wo Arme und Kranke aus zahlreichen stiftischen Gemeinden ihren Lebensabend zubrachten. Mit rührender Herablassung weilte er in ihrer Mitte und speiste an ihrer Tafel, sie durch heitere Rede und köstliche Gaben erfreuend und zu gegenseitiger Liebe und Verträglichkeit aufmunternd. Seine schlichte Einfachheit zeigte sich ferner darin, dass er bisweilen mit Nadel und Faden selber seine Kleider ausbesserte, da dies der Ordensregel entspreche.

Gerne verrichtete der Abt das Chorgebet gemeinsam mit seinen Brüdern bei der Mitternachtsmette wie während des Tages. Musste er aber allein die Tagzeiten beten, so geschah es mit denselben Zeremonien und derselben Eingezogenheit, wie es beim gemeinsamen Chorgebet vorgeschrieben war. Durch nichts ließ er sich beim Gebet stören. Selbst fremde Gesandte mussten warten, bis er dasselbe beendigt hatte.

Am 5. Mai 1686 war es Fürstabt Gallus vergönnt, im Beisein sämtlicher Äbte der schweizerischen Benediktinerkongregation sein goldenes Priesterjubiläum zu feiern*. [*Als Erinnerung an diesen Festanlass bewahrt man in der Domsakristei noch einen Ornat (Mitra, Casula, Birett, Stab) von Pergament auf, den ein Klosterbruder verfertigt und mit Inschriften und symbolischen Zeichen geschmückt hatte.]

Ein starkes Zittern der Hände machte es ihm anfangs November dieses Jahres unmöglich, weiterhin das heilige Messopfer zu feiern. Er zog sich ins allgemeine Krankenzimmer zurück, wo er am 4. März 1687 eines sanften Todes starb.

Ihm folgte als Fürstabt Zölestin I. (1687–1696), ein großer Gelehrter und heiligmäßiger Ordensmann aus dem hochangesehenen Grafengeschlecht der Sfondrati in Mailand, welches einen Papst, einen Kardinal, Bischöfe und weltliche Würdenträger zu seinen Gliedern zählte.

Geboren den 10. Januar 1644, kam der junge Alois Sfondrati, so hieß er in der Welt, als 12jähriger Knabe nach St. Gallen. Man tat ihn nach Mariaberg bei Rorschach in die dortige Schule; aber sein Temperament war so heftig, dass er im Zorn mit dem Messer auf Lehrer und Mitschüler losging, und man schon daran dachte, ihn nach Italien zurückzusenden. Wider Erwarten bezwang er indessen seinen Charakter und wurde unter allen Schülern der bestgesittete und ein Muster für die andern.

Im Jahr 1660 legte Sfondrati die Ordensgelübde ab und empfing 1668 die Priesterweihe. Nach kurzer Lehrtätigkeit in Kempten und in St. Gallen kam er als Professor des Kirchenrechts an die Universität Salzburg, die ihm den Doktortitel der Theologie und beider Rechte verlieh. Kein Hörsaal vermochte die Zahl der Studenten zu fassen, die von dem glänzenden Lehrer ganz entzückt waren; viele hörten, auf Leitern stehend, von außen seinen Vorlesungen zu. Der fromme Ordensmann wirkte auch auf Herz und Gemüt der Studenten trefflich ein.

Da Fürstabt Gallus für die Demut des gefeierten Lehrers fürchtete, rief er ihn mitten im Schuljahr 1683 zurück und setzte ihn auf unbedeutende Stellen, denen sich aber Zölestin mit selbstlosem Eifer widmete. In Salzburg hatte er ein Werk verfasst – Regale Sacerdotium, Königliches Priestertum – worin die Rechte des Papstes gegenüber den Anmaßungen der französischen Könige in kirchlichen Dingen, den sogenannten gallikanischen Freiheiten, glänzend verteidigt sind. Dieses Buch zog seinem Verfasser und dem Stift St. Gallen scharfe Feindschaft von Seiten Frankreichs zu, weshalb die Abtei noch mehr an die Seite des Kaisers gedrängt wurde und im bald darauf entbrannten Religionskrieg von Frankreich ihrem Schicksal überlassen wurde.
Eine Reihe weiterer Werke sind aus der Feder des großen Gelehrten hervorgegangen und haben seinen Namen durch ganz Europa bekannt gemacht, darunter namentlich ein schönes Buch über die Unbefleckte Empfängnis Mariens.

Papst Innozenz wollte den feurigen Anwalt der kirchlichen Rechte und Freiheiten zum Bischof von Novara ernennen; Sfondrati lehnte die zugedachte Würde ab, musste aber dafür den Abtstab des heiligen Gallus in seine Hand nehmen.

Auch als Fürstabt blieb er der demütige, freundliche Ordensmann, der er vorher gewesen. Seine schwächliche Gesundheit hinderte ihn nicht, fortwährend tätig zu sein. Jeden freien Augenblick widmete er dem Gebet. Er war ein zärtlicher Verehrer der allerseligsten Jungfrau, die er besonders gern mit dem Rosenkranz begrüßte, wie auch der heiligen Landespatrone Gallus und Otmar. Zu Ehren des letzteren ließ er die Otmarskirche in herrlichem Renaissancestil restaurieren, wobei die Reliquien der Heiligen Otmar und Notker unter glänzenden Feierlichkeiten erhoben wurden.

Im Genuss von Speise und Trank wie auch im Schlaf äußerst mäßig, versagte er sich oft das Notwendige. Nach dem Tod fand man in seinem Nachlass blutbefleckte Geißeln und am Körper Spuren von deren häufiger Anwendung. Lieblose Reden durften in seiner Gegenwart nicht geführt werden. Man kann wohl sagen, dass das Kloster St. Gallen in ihm einen Heiligen zum Abt erhalten hatte. Im Mai 1690 hielt Zölestin zu Rorschach eine Art Diözesansynode ab, der alle ihm untergebenen Seelsorgspriester beiwohnten. Mit beredten Worten mahnte er diese, nach dem Beispiel des guten Hirten alles, selbst das Leben, für die ihnen anvertrauten Seelen hinzugeben.

In der großen Hungersnot des Jahres 1693, als die Ernte in weitem Umkreis vollständig missraten war und das arme Volk mit den ekelhaftesten Gegenständen seinen Hunger stillen musste, kamen bisweilen täglich 2–3000 Menschen an die Klosterpforte, und keiner wurde ohne Hilfe entlassen. Der edle Fürst ließ auch, um das Unterstützungswesen besser zu ordnen, in allen Gemeinden die Dürftigen aufzeichnen und ihnen das Nötige zukommen, Brot, Kleider und Holz. Unter großen Opfern brachte er Getreide bald aus dem Deutschen Reich, bald aus Italien nach St. Gallen. Solange die Not andauerte, setzte er die Brotration für den eigenen Tisch auf die Hälfte herab.

Zölestin bemühte sich auch, den Klosterbesitz zu Massino in der Lombardei wieder zurückzugewinnen, aber vergeblich. Der Führung des Barons von Thurn überließ er sich weniger als sein Vorgänger.

Dem scharfen Auge Sfondratis entging es nicht, dass eine kriegerische Auseinandersetzung mit den Reformierten nur eine Frage der Zeit sein werde, deshalb suchte er mit Bern ein Bündnis abzuschließen, das aber nicht zustande kam; mit den katholischen Orten verabredete er 1695 in Wil einen Verteidigungsplan und legte bereits einen Kriegsfonds zusammen.

Mitte Dezember 1695 drang die Kunde nach St. Gallen, dass Zölestin Sfondrati von Papst Innozenz XII. zum Kardinal ernannt worden sei. Diese Nachricht erweckte in der katholischen Welt mit Ausnahme Frankreichs freudigen Jubel, im St. Gallischen dagegen, da bekannt wurde, der Kardinal müsse seinen Wohnsitz nach Rom erlegen, zugleich schmerzliche Bestürzung.

Am 10. Januar 1696 leitete Sfondrati noch persönlich die Wahl des neuen Fürstabtes, die auf den Stiftsdekan Leodegar Bürgisser fiel. Zwei Tage nachher trat er die Reise nach Rom an. Beim Abschiedsgottesdienst in der Klosterkirche zerfloss alles in Tränen. Äbtische und städtisch st. gallische Truppen – Zölestin war auch bei den Reformierten angesehen – gaben dem Scheidenden das Ehrengeleit bis Rorschach.

Die Reise nach Italien glich einem Triumphzug, was dem schlichten Sinn des Kardinals sehr widerstrebte. Es ist ein bezeichnender Zug, dass er auf der Reise schlüpfrige Bilder, die er in den Gasthäusern vorfand, ankaufen und verbrennen ließ. Am 9. Februar in Rom angekommen, wurde er sofort in die wichtigsten Kongregationen berufen.

Doch das römische Klima sagte dem ohnehin schwächlichen Kirchenfürsten nicht zu. Eine schwere Krankheit befiel ihn und führte ihn langsam dem Grabe zu. Rechtzeitig machte er sein Testament, in dem er nicht vergaß, sich den st. gallischen Landespatronen zu empfehlen. Seine Bücher und sein Herz sollten nach St. Gallen gebracht werden.

Nach dem Empfang der Sterbesakramente am 31. August gab Zölestin dem P. Hermann Schenk, seinem Begleiter aus dem heimatlichen Kloster, die letzten Grüße an den Fürstabt und seine einstigen Untergebenen auf. Dann wandte er sich an die Umstehenden mit der Bemerkung, er sterbe gern, denn erstens werde er dann Gott den Herrn nicht mehr beleidigen und zweitens könne er Gott sein Leben zum Opfer bringen. In der Nacht des 4. September 1696 starb er, freundlich lächelnd, eines überaus erbaulichen, heiligen Todes.

Der Papst konnte sich bei der Todesnachricht der Tränen nicht erwehren und sagte: »Wir waren nicht würdig, einen so heiligen Mann länger zu besitzen.« Auch das römische Volk verehrte den Toten wie einen Heiligen und berührte seinen Leichnam mit Rosenkränzen. In der Kirche der heiligen Cäcilia, seiner Titelkirche, erhielt Zölestin Sfondrati seine letzte Ruhestätte, die man heute noch sehen kann.

P. Hermann Schenk brachte das Herz des großen Toten in die Heimat zurück. Wenige Jahre später im Toggenburgerkrieg, wurde es von einem jungen Berner entwendet, konnte dann aber wieder geborgen werden. Es ruht noch immer beim Muttergottesaltar der Kathedrale. Das schöne Marienbild dieses Altars ist ebenfalls ein Geschenk des Kardinals Sfondrati.

Die kraftvolle Regierung der bedeutenden Äbte des 17. Jahrhunderts zeitigte reiche und herrliche Früchte. J. von Arx schreibt darüber: »Das eifrige Unterweisen und Zusprechen, dem einerseits das gute Beispiel der Geistlichen und der Obrigkeiten kräftigen Nachdruck gab, und anderseits die Sittenverordnungen entgegenzuhandeln nicht erlaubten, wurde mit dem herrlichsten Erfolg gekrönt. In dem Zeitraum eines einzigen Menschenalters trat an Stelle der vorigen Sittenlosigkeit allgemeine Auferbauung, an Stelle der öffentlichen Unsicherheit hohe gesetzliche Ordnung und für die unbändige Widersetzlichkeit stille leitsame Bereitwilligkeit ein. Der Geist der Frömmigkeit, jenes Öl der Tugendflamme, nahm unter dem Volk von Tag zu Tag mehr zu. Da fängt jener Zeitraum an, den sich unsere Großväter wegen der herrschenden Ehrlichkeit, Tugend und Frömmigkeit unter dem Namen der guten alten Zeit lobten. Sie war es auch in der Tat, weil die Bewohner dieses Landes weder vorher noch nachher nie mehr Tugenden und weniger Laster hatten, und weil die Vor- und Nachteile der Kultur sich nie gegeneinander für die Sittlichkeit und Ruhe vorteilhafter aufwogen.«

Das 17. Jahrhundert war vielleicht das schönste und glücklichste in der ganzen langen Geschichte des Klosters St. Gallen. Ehrende Erwähnung verdient auch die eifrige Kunstpflege des Stifts, die während dieses und des folgenden Jahrhunderts eine Reihe prächtiger, stilvoller Kirchen und sonstiger Bauten rings im Land geschaffen hat.

Schon Abt Diethelm hatte den wissenschaftlichen Bestrebungen kräftigen Ansporn gegeben, indem er ein neues Bibliothekgebäude errichten ließ und fähige Mönche auf auswärtige Schulen, besonders nach Dillingen und Paris schickte. Dieser Eifer für die Wissenschaften dauerte unter seinen Nachfolgern noch in vermehrtem Maße an, so dass bald eine stattliche Reihe tüchtig gebildeter Konventualen im Kloster wirkten.

P. Ulrich Hengartner von Bernhardzell (1568–1633) zeichnete sich ebenso sehr aus durch seine wissenschaftliche Tüchtigkeit wie durch ein heiligmäßiges Leben. Vierzig Jahre hindurch war er eifriger Münsterprediger und in Verwaltungsgeschäften die rechte Hand des Abtes Bernhard. In seltenem Grad besaß P. Ulrich alle Eigenschaften und Tugenden eines vollkommenen Ordensmannes und verband damit eine außerordentliche Bußstrenge. Während der schrecklichen Pest des Jahres 1629 widmete er sich heldenmütig dem Dienst der Pestkranken.

P. Jodokus Metzler von Andelsbuch bei Bregenz (1574–1639) war Doktor des Kanonischen Rechts, ein fruchtbarer Schriftsteller und tüchtiger Bauherr. In wichtigsten Angelegenheiten des Klosters schickte ihn Abt Bernhard an verschiedene Orte und dreimal nach Rom, wo er das Konkordat mit Konstanz zum glücklichen Abschluss brachte. Er schrieb auch die Geschichte der Abteien St. Gallen, St. Johann und Engelberg, die Leben der berühmten Männer St. Gallens und viele Abhandlungen über die geistliche Gerichtsbarkeit des Stifts und andere Gegenstände.

P. Kolumban Tschudi von Glarus (1580–1643), Doktor der Philosophie und Lizenziat der Theologie, wurde auf Wunsch des Bischofs von Straßburg als Reformator der beiden Klöster Murbach und Lüders im Elsass gesandt, wo er seine schwere Aufgabe in bester Weise löste.

P. Magnus Brüllisauer von Appenzell (1582–1646) arbeitete die von seinem Lehrer Jodokus Metzler zusammengestellte Hauschronik besser aus und veröffentlichte die kostbaren Urkunden des Stifts. Er war Prior und Statthalter in Alt St. Johann. Als beliebter Musiker und Klosterkomponist verfertigte er einige Singstücke.

P. Probus Ritter von Lichtensteig (1590–1629) machte wie die meisten seiner Mitbrüder die philosophischen und theologischen Studien zu Dillingen und bekleidete dann wichtige Ämter im Stift. Bei Ausübung eines Exorzismus entdeckte er in der Otmarskirche die Reliquien dieses Heiligen, die dann im Jahr 1628 feierlich übertragen wurden. Einst sandte ihn Abt Bernhard zufolge eines Gelübdes auf eine Wallfahrt zur seligen Elisabeth Bona in Reute. P. Probus brachte von dem Wasser, das Elisabeth aus dem Felsen geschlagen hatte, nach Hause. Als der Abt davon trank, wurde er von seinem Steinleiden befreit.

P. Probus sorgte für den Druck der von P. Magnus Brüllisauer verfassten deutschen Bearbeitung des Lebens und der Wunder der heiligen Notker und Otmar. Ebenso ließ er die Statuten der St. Valentinsbruderschaft, die Urban VIII. bestätigt hatte, drucken. Er verfasste auch eine Übersicht der Visitationserlasse. Auf seine Anregung hin bearbeiteten mehrere Patres ein Werklein von 100 Fragen über die Disposition der Beichtenden. Für die Laienbrüder, deren Instruktor er war, übersetzte er manche Partien aus den Schriften des Alfons von Rodriguez und des P. Jakob de Paz. Er war ein sehr frommer, demütiger Ordensmann, machte alljährlich die Exerzitien und beichtete fast jeden Tag.

Als im Jahr 1629 die Pest ausbrach und die Pfarrherren von St. Fiden und St. Georgen der Seuche erlagen, ging P. Probus freiwillig als Pfarrer nach St. Fiden, wo er sich rastlos der Sorge für die Pestkranken hingab. Nach der Rückkehr ins Kloster starb er mit mehreren seiner Mitbrüder ebenfalls an der Pest.

P. Athanas Gugger von Berneck (1608–1669) war einer der tüchtigsten Lehrer St. Gallens, besonders aber ein gefeierter Dichter. Er hat elf geistliche Spiele geschrieben, die zu den besten Barockdramen gehören und den Verfasser als Meister der Form, des Gedankens, einer verblüffend frischen Komik und als wahren Künstler erscheinen lassen. In seinen schönsten Dramen Notker und Otmar schildert er früheste Klostergeschichte, die nach dem Brauch des 17. Jahrhunderts historische Tatsachen und Legenden in buntem Gemisch auf die Bühne brachte. Die ganze Herrlichkeit der damals so glänzenden Klosterkultur tritt uns aus den gewaltigen Schöpfungen Guggers mit höchster Anschaulichkeit entgegen. Seine Spiele hatten einen ungeheuren Erfolg. Daneben war P Athanas ein überaus frommer Ordensmann und zugleich ein klösterliches Original.

P. Chrysostomus Stipplin von Biberach (1609–1672), der unzertrennliche Freund des Spieldichters Athanas Gugger, hat als Archivar sein ganzes Leben mit Sammeln und Abschreiben zugebracht. In vielen Bänden besitzen wir von ihm Beiträge zur Geschichte des Klosters, sowie eine Reihe wertvoller Lebensbeschreibungen bedeutender Äbte und Konventualen.

Neben dem berühmten Rechtslehrer an der Universität Salzburg, P. Plazidus Bridler von Bischofszell (1613–1679) und den namhaften Mönchdichtern P. Dionys Mattlin von Oberriet (1640–1700), P. Ulrich Aichaim von Neu-Ravensburg (1626–1671)), P. Meinrad von Baden aus Elzach im Elsass (1629–1702) und P. Jakob von Tschernemell aus Gießen (1619–1674) sei noch besonders genannt P. Hermann Schenk von Konstanz (1653–1706), einer der angesehensten Gelehrten seiner Zeit. Er führte die Hauschronik des Klosters von 1442–1630 weiter und lieferte den Bollandisten, sowie den Herausgebern der Kirchenväter, den berühmten Forschern Mabillon und Baluze eine Menge bedeutender Aufsätze und Beiträge für ihre großen Werke. Ebenso verfasste er ein Buch über die Rechtsamen seines Stifts und nahm in aller Eile von dem im Schwedensturm zerstörten Original der Hirschauer Chronik eine Abschrift. Im Jahr 1700 erhielt er einen Ruf als kaiserlicher Bibliothekar nach Wien, folgte aber, wie es scheint, auf Anraten seines Abtes diesem Ruf nicht.

Franz Hertenstein (1610–1686), Abt von Ettenheimmünster im Breisgau, war am 17. Dezember 1610 in Rorschach geboren und auf den Namen Matthäus getauft worden. Im Jahr 1630 wurde er in den St. Galler Klosterverband aufgenommen und für verschiedene wichtige Ämter verwendet. Als genialer Orgelspieler hatte er einen Ruf weit über die Heimat hinaus. Am 19. Juni 1653 bestimmte ihn dann Pius Reher zum Abt des Stifts Ettenheimmünster; die feierliche Einsegnung konnte aber erst zwei Jahre später unter dem Fürstabt Gallus erfolgen.

Das Kloster Ettenheimmünster war durch die Brandschatzung der Schweden an den Rand des Abgrunds geraten und seine Mönche in der Verbannung zerstreut. Abt Franziskus hatte eine schwere Aufgabe zu erfüllen. In den 33 Jahren seiner Prälatur hat er sie glänzend gelöst. Ganz nach dem Vorbild der Abtei St. Gallen führte er die Reformen durch, zuerst die tief gesunkene Klosterzucht durch Lehre und Beispiel erneuernd, dann in unablässiger Sorge um einen tüchtigen, jungen Nachwuchs, endlich durch die ökonomische und finanzielle Neugestaltung des Stifts, wie nicht minder durch eifrige Pflege der Wissenschaft und Aszese.

P. Bernhard Hartmann (1581–1665) Stiftsdekan, in der Taufe Johannes genannt, wurde geboren den 25. Dezember 1581 als Sohn eines an der äußeren Schule in St. Gallen angestellten Unterlehrers aus Waldsee; im Jahr 1597 ins Kloster aufgenommen, war er ein vorzüglicher Gelegenheitsdichter und hatte in Dillingen den Doktortitel der Philosophie erlangt. Als tüchtiger Ökonom und Bauherr brachte er eine Reihe wertvoller Besitzungen ans Stift St. Gallen. In die Klöster Rheinau und Fulda wurde er geschickt, um dort die benediktinische Reform anzubahnen. Zum Dekan des Klosters St. Gallen erhoben, verfasste er die neuen Statuten der Helvetischen Benediktinerkongregation. Als Fürstabt Pius im Jahr 1645 dem Kapitel die Frage vorlegte, ob man Musikinstrumente im Chor verwenden solle, tat Bernhard den Ausspruch: »Man bleibe beim alten und lerne den Choral recht gründlich. Der hl. Benedikt sagt nichts von Musikinstrumenten.« In Anwesenheit von zehn Benediktineräbten aus der Schweiz und aus Schwaben feierte Bernhard, der zuletzt noch Statthalter zu Wil war, am 20. August 1656 sein goldenes Priesterjubiläum. Er starb 85jährig im Jahr 1665.

P. Laurentius Egger (1599–1655), Sohn des Gemeindeammanns von Tablat, geboren den 4. Februar 1599, war ein gesuchter Beichtvater und musterhafter Ordensmann; nach Fulda gesandt, um das dortige Benediktinerkloster zu reformieren, musste er vor der schwedischen Soldateska flüchten und bekleidete von 1639 bis 1655, seinem Todesjahr, das Amt des Stiftsdekans in St. Gallen. Er veranlasste die Errichtung neuer Altäre in der St. Otmarskirche, sowie des prachtvollen Hochaltars in der Münsterkirche, drängte auch den Abt Pius, die so segensreich wirkende Rosenkranzbruderschaft einzuführen. Seinen Bemühungen gelang es, die Glocken im Münsterturm um zwei zu vermehren. Die eine, 53 Zentner schwer, wurde aus dem Kloster Neu St. Johann bei hohem Schnee von 22 Pferden und 10 Ochsen nach St. Gallen gebracht. Die andere, 115 Zentner schwer, wurde in Lindau gegossen und mit zwei Schiffen nach Rorschach geführt, von hier durch 65 Pferde in zwei Tagen ins Steinachtal hinaufbefördert, wo Abt Pius sie weihte und unter freudiger Anteilnahme der Stadtbewohner wie auch vieler Fremden in den Turm bringen ließ. Es war Ende August 1650. 62 Jahre später, als Zürcher- und Bernertruppen das Kloster plünderten, kam sie als Beutestück nach Zürich.

P. Markus Erler (1619–1678), am 21. März 1619 zu Schwyz geboren, wurde am 5. August 1636 Novize in St. Gallen und war ein gründlicher Theologe. Zweimal auf wunderbare Weise von einem schweren Fußleiden durch die Anrufung des verstorbenen Abtes Pius geheilt, stand er während 20 Jahren als Dekan an der Spitze des Konvents. Er gab sich viel Mühe, in Verbindung mit seinem Bruder, der Landammann in Schwyz war, die dem Kloster St. Gallen feindlich gewordenen Schwyzer wieder zu versöhnen. Zu diesem Zweck reiste er, obwohl kränklich, selber nach Schwyz und trat an der Landsgemeinde als Redner auf.

P. Bernardin Bayer, aus der bekannten Rorschacher Familie den 16. Dezember 1603 geboren, schloss sich, 18jährig, dem Klosterverband an. »Nichts Eitles war in seinem Benehmen, nichts Unbedachtes oder Überflüssiges in seiner Rede, nichts Weltliches in seinem Tun und Lassen. Aus der Fülle des Herzens redete er von geistlichen Dingen. Ganz in Gott versunken, liebte er über alles Gebet und Betrachtung. Die zarteste Liebe hatte er zur Mutter Gottes Maria, deren Bild er stets bei sich trug und die er in allen Anliegen mit nie enttäuschtem Vertrauen anrief.« – Im Genuss von Speise und Trank äußerst mäßig, war er auf der Kanzel und im Beichtstuhl wie ein Engel. Selbst Nichtkatholiken kamen zu seinen Predigten und zogen daraus reichen Nutzen. Voll des rührendsten Seeleneifers suchte er allen alles zu werden, wobei er sich selber gänzlich vergaß. Nach einer Predigt begab er sich unmittelbar in den Beichtstuhl, und hier sank er, vom Schlag gerührt, auf den Boden; ins Krankenzimmer getragen, verschied er bald nachher als Opfer heiliger Pflichterfüllung am 18. März 1658.

P. Ambrosius Negelin (1594–1658), am 19. November 1594 in Rapperswil geboren, ein vorzüglicher Sänger, trat im Jahr 1611 dem Klosterverband bei. Wegen der damals wütenden Pestseuche musste er mit mehreren seiner Mitbrüder nach Dillingen ziehen, wo er sich zum trefflichen Dichter und Redner ausbildete. In die Heimat zurückgekehrt, wurde er Prior und Pfarrer zu Alt St. Johann, Statthalter zu Ebringen und Mitarbeiter bei der Reform des Klosters Murbach, wohin er den Abt Franz Hertenstein begleitete. Die letzten vier Lebensjahre war er Stiftsdekan in St. Gallen. Drei Brüder von ihm waren ebenfalls Benediktiner in Einsiedeln, Rheinau und Fischingen.

Eine reine Frühlingsblume, die der Tod im blühenden Garten des hl. Gallus pflückte, war der junge Diakon Frater Johannes Schweizer (1651–1675) aus Konstanz. Am dortigen Jesuitengymnasium wohl gebildet, zog es ihn mit unwiderstehlicher Gewalt zum Orden des hl. Benediktus. Sein Beichtvater erwirkte dem frommen Jüngling die Aufnahme im Kloster St. Gallen, wo er alle Mitbrüder durch sein reines Gemüt wie durch seinen heiteren Frohsinn gewann. Ein Lungenleiden warf den hoffnungsvollen jungen Mönch aufs Krankenlager. Da zeichnete er sich auf Neujahr 1675, das sein Todesjahr werden sollte, ein Lebensprogramm auf, das man nur mit Rührung lesen kann und das ergreifender denn viele Worte vom hohen Tugendstand im st. gallischen Konvent Zeugnis gibt.

Im erschütternden Gegensatz zu diesen Lichtgestalten des Klosters St. Gallen steht der unselige P. Maurus Heidelberger (1628–1698), der, nachdem er die wichtigsten Ämter im Stift bekleidet hatte, zum Apostaten wurde. Stolz und Unzucht hatten den glänzend begabten und hochangesehenen Mann zu Fall gebracht. Er entwich im September 1681, um sich der verdienten Strafe zu entziehen, aus dem Kloster und floh nach Zürich, wo er feierlich den katholischen Glauben abschwur. Da Abt Gallus von Zürich die Auslieferung desselben verlangte, so entließ die Stadt den Unglücklichen nach Hessen; daselbst verheiratete er sich und wurde Ammann in einem kleinen Dorf. Später jedoch kehrte er, von Abt Leodegar in Gnaden aufgenommen, wieder nach St. Gallen zurück und starb eines reumütigen Todes.

Nennen wir noch den Senior aller st. gallischen Konventualen, soweit wir deren Lebensdauer kennen, P. Seraphin Kälin aus Einsiedeln, der im Jahr 1663 geboren wurde und im Jahr 1752, im 70. Jahr der Profess und im 64. seines Priestertums, starb.


10. Kapitel

Der Krieg von 1712

Leodegar Bürgisser (1696–1717) aus Luzern, der Nachfolger Sfondratis, gehört zu jenen Männern, deren Bild mit verzerrten Zügen in die Annalen der Geschichte eingetragen ist. Man hätte ihn vielleicht den bedeutenderen Äbten beigezählt, wenn seiner Regierung der äußere Erfolg beschieden gewesen wäre.

Nur ungern hatte Leodegar die Wahl zum Abt angenommen. Über die zahlreichen Glückwünsche bei derselben machte er im Tagebuch die trockene Bemerkung: »Ist zu sorgen, man trüge sich.« Gleich den übrigen nachreformatorischen Äbten war er ein unermüdlich tätiger, seeleneifriger und tüchtiger Priester. Die Frauenklöster und Pfarreien des Stiftsgebiets sowie die Konvente der Schweizerischen Benediktinerkongregation suchte er durch fleißige Visitationen zu fördern. Überall musste strenge Ordnung herrschen. Von seinem Welt- und Ordensklerus forderte der Abt ganze Arbeit, gründliche Kenntnis der Theologie und treue Pflichterfüllung.

Man hat ihm allzu große Sparsamkeit vorgeworfen, da er den Beamtenstab einschränkte und, gegen die Gepflogenheiten seiner Zeit, sich selbst mit einem einzigen Diener begnügte, da er ferner allem Prunk abhold war und in der ganzen Verwaltung auf größte Einfachheit drängte. Er konnte aber auch großzügig handeln, wo es sich um die Zierde des Hauses Gottes, um das Seelenheil seiner Untergebenen und um die Not der Armen handelte. Den wegen des spanischen Erbfolgekriegs nach St. Gallen gekommenen Flüchtlingen gewährte er hochherzige Gastfreundschaft. Beim Goldschmied Domeisen in Rapperswil ließ er prachtvolle Brustbilder der Landesheiligen aus Silber herstellen. Auch wo sein Charakter hart und unbeugsam erscheint, ist diese Härte ein Ausfluss seiner peinlichen Gewissenhaftigkeit und seines von mönchischer Pflichtstrenge ganz erfüllten Wesens. Den Geist des Entsagens und Gehorchens, schlichter selbstverständlicher Pflichttreue ohne Ehrgeiz, ohne Schaugepränge und Überschwang, den er unablässig von den Geistlichen verlangte, übte er selbst in vorbildlicher Weise. Manche Bemerkungen im Tagebuch zeigen, dass eine kräftige Dosis Mutterwitz und Sarkasmus in diesem dürren Männlein mit den scharfen, nicht eben sympathischen Zügen wohnte. »I will denn luege«, pflegte er zu sagen, wenn ihm eine Bitte oder ein Anliegen vorgetragen wurde. Deshalb nannten ihn die feindlichen Toggenburger auch mit Anspielung auf seinen Namen »der Lueger«.

Wie stark die konfessionellen Gegensätze am Ende des 17. Jahrhunderts in der Eidgenossenschaft waren und welch geringfügiger Ursachen es bedurfte, um die gegenseitige Erbitterung zur hellen Flamme auflodern zu lassen, zeigt der uns heute seltsam anmutende sogenannte Kreuzkrieg in St. Gallen.

Seit alters her zogen viele Pfarreien alljährlich in der Bittwoche prozessionsweise zum Gallusmünster. Im Frühjahr 1696 stellte nun auf einmal der Stadtrat die Forderung auf, dass die Pfarrherren schon beim äußeren Stadttor das Kreuz von der Fahnenstange herunternehmen, dasselbe auf den Arm legen und so in die Münsterkirche einziehen müssen. Demgegenüber behauptete das Stift, es geschehe den Verträgen Genüge, wenn die Kreuze erst innerhalb des Tors abgenommen und von den Pfarrherren gerade vor sich hergetragen, nicht aber auf den Arm gelegt werden.

Als nun am Sonntag darauf einige Pfarrherren das Kreuz wieder aufrecht trugen, schrie ihnen der Bürgermeister zu: »Laut Sprüchen und Verträgen müsst ihr das Ding niederlegen. Aben mit den Götzen.« Da entstand gewaltiger Lärm und ein bewaffneter Auflauf, gefolgt von gegenseitigen Rüstungen; der Krieg drohte auszubrechen.

Mit großer Mühe gelang es den Schirmorten, die Ruhe wiederherzustellen. Sie entschieden, dass in Zukunft die Kreuze von den Geistlichen an einer um den Hals gelegten seidenen Schnur aufrecht, aber ohne sie in die Höhe zu halten, sollten getragen werden. Die Stadt musste noch überdies 3800 Gulden Schadenersatz bezahlen. Damit war der Streit, nicht aber die Erbitterung, aus der Welt geschafft.

Der Kreuzkrieg bedeutet jedoch nur ein schwaches Vorspiel von Ereignissen, die bald darauf das Stift St. Gallen dem Untergang nahe brachten und zugleich eine entscheidende Wendung im politischen Leben der Eidgenossenschaft herbeiführten. Wie der Kanton St. Gallen 135 Jahre später in den Sonderbundswirren zum Schicksalskanton wurde, so nahm auch jetzt das Verhängnis von den st. gallischen Landen aus seinen Lauf.

»Die Geschichte des zweiten Villmergerkriegs (1712) zeigt«, nach den Worten eines protestantischen Forschers, »keine Zeit blühenden Frühlings, sondern eine des Niedergangs all überall, wo die Aristokratien verflachen und die Demokratien verwildern. Auch Zürich ist längst in den Niederungen seiner Geschichte angelangt, wie im Staatsleben zeigen sich auch in der Kriegsführung Mängel und Fehler.«

Dieser dritte Religionskrieg unter den Eidgenossen kam nicht unerwartet. Die vielen Religionshändel in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatten ihn mehr als einmal ganz nahe gerückt und vorbereitet.

Das Unheil nahm seinen Anfang im Toggenburg. Diese schwer zu regierende Landschaft, die den st. gallischen Äbten zahllose Sorgen verursachte, träumte davon, ein Kanton der Eidgenossenschaft zu werden und ließ sich durch diesen Traum zu Ungehorsam und Auflehnung fortreißen.

Auf einer Konferenz der evangelischen Orte in Aarau am 23. Januar 1702 brachten die Toggenburger 26 Beschwerden gegen die äbtische Regierung vor. Obwohl die Beschwerdepunkte zum großen Teil konfessioneller Natur waren, beschlossen die reformierten Stände, das Toggenburger Geschäft als ein rein politisches zu behandeln, wodurch es ihnen möglich wurde, auch die katholischen Toggenburger daran zu interessieren, sowie Schwyz und katholisch Glarus vom Abt wegzuziehen.

Eine Verschärfung der Lage trat ein durch den Bau einer Straße über den Hummelwald von Wattwil nach Uznach. Schon seit der Reformationszeit wünschten die katholischen Orte, besonders Schwyz, diese strategisch wichtige Verbindung mit dem stift-st. gallischen Gebiet, um für die Lebensmittelzufuhr nicht mehr von Zürich abhängig zu sein und im Kriegsfall raschere Hilfe aus der Ostschweiz und wenn nötig vom Deutschen Reich zu erhalten. Abt Leodegar war schon aus Sparsamkeitsgründen kein sonderlicher Freund des Unternehmens, ließ sich aber von Schwyz dafür gewinnen. Als er nun der Gemeinde Wattwil den Straßenbau befahl, verweigerte diese unter Berufung auf alte Rechte den Gehorsam. Sie wurde in ihrem Widerstand bestärkt durch den Landweibel Josef German, einen Katholiken aus Bazenheid. Dieser war damals der populärste Mann im Toggenburg. Von glühender Liebe zu seiner Heimat beseelt, schrieb er aus alten Freiheitsbriefen und Urbarien alles zusammen, was auf die Rechte und Privilegien des Toggenburgs Bezug hatte und wurde dadurch der kundige Berater des Volkes. Daneben erfüllte er treu die Pflichten als Katholik, wie denn seine Opposition gegen den Fürstabt nur aus politischen Gründen hervorging.

Leodegar schritt gegen die widerspenstigen Wattwiler mit unnachsichtiger Strenge ein und ließ den Landweibel auf das Schloss Rorschach bringen, wo er erst nach siebenjähriger Haft wieder frei wurde. Nur der Fürsprache mächtiger Freunde hatte er es zu verdanken, dass ihn nicht wegen Hochverrat die Todesstrafe ereilte. Nach seiner Freilassung schloss er sich trotz gegebenen feierlichen Versprechens aufs Neue den Aufrührern und den Zürchern an, so dass der päpstliche Nuntius Carracciolo ihn am 5. April 1712 mit dem Kirchenbann belegte. Ausgesöhnt mit der Kirche starb German im Jahr 1724.

Ein zweiter unversöhnlicher Feind des Stifts St. Gallen war Jost Anton Stadler, Landvogt in Rotenturm. Einst Novize in St. Gallen, war er wegen seiner heftigen Gemütsart entlassen und in der Folge noch für gewisse Vergehen bestraft worden. Mit tiefem Groll gegen alles, was fürst-st. gallisch hieß, schied er von hier und gründete in Schwyz eine rührige anti-st. gallische Partei. Mehrere Jahre lang trieb er sein für die Abtei und die katholische Sache verderbliches Spiel mit steigendem Erfolg und stand auch mit den Zürchern in einem nicht einwandfreien Verkehr, bis er entlarvt, von seinen Gegnern gestürzt und in Schwyz hingerichtet wurde.

Neben Schwyz waren auch die übrigen katholischen Orte der Eidgenossenschaft dem Abt ungünstig gesinnt. Sie standen im engen Bündnis mit Ludwig XIV. von Frankreich, Leodegar dagegen schloss sich unter dem Einfluss seines allmächtigen Ministers Fidel von Thurn, ungeachtet vieler glänzender Versprechungen von Seiten Frankreichs, an den Kaiser Leopold I. an und vereinbarte mit ihm am 28. Juli 1702 einen geheimen Vertrag, in welchem die Zugehörigkeit der Stiftslande zum Deutschen Reich ausdrücklich hervorgehoben wurde. Als die Kunde hiervon in die Öffentlichkeit drang, ging ein Sturm des Unwillens durch die ganze Schweiz, und der St. Galler Abt sah sich von den katholischen Kantonen vollständig verlassen. Die protestantischen Orte wussten dieses Zerwürfnis klug auszunützen und schufen in zäher Arbeit die Grundlagen, auf denen ihr siegreicher Waffengang möglich wurde.

Nach dem Tod Stadlers trat Schwyz wieder auf die Seite des Abtes; das gleiche taten die andern katholischen Stände, als sie endlich erkannten, dass es in der Toggenburger Angelegenheit nicht so sehr um politische als vielmehr um ganz ernste katholische Belange gehe. Der langwierige Handel glitt unmerklich vom politischen auf das konfessionelle Gebiet hinüber. Die Toggenburger gaben sich eigenmächtig, von Bern und Zürich unterstützt, eine Verfassung mit eigenem Landrat. Das war offene Empörung gegen ihren Landesherrn.

Die Jahre 1706–1712 bieten das bewegte Bild eines auf und ab wogenden Kampfes, teilweise zur Verhinderung des Krieges, dann des Suchens nach Bundesgenossen, um für alle Fälle gewachsen zu sein, dann wieder der Schürung konfessioneller Leidenschaften. Der berühmte Rechtslehrer Kornelius van den Velde in Marburg wurde von reformierter Seite um ein Gutachten angegangen wegen der toggenburgischen Forderungen. Seine Antwort lautete, er könne nicht verhehlen, dass die Herrschaft des Fürstabtes auf festem Boden ruhe. Diese Erklärung dämpfte für einige Zeit das Treiben der Kriegshetzer in Zürich und namentlich in dem bedächtigeren Bern. Auch machte Kaiser Joseph I. ernstlich Miene, sich des Abtes gegen die Toggenburger anzunehmen. Da aber starb Joseph am 17.April 1711, und die beiden Städte bekamen freie Hand gegen den Fürstabt, zu dessen Gunsten eine fremde Intervention nun nicht mehr zu fürchten war.

Abt Leodegar vermied sorgfältig jeden Schritt, der den Ausbruch von Feindseligkeiten hätte bringen können, obwohl er als Landesherr allen Grund zum Einschreiten im Toggenburg gehabt hätte.

Da griff der Advokat Hans Ulrich Nabholz, ein Mann von abenteuerlicher Vergangenheit, den Zürich schon 1708 ins Toggenburg geschickt, und der die kommenden Ereignisse zielsicher vorbereitet hatte, mit kecker Hand zu und ließ in der Nacht vom 12. zum 13. April 1712 die beiden Klöster Neu St. Johann und Magdenau besetzen. An letzterem Ort wurden die Keller ausgeleert, der abttreue ausgezeichnete Klosterverwalter Christoph Lieber verhaftet und nachher enthauptet; eine Klosterfrau starb vor Schrecken über das Verhalten der Soldateska. In St. Johann verübten die Eindringlinge ähnlichen Unfug. Die Geistlichen, Laienbrüder und Studenten wurden mit Stößen in die Bibliothek getrieben, einer aus ihnen schwer verwundet, alle eingesperrt, die Türen im Kloster erbrochen und durch Weibspersonen ein großer Teil des Hausrates weggetragen. In der Kirche erbrachen sie den Tabernakel und schändeten das Heiligtum.

Nabholz ging unterdessen gegen die katholischen Gemeinden des Unteramts vor, die sich, als ihnen der antikatholische Charakter des ganzen Handels klar wurde, wieder zum Abt geschlagen hatten. Nach einer zweimaligen Schlacht auf dem Friedhof in Bütschwil besetzte er die abttreuen Gemeinden und eilte nach Rickenbach, um mit den anrückenden Zürchern die Stadt Wil zu belagern.

Bisher hatte man in St. Gallen immer noch an Frieden geglaubt; man sah sich nun aber gezwungen, ebenfalls zu den Waffen zu greifen. Noch vor dem 16. April rückten die äbtischen Truppen dritthalbtausend [2’500] Mann stark in Wil ein. Ihr Anführer war Oberst Kaspar Felber von Kaiserstuhl, ein in militärischen Dingen erfahrener Mann.

Die unparteiischen Orte der Eidgenossenschaft suchten noch den Frieden zu vermitteln, aber umsonst; die fünf katholischen Kantone rüsteten zum Kampf gegen Zürich und Bern. Bis Mitte Mai schleppten sich die Versuche und Verhandlungen noch hin, den Krieg abzuwenden. Auch in Bern und Zürich wollten ihn manche nicht.

Inzwischen schloss sich der Ring der Belagerer um die Stadt Wil. Die Truppen Felbers bestanden aus meist unzuverlässigen Soldaten, die mehr gezwungen als aus gutem Willen für die äbtische Sache kämpften. Von den fünf Orten kam keine Hilfe, da sie noch gar nicht feldbereit waren. Aber auch die Zürcher boten kein erhebendes Schauspiel, am kriegstüchtigsten waren die Truppen Berns.

Am 21. Mai wurde Wil mit glühenden Kugeln und Bomben beschossen. Über die dadurch entstandenen Brände erschrak die Besatzung derart, dass sie scharenweise davonlief und Felber die Übergabe antragen musste. Den Belagerern kam das sehr gelegen, da auch ihr Heldenmut gering war und sie keine Kugeln mehr hatten. Die Zürcher stellten milde Bedingungen auf, gewährten der Besatzung freien Abzug, den Bürgern Sicherheit ihrer Person, des Eigentums und der Religionsübung. Dann zogen sie am 22. Mai 1712 in Wil ein*. [*Oberst Felber wurde wohl zu Unrecht der Verräterei bezichtigt, von seinen eigenen Leuten in Bernhardzell gefangengenommen und auf dem Weg zum Gericht in St. Fiden von neu hinzugekommenen Gotteshausleuten grausam ermordet und seine Leiche in die Sitter geworfen (24.5.1712).]

Abt Leodegar schiffte sich gleichen Tags in Rorschach ein, um zuerst nach Mehrerau-Bregenz und dann nach Neu-Ravensburg in die Verbannung zu ziehen. Die Mönche und viele Beamten folgten ihm. Das ganze Fürstenland fiel nun ohne Schwertstreich in die Hände der Sieger, und die äbtischen Untertanen mussten ihnen den Eid der Treue leisten, wurden aber weiter nicht behelligt. Am 26. Mai rückten die Zürcher und Berner im Klostergebäude zu St. Gallen ein, wohin sie ihr Hauptquartier verlegten. Reiche Beute fiel ihnen zu. Früchte, Wein, Lebensmittel, Vieh, Hausrat, ein Teil der Bibliothek, die Buchdruckerei, Apotheke, viele Handschriften und Urkunden, die Orgeln, sämtliche 24 Glocken (die man noch eine halbe Stunde läutete) und die Feuerspritzen wurden beschlagnahmt und teils nach Zürich, teils nach Bern weggeführt. Die Sieger entließen auch das gesamte Dienstpersonal, 36 Personen und jagten die vier Weltgeistlichen, die zur Besorgung der Münsterkirche zurückgeblieben waren, unter Drohungen fort. Die Kirche wurde geschlossen und der Gottesdienst nach St. Fiden verlegt. Im Stift nahm ein zürcherischer Beamter, in Wil ein Berner seinen Sitz. Als Folge des Kriegs setzte bald eine schlimme Teuerung ein. Der Pfarrer von Rorschach, Dekan Georg Schenkli, der eine aufschlussreiche Geschichte dieser Kriegswirren verfasst hat, wurde vom Abt zum Vizeoffizial ernannt und leitete bis zum Friedensschluss im Jahr 1718 die kirchlichen Angelegenheiten des Stiftsgebiets in vortrefflicher Weise.

Über den unglücklichen Fürsten und seine Regierung ergoss sich eine ganze Flut von maßlosen Angriffen und Schmähungen in Wort und Schrift und sogar in Theaterstücken. Dieser Verleumdungsfeldzug, dem an Niedertracht und Verdrehungskunst kaum etwas in der neueren Schweizergeschichte an die Seite gestellt werden kann, hat seine Wirkung getan. Das Bild des Abtes wurde über und über mit Kot bedeckt und den nachfolgenden Geschlechtern als ein Ausbund mönchischer Verschlagenheit und Engstirnigkeit überliefert.

Der Entscheid zwischen Katholiken und Protestanten fiel am 25. Juli 1712 bei Villmergen, wo erstere eine blutige Niederlage erlitten. Im Frieden zu Aarau mussten die katholischen Orte auf ihre seit dem zweiten Kappelerfrieden innegehabte Vormachtstellung verzichten und sehr ungünstige Bedingungen eingehen. Von den Toggenburgern, die gehofft hatten, ein Kanton der Eidgenossenschaft zu werden, war bezeichnenderweise im Friedensvertrag nicht einmal die Rede; auf ihre Beschwerde hin hieß es höhnisch: die Bauern sollen Bauern bleiben. Darüber waren die Häupter des Aufstands aufs tiefste empört und wühlten nun gegen Zürich, so dass Nabholz, »der Schutzengel der Toggenburger«, wie ihn Abt Leodegar spöttisch nannte, sogar riet, dieselben nach Zürich zu locken und so lange in den Wasserturm einzusperren, bis sie mürbe geworden wären.

Die Mitglieder des st. gallischen Stifts, über 70 an Zahl, waren in verschiedenen Klöstern zerstreut und bewahrten, so gut es eben ging, den Zusammenhang mit ihrem Abt. Friedensverhandlungen, die erst im Herbst 1713 eingeleitet wurden, führten zu einem Friedensvertrag, den die Gesandten von Zürich und Bern unterschrieben, den aber der Abt mit den Worten verwarf, dass er eher im Exil verfaulen und lieber seine Kapitularen mit dem Bettelstab in der Hand in die Welt hinausschicken, als sich durch Annahme dieses, den zu Baden festgesetzten Präliminarartikeln zuwiderlaufenden Vertrags (Abtretung von Land an die Stadt St. Gallen und Mitregierung der Toggenburger) eine Schandsäule errichten wolle.

Nun ruhte die Angelegenheit vorläufig, bis der Berner Schultheiß Johann Friedrich Willading durch einen Brief an Baron Fidel von Thurn die Friedensfrage wieder ins Rollen brachte. Der Kaiser übte zudem auf die Städte Zürich und Bern einen Druck aus, um günstige Bedingungen für das Stift zu erlangen. Da starb Leodegar Bürgisser, als man eben über Ort und Zeit der Friedenskonferenz Briefe wechselte, in Neu-Ravensburg bei Lindau den 18. November 1717 an einem Schlagfluss im hohen Alter von fast 78 Jahren. Ein heftiges Zittern befiel ihn vor dem Tod, da sprach er mit heiterer Miene die Psalmworte: »Furcht und Zittern sind über mich gekommen.« Ein Grundsatz seines Lebens lautete: »Besser ist’s, das Äußerste über uns ergehen zu lassen, als etwas tun, was nicht zu verantworten ist.« Er fand seine letzte Ruhestätte im Kloster Mehrerau an der Seite des fast 200 Jahre früher ebenfalls in der Verbannung gestorbenen Abtes Kilian German.

Die zu Neu-Ravensburg versammelten Kapitularen wählten am 16. Dezember zum Nachfolger Leodegars den bisherigen Subprior Josef von Rudolfi (1717–1740) aus Laibach in Kärnten, der ein ausgezeichneter Abt wurde. Ihm gelang es, am 15. Juni 1718 zu Baden einen für die Abtei nicht ungünstigen Frieden abzuschließen. Der Berner Schultheiß Willading erwies sich bei den Verhandlungen sehr edelmütig gegen das Stift St. Gallen.

Dasselbe erhielt fast alles Verlorene wieder zurück, musste aber den Toggenburgern weitgehende Zugeständnisse auf politischem und religiösem Gebiet machen. Den beiden Städten Zürich und Bern verlieh der Friede ein Protektorat über das Toggenburg. Die reformierten Stiftsuntertanen im Thurgau und Rheintal wurden der für sie günstigen Bestimmungen des Landfriedens von 1712 teilhaftig. Appenzell A.Rh. und die Stadt St. Gallen bekamen einige rechtliche Vorteile, aber keinen Gebietszuwachs wie sie erwartet hatten. Bern erstattete seine Kriegsbeute wieder, Zürich wenigstens einen Teil derselben*. [*Im Jahr 1927 sind von Zürich gegen Austausch weitere wertvolle Bestände aus der einstigen Beute an das st. gallische Stiftsarchiv zurückgegeben worden.]

Der Friedensvertrag wurde zwar vom Bischof von Konstanz wie auch von den katholischen Orten missbilligt, und Papst Klemens XI. verwarf ihn, weil er der katholischen Sache zu nachteilig schien, aber das konnte am Tatbestand nichts mehr ändern.

Den heimkehrenden Abt empfing sein Volk mit Jubel, da es die Herrschaft des Krummstabes nach den schweren Kriegsjahren zurücksehnte. Am 11. Oktober 1718 zog Josef, auch von der Stadt St. Gallen festlich begrüßt, im Kloster ein. Dasselbe bot einen trostlosen Anblick; Fenster und Türschlösser fehlten, Gänge und Zimmer waren voll Schmutz und Unrat, die Kirche öde und verwüstet, Möbelstücke und Wäsche fand man nicht vor. Unter großen Kosten wurde alles notdürftig instand gesetzt und am Vorabend des Gallusfestes die klösterliche Ordnung wieder aufgenommen. Am Fest selber fand bei ungeheurem Zulauf des Volkes ein hochfeierlicher Dankgottesdienst statt, wobei Dekan Johann Georg Schenkli von Rorschach die schwungvolle Festpredigt hielt. Abt Josef gab sich dann alle Mühe, einen tüchtigen jungen Nachwuchs für den Konvent zu gewinnen und die Ordnung überall wiederherzustellen.

Im Toggenburg aber wollte es trotz des Friedensschlusses nicht ruhig werden. Der Streit ging jetzt besonders um das Mannschaftsrecht, welches die Toggenburger der äbtischen Regierung streitig machten. Um den Wünschen des Volkes entgegenzukommen, gewährte ihm der Fürstabt Beamte aus ansässigen Familien. Da wandte sich der Hass gegen diese; zwei derselben, Nikolaus Rüdlinger und J.L. Keller wurden sogar im Jahr 1735 in grausamster Weise ermordet. Selbst das Eingreifen Zürichs und Berns vermochte die volle Ruhe nicht herzustellen. Erst unter Josefs Nachfolger kam ein endgültiger Friede zustande.

Als von den Gotteshausleuten die Bezahlung der aufgelaufenen Kriegskosten verlangt wurde, brachen auch in der Alten Landschaft Unruhen aus, die ernste Maßregeln nötig machten. Wil strebte darnach, gleiche Hoheitsrechte wie das Toggenburg zu erlangen, wurde aber 1733 von den Schirmorten abgewiesen.

Mit der bischöflichen Kurie in Konstanz ergab sich ein Streit wegen des Visitationsrechts, indem der Abt den Konstanzer Offizial Dr. Rettich aus dem Land weisen ließ, als dieser eine kirchliche Visitation im St. Gallischen vornehmen wollte. Dieser Span fand ebenfalls erst unter Zölestin II. seine Erledigung.

Im Jahr 1731 erneuerte Abt Josef das frühere Bündnis mit Frankreich. Baron von Thurn war 1719 gestorben, nachdem er 72 Jahre im Dienst der Abtei gestanden hatte.

Trotz beständigen Sorgen und Schwierigkeiten ließ Abt Josef keinen Augenblick das Wohl des Landes aus dem Auge. Er ordnete das Münzwesen, sicherte durch umfassende Maßnahmen sein Land vor einer pestartigen Krankheit, förderte Handel und Gewerbe und reorganisierte das Militärwesen. Die Alte Landschaft zählte 12’00, das Toggenburg 11–12‘000 Waffenfähige.

Am meisten war der Abt naturgemäß bedacht auf die religiöse Hebung von Klerus und Volk. Wie er selbst jedes Jahr zehn Tage Exerzitien machte, so verlangte er solche wenigstens während drei Tagen von seinen Ordens- und Weltgeistlichen. Durch die Jesuiten ließ er große Volksmissionen in Lichtensteig, Kirchberg, Gossau und Rorschach abhalten. In Andwil, Niederwil und Hagenwil wurden eigene Pfarreien geschaffen und neue Pfarrkirchen gebaut. Das St. Josephsfest (19. März) führte er als Feiertag für sein Gebiet ein; ebenso errichtete er die Skapulierbruderschaft. Am 8. und 9. Mai 1737 hielt er mit seinem Klerus eine Synode in St. Gallen ab. Die Studien blühten wieder auf, so dass junge Mönche aus Villingen, Fulda, Kempten und Regensburg die theologische Hausanstalt in St. Gallen besuchten. Auch in den äbtischen Landen förderte Abt Josef das Schulwesen; er ließ junge Theologen in Mailand, Juristen in Turin, Mediziner in Frankreich ausbilden.

Ein tiefer Schmerz war es für den Abt, als 1738 P. Edmund Weidner das Kloster verließ, vom katholischen Glauben abfiel, sich verheiratete und in Horgen Prädikant wurde, wo er nach wenigen Jahren starb.

Durch Sparsamkeit und Umsicht gelang es dem Fürsten, nicht nur die auf zwei Millionen Gulden berechneten Schäden der Kriegszeit wiedergutzumachen, sondern noch überdies die Schuldenlast um 138‘000 Gulden zu vermindern.


11. Kapitel

Letzte Blüte und Untergang der Abtei

Am 23. März 1740, sechzehn Tage nach dem Tod Abt Josefs, wurde Zölestin Gugger von Staudach aus Feldkirch (1740–1767) zum Nachfolger gewählt. Unter wenigen Äbten ist St. Gallen nach innen und außen so glänzend dagestanden wie unter Zölestin II. Seine Regierungszeit war wie ein goldenes Abendrot, in dem noch einmal die ganze Größe der Fürstabtei aufleuchtete, ehe die Nacht des Untergangs über dieselbe hereinbrach.

Mit seltenem Geschick wusste Zölestin die da und dort auftauchenden Unruhen im Land zu beschwichtigen; selbst mit den Toggenburgern brachte er im Jahr 1759 nach den zahllosen Streithändeln der vergangenen Jahre und Jahrzehnte ein friedliches Verhältnis zustande. Die bezüglichen Verhandlungen füllen sechs starke Foliobände. Diese wichtige Einigung war besonders dem klugen Entgegenkommen des Standes Bern und der eifrigen Mithilfe des französischen Botschafters de Chavigny zu verdanken. Dadurch wurde ein Zwist beendet, der, wie von Arx schreibt, »62 Jahre Händel auf Händel häufte, die damaligen Bewohner des Toggenburgs zu einem eisernen Volk machte, die ganze Schweiz beunruhigte, viele Familien um Hab und Gut brachte und vielen Menschen das Leben kostete.« In feierlicher Weise beglückwünschten die St. Galler Mönche ihren Abt zu dem bedeutungsvollen Friedenswerk. Dieser aber dankte den Patres für ihre vielen Gebete und heiligen Messen in der dornigen Angelegenheit und bat sie, im Gebet weiterzufahren. Die Toggenburger waren von nun an willige Untertanen des Abtes, so dass der Spruch aufkam: Toggius ratione ducitur, der Toggenburger lässt sich durch Vernunftgründe leiten. Ja, bei der Aufhebung des Klosters bewies ihm das Toggenburg besondere Treue.

Neben den großen politischen Erfolgen hatte der tatkräftige Fürstabt auch auf kirchlichem Gebiet eine glückliche Hand. Seitdem sein Vorgänger den Konstanzer Offizial Dr. Rettich bei dessen Visitationsversuch aus dem Land gewiesen hatte, herrschte zwischen der bischöflichen Kurie und dem Stift St. Gallen eine scharfe Spannung. Konstanz führte Klage beim Reichshofrat, den Reichsständen und den Eidgenossen. St. Gallen aber setzte es durch, dass die Angelegenheit in Rom ausgetragen wurde. Ein Wechsel auf dem Bischofssitz in Konstanz bewirkte eine Annäherung der beiden Parteien. So kam im Jahr 1749 ein Vergleich zustande, der die Oberhoheit von Konstanz wahrte, tatsächlich aber in den meisten Fragen zugunsten St. Gallens entschied. Gleichzeitig wurde auch ein Austausch von Rechten und Besitzungen, die Konstanz auf st. gallischem Gebiet hatte, und umgekehrt, vorgenommen. Dabei stellte sich Konstanz günstig, so dass es sich auf den Verlust gewisser Rechte verstehen konnte. Rom hieß die getroffene Vereinbarung gut, und so kehrte der Friede nach einem zehn Jahre dauernden Streit zurück. Gegenseitige offizielle Besuche des Bischofs und Abtes festigten das gute Einvernehmen.

Mit der Stadt St. Gallen unterhielt der Fürstabt ein freundnachbarliches Verhältnis. Ebenso erwies er sich dem Haus Habsburg als treuer Reichsfürst. Die Wechselfälle des Siebenjährigen Krieges zwischen Preußen und Österreich verfolgte er mit großer Teilnahme und vertraute seine Freude über österreichische Erfolge stimmungsvoll dem Tagebuch an.

Unablässig war Zölestin II. um den guten Ordensgeist und eine tadellose klösterliche Ordnung besorgt. Seine Ansprachen und Mahnungen an die Klosterfamilie sind wahre Perlen geistlicher Beredsamkeit. St. Gallen wurde mehr und mehr Vorbild und Norm für die Benediktinerklöster des In- und Auslands. Den Übungen der Frömmigkeit lag der Abt mit vorbildlichem Eifer ob. Jedes Jahr machte er zehntägige Exerzitien, während denen alle weltlichen Geschäfte zu ruhen hatten. Jeden Morgen sah man ihn schon um vier Uhr vor dem Hochaltar der Kirche knien. Seinen Mönchen stand er als wachsamer Hirte und liebender Vater vor. Auch für das Wohlergehen der übrigen Klöster des In- und Auslands zeigte er lebhafte Sorge. Dem Jesuitenorden, dessen Gymnasium zu Feldkirch er sieben Jahre besucht hatte, blieb der Abt durchs ganze Leben in tiefer Dankbarkeit verbunden. Durch seinen Eifer entstanden neue Kirchen in Tübach, Eggersriet, Steinach und Henau, die der päpstliche Nuntius hochfeierlich konsekrierte.

Von dem frommen, aber übereifrigen Pfarrer Josef Helg wurde die Pfarrei Libingen gegründet und daselbst ein Kloster der Ewigen Anbetung errichtet, das aber Fürstabt Beda später nach Glattburg verpflanzte. Der gleiche Pfarrer Helg rief auch auf Berg Sion und sogar in Rom ähnliche Klöster ins Leben. Ebenso wollte er in der Gemeinde Ricken eine solche Gründung vollziehen, starb jedoch, als Kirche und Pfarrhaus gebaut waren, und fand hier sein Grab. Er verstand es nicht, seinen Werken eine geordnete finanzielle Grundlage zu geben, weshalb die Äbte Zölestin und Beda damit vielen Verdruss hatten. Immerhin gebührt ihm das Verdienst, den zeitgemäßen Gedanken der Ewigen Anbetung in Fluss gebracht zu haben.

Der selber feingebildete Abt, Doktor beider Rechte, förderte auch die Wissenschaften eifrig und bereicherte die Bibliothek mit vielen Büchern. Manche unter seinen 72 Kapitularen zeichneten sich auf verschiedenen Gebieten aus.

P. Bernard Frank von Frankenberg (1692–1763) aus Innsbruck, war in jeder Hinsicht eine Zierde des Klosters und in der literarischen Welt bekannt durch kritische Schriften, sowie durch sein schönes Latein; er starb als Fürstabt von Disentis. P. Basil Balthasar (1709–1776), ein Luzerner, ist der fruchtbarste, wenn auch wenig kritische Schriftsteller der Schlusszeit; von ihm stammt das bekannte Motto der Klostergeschichte: »Die Ruhestätte des heiligen Gallus immer unter Dornen, aber nie ohne Rosen.« P. Notker Heine (1697–1758) von Weingarten, war Professor des Zivilrechts* und Verfasser mehrerer Werke über Theologie und Rechtswissenschaft. [*Die Abtei St. Gallen pflegte mit besonderem Eifer das Rechtsstudium und hatte gewöhnlich den einen oder andern Doktor des Kanonischen Rechts oder beider Rechte unter ihren Kapitularen. Der Grund hierfür lag in den vielen Rechtsangelegenheiten und –händeln, die das weitverzweigte Herrschaftsgebiet mit seiner anspruchsvollen Verwaltung in sich schloss.]

P. Honorat Peyer im Hof (1716–1785), ebenfalls ein Luzerner, erwarb sich den Ruf eines hervorragenden Orientalisten und verfasste hebräische Bücher, die durch kalligraphische Feinheit ausgezeichnet sind.
P. Ulrich Berchtold von Augsburg (1729–1797) war Unterbibliothekar und ein großer Kenner des Griechischen und Hebräischen. In späteren Jahren genoss er nächst Abt Beda die größte Volkstümlichkeit und musste in den revolutionären Wirren der Neunzigerjahre beschwichtigend auf das erregte Landvolk einwirken. Er hatte auch die Aufgabe, den zum Tod Verurteilten auf ihrem letzten Gang beizustehen. Eine bedeutende Persönlichkeit war ferner P. Egidius Hartmann aus Luzern (1691–1776). »Wie ein Engel«, heißt es von ihm, »stund er auf der Kanzel, und alles war voll Bewunderung und Staunen, wenn er predigte.« Ihm gebührt ein Hauptverdienst am Zustandekommen des Friedens mit dem Toggenburg. Sein Landsmann P. Antonin Rüttimann (1710–1780) galt als bester Redner des Stifts und war in der griechischen, französischen und italienischen Sprache wohl bewandert. Auch dessen Schüler P. Iso Walser aus Feldkirch (1722–1800) gehört zu den bedeutendsten Gliedern der Klosterfamilie. Als Professor, als Offizial, Prediger und Kirchenbauer, und insbesondere als unermüdlicher Förderer der »Ewigen Anbetung« – sein Anbetungsbuch wird noch heute viel benützt – war er jahrzehntelang die Seele es religiösen Lebens in den Stiftslanden, gleichsam des Klosters St. Gallen letzter großer Seelsorger.

An Ruhm der Gelehrsamkeit aber ragt über all die Genannten hervor P. Pius Kolb aus Füssen (1712–1762), der 24 Jahre lang mit höchster Auszeichnung das Amt eines Bibliothekars bekleidete. P. Pius galt als einer der tüchtigsten Gelehrten seiner Zeit und stand mit den ersten Forschern in Korrespondenz. Er kannte wie kein zweiter die kostbaren Schätze der Manuskriptensammlung.

In seine Fußstapfen trat die tüchtige Historikergeneration der P. Nepomuk Hauntinger von Bruggen (1756–1823), P. Magnus Hungerbühler von Sommeri (1732–1823), P. Ildefons von Arx aus Olten (1755–1833) und P. Franz Weidmann von Einsiedeln (1774–1843), mit denen die ruhmvolle Reihe stift-st. gallischer Gelehrter und Schriftsteller würdig abschließt.

Das gewaltigste Werk Abt Zölestins – ein glänzendes Denkmal seiner Tatkraft und seines frommen Kunstsinns – ist der Neubau der Münsterkirche.

Jener machtvolle religiöse Aufschwung, der, vom Trienter Konzil eingeleitet, frühlingsfroh durch das 17. und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts ging, und der das katholische Volk in seiner Breite und Tiefe erfasste, schuf sich in der Barockkunst einen großartigen Ausdruck. Wie um die Wette errichteten namentlich die blühenden Benediktinerabteien Süddeutschlands und der Schweiz ihre prächtigen Kirchen in dem neuen Stil. Ottobeuren, Neresheim, Weingarten und andere Klöster jenseits des Bodensees, Einsiedeln, Pfäfers, Disentis in der Schweiz, waren bereits vorangegangen. Da durfte St. Gallen umso weniger zurückstehen, als die Münsterkirche sehr baufällig geworden war. Im April 1749 trat der Fürstabt vor das versammelte Kapitel und erlangte von ihm ohne Mühe die Zustimmung für den Neubau. G.C. Bagnato aus Como welcher das noch heute bestehende Kornhaus in Rorschach und viele andere ansehnliche Bauten ausgeführt hatte, entwarf den ersten Plan; zur Ausführung wurden die Meister Peter Thumb aus Konstanz und dessen Sohn berufen, die aber an Bagnatos Plan manche Änderungen vornahmen. Ihnen zur Seite stand der künstlerisch hochbegabte Laienbruder Gabriel Looser von Wasserburg.

Im Mai 1755 sanken das alte Kirchenschiff und die Otmarskirche in Trümmer. Für den Pfarrgottesdienst wurde eine Notkirche aus Holz erstellt; die kirchlichen Funktionen des Klosters konnten im alten gotischen Chor verrichtet werden, den eine Mauer gegen Westen abschloss. Am 29. August 1757 vollzog der Fürstabt die feierliche Grundsteinlegung. Für die plastische und malerische Innenausstattung war seit Juli 1757 Christian Wenzinger aus Freiburg i. Br., ein hervorragender Künstler, mit zahlreichen Arbeitern tätig. Am 15. November 1760 wurde das neue Schiff durch den Stiftsdekan eingesegnet und am folgenden Tag dem öffentlichen Gottesdienst übergeben. Die Konsekration der Kirche ließ wegen der schwierigen Zeitläufe über ein Jahrhundert auf sich warten. Bischof Karl Greith vollzog dieselbe unter Assistenz sämtlicher schweizerischer Bischöfe erst im August 1867.

Da der herrliche, lichtdurchflutete, raumbeschwingte Neubau zu dem dunklen, alten Mönchschor in schroffem Gegensatz stand, unternahm Zölestin von 1761–1767 auch die Erneuerung des Chors; der klösterliche Gottesdienst wurde inzwischen in den Otmarschor im Westen der Kirche verlegt. Gewaltige Mühe kostete es, den felsenfesten Turm des Heinrich von Sax niederzulegen. Dafür erhoben sich die zwei mächtigen Osttürme mit der kunstreichen Fassade als ragende Zeugen ungebrochener Lebenskraft und seltener Kulturhöhe des ehrwürdigen Stifts. Als Baumeister des Chors amtete Johann Michael Beer von Bildstein im Bregenzerwald. Der Rohbau war bis im Sommer 1764 fertig. Für den weitgesprengten Dachstuhl, der noch heute die Bewunderung der Fachmänner erregt, musste der große Klosterwald am Südhang des Tannenbergs geschlagen werden. Die Steine bezog man aus den Brüchen bei St. Georgen und Teufen.

Im August 1764 begann der tüchtige Josef Wannenmacher von Tommertingen bei Ulm mit der Ausführung der Chorgemälde. Der gleiche Künstler arbeitete auch in der Kirche und im Bibliotheksaal. Da er aber zu seinen Bildern Öl verwendete, dunkelten sie schon in wenigen Jahren stark nach. Seit dem Jahr 1766 finden wir den ausgezeichneten Bildhauer Jos. Ant. Feuchtmeyer aus Mimmenhausen an der Ostfassade mit dem mächtigen Relief der Krönung Mariä beschäftigt. Von diesem Meister stammen auch das vielbewunderte Chorgestühl und die Beichtstühle im Innern der Kirche. Die Brüder Hans Georg und Matthias Gilg von Wessobrunn arbeiteten an den Stuckaturen des Chors und der Bibliothek.

In überwältigender Schönheit und Harmonie stand das gewaltige Werk im Wesentlichen vollendet da, als sein Erbauer von dieser Erde schied. Und wenn auch dem geübten Auge des Sachverständigen gewisse architektonische Mängel und Härten nicht verborgen bleiben, so hat doch der Gesamteindruck des herrlichen Baus sowohl bei den Zeitgenossen wie bei ihren Nachfahren ungeteilte Bewunderung erweckt.

Gleichzeitig mit dem Kirchenbau ließ der großzügige Fürstabt einen neuen Bibliotheksaal errichten, der zu den schönsten Werken dieser Art gehört und einen würdigen Ort für die seltenen Bücherschätze des tausendjährigen Stifts bildete. Den schönen Handschriftensaal bereicherte Bruder Gabriel mit kunstvoll gearbeiteten Schränken. Dem Bibliothekgebäude wurde noch ein südlicher Klosterflügel mit dem Krankenhaus angefügt und der von der Kirche nach Süden sich erstreckende Konventbau um einen Stock erhöht.

Man fragt staunend, woher Abt Zölestin die Mittel zu all diesen großartigen Unternehmungen – ihre Kosten werden auf rund eine halbe Million Gulden berechnet – hergenommen habe. Er verstand es, ohne hart und knauserig zu sein, die Geldquellen des Stifts auszunützen. Einen besseren Haushalter hat das Kloster St. Gallen selten gehabt. Nicht bloß gelang ihm die gewaltige Aufgabe, 400 Jahre alte Schulden abzutragen, sondern er konnte überdies für den Ankauf der Herrschaft Wartensee 12’000 Gulden, für die Besitzungen Roggwil, Hefenhofen und Moos 29‘912 Gulden auswerfen. 40‘000 Gulden wandte er mildtätigen Stiftungen zu, brauchte aber auch rund 60‘000 Gulden für verschiedene Prozesse, insbesondere wegen den Toggenburger Händeln. Bei all dem konnte er seinem Nachfolger 180‘600 Gulden in bar und fast 60‘000 Gulden in Kapitalbriefen hinterlassen. Die acht Bände Tagebücher Zölestins geben ein erhebendes Bild von den seltenen Eigenschaften dieses Abtes, wie von der Bedeutung seines Klosters im In- und Ausland.

Es herrschte allgemeine Trauer, als am Morgen des 25. Februar 1767 die Glocken von den hochragenden Klostertürmen die Kunde über Stadt und Land hinaustrugen, dass der edle Fürst nach längerer, schmerzvoller Krankheit gestorben sei. Im Chor der von ihm erbauten Münsterkirche fand er die letzte Ruhestätte.
Sein Nachfolger Beda Angehrn (1767–1796), Sohn eines Arztes in Hagenwil, besaß ebenfalls den hohen Kunstsinn Zölestins und dessen großzügigen Unternehmungsgeist, aber es mangelte ihm das Verwaltungstalent und die bis ins Kleinste gehende Ordnungsliebe des Verstorbenen.

Zahlreiche gemeinnützige Werke, Straßen, Brücken und Häuserbauten verdanken dem beim Volk außerordentlich beliebten Abt Beda ihr Entstehen, so auch die schöne Straße von Rorschach bis Wil mit der Kräzernbrücke und einer heute nicht mehr bestehenden gedeckten Holzbrücke bei Oberbüren, ebenso eine Straße Wil-Ricken und St. Gallen-Speicher. Man sagte von Beda, in seinem Herrschaftsgebiet gebe es die schönsten Straßen Europas, ja der ganzen Welt. In Kirche und Bibliothek wurden die Arbeiten vollendet, das Klostergebäude erhielt einen prachtvollen Abschluss durch die neue Pfalz (jetzt Regierungsgebäude). Kostbare Paramenten für das Münster und wertvolle Handschriften für die Bibliothek bekundeten die hochherzige Gesinnung des Abtes. Daneben bemühte sich Beda unter großen finanziellen Opfern um den geistigen Fortschritt seines Volkes, wofür er die Methode der damals vielgepriesenen österreichischen Normalschule einführte und auch einen verbesserten Katechismus herausgab. Freilich erhoben sich gegen diese Bestrebungen mancherlei Widerstände von Seiten des Volkes wie der Geistlichkeit.

Für die religiösen Bedürfnisse der Stiftslande sorgte in mustergültiger Weise der fromme und tüchtige Offizial P. Iso Walser, unter dessen Leitung sieben neue Pfarreien und sechs Kaplaneien entstanden und nicht weniger als 19 Kirchen teils neu gebaut, teils restauriert wurden. Dabei fand P. Iso stets die kräftige Unterstützung des Abtes.

Als Vater der Armen erwies sich Abt Beda besonders während der furchtbaren Hungersnot des Jahres 1770–71, wo er mit großen Kosten Getreide selbst aus Italien kommen ließ und dem Elend mit allen Mitteln zu steuern suchte. Auch die zahlreichen Emigranten, die vor der Französischen Revolution in die Schweiz flohen, fanden im Kloster St. Gallen weitgehende Gastfreundschaft. Manche derselben hielten sich jahrelang in den Statthaltereien des Stifts auf.

Da aber Beda nicht den haushälterischen Sinn seines Vorgängers hatte, waren die klösterlichen Finanzen bei all den vielen Unternehmungen und Ansprüchen schon nach kurzer Zeit erschöpft, und eine drückende Schuldenlast machte sich fühlbar. Darob entstand Unruhe und Unzufriedenheit bei manchen Kapitularen, so dass eine außerordentliche Visitation und das Eingreifen des päpstlichen Nuntius notwendig wurde. Abt Beda wollte abdanken doch nahm der päpstliche Stuhl seine Resignation nicht an, sondern wies die widerspenstigen Kapitularen zum Gehorsam zurück. Darauf sandte Beda die Häupter der Opposition, darunter auch Pankraz Vorster, seinen späteren Nachfolger, auf die st. gallische Besitzung Ebringen bei Freiburg i. Br.

Der aufklärerische Zeitgeist, der als Frucht einer unchristlichen Philosophie besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts selbst in kirchlichen Kreisen weit verbreitet war, fand auch unter den jüngeren Mönchen St. Gallens eifrige Anhänger. Das ist wohl mit ein Grund dafür, dass sich gegen die Aufhebung des Stifts so geringer Widerstand von Seiten seiner Glieder bemerkbar machte.

Man hat eine Reihe von Ursachen namhaft gemacht, welche am Untergang des Stifts schuld waren: die drückende Finanznot unter Abt Beda, dessen übergroße Güte und Nachsicht, die daherige Lockerung der strengen Ordenszucht, den Geist der Unbotmäßigkeit, der jahrelang bei einer Minderheit von Kapitularen herrschte, die mit vielen Lasten und Gefahren verbundene Landeshoheit, endlich das starre Festhalten des Abtes Pankraz an den Formen und Einrichtungen einer überlebten Zeit. Das Kloster hatte sich jedoch im Lauf seiner Geschichte aus ähnlich schwierigen Verhältnissen immer wieder erhoben und zu neuer Blüte emporgearbeitet. Seine innere Lebenskraft hätte wohl auch all die genannten Schwierigkeiten zu überwinden vermocht, wäre nicht Müller-Friedberg gewesen, der alle Versuche einer Wiederaufrichtung des durch die Revolutionsstürme geschwächten und zeitwiese verlassenen Stifts mit unerbittlicher Zähigkeit und überlegener Diplomatenkunst durchkreuzte und zunichte machte. So konnte sich die altehrwürdige Abtei dem hereinbrechenden Verhängnis nicht mehr entziehen.

Vom Jahr 1793 an sehen wir die Geschicke ihren Lauf nehmen. Die zündenden Schlagworte der großen Umwälzung in Frankreich wurden auch von vielen Schweizern jubelnd begrüßt und fanden besonders in st. gallischen Landen begeisterten Widerhall. Zuerst bildeten sich kleine Zirkel oder Zellen, in denen die neuen Ideen eifrig besprochen wurden. Die Gemeinde Gossau, die eben einige Beschwerden gegen das Stift hatte, war das Zentrum der Unzufriedenen.

An die Spitze der Bewegung trat der damalige Gemeindevogt von Gossau, Johannes Künzle, »der schweizerische Lafayette« genannt, der, von Beruf Metzger, den Botendienst zwischen Gossau und Herisau besorgte und sich durch volkstümliche Beredsamkeit auszeichnete. Er war ein heller Kopf und von den neuen politischen Ideen ganz berauscht. Hinter ihm stand in kluger Deckung der damalige Landvogt im Toggenburg und spätere Gründer des Kantons, Müller-Friedberg, der das agitatorische Geschick des Gossauer Volksmannes für die eigenen Pläne trefflich auszunützen wusste.

Anfangs klagte Künzle nur über Missbräuche und erklärte, nichts anderes anzustreben, als die Wiederherstellung der früheren zwischen dem Stift und der Alten Landschaft bestandenen Verhältnisse. Bald aber wuchs die Gärung im Volk; die Anhänger der bisherigen Ordnung, »Linde« genannt, kamen in heftigen Streit mit den »Harten«, den Freunden des neuen Geistes. Es wurden Ausschüsse gewählt, welche die Beschwerden dem Landesherrn vortragen sollten. Im September 1794 erschien zu diesem Zweck eine Abordnung sogenannter »Freiheitsfreunde« unter der Führung Künzles vor Abt Beda. Dieser empfing sie mit gewohnter Güte und versicherte, dass ihre Wünsche geprüft und ihre Rechte genau nach der Verfassung geschützt werden sollten. Trotz alledem steigerte sich die Unzufriedenheit des Volkes gegen das Stift in bedrohlichem Maß, und der Fürstabt musste mit Bangen den Niedergang der gesetzlichen Ordnung wahrnehmen.

Am 3. Juni 1795 wurde dem Landesherrn eine von den Ausschüssen der Gemeinden zusammengestellte Klageschrift überreicht, die nicht weniger als 61 Beschwerdepunkte oder Begehren enthielt. Manche von diesen Artikeln griffen eine ganze Reihe althergebrachter Herrschafts- und Eigentumsrechte der Abtei an und forderten eine gewisse Mitregierung des Volkes in den Landesangelegenheiten, was in damaliger Zeit etwas Unerhörtes war und allgemeines Staunen hervorrief.

Fürst Beda erkannte voll Schmerz über das ungestüme Drängen seines so sehr geliebten Volkes die Unmöglichkeit, alle die weitgehenden Forderungen zu erfüllen und legte bangen Herzens die Sache dem Kapitel vor. Da sich dieses in zwei Parteien schied, nahmen die Verhandlungen einen langsamen, schleppenden Verlauf, bis das drohende Auftreten der Führer und tumultuarische Zusammenrottungen des Pöbels im Klosterhof den sogenannten »Gütlichen Vertrag« erzwangen. Durch diesen Vertrag trat das Stift viele seiner Rechte und Vorteile an die Landschaft ab.

Der stürmischen Freude des Volkes über seinen gewaltigen Erfolg stand die tiefgehende Unzufriedenheit der Mehrzahl des Konvents gegenüber, die im »Gütlichen Vertrag« eine schmähliche Preisgabe heiligster Rechte es Stifts erblickte.

Den Landesausschüssen war nun vor allem daran gelegen, ihr Werk durch einen großartigen öffentlichen Akt eindrucksvoll zu feiern. Deshalb beriefen sie auf den 23. November 1795 eine Landsgemeinde nach Gossau. Auch Beda nahm, obwohl ungern, daran teil. Die ungeheure Volksmenge, über 20‘000 Personen, brachte dem Fürsten durch allgemeines Frohlocken und Vivatrufe begeisterte Huldigungen dar. Johannes Künzle feierte in schwungvoller, phrasenreicher Rede das große Ereignis, worauf die neue demokratische Verfassung vom Volk wie auch vom Fürsten einhellig genehmigt wurde. Ein Tedeum in der Kirche zu Gossau, vom Stiftsdekan P. Zölestin Schiess angestimmt, schloss den denkwürdigen Tag.

Ein Konventuale des Klosters, der insgeheim der Landsgemeinde beigewohnt hatte, schrieb darüber die bezeichnenden Worte: »Heute war ich auf einem Acker in Gossau bei der Beerdigung des Stifts St. Gallen gegenwärtig; Fürstabt Beda vertrat die Stelle des aussegnenden Priesters und Totengräbers.«

Ein Teil der Kapitelmitglieder war sehr ungehalten über den Gossauer Vertrag und über die Teilnahme des Abtes an der Landsgemeinde. Erst am 20. Januar 1796 ließen sie sich auf ernste Drohungen Bedas und der Ausschüsse herbei, auch das Konventsiegel unter den »Gütlichen Vertrag« zu setzen, wodurch derselbe Rechtskraft erhielt.

Bald hernach, den 19. Mai 1796, beschloss auch der »gute Beda«, wie man ihn oft nannte, sein bewegtes Leben, körperlich schon lange leidend und seelisch durch Kummer und Sorgen gebeugt. An der Seite Zölestins II. wurde er begraben.

Der 73. und letzte Fürstabt von St. Gallen ist Pankraz Vorster aus Wil. Er wurde am 31. Juli 1753 zu Neapel geboren als Sohn eines Brigadiers im königlichen Schweizerregiment und der Baronin Rosa Bernis. Schon früh kam er mit seiner jüngeren Schwester in die Heimat zurück, wo ihn ein geistlicher Onkel erzog und dem Kloster St. Gallen anvertraute.

1771 legte Vorster die Ordensgelübde ab und wurde 1780 Professor der Philosophie, 1783 der Theologie. Er galt als einer der hoffnungsvollsten Köpfe des Stifts. Wegen seiner scharfen Opposition gegen das unglückliche Finanzgebaren Abt Bedas hatte ihn dieser als Unterstatthalter nach Ebringen im Breisgau geschickt, wo sich Pankraz besonders seinem Lieblingsfach, dem Studium der Mathematik und Physik widmete und die Ausmessung sämtlicher Herrschaftsgüter vornahm. Kurz vor Bedas Tod traf er nach siebenjähriger Abwesenheit in St. Gallen ein und söhnte sich mit dem alternden Abt aus.

Am 1. Juni 1796 wurde Pankraz Vorster mit 56 von 68 Stimmen zum Fürstabt gewählt. »Nur ein tätiger, kraftvoller und haushälterischer Abt«, so hieß es, »kann der Zerrüttung des Stifts Ziel und Maß setzen.«

Wie von einer Vorahnung des Kommenden erfüllt, lehnte der Gewählte tief schluchzend die ihm zugedachte Würde ab. »Was wollt ihr von mir?«, sprach er zu den Wählern, »fern sei von mir dieser Kelch; ich würde in einem halben Jahr eine Leiche sein.« Auf die inständigen Bitten seiner Ordensbrüder nahm er endlich die Wahl an. Sein Leben war von Stunde an ein beständiger Kreuzweg und eine ununterbrochene Kette von fehlgeschlagenen Versuchen zur Erhaltung des dem Untergang geweihten Stifts. Die Abtweihe konnte er erst acht Jahre später im Ausland (Offenburg) empfangen.

P. Franz Weidmann, ein persönlicher Gegner des Abtes, schildert diesen mit den Worten: »Pankraz war von Natur aus lebhaft, kühn und unternehmend. Auf seiner großen Stirn malten sich Ernst und ein Zug von Schwermut, welchen die stille Glut des schwarzen Augenpaares noch mehr heraushob. Seine äußere Erscheinung verkündete den selbständigen, in sich gekehrten und in jeder Hinsicht originellen Mann. Mit einer ausgezeichneten Gabe des Geistes im Denken verband er eine glückliche Darstellungsgabe. Ganz im Einklang mit der hohen Religiosität seines Gemüts hielt er streng auf den Grundsätzen und Übungen des Ordensstandes, und weder sein mehrjähriger Aufenthalt in der Nähe des ersten Hofes von Europa, noch der vom Zeitgeist und großen Ereignissen bewirkte fast allgemeine Umschwung der Dinge vermochte in seinen Ansichten und in seiner einfachen Lebensweise die geringste Veränderung hervorzubringen.«

Im Volk wurde die Wahl Pankrazens mit Unwillen aufgenommen, da man sein entschlossenes Eintreten für die Rechte des Stifts fürchtete, und da zudem gewissenlose Verleumder allerlei nachteilige Gerüchte über den neuen Abt verbreiteten. Dieser nahm denn auch die Zügel der Regierung kraftvoll in die Hand und hätte zweifellos Gesetz und Ordnung im Land wiederhergestellt, ja vielleicht eine neue Blüteperiode des Klosters eingeleitet, wären ihm nicht Schlag auf Schlag die revolutionären Weltereignisse unüberwindbar entgegengetreten. Die Untertanen der Abtei entfernten sich immer mehr vom Boden des Gesetzes und der Ordnung. Das Eingreifen der vier Schirmorte hatte keinen Erfolg, sondern machte die Leute nur noch begehrlicher.

Am 14. Februar 1798 erlangten die Fürstenländer ihre stürmisch geforderte »reine Demokratie« und wählten einen Landrat, worauf in Gossau der erste Freiheitsbaum errichtet und Johannes Künzle zum Landammann ernannt wurde. Sechs Tage später überreichte das Toggenburg der Abtei seine Unabhängigkeitserklärung und gab ihr den seiner Zeit von Ulrich VIII. erlegten Kaufpreis (14‘500 Gulden) zurück.

Abt Pankraz hatte sich angesichts der bedrohlichen Lage nach Neu-Ravensburg begeben, von wo er am 3. März einen feierlichen, wenn auch nutzlosen Protest gegen die Vorgänge im St. Gallischen an alle eidgenössischen Stände richtete.

Bereits waren jedoch die Franzosen in die Schweiz eingebrochen und hatten mit Waffengewalt der alten Eidgenossenschaft ein Ende gemacht. Am 12. April 1798 wurde die »Eine und unteilbare helvetische Republik« aufgerichtet, und die Schweiz geriet in völlige Abhängigkeit von Frankreich. Unter General Lauer zogen fränkische Truppen am 10. Mai in St. Gallen ein, wo mitten auf dem Klosterhof ein Freiheitsbaum sie begrüßte. Von panischem Schrecken erfasst, waren tausende aus dem Volk, auch manche Geistliche und Stiftsmitglieder über Kopf und Hals vor den anrückenden Feinden ins Deutsche Reich geflohen.

Im Kloster St. Gallen herrschte unter den zurückgebliebenen Kapitularen große Angst und Ratlosigkeit. »Die Verwirrung ist entsetzlich; niemand weiß, wo man daran ist. Wir haben keinen einzigen weltlichen Herrn bei Hof, und kein Beamter wollte sich bereden lassen, in dieser dringenden Not uns seine Dienste zu widmen. Wir sind ganz verlassen. Nirgends ein Rat, eine Hilfe, eine Aussicht!« So klagt eine Stimme aus jenen Tagen.

Gleich am Tag nach der Ankunft der fränkischen Truppen erschien im Kloster als Bevollmächtigter Bürger Gallus Schlumpf mit einer Verordnung der obersten helvetischen Behörde, kraft welcher alles bewegliche und unbewegliche Eigentum beschlagnahmt wurde.

Der Regierungskommissar Erlacher aus Basel, von Beruf Küfer, ein feuriger Republikaner und roher Mensch, vollzog diesen Beschluss und schritt sogleich zur Untersuchung des Aktiv- und Passivzustands, der Urbare und Rechnungsbücher des Stifts. Aber vieles war bereits weggebracht worden. Beim Herannahen des Ungewitters hatte man die Kostbarkeiten, das Silbergerät, wertvolle Möbel, besonders aber die berühmte Handschriftensammlung und die besten Werke der Bibliothek über den Rhein geflüchtet, zuerst nach Mehrerau, dann nach Füssen im bayrischen Allgäu und zuletzt nach Imst im Tirol, von wo sie erst nach der Gründung des Kantons wieder zurückkamen. Auch Wein und Lebensmittel wurden ins Österreichische geschafft. Nachdem Erlacher ein Inventar über den Besitzstand des Klosters aufgenommen hatte, erstattete er an das Direktorium Bericht, worin er mit den gemeinsten Ausdrücken gewisse Ersparnisse anempfahl, da nun statt 60 »schwarzer Herren« nur noch deren 30 anwesend seien. Er ließ die Keller versiegeln und regelte nach Willkür den Verbrauch von Fleisch und Wein. Seine Maßnahmen erstreckten sich auch auf die Statthaltereien in Rorschach und Wil und auf die Frauenklöster.

Bürger Erlacher war sodann beauftragt, die neue republikanische Staatsmaschine in Gang zu setzen, weshalb er eine Urversammlung der Wahlmänner, 360 an Zahl, auf den 31. Mai 1798 nach Appenzell berief. Das hierbei neugeschaffene staatliche Gebilde erhielt den Namen Kanton Säntis und umfasste st. gallische und appenzellische Gebiete. Hauptort desselben war die Stadt St. Gallen.

Erlacher und seine Helfershelfer wurden durch ihr rohes, gewalttätiges Treiben bald berüchtigt. Einer dieser Menschen, der sich bei der Ausräumung des Klosters Mariaberg und der Pfarrkirche zu Rorschach den Ruf der Barbarei zuzog, forderte dem Statthalter daselbst sogar den Tabernakelschlüssel ab; 300 Eimer Wein wurden auch sofort in den Marktflecken hinabgeführt. Die auf Wunsch des Abtes in St. Gallen zurückgebliebenen Kapitularen hatten von der meist feindlich gesinnten Beamtenschaft Schweres zu leiden. Wollte der Dekan P. Zölestin Schiess, ein siebzigjähriger Greis, um frische Luft zu schöpfen, eine Spazierfahrt machen, so musste er bei dem rohen Erlacher um Erlaubnis anfragen. Auf den Türmen der Klosterkirche hatte dieser die dreifarbige Revolutionsfahne aufgepflanzt. Den beiden oberhalb des stiftischen Hoftors angebrachten Statuen der heiligen Gallus und Otmar ließ er die Häupter abschlagen und die also verstümmelten Bilder dem Hohngelächter des herbeigelaufenen Pöbels preisgeben. Sogar das Kunstwerk am Karlstor vom Jahr 1570, Christus am Kreuz darstellend, wäre seiner Zerstörungswut zum Opfer gefallen, hätten nicht zwei junge Kapitularen mit einigen Männern aus der Stadt einen solchen Vandalismus verhindert.

Wiederholt wurden die Mitglieder des st. gallischen Konvents von der helvetischen Regierung aufgefordert, ihre geflüchteten Kostbarkeiten, Bücher usw. aus dem Ausland wieder heimzuschaffen; auch sollten die abwesenden Kapitularen wieder zurückkehren. Als diese beiden Forderungen unerfüllt blieben, erschien am 17. September 1798 ein Gesetz, demzufolge jene Männerklöster, die ihre Kostbarkeiten weggeschafft oder deren Vorsteher und Mitglieder sich entfernt hatten als aufgehoben und ihre Besitzungen als Staatseigentum erklärt wurden. Dadurch hatte das Stift St. Gallen in den Augen der helvetischen Regierung zu existieren aufgehört. Zugleich erging an die noch anwesenden Mönche abermals gemessener Befehl, alles Geflüchtete zurückzuschaffen, ansonsten sie ohne Nachsicht über die Grenze geschickt würden.

Die Kapitularen trauten aber der neuen Regierung weder Mut noch Kraft zur Ausführung dieser Maßregel zu und zählten im äußersten Fall auf tätige Hilfe von Seiten des katholischen Volkes. Allein sie wurden bitter enttäuscht. Am 2. Januar 1799 besetzten 50 Mann republikanischer Truppen den Konvent und versiegelten die Zimmer der beiden Oberen. Selbst in der Kirche schritten Militärwachen auf und ab, um jeden Verkehr nach außen unmöglich zu machen. Am 4. Januar morgens versammelte man die Kapitularen und ließ ihnen schriftlich die bevorstehende Austreibung ankünden, die Kutschen stehen schon bereit; der Regierungsstatthalter hielt den Mönchen noch eine Strafpredigt; ihr Appell an das Gesetz half nichts. Die Deportation ging mit revolutionärer Härte vor sich. Neunzehn Religiosen wurden unter Militärbegleitung nach St. Margrethen und von da bis auf die Mitte des gefrorenen Rheins geführt, wo einer aus der Reiterbegleitung, Ammann Grüter von Andwil, jedem Pater 32, jedem Laienbruder 16 Franken Reisegeld gab und sie dann ihrem Schicksal überließ. Den übereifrigen Zugführer Heer aus St. Gallen ereilte am folgenden Tag plötzlich der Tod. Die Verbannten wanderten erschöpft und angegriffen zu Fuß nach Mehrerau, von wo sie sich auf Anordnung des Fürstabtes in verschiedene Klöster zerstreuten. Nebst einem Laienbruder, einem älteren Pater und einigen Kranken durften nur die drei jüngsten Kapitularen in St. Gallen zurückbleiben zur Besorgung der Pfarrgeschäfte und des Gottesdienstes. Unter den Verbannten war auch P. Beda Gallus, der einstweilige Stiftsvorstand, ein durch seine Frömmigkeit, Milde und Klugheit allgemein geschätzter Mann, ebenso P. Ildefons von Arx, der bekannte Geschichtsschreiber.

Kurz nach diesem traurigen Auszug verordnete Xaintrailles, der General der französischen Truppen in St. Gallen, eine Feier zum Jahresgedächtnis der Hinrichtung Ludwigs XVI. Französische und helvetische Truppen zogen dem in der Trikolore prangenden Triumphwagen voraus, auf welchem in leichtfertigem Anzug ein Weib, die Bürgerin Walser von Herisau, als »Göttin der Freiheit«, von zwölf festlich gekleideten Mädchen gleichsam als Nymphen umgeben, Platz genommen hatte. Beim Klosterhof angekommen, führte der General die »Göttin« nebst dem weiblichen Gefolge auf eine erhöhte Bühne. Ringsumher lagen zerbrochene Kronen, Zepter, Ordenskreuze, bischöfliche Infeln und Stäbe. Eine Inschrift an dem Triumphbogen lautete: »Ja, von Priestern und Königen frei, werden im tiefsten Frieden alle Menschen, an Rechten gleich, die einzigen Herren der Erde sein.« Xaintrailles gedachte in französischer Rede der »Auferstehung« Helvetiens. Der Statthalter Bolt feierte in volkstümlicher Ansprache die Freiheit. Die »Göttin« Walser sang ein begeistertes Lied. Vivats erklangen. Die Nymphen stimmten Hymnen an, und Kanonenschüsse hallten in die st. gallische Landschaft hinaus. Im »Nothveststein« folgte ein Mittagsmahl für die Festteilnehmer beider Nationen, die bei der kalten Witterung und teilweise wegen leichter Kleidung empfindlich gelitten hatten; abends gab der General einen Ball im großen Stiftssaal, ohne sich um die Zeche zu bekümmern. Es war eine der traurigsten Stunden st. gallischer Geschichte, diese Revolutions- und Narrenposse unmittelbar vor den Toren der herrlichen Kirche inmitten der Heimstätten uralter Wissenschaft und Frömmigkeit – ein erschütternder Schlussakt in dem Trauerspiel des Untergangs der zwölfhundertjährigen Gallusstiftung.

P. Gerold Brandenberg, ein Zuger, ergriff, um sich der verhassten Eidesleistung auf die helvetische Verfassung zu entziehen, obwohl schon hochbetagt, eines Morgens früh den Wanderstab und flüchtete sich auf Nebenwegen über die Martinsbrücke, Rorschach und Altenrhein nach Mehrerau. Von der jenseitigen Höhe oberhalb Martinsbruck warf er noch einen wehmütigen Scheideblick zurück auf sein liebes Stift, das er fürchtete, nie mehr zu sehen.

Im Volk herrschte große Unzufriedenheit über die helvetische Verfassung mit ihren unschweizerischen Neuerungen und über das gewalttätige Regiment der Franzosen. Man begrüßte es darum fast allgemein, als im Frühling 1799 österreichische Truppen herannahten und die Franzosen zum Rückzug nötigten.

Mit den Österreichern kam am 26. Mai auch der Fürstabt zurück und hielt einen glanzvollen Einzug in die Klosterkirche. Sofort nahm er die Zügel der Regierung wieder in die Hand und erklärte alle dem Stift nachteiligen Maßnahmen der letzten Jahre für hinfällig. Es brauchte aber große Arbeit und viele Kosten, bis die von den Franzosen an Kirche und Gebäuden angerichteten Schäden einigermaßen behoben waren. In der Galluskapelle befand sich eine französische Feldbäckerei. Die inneren Klostergebäude hatten als Lazarett für Kranke und Verwundete gedient. Auf den Gallustag des Jahres 1799 sollten die Stiftsmitglieder wieder in das Kloster einziehen. Der Abt gab sich auch Mühe, ihre Zahl beträchtlich zu vermehren, fand aber wenige junge Leute, die in damaliger Zeit den Ordensstand erwählen mochten.

Inzwischen hatten jedoch die Franzosen am 26. September 1799 bei Zürich einen entscheidenden Sieg über das kaiserliche Heer davongetragen und rückten wieder nach St. Gallen vor. Schon am 27. September verließ daher Fürstabt Pankraz das Kloster, wobei er den zurückbleibenden Mönchen die Versicherung gab, dass er in drei Wochen wieder zurückkehren werde. Er sah aber sein Stift nie wieder. Aus den drei Wochen sind drei Jahrzehnte kummervoller Verbannung geworden, bis der Tod den unbeugsamen Kämpfer zur ewigen Ruhe rief.

Den 2. Oktober rückte eine starke fränkische Truppe in St. Gallen ein und legte der Stadt wie auch den Landgegenden fast unerschwingliche Kriegsleistungen auf. Bitterste Not griff allmählich um sich, verbunden mit großem Unwillen über das freche Betragen der Franzosen.

Im Gefolge der fränkischen Truppen war auch ein helvetischer Kommissar Wegmann in St. Gallen eingetroffen, um vom Stift, dessen Rechten und Gütern im Namen der Regierung förmlich Besitz zu nehmen. Er erklärte dasselbe mit allem Zubehör feierlich als Staatsgut und schritt sogleich zur Veräußerung von Mobiliar, Pferden usw., wobei vieles verschleudert wurde. Auch auf den Statthaltereien zu Wil, Neu St. Johann, Rorschach wurden die Fahrnisse versteigert. Die zurückgebliebenen Kapitularen erhielten eine Pension; die drei ältesten und die drei jüngsten derselben besorgten an der Münsterkirche den Gottesdienst.
Mit barbarischer Rücksichtslosigkeit schalteten die neuen Machthaber in den ehrwürdigen Klosterräumen. Den größten Teil der Gebäulichkeiten samt dem Garten übergab der helvetische Vollziehungsrat am 25. August 1800 auf die Dauer von sieben Jahren unentgeltlich einer englischen Baumwollspinnerei. 120 Personen arbeiteten im Dienst dieses industriellen Unternehmens. Handelsleute und Fabrikanten aus Appenzell A.Rh. bewarben sich um Lokalitäten im Klostergebäude zur Anlegung von Warenlagern (sogenannten Gehaltern), um dadurch den lästigen städtischen Abgaben zu entgehen. Der große Saal im neuen Pfalzgebäude (heutiger Großratssaal) wurde von Zeit zu Zeit einem französischen Truppenkommandanten für Ballzwecke überlassen. Kriegsgefangene reichsdeutsche Soldaten, deren etwa 3000 den Klosterhof anfüllten, bezogen in der Stiftskirche Quartier, zündeten darin Lagerfeuer an und brachten dem schönen Gotteshaus große Gefahr, bis es den geängstigten Mönchen gelang, mit Hilfe der Polizei die gefährlichen Gäste wieder hinauszuschaffen.

Der Gräuel der Verwüstung war in die heiligen Hallen eingezogen. An den hohen Festtagen, die vordem all die glänzenden Kundgebungen religiösen Lebens gesehen hatten, war es öde und still geworden. Der eisige Hauch des kloster- und kirchenfeindlichen Zeitgeistes erstickte alle freudige Religiosität. An Pfingsten und am Gallustag 1808 konnte nicht einmal ein feierliches Hochamt in der Münsterkirche gehalten werden.

Nach seiner Flucht aus St. Gallen war Fürstabt Pankraz nach Österreich geeilt, um vom Kaiser Hilfe zu erlangen. Er fand am Kaiserhof zwar gute Aufnahme, aber keine wirksame Hilfe. Das ganz Einfache in seiner Kleidung, Bedienung und Lebensweise nahm vorteilhaft für ihn ein, weil es zum höfischen Prunk und Luxus der deutschen Reichsprälaten in großem Gegensatz stand. Man wunderte sich nicht wenig, einen der angesehensten Äbte Europas die Gassen Wiens zu Fuß durchwandern und sein Absteigequartier in einer Klosterzelle nehmen zu sehen; denn mitten in der verfeinerten Hauptstadt blieb Pankraz der strengen Mönchssitte wie in St. Gallen getreu.

Als im Februar 1801 der Friede von Lunéville geschlossen wurde, in welchem Österreich und Frankreich die Unabhängigkeit der helvetischen Republik anerkannten und ihr die Wahl ihrer Regierungsform freistellten, war Abt Pankraz voll Besorgnis, das stiftische Gebiet könnte als ein Bestandteil der Schweiz erklärt und mit einer neuen Verfassung bedacht werden. Er gab darum am 20. Februar 1801 eine feierliche Erklärung heraus: Er habe seinen Rechten und Gerichtsbarkeiten nie entsagt; das Bündnis mit den Schirmorten sei aufgelöst; er sei ein unabhängiger Reichsfürst und sein Land ein von dem Schweizerbund ganz unabhängiger Staat; seine Untertanen seien nicht als Schweizer und Eidgenossen zu betrachten; die Grenzen der Schweiz seien noch nicht bestimmt; der Lunéviller Friede gehe seine Lande nichts an; sein Volk sei Untertan wie vorher usw. Diese Kundgebung blieb jedoch wie die früheren Proteste des Abtes völlig wirkungslos.

Noch einmal leuchtete ein Hoffnungsstern. Man war allenthalben über die helvetische Regierung erbittert und sehnte sich nach geordneten Verhältnissen zurück. Auch im St. Gallischen beschloss eine Landsgemeinde zu Schönenwegen am 30. September 1802: »es solle das Stift wieder in den Besitz all seines Eigentums eingesetzt werden…« und am 9. Oktober trat die Tagsatzung zu Schwyz diesem Beschluss bei. Schon kehrten eine Anzahl Kapitularen voll Freude nach St. Gallen zurück.

Da aber griff Frankreich neuerdings mit starker Hand in die schweizerische Politik ein. Napoleon, der allmächtige Konsul in Paris, gab der Eidgenossenschaft eine neue Verfassung, die sogenannte Mediationsakte, durch welche der helvetische Einheitsstaat in einen Staatenbund umgewandelt wurde. In der Helvetik waren die Kantone nichts weiter als bloße Verwaltungsbezirke der Einheitsregierung gewesen. An die Spitze des durch Napoleons Gnade neu geschaffenen Kantons St. Gallen trat Karl Müller-Friedberg, der einstige äbtische Beamte, jetzt der erbittertste Gegner des Klosters St. Gallen. Schon am 17. Juni 1803 forderte Fürstabt Pankraz in einem Schreiben an die Müller-Friedbergische Regierung die Zurückgabe aller Rechte, Güter, Gebäude und Gefälle, wie das Stift sie vor der Revolution besaß, und Schadloshaltung für die erlittenen Verluste. Auch eine von 41 Kapitularen unterzeichnete Eingabe verlangte die Wiederherstellung des Klosters. Aber MüllerFriedberg war fest entschlossen, die Abtei nicht mehr aufkommen zu lassen und alle Versuche zu deren Rettung unerbittlich zurückzuweisen, obgleich er sonst gegen die Klöster Wohlwollen zeigte und z.B. den Zisterzienserinnen von Magdenau in schwieriger Lage beistand. Ein Bruder von ihm war selbst Mitglied des st. gallischen Konvents.

Der 8. Mai 1805 ist der traurigste Tag in der 1200jährigen Geschichte des Klosters St. Gallen, der Tag, an welchem sein Untergang besiegelt wurde. Landammann Müller-Friedberg muss als der eigentliche Urheber dieses ebenso schmerzlichen wie ungerechten Geschehnisses bezeichnet werden. Er hatte dafür gesorgt, dass von Paris der Todesstoß gegen das Stift erfolgte.

Am erwähnten 8. Mai nahm sich der Landammann nicht einmal die Mühe, die Aufhebung des Klosters zu beantragen; er behauptete vielmehr, dasselbe sei schon aufgehoben durch das Helvetische Gesetz vom 17. September1798 und durch den Direktorialbeschluss vom 24. September 1800. Diese Behauptung erhält ein eigentümliches Licht durch die Tatsache, dass Müller-Friedberg von 1803–1805 so viele Schach- und Winkelzüge einer skrupellosen Diplomatie in- und außerhalb der Schweiz unternommen hat, um die Aufhebung des Stifts zu erwirken. Es wurde denn auch von einigen Mitgliedern des Großen Rates die Einwendung erhoben, »es müsse die Aufhebung des Klosters St. Gallen rechtskräftig, diplomatisch erzeigt werden, bevor man über die Verteilung und Verwendung des Klostergutes eine gesetzliche Verordnung treffen könne«.

Also herausgefordert, trat der Landammann auf und erklärte, der französische Botschafter habe ihm im April 1805 ein Schreiben aus der Feder Kaiser Napoleons vorgelesen, wonach das Kloster St. Gallen von der Mediationsakte, welche die Wiederherstellung der in der Helvetik unterdrückten Klöster verfügte, ausgeschlossen sei. Mit 36 gegen 33 Stimmen beschloss darauf der aus 89 Mitgliedern bestehende Große Rat des Kantons die Liquidation (gewaltsame Einziehung) des Klostervermögens und damit den Untergang des Stifts. Alle Proteste gegen den Gewaltakt verhallten wirkungslos, da sich Müller-Friedberg durch reiche Geldspenden aus dem Klosterbesitz der französischen Hilfe versichert hatte. Auch wenn Abt Pankraz auf seine weltlichen Herrscherrechte verzichtet hätte, an denen er wegen seines Amtseides unerschütterlich festhalten zu müssen glaubte, wäre unseres Erachtens die Abtei nicht wiederhergestellt worden, da der Gründer des Kantons eine zu große Furcht vor jeder Form des klösterlichen Bestandes hatte.

Die von der Regierung eingesetzte Liquidationskommission wurde beauftragt, den Vermögensstand des aufgehobenen Klosters zu prüfen, die Stiftsgüter zu veräußern und die Schulden abzuzahlen – eine Arbeit, die sich durch acht Jahre, von 1805 bis 1813 hinzog. Die bezüglichen Akten geben leider, da wichtige Archivstücke fehlen, keinen vollständigen und zuverläßigen Aufschluss über das Liquidationsgeschäft, aber sie sprechen trotz ihrer Unvollständigkeit eine tiefschmerzliche Sprache. Es ist erschütternd zu sehen, wie kalten Herzens Stück um Stück, Besitzung um Besitzung im In- und Ausland vom Erbe des heiligen Gallus weggerissen wird und in fremde Hände übergeht. Noch einmal steigt die ganze Größe und Bedeutung der Fürstabtei lebendig vor dem Geist empor, wenn man die ungeheuren Anstrengungen wahrnimmt, die zu ihrer Vernichtung nötig waren. Als Resultat der langwierigen Arbeit ergab sich nach Abzug aller Schulden ein Vermögen von rund 2 Millionen 300‘000 Gulden, wovon 837‘590 Gulden den Katholiken des Kantons als freies Eigentum zufielen. Für dessen Verwaltung wurde am 30. Januar 1813 der katholische Administrationsrat eingesetzt. Die Kapitularen des aufgehobenen Stifts erhielten eine Pension, und zwar die Priester 500 Gulden, die Laienbrüder 300 Gulden jährlich.

Am 16. Oktober 1809 fand die Eröffnung eines katholischen Gymnasiums im ehemaligen Klostergebäude statt. Der Kleine Rat hatte für diese Erziehungsanstalt dem Klostervermögen die Summe von 300‘000 Gulden als Stiftungskapital entnommen.

Abt Pankraz gab indessen noch immer nicht die Hoffnung auf, sein geliebtes Stift retten zu können. Weite Reisen unternahm er zu diesem Zweck nach Rom, nach Wien, zu Kaiser Alexander von Russland, den er im Lager zu Chaumont in Frankreich aufsuchte. Auch nach St. Gallen sowie an die schweizerische Tagsatzung sandte er eindringliche Schreiben. Eine letzte vergebliche Stütze suchte er noch auf dem Fürstenkongress von Wien. Müller-Friedberg wusste alle diese Versuche zu vereiteln. Er blieb in dem gewaltigen Ringen Sieger.

Als Papst Pius VII. durch eine Bulle vom 2. Juli 1823 das Doppelbistum Chur-St. Gallen errichtete und damit kirchlicherseits die Abtei St. Gallen als erloschen erklärte, zog sich endlich der kampfesmüde Fürstabt zunächst nach Arth und dann ins Kloster Muri zurück, wo er in stiller Abgeschiedenheit seine letzten Lebensjahre zubrachte. Jetzt nahm er auch die vom Kanton St. Gallen ausgesetzte Pension (6000 Gulden) an, die er früher stets zurückgewiesen hatte. Mit diesen Pensionsgeldern machte er reiche Vergabungen in verschiedenen Kantonen der Schweiz, teils für Jahrzeitstiftungen, teils für Volksmissionen und auch für Studierende.

Erschütternde Einblicke in sein Ringen, seine Opfer, seine Enttäuschungen wie auch in die Schicksale seiner Mönche geben die Tagebücher des Abtes, die an das Kloster Einsiedeln gekommen sind.

Der 9. Juli 1829 war der Todestag des letzten Fürstabtes von St. Gallen. Sein Sekretär und getreuer Begleiter in der Verbannung, P. Kolumban Ferch, setzte über Pankrazens Grab in der Klosterkirche zu Muri eine einfache Gedenktafel mit den Worten: Pankratius Vorster sei zwar der letzte unter den st. gallischen Äbten gewesen, aber der ersten einer an Verdiensten als unbeugsamer und beharrlicher Verteidiger der Rechte seines Gotteshauses.

Edle Pietät brachte am Andreastag des Jahres 1923 die Überreste des vielgeprüften Toten von Muri nach St. Gallen zurück, wo sie neben den Gräbern seiner beiden Vorgänger Zölestin und Beda der Auferstehung entgegenharren.

Abt Pankraz wurde fast 76 Jahre alt, trotzdem er von zartem Körperbau war und in jüngeren Jahren viel an Schwindel und Kopfschmerzen litt; der Kampf um die Erhaltung seines geliebten Klosters und die immer wieder aufflackernde Hoffnung, es noch zu retten, stählten seine Lebenskräfte. »Man wartet mit Sehnsucht auf meinen Tod«, sagte er bisweilen lächelnd, »darum lebe ich so lange.« Am Sterbebett des Fürsten traf noch ein Brief Müller-Friedbergs ein, worin der Landammann mit bewegten Worten für alles angetane Unrecht – »Persönliches leitete nie mein Handeln« – um Verzeihung bittet. P. Kolumban sandte im Namen des Sterbenden eine ebenso herzliche wie hochsinnige Antwort.

Nur wenige Kapitularen überlebten den letzten Fürstabt, darunter sein edler Begleiter und Sekretär Kolumban Ferch, gestorben 1834, Ildefons von Arx, gestorben 1833, der verdiente Altmeister st. gallischer Geschichtsforschung, Franz Weidmann, gestorben 1843, Verfasser einiger historischer Schriften, Theodor Wick, gestorben 1839, zuletzt Pfarr-Rektor in St. Gallen, Ämilian Hafner, gestorben im 91. Lebensjahr 1847, der letzte Offizial des Klosters und Generalvikar während des Doppelbistums. Mit P. Viktor Spielmann, einem Zuger, schied der letzte von sämtlichen Kapitularen des Stifts St. Gallen am 20. Januar 1849 aus diesem Leben.

Dem verstorbenen letzten Fürstabt widmete Ildefons von Arx folgende Worte verständnisvoller Anerkennung: »Die Zeitgenossen, welche die Person des Fürstabtes nicht kennen, mögen, durch das Revolutionsgeschrei betäubt, nachteilig von ihm urteilen, aber die Nachkommen werden sprechen: Der war kein gewöhnlicher Mensch, welcher, da er mit bloßem Anerkennen der mit seinem Stift getroffenen Abänderung sich ein gutes Auskommen verschaffen konnte, aus Amtspflichtgefühl sein Ich hingab und sich dem Mangel und der Armut unterzog.«

Auf das Grab seines Stifts aber legte derselbe Geschichtsschreiber gleichsam als letzten Scheidegruß die tiefgefühlte Inschrift nieder: »Billig muss ich auf das Grab dieses Stiftes eine Zähre weinen, das fast zwölfhundert Jahre hindurch in der östlichen Schweiz eine so große Rolle gespielt und so wohltätig und kräftig in die jedesmaligen Bedürfnisse der Zeit eingegriffen hatte; das, solange diese Gegend in ihrer Versunkenheit im Heidentum Glaubensprediger vonnöten hatte, ihr Apostel gab, die ihr das Licht des Evangeliums anzündeten; das, solange ihre Wildnisse Anbauer erforderten, Kolonisten ausschickte, die den Landbau bis in die hintersten Winkel der Alpentäler ausbreiteten; das, da der Mangel an Verkehr eine patriarchalische Wirtschaft nötig machte, solche mit einer großen Menge Leibeigener, Ackersleute, Hirten und Handwerker betrieb; das, als Künste und Wissenschaften ein Bedürfnis waren, selbe mit gutem Erfolg und auf eine auszeichnende und in ganz Europa bekannte Weise pflegte; das, als die Staats- und Lehenverfassung jedem Herrn die Selbsthilfe notwendig machte, solche sich mit Kraft verschaffte, da seine Mitglieder sich mit dem Panzer und unter dem Helm so gut als in der Kutte und Kapuze zu benehmen wussten; das, da im 15. Jahrhundert eine Verbesserung der zerrütteten Klöster notwendig erfunden wurde, sich in solche so gut fand, dass es wieder andere zu reformieren imstande war; das, da der Zeitgeist auf ein Neues den Klöstern die Pflege der Wissenschaft und Seelsorge zur Pflicht machte, sich mit großem Eifer darauf verlegte; das, als der Sturm der Zeiten es ergriff, nicht als ein fauler Stamm zerfiel, sondern in gesundem und tätigem Zustand erfunden wurde, wovon selbst der geleistete Widerstand ein Beweis ist.«


12. Kapitel

Kirchliche Verhältnisse nach dem Untergang des Klosters

Aus dem Krummstab der Äbte, welcher fast elfhundert Jahre lang mild und segnend über unserem Land gewaltet, und den die Stürme einer schlimmen Zeit zerbrochen haben, ist frisch und kräftig der Bischofsstab aufgeblüht. In der Diözese St. Gallen lebt das geistige Erbe des untergegangenen Stifts fort, und wir zehren noch immer von dessen wertvoller Hinterlassenschaft.

In denselben Räumen, wo ehemals der Abt und die Mönche dem Dienst Gottes und der Menschen oblagen, hat dieser Doppeldienst noch heute, wenn auch in veränderten Formen, eine sichere Heimstätte. Die kleine Galluszelle ist emporgewachsen zur großen, herrlichen Kathedrale*, die ihresgleichen weitum in den Landen kaum findet, und in deren majestätischen Hallen sich die Pracht der bischöflichen Liturgie entfaltet. [* Vom Jahr 1928 bis 1937 wurde eine sehr glückliche Außenrenovation der Kathedrale unter Leitung von Herrn Architekt E. Schenker, St. Gallen, durchgeführt. Zu gelegener Zeit soll auch die Innenrenovation folgen.]Eine der ersten vom einstigen Kloster mit besonderer Sorgfalt gepflegten Aufgaben, die Seelsorge, wird durch das Bistum in Treue weitergeführt.

Während die Bischöfe von Konstanz vor der Glaubensspaltung die geistlichen Befugnisse im St. Gallischen größtenteils selber ausgeübt hatten, wurde infolge der Glaubensneuerung die Lage eine andere. Gerade jetzt, wo die bischöfliche Behörde mit aller Kraft dem Glaubensabfall hätte wehren sollen, konnte sie für die kirchlichen Verhältnisse der st. gallischen Lande wie auch anderer schweizerischen Gebiete sehr wenig tun.

Dadurch geschah es, dass die Äbte mehr und mehr genötigt waren, den religiösen Angelegenheiten in ihrem Herrschaftsgebiet größte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das haben Diethelm Blarer, Otmar Kunz und Joachim Opser mit vorbildlichem Pflichteifer getan und dadurch weite Kreise des Volkes wieder für den alten Glauben gewonnen. Als daher Konstanz nach mehreren Jahrzehnten seine bischöflichen Rechte in der Stiftslandschaft neuerdings betonte, stand es bereits einer durch seine eigene Untätigkeit geschaffenen Gewohnheit selbständigen kirchlichen Handelns gegenüber. Und St. Gallen konnte hiervon nicht abgehen, weil sonst das katholische Reformwerk ins Stocken geraten und der Einfluss des Stifts schwer geschädigt worden wäre.

Nach langwierigen Verhandlungen in Rom kam dann schließlich im Jahr 1613 zwischen dem Bischof von Konstanz und der Abtei St. Gallen eine gütliche Vereinbarung zustande, durch welche der Abt, mit wenigen Einschränkungen, freie Hand in der oberhirtlichen Leitung seines Landes erhielt. Der st. gallische Sachwalter in Rom konnte damals an Abt Bernhard schreiben, dass ihm tatsächlich nur noch der Titel eines Bischofs abgehe.

Die Folge dieser Vereinbarung war, dass der Abt im Jahr 1614 für die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten ein eigenes Generalvikariat schuf, dessen Inhaber den Namen eines Offizials führte. Damit war das st. gallische Ordinariat gegründet, auf dessen segensreihe Tätigkeit sämtliche Äbte große Sorge verwendeten, und aus dem dann in organischer Entwicklung die Diözese St. Gallen hervorgegangen ist. Übrigens wurde schon unter den Äbten Zölestin Sfondrati und Leodegar Bürgisser die Schaffung eines ostschweizerischen Bistums mit dem Sitz in St. Gallen ernstlich in Aussicht genommen, und nur der frühe Tod des zum Kardinal ernannten Zölestin Sfondrati bereitete dem großzügigen Plan ein vorzeitiges Ende.

Das st. gallische Ordinariat erwies sich von seiner Gründung im Jahr 1614 bis zum Untergang der Abtei im Jahr 1798 als große Segensquelle und gab den Anstoß zu einer ganzen Reihe nützlicher Einrichtungen.

Abt Pius Reher (1630–1654) trug sich mit der Absicht, eine theologische Lehranstalt für den st. gallischen Klerus zu errichten, und er hatte hierfür die nötigen Geldmittel bereits großenteils zusammengebracht. Diese mussten dann aber für den durch die Schwedengefahr nötig gewordenen Grenzschutz Verwendung finden. Stattdessen wurde die alte Stiftung der sogenannten Porta, ein schon länger für die weltlichen Kapläne (Portherren) Unserer Lieben Frau bestehendes Konvikt in eine Lehranstalt umgebaut, die den praktischen Bedürfnissen des nur mäßig großen st. gallischen Pastorationsgebiets genügen mochte. Auf einer Anzahl Pfarreien übten Glieder des Stifts die Seelsorge aus.

Das äbtische Ordinariat vollzog fleißig die kirchlich vorgeschriebenen Visitationen der Pfarreien, berief den Klerus von Zeit zu Zeit zu Examen über bestimmte Abschnitte der theologischen Wissenschaft, ließ die Pastoralkonferenzen abhalten und schrieb den Geistlichen den Besuch der Exerzitien vor.

Im Anschluss an die vorgenannten Visitationen pflegten die Äbte jeweils ältere und angesehenere Priester zu beratenden Konferenzen mit dem Offizial einzuberufen, um mit ihnen die aus der Visitation sich ergebenden Massnahmen zu besprechen. Vor allem aber waren es die Synodalversammlungen des gesamten Seelsorgsklerus, welche den Äbten zur Hebung und Ertüchtigung der Geistlichkeit dienten. St. gallische Synoden dieser Art wurden veranstaltet durch die Äbte Gallus Alt im Jahr 1663 zu Rorschach, Zölestin Sfondrati im Jahr 1690, wiederum in Rorschach, und durch Abt Josef von Rudolfi im Jahr 1737 in St. Gallen. Dabei übernahm das Stift im wohltuenden Gegensatz zur Konstanzer Kurie die nicht unbeträchtlichen Kosten der Visitationen und Synoden selber.

Dank dieser unablässigen Bemühungen des Ordinariats bekamen die äbtischen Lande einen Seelsorgsklerus, der durchaus auf der Höhe seiner Aufgabe stand, und den die Konstanzer Bischöfe wiederholt ihrer Diözese als Muster vor Augen stellten. Wohl nirgends in der Schweiz wurde den Vorschriften des Konzils von Trient treuer nachgelebt als gerade im st. gallischen Stiftsgebiet, was umso höher zu werten ist, als die Äbte fortwährend auf ihre protestantischen Untertanen und die benachbarte Stadt St. Gallen Rücksicht zu nehmen hatten. Ja, selbst von Konstanz aus wurden immer wieder Versuche gemacht, sich in die kirchlichen Verhältnisse der Stiftslande einzumischen, wogegen die Abtei stets entschieden Stellung nahm. Es kam dann am 17. Juli 1748 zwischen St. Gallen und Konstanz zu einem zweiten Konkordat, durch welches die unklaren oder strittigen Punkte desjenigen vom Jahr 1613 eine glückliche Erledigung fanden. Damit war der endgültige Friede zwischen dem altehrwürdigen Bistum am Bodensee und der Abtei des heiligen Gallus hergestellt, ein Friede, welcher die Rechte des Bischofs formell wahrte, anderseits aber dem Fürstabt die tatsächliche Ausübung der oberhirtlichen Gewalt im ganzen Gebiet seiner Herrschaft zugestand. Nicht weniger als 91 Seelsorgsstellen hatte der Abt im schweizerischen Gebiet und 12 auswärts zu besetzen. Der schweizerische Anteil erstreckte sich auf Fürstenland, Rheintal, Toggenburg und auf etwa 8000 Katholiken im Thurgau.

Allein nur noch während der kurzen Frist von fünfzig Jahren konnte das neugeordnete und mustergültig verwaltete Ordinariat seine Wirksamkeit ausüben. Die große Umwälzung des Jahres 1798, noch mehr aber der Weggang des Fürsten Pankraz Vorster, machte eine geordnete Weiterführung der Ordinariatsgeschäfte fast unmöglich und lockerte damit das letzte Band, das zwischen dem todgeweihten Stift und der katholischen Bevölkerung noch geblieben war. Der Kollaturrechte des Abtes bemächtigte sich in völlig ungesetzlicher Weise die Verwaltungskammer des Kantons Säntis. Bezüglich der geistlichen Gerichtsbarkeit aber richtete der helvetische Minister Stapfer an den Bischof von Konstanz das Ansuchen, dieselbe in den ehemals fürstäbtlichen Landen zu übernehmen.

Durch Schreiben vom 24. Oktober 1800 teilte infolge dessen Bischof Karl Theodor von Dalberg den Gläubigen des Stiftsgebiets mit, dass nunmehr Konstanz die volle Ordinariatsgewalt ausüben werde. Der größte Teil des Klerus sah jedoch diesen Schritt des Bischofs für eine den Gesetzen der Kirche widerstrebende Handlung an und hielt sich nach wie vor in aller Stille an den Fiskal J. Germann, den Stellvertreter des äbtischen Offizials, einen frommen und würdigen Priester, als den kirchlichen Bevollmächtigten des rechtmäßigen Ordinarius, des Fürstabtes von St. Gallen. Wirrwarr und Unsicherheit im kirchlich-religiösen Leben ergaben sich aus diesem bedenklichen Zwitterzustand, bis der Apostolische Stuhl die provisorische Übernahme der kirchlichen Aufsicht durch Konstanz unter Vorbehalt der Rechte des st. gallischen Ordinariats genehmigte.

Im Jahr 1803 arbeitete die Regierung des neugeschaffenen Kantons St. Gallen ein merkwürdiges Bistumsprojekt aus. Die erste Bischofswahl sollte durch ein zur Hauptsache aus Stiftskapitularen bestehendes Domkapitel und den Regierungsrat gemeinsam getroffen werden, während für künftige Bischofswahlen das Kapitel dem Regierungsrat eine Viererliste einzureichen hätte, aus welcher die Regierung den ihr genehmen Kandidaten wählen und dem Großen Rat zur Bestätigung empfehlen würde. Ein solches Projekt konnte natürlich in Rom keine Gnade finden.

Am 7. Oktober 1814 verfügte Papst Pius VII. die Lostrennung der schweizerischen Gebietsteile vom Bistum Konstanz und ihre Unterstellung vom 1. Januar 1815 an unter einen Apostolischen Vikar, Propst Göldlin von Tiefenau in Luzern, nach dessen Tod im Jahr 1819 der Churer Bischof Karl Rudolf mit dem gleichen Amt betraut wurde.

Nun gestaltete sich die Bistumsfrage für St. Gallen noch brennender, und es entstanden eine Reihe von Projekten, ob ein schweizerisches Nationalbistum, ob Anschluss an Chur oder Basel, ob ein st. gallisches Bistum mit oder ohne Wiederherstellung des Klosters in Erwägung zu ziehen sei.

Nach langen Verhandlungen und vielfachem, unwürdigem Feilschen um die Höhe der Dotationssumme fiel endlich der Entscheid für ein Doppelbistum Chur-St. Gallen, welches durch die päpstliche Bulle »Ecclesias, quae antiquitate et dignitate praestant« am 2. Juli 1823 ins Leben trat. Die Bulle enthielt die Bestimmung, dass die Kirche des heiligen Gallus zur Kathedralkirche mit bischöflichem Sitz und einem eigenen Domkapitel erhoben sei, und zwar im gleichen Rang wie die Kathedrale in Chur. Während der einen Hälfte des Jahres sollte der Bischof in Chur, während der andern in St. Gallen residieren. Zugleich wurde nun auch vom Papst das Kloster St. Gallen als kirchlich unterdrückt und erloschen erklärt.

Diese letzte Erklärung erfüllte den Landammann Müller-Friedberg mit höchster Freude, war er nun doch nach zwanzigjährigem heftigem Ringen über Abt und Kloster Sieger geblieben und konnte über die endgültige Vernichtung des ebenso gefürchteten wie gehassten Gegners kein Zweifel mehr walten. Pankraz aber schrieb in sein Tagebuch die Worte: »Anders, als durch besondere Vorsehung des Herrn, dessen Name ewig gepriesen sei, ist für die Existenz des Klosters nichts mehr zu hoffen.«

Als Leo XII. den päpstlichen Thron bestieg, brachte der Fürstabt dem neuen Papst noch einmal sein Anliegen vor. Dieser erwiderte jedoch, das bereits im Vollzug Begriffene könne nicht mehr rückgängig gemacht werden. Darauf bemerkt das Tagebuch des Abtes: »Da ich nun nach meinem 25jährigen vergeblichen Kampf mein Stift von der ganzen Welt, auch am Ende vom römischen Stuhl verlassen sah, erachtete ich alle weiteren Bemühungen als fruchtlos, überließ also alles dem Herrn und fügte mich in seine unerforschlichen Urteile.«
Neue Misshelligkeiten zögerten die Ausführung der päpstlichen Bulle hinaus, so dass Bischof Karl Rudolf erst am 16. Oktober 1824 vom Bistum St. Gallen Besitz ergreifen konnte, welcher Anlass sehr festlich begangen wurde.

Um eine Wohnung für den Bischof einzurichten, mussten die Katholiken einen Teil der alten Pfalz, die frühere Abtwohnung, um 38‘000 Gulden zurückkaufen, da der Staat bei der Klosteraufhebung auch dieses Gebäude an sich gezogen hatte.

Karl Rudolf von Buol-Schauenstein, seit 1794 Bischof von Chur, war ein frommer und hochgebildeter Kirchenfürst, der während den stürmischen Revolutionsjahren heldenmütig für die Rechte der Kirche gekämpft hatte, unter dessen Regierung aber das Bistum Chur zufolge der allgemeinen Umwälzungen den größten Teil seiner ausländischen Gebiete im Tirol und Vorarlberg einbüßte.

Trotz der edlen Eigenschaften des Bischofs vermochte das Doppelbistum nie recht Fuß zu fassen, weder in St. Gallen noch in Graubünden. Besonders schwierig gestaltete sich die Lage zu Anfang der dreißiger Jahre, als eine Anzahl Geistlicher gegen den Bischof in offene Opposition trat. Es waren Männer, die ihre theologische Ausbildung meist an deutschen Universitäten empfangen und die dort herrschenden unkirchlichen Ideen in ihre Köpfe aufgenommen hatten. Ignaz Wessenberg, der frühere Generalvikar des Bistums Konstanz, ein freisinniger, der päpstlichen Gewalt ganz abholder Geistlicher, galt ihnen als das Vorbild und Ideal eines Seelenhirten.

Die Führer der Opposition waren drei Geistliche von Rapperswil, Mitglieder des Priesterkapitels Uznach, Felix Helbling, Christoph Fuchs und Alois Fuchs. Unterstützt von gleichgesinnten Mitbrüdern wie auch von den weltlichen Behörden, wagten sie ihrem Bischof offen zu trotzen.

Mitten aus diesen unerquicklichen Kämpfen wurde Karl Rudolf am 23. Oktober 1833 in der Pfalz zu St. Gallen durch den Tod abberufen. Kaum hatte der Bischof seine Augen geschlossen, als schon die radikalen Machthaber, an ihrer Spitze der damalige Landammann Gallus Baumgartner und der inzwischen vom Seelsorger zum Regierungsrat hinübergewechselte Felix Helbling zu einer Konferenz zusammentraten und miteinander die Aufhebung des Doppelbistums verabredeten. Ohne auch nur ein Wort mit dem Apostolischen Nuntius als dem Vertreter des Papstes gewechselt zu haben, erklärte der mehrheitlich radikale Katholische Großrat, der Vorläufer des heutigen Katholischen Kollegiums, schon fünf Tage nach dem Tod des Bischofs das Doppelbistum Chur-St Gallen eigenmächtig für aufgehoben, löste am 19. November das Domkapitel auf und ernannte ebenso eigenmächtig den Unterpfarrer von St. Gallen, Kanonikus Nepomuk Zürcher, einen Anhänger Wessenbergs, zum Bistumsverweser. Die Proteste des päpstlichen Nuntius waren bei der herrschenden Geistesrichtung vergeblich.

Der Kampf gegen die Kirche nahm immer schärfere Formen an. Vom 20. bis 27. Januar 1834 tagten Abgeordnete der liberalen Kantone, auch St. Gallens, in Baden, Aargau, um über Maßnahmen zu beraten zur »Verminderung des Einflusses der römischen Kurie in der Schweiz«. Das Ergebnis dieser Konferenz waren die sogenannten Badener Artikel, welche die Erhebung des Bistums Basel zum schweizerischen Erzbistum in möglichster Freiheit von Rom und die volle Unterstellung der Kirche unter die Staatsgewalt forderten. Im Februar dieses Jahres wurde sodann in St. Gallen der junge ausgezeichnete Priester Karl Greith durch Machtspruch der Kirchenfeinde seiner Ämter als Professor am Priesterseminar und als Bibliothekar enthoben und an seine Stelle der für dieses Amt ganz unfähige suspendierte Priester Alois Fuchs gesetzt.

Die st. gallische Regierung trug voll Eifer alles zusammen, was an kirchenfeindlichen Gesetzen im In- und Ausland zu finden war. Der Große Rat erließ im November 1834 über die Rechte des Staates in kirchlichen Dingen ein Gesetz, das die Kirche gänzlich dem Staat unterwarf. Nun war aber das Maß voll. In einem machtvollen Vetosturm wurde das Josephinische Machwerk mit großer Mehrheit vom Volk verworfen, wobei viele gerecht denkende Protestanten mit den Katholiken stimmten. Damit war der Radikalismus in kirchlichen Dingen empfindlich geschlagen.

Noch eine andere gute Wirkung zeitigte der Kampf irregeleiteter Katholiken gegen die Kirche. Bald nach der gewalttätigen Aufhebung des Doppelbistums wurde in Oberegg, Gemeinde Muolen, der »Katholische Verein« oder »Oberegger Verein« gegründet, der sich rasch über einen großen Teil des Kantons ausbreitete und Ende 1834 bereits eine gewaltige Volksversammlung von 5000 Mann in Gossau abhalten konnte. Im katholischen Volk entbrannte nun ein scharfer Widerstand gegen die Neuerungen auf kirchlichem Gebiet. Pfarrer Popp in Häggenschwil, später Pfarr-Rektor in St. Gallen, war die Seele der ganzen Bewegung, die für die kommenden Großratswahlen einen geschickten Aktionsplan entwarf und sich unter dem Namen »katholisch-konservative Partei« mit dem »Wahrheitsfreund« als ihrem Blatt eine feste Organisation schuf (1. Januar 1835).

Am 6. April 1835 ernannte Papst Gregor XVI. den Churer Kapitelvikar Joh. Georg Bossi zum Bischof von Chur-St. Gallen, worauf der st. gallische Bistumsverweser Zürcher, der nie von Rom bestätigt worden war, seinen Rücktritt vollzog. Die Wahl Bossis wurde in St. Gallen mit Bestürzung aufgenommen, ja die Regierung erklärte, dass man jedem Akt geistlicher Gerichtsbarkeit des Erwählten obrigkeitliche Plazet versagen werde. Kleinliche Schikanen seitens der Regierung verhinderten den Verkehr der st. gallischen Geistlichen mit dem Bischof. Die Postverwaltungen wurden angewiesen, sämtliche Briefe amtlichen Charakters, die von der bischöflichen Kurie an Beamte oder Private eingehen, uneröffnet und unbestellt dem Polizeidepartement einzuliefern. Der Kleine Rat von Graubünden unterstützte hierin seine St. Galler Kollegen.

Es waren wieder schwere Tage für die Katholiken des Kantons, namentlich für den Klerus, dem zur Erfüllung seiner Pflichten vielfach nur der Weg offen blieb, sich unmittelbar an die päpstliche Nuntiatur zu wenden.
Auf inständige Bitten der st. gallischen Katholiken willigte endlich der Heilige Vater am 23. März 1836 in die Trennung des Doppelbistums ein und ernannte den Dekan des Kapitels Sargans, Pfarrer Johann Peter Mirer, zum Apostolischen Vikar von St. Gallen, der am 17. August 1836 von der Kathedrale Besitz ergriff.

Das Apostolische Vikariat wirkte wohltuend und zu allgemeiner Zufriedenheit, doch war seine Tätigkeit beschränkt und mit den Mängeln eines provisorischen Zustands behaftet. Deshalb wurde der Wunsch nach einer endgültigen Regelung der Bistumsfrage immer lebhafter. Hier standen sich aber zwei Parteien schroff gegenüber. Die kirchlich gesinnten Katholiken wollten ein eigenes, selbständiges Bistum, während die liberalen Kreise, von Landammann Baumgartner geführt, den Anschluss an die Diözese Basel befürworteten. In Wort und Schrift wurde heftig gekämpft, und mehr als einmal schien der Plan eines eigenen st. gallischen Bistums endgültig scheitern zu müssen.

Um doch endlich zu einem Ziel zu kommen, ordnete der katholische Administrationsrat am 3. Oktober 1839 zwei seiner Mitglieder, Leonhard Gmür und Johann Nepomuk Saylern, als Unterhändler an die Nuntiatur ab. Es folgten nun vier Konferenzen mit dem päpstlichen Nuntius in Schwyz und eine fünfte in Luzern, auf denen eingehende Beratungen über die Reorganisation des Bistums St. Gallen gepflogen wurden. Dabei trat der Gegensatz zwischen dem streng kirchlichen Standpunkt und den weitgehenden Ansprüchen des Staatskirchentums immer wieder zu Tage. Mehrere Entwürfe der st. gallischen Abordnung erweckten das starke Missfallen des Nuntius wie des Apostolischen Stuhls.

Endlich am 8. August 1844 war man nach fünfjährigen Verhandlungen so weit, dass den st. gallischen Behörden ein Konkordatsentwurf vorgelegt werden konnte, welchem der Katholische Großrat am 23. Oktober dieses Jahres mit der grossen Mehrheit von 58 gegen 3 Stimmen seine Zustimmung erteilte. Nun aber verweigerte der allgemeine Grosse Rat nach einer fast 15stündigen Redeschlacht dem von der katholischen Behörde angenommenen Konkordat die Genehmigung, und die Verhandlungen mussten aufs Neue aufgenommen werden.

Der Nuntius bedauerte in seinem Antwortschreiben lebhaft, dass der Große Rat neue Schwierigkeiten erhebe, nachdem doch Rom das weiteste Entgegenkommen bewiesen und so viele Vorrechte gewährt habe wie kaum je in einem andern Konkordat. Er dürfe nicht einmal alle beanstandeten Punkte dem Heiligen Vater unterbreiten, da sich dieser über einige derselben schon wiederholt ablehnend ausgesprochen habe. Um die Angelegenheit zu beschleunigen, wurde Administrationsrat Gmür im August 1845 beauftragt, in Rom persönlich die Unterhandlungen weiter zu führen. Seinem diplomatischen Geschick gelang es schließlich, einen abgeänderten Konkordatsentwurf zu erwirken, in welchem die vom st. gallischen Großrat gestellten Forderungen bezüglich des bischöflichen Eides und der Ernennung von Domkanonikern berücksichtigt waren.

In seiner Sitzung vom 21. November 1845 erteilte dann der vollzählig versammelte Große Rat nach heftigen Debatten dem Bistumskonkordat mit 145 gegen 5 Stimmen die staatliche Sanktion. Mit diesem Beschluss war ein mehr denn zwölfjähriges Ringen der Katholiken zum glücklichen Abschluss gelangt. Mit unbeschreiblichem Jubel begrüßten sie denn auch das frohe Ereignis.

Schon waren in Rom die erforderlichen Bullen und Dekrete ausgefertigt und harrten nur noch der Unterschrift des Heiligen Vaters; schon hatte der Administrationsrat eine Fünferliste nach Rom gesandt mit den Namen der Kandidaten für die Bischofswahl. Da starb Papst Gregor XVI. am 1. Juni 1846, und ein neuer Stillstand in der Bistumsangelegenheit trat ein. Ja, die Gegner triumphierten bereits, dass jetzt auch das Bistum begraben sei.

Sämtliche Aktenstücke wurden durch den neuen Papst Pius IX. einer Kardinalkongregation zu nochmaliger Prüfung unterbreitet. Am 10. Oktober traf dann die freudige Nachricht in St. Gallen ein, dass der Heilige Vater den bisherigen Apostolischen Vikar Mirer zum Bischof erwählt habe; aber dieser Nachricht schloss sich die zweite an, dass die nachgesuchte Ausfertigung der Bistumsbulle wegen verschiedenen Anständen noch nicht gewährt werden könne.

Leonhard Gmür musste nun mitten im Winter eine zweite Reise nach Rom unternehmen, wo er sich bis zum 4. April aufhielt und mit größtem Eifer bemüht war, die noch vorhandenen Schwierigkeiten und Anstände zu beseitigen. Das gelang ihm endlich, und er konnte die am 8. April 1847 erlassene Bistumsbulle »Instabilis rerum humanarum natura« in die Heimat bringen. Damit war das einstige Ordinariat der Fürstäbte in zeitgemäßer Weiterentwicklung neu erstanden und der Kirche des heiligen Gallus ihre kanonische Vollendung gegeben.* [*Früher unterstanden Uznach und Rapperswil dem Bischof von Konstanz; Gaster, Sargans, Gams und Rüti dem Bischof von Chur; nunmehr wurde das gesamte Kantonsgebiet dem Bistum St. Gallen einverleibt.]

Durch päpstliche Verordnung vom 5. Januar 1866 wurde dem Bischof von St. Gallen noch das Vikariat über die katholischen Bewohner des Kantons Appenzell provisorisch übertragen.

Die Weihe des ersten Bischofs Johann Peter Mirer vollzog der päpstliche Nuntius Macioti am 29. Juni 1847, dem Namenstag Mirers, in der Kathedrale unter gewaltiger Anteilnahme des Volkes von nah und fern. Der Konsekrator spendete dabei von der Galerie der Ostfassade aus einer auf 20‘000 geschätzten Menschenmenge den päpstlichen Segen.

Der erste Bischof von St. Gallen, Dr. Johann Peter Mirer (1847–1862), stammte aus Obersaxen, Kanton Graubünden, wo er am 2. Oktober 1778 geboren wurde.

Nach Empfang der Priesterweihe war Mirer als Erzieher der jungen Grafen von Travers tätig und krönte seine Studien mit dem Doktorat in der Philosophie. Im Jahr 1809 übernahm er für einige Zeit die Kaplanei seiner Heimatgemeinde und versah auch die dortige Schule. Nach vierjährigem Wirken als Professor der Rechtswissenschaften an der Kantonsschule in Chur wurde er 1820 an die Katholische Kantonsschule in St. Gallen gewählt, wo er über acht Jahre das Amt eines Präfekten und Religionslehrers zu allgemeiner Zufriedenheit bekleidete.

Vom Jahr 1829 an war Mirer Pfarrer und Dekan in Sargans, bis er durch Papst Gregor XVI. im April 1836 als Apostolischer Vikar nach St. Gallen berufen wurde. Die Wirksamkeit es Apostolischen Vikars fiel in eine Zeitepoche, wo die Wogen politischer Leidenschaftlichkeit besonders hoch gingen und die Rechte der Kirche vielfach unterdrückt wurden. Mirer war seiner ganzen Veranlagung nach nicht ein Mann des Kampfes, und sein Gemüt wurde schmerzlich berührt, wenn er sich gehindert sah, die übernommenen Pflichten zu erfüllen. Schon nach drei Jahren bat er darum den Papst um Entlassung vom Vikariat, was ihm aber nicht gewährt wurde.

Trotz der ungünstigen Zeitlage brachte Peter Mirer dank seiner mit Milde gepaarten Festigkeit wichtige Unternehmungen zustande. Er rief das Priesterseminar ins Leben und setzte an dessen Spitze den trefflichen Regens Johann Baptist Eisenring, der während mehr als dreißig Jahren einen tüchtigen, seeleneifrigen Klerus heranbildete. Er führte in allen Pfarreien die bischöfliche Visitation durch, die seit vielen Jahrzehnten zufolge der großen Umwälzungen unterblieben war. Er gründete den Priesterhilfsverein, der sich im Lauf der Jahre aus kleinen Anfängen zu einer leistungsfähigen Kasse entwickelt hat. Sein eifriges und kluges Wirken trug viel dazu bei, die Bedenken zu zerstreuen, die immer wieder gegen die Gründung des Bistums erhoben wurden.

Es entsprach darum der allgemeinen Erwartung, als Papst Pius IX. aus der am 11. März 1846 vom Katholischen Kollegium in geheimer Wahl aufgestellten Liste, enthaltend die Namen Johann Peter Mirer, Karl Johann Greith, Johann Baptist Keller, Franz Rudolf Good und Gall Josef Popp, den an erster Stelle Genannten zum Bischof von St. Gallen erhob.

Als Bischof konnte Mirer nur fortsetzen, was er während seines Apostolischen Vikariats begonnen hatte, um die Organisation der jungen Diözese in die Wege zu leiten. Schon im Jahr 1847 gründete er zu St. Georgen ein Knabenkonvikt, in welchem Zöglinge der katholischen Kantonsschule Aufnahme fanden. Nach der Aufhebung der letzteren durch eine radikale Mehrheit des Großen Rates, erweiterte der Bischof sein Konvikt zu einer Gymnasialanstalt. Dieses Knabenseminar sollte dem großen Priestermangel abhelfen, der in den 40er Jahren als Frucht des unkirchlichen Geistes an der Kantonsschule eingetreten war, und es hat diesen Zweck aufs Beste erfüllt. Ein ganz besonderes Verdienst erwarb sich Mirer dadurch, dass er im Jahr 1851 den Gallusverein ins Leben rief, dessen Zweck es ist, braven talentvollen Jünglingen den Weg zum Priestertum zu bahnen.

Nebstdem sah sich Bischof Mirer oft in die Notwendigkeit versetzt, gegen Übergriffe der weltlichen Gewalt in das Gebiet der Kirche aufzutreten. Er starb im hohen Alter von nahezu 85 Jahren am 30. August 1862.
Der zweite Bischof von St. Gallen war Dr. Karl Johann Greith von Rapperswil, geboren den 25. Mai 1807. Nach tüchtigen Studien in Luzern, München und Paris empfing er im Mai 1831 die Priesterweihe im Seminar St. Sulpice zu Paris und wurde dann als Subregens am Priesterseminar und als Gehilfe des kranken Stiftsbibliothekars Ildefons von Arx in St. Gallen angestellt.

In den kirchenpolitischen Wirren der 30er Jahre stand Greith unerschrocken für die Rechte der Kirche ein und musste deshalb in die Verbannung ziehen. Pfarr-Rektor Wick, der dem Gemaßregelten noch Gelegenheit zu einer Abschiedspredigt in der Kathedrale gab, erhielt dafür vom Administrationsrat einen scharfen Verweis. Greith ging nach Rom, um dort im Auftrag einer englischen Gesellschaft geschichtliche Studien auf der Vatikanischen Bibliothek zu pflegen.

Nach zwei Jahren wählte ihn die Pfarrgemeinde Mörschwil zu ihrem Seelsorger. Bald trat er auch in den Großen Rat des Kantons ein, dem er eine Reihe von Jahren als führendes Mitglied in den kirchenpolitischen Fragen angehörte. Im Jahr 1839 kam Greith als zweiter Pfarrer nach St. Gallen und rückte 1842 zum Hauptpfarrer und zugleich zum Dekan des Landkapitels St. Gallen vor.

Nach der Erhebung Mirers zum ersten Bischof von St. Gallen trat Greith ihm als Domdekan zur Seite und war in allem des Bischofs rechte Hand und dessen tüchtiger Berater.

Im Schuljahr 1849/50 eröffnete Domdekan Greith einen philosophischen Kurs, welcher die aus dem Gymnasium austretenden Studenten auf die Hochschule vorbereiten und ihnen eine weltanschaulich fest begründete Bildung vermitteln sollte. Bis zum Jahr 1855, wo der Kurs vom radikalen Administrationsrat aufgehoben wurde, erzielte derselbe vortreffliche Resultate. Im gleichen Jahr musste auch die katholische Kantonsschule einer interkonfessionellen Platz machen.

Die Universität Tübingen verlieh 1857 dem Domdekan Greith, »dem gefeierten Kanzelredner« – er hatte eben drei Bändchen Predigten herausgegeben – »dem Gelehrten und Seelsorger« das Ehrendoktorat in der Theologie. Greith hatte auch die vom Kulturkampf aus Wettingen vertriebenen Zisterzienser veranlasst, in Mehrerau eine neue Heimstätte zu gründen, bei deren Eröffnung am 18. Oktober 1854 er die Festpredigt hielt.

Ein Schicksalstag im Leben Greiths wie des Kantons St. Gallen war der 3. Juni 1861. An diesem Tag schlossen die Führer der konservativen und liberalen Partei unter tätiger Mitwirkung von Domdekan Greith einen friedlichen Vergleich, demzufolge die konfessionellen Angelegenheiten des Kantons in Zukunft von den Konfessionen selbst besorgt, das Schulwesen dagegen der staatlichen Leitung unterstellt werden sollte. Greith betrachtete diese Vereinbarung als ein Werk, das »unsägliches Unglück vom Kanton abgewendet« und eine Ära des Friedens eingeleitet habe. Manche Katholiken waren dagegen anderer Auffassung. Vom Jahr 1861 an wurden auch die Großratswahlen nicht mehr bezirks-, sondern gemeindeweise vorgenommen, was der liberalen Partei eine bedeutende Mehrheit sicherte.

Bald nach der Annahme der Kompromissverfassung starb Bischof Mirer, und Karl Johann Greith wurde am 11. September 1862 zu seinem Nachfolger gewählt. Doch fand die Bischofskonsekration erst am 3. Mai 1863 statt. Die ersten Jahre der bischöflichen Wirksamkeit verliefen ruhig, nur dass eine jungkatholische Richtung den politischen Vergleich von 1861 scharf kritisierte und dem Bischof beinahe Vernachlässigung seiner Pflicht vorwarf.

Schwere Stürme dagegen brachten die 70er Jahre. Bischof Greith hatte sich zum Vatikanischen Konzil nach Rom begeben und dort den Standpunkt vertreten, es möchte die päpstliche Unfehlbarkeit wegen den zu befürchtenden Folgen nicht als Glaubenssatz verkündet werden. Die liberalen Kreise der Schweiz und anderer Länder waren über diese Stellungnahme hoch erfreut, überschütteten aber den Bischof mit Schmähungen, als dieser dem feierlich verkündeten Dogma beistimmte und dasselbe in seinem Bistum verkünden ließ.

Ein erbitterter Kulturkampf brach nun los. Die radikale St. Galler Regierung erließ, des Kompromisses von 1861 ganz uneingedenk, ein Exerzitienverbot für die Geistlichen, ebenso das Verbot für Theologen, bei den Jesuiten zu studieren, ferner ein Kanzelgesetz, das die polizeiliche Überwachung der Predigten anordnete (Maulkrattengesetz), entsetzte willkürlich Geistliche ihres Amtes, wie den Pfarrer Falk von Montlingen, und holte endlich zum Hauptschlag aus, indem sie das bischöfliche Knabenseminar in St. Georgen als aufgehoben erklärte (3. Juni 1874).

Alle diese Gewalttaten, die Schlag auf Schlag über die Katholiken niederfielen, taten dem greisen Bischof äußerst weh. Besonderen Schmerz bereitete ihm die Gründung einer altkatholischen Gemeinde in der Stadt St. Gallen. Dagegen hatte er den Trost, dass keiner seiner Priester abfiel.

Am 29. Mai 1881 konnte Bischof Greith sein goldenes Priesterjubiläum feiern. Im Januar 1882 verfasste er sein letztes Fastenmandat: »Die beiden Wege durch das zeitliche Leben in die Ewigkeit«. Vom Februar an schwanden seine Kräfte mehr und mehr. Die Stunde der Erlösung schlug am 17. Mai 1882.

Die glänzenden Geistesgaben, die ihm von Gott geworden, hat Bischof Greith restlos in den Dienst der st. gallischen Kirche gestellt. Er lebt in ihr fort als eine ihrer schönsten und ragendsten Gestalten. Wissenschaftliche Werke von bleibendem Wert erhalten sein Andenken.

Greiths Nachfolger Augustin Egger wurde am 5. August 1833 zu Unterschönau, Gemeinde Kirchberg, geboren. Von Jugend an war Egger schwächlich und musste auf vieles Verzicht leisten seiner Gesundheit wegen. In der Klosterschule zu Fischingen und an der katholischen Kantonsschule in St. Gallen sowie im philosophischen Kurs des Domdekans Greith schuf er sich das wissenschaftliche Rüstzeug für sein späteres Leben. Von 1852–1855 studierte er Theologie in Tübingen und ein halbes Jahr in München.

Am 17. Mai 1856 zum Priester geweiht, war Egger fünf Jahre lang Professor am Knabenseminar St. Georgen und dann drei Jahre Pfarrer in Oberriet. Im Jahr 1865 wurde er als Domkatechet nach St. Gallen berufen und 1872 zum Domdekan ernannt.

Die Verhältnisse brachten es mit sich, dass Domdekan Egger besonders gegen den Altkatholizismus, der sich am 16. Februar 1873 in St. Gallen eine eigene Gegenorganisation gegeben hatte, auftreten musste. Er tat es mit Ruhe und Festigkeit, ohne je persönlich zu werden. Ein großer Schmerz für ihn wie für die kirchentreuen Katholiken war die Aufhebung der katholischen Primarschule in der Stadt St. Gallen Ende der 70er Jahre, womit die lange Kette von Gewaltakten gegen die Kirche ihren »würdigen« Abschluss fand.

Am 25. Mai 1882 erfolgte die Wahl Augustin Eggers zum Bischof. Herrliche Tugenden schmückten diesen Oberhirten, der durch sein abgetötetes Leben, durch seinen Seeleneifer und durch seine vielseitige schriftstellerische Tätigkeit als ein wahrer Nachfolger der Apostel vor uns dasteht. Die Universität Freiburg ernannte ihn 1899 zum Ehrendoktor der Theologie. Bischof Egger blickte tief hinein in die Schäden unserer Zeit, und darum gab er sich besonders Mühe, das christliche Familienleben zu erneuern, den Glaubensgeist in der Jugend zu kräftigen und dem großen Volksfeind Alkoholismus entgegenzutreten. Er ist der Gründer und eifrige Förderer der katholischen Abstinentenbünde unseres Landes. Am 12. März 1906 endete das verdienstreiche Leben dieses edlen Kirchenfürsten*. [* Durch Bischof Egger unterstützt, gründete der als Organisator hervorragende st. gallische Priester Professor Johann Jung im Jahr 1899 die christlich-sozialen Organisationen, die sich rasch über die ganze Schweiz verbreiteten und eine große Bedeutung gewannen. Den Anstoß hierzu hatte die soziale Enzyklika Leos XIII. Rerum novarum gegeben.]

Seinem Nachfolger Dr. Ferdinand Rüegg von St. Gallenkappel war nur eine kurze bischöfliche Wirksamkeit beschieden. Doch genügte sie, um die apostolische Hirtensorge und den großen Seeleneifer dieses kindlich frommen Bischofs im schönsten Licht zu zeigen. Geboren am 20. April 1847 in der Pfarrei Goldingen, empfing er die Priesterweihe den 6. November 1870 und wirkte als Präfekt und Professor am Knabenseminar St. Georgen bis zu dessen gewalttätiger Aufhebung im Jahr 1874, nachher als Pfarrer in Goldingen und Lichtensteig, endlich als Seminarregens und Domdekan in St. Gallen. Er starb, von Geistlichkeit und Volk tief betrauert, am 13. Oktober 1913 im Frauenkloster St. Scholastika bei Tübach.

Zum fünften Bischof von St. Gallen wurde darauf erkoren der Regens des Priesterseminars St. Georgen, Robert Bürkler von Alt St. Johann, der mit Weisheit und Festigkeit die Kirche des heiligen Gallus durch die stürmische Zeit der Kriegs- und Nachkriegsjahre führte. Seine Wiege stand in Rorschach, wo er am 5. März 1863 das Licht der Welt erblickte; die Studien machte Robert Bürkler in Engelberg und an der Universität Innsbruck, welch letztere ihm nach seiner Wahl zum Bischof das Ehrendoktorat der Theologie verliehen hat. Als tüchtiger Seelsorger und Schulmann wirkte er in Uznach, Gossau und Lichtensteig, von wo ihn Bischof Rüegg im Jahr 1907 als Regens nach St. Georgen berief. Bis zur Bischofswahl gehörte Bürkler auch dem st. gallischen Erziehungsrat an. Er starb am Vorabend von Christi Himmelfahrt, den 25. Mai 1903 eines plötzlichen Todes, nachdem er noch bis zum Abend Beicht gehört hatte.

Auf ihn folgte Pfarr-Rektor Dr. Johann Alois Scheiwiler von Waldkirch, zum Bischof geweiht am 23. Juni 1930 und am 5. Oktober dieses Jahres durch den eben zu Rorschach in Ferien weilenden Kardinal-Staatssekretär Eugen Pacelli konsekriert. Im Jahr 1932, den 23. Oktober, fand die erste Diözesansynode statt, an welcher neue Statuten für das Bistum St. Gallen und die apostolische Administratur Appenzell erlassen wurden.

Aus den wenigen Hirten und Jägern, die unser Landesvater bei seinem Eintritt in die Wildnis an der Steinach angetroffen hat, ist ein zahlreiches Volk geworden und an die Stelle des Urwaldes durch die rastlose Arbeit und das leuchtende Tugendvorbild der Söhne des heiligen Gallus ein blühendes, reichgesegnetes Land getreten.

Nach der Volkszählung vom Jahr 1930 gab es im Kanton St. Gallen bei einer Gesamtbevölkerung von 286‘908 Seelen 169‘988 Katholiken, im Kanton Appenzell I. Rh. 13‘357 und in Ausserrhoden 6001 Katholiken. Sie bilden zusammen die geistige Familie des heiligen Gallus. Neun Dekanate im Kanton St. Gallen mit 118 Pfarreien und ein Dekanat für die beiden Appenzell mit zwölf Pfarreien widmen sich der seelsorglichen Betreuung dieser geistigen Familie. Die Gesamtzahl der Priester, wovon gegen vierzig auswärts wirken, beträgt 320, an ihrer Spitze steht das Domkapitel mit fünf an der Kathedrale residierenden und acht nicht residierenden Domherren.

Dem Domkapitel kommt das Recht der Bischofswahl zu. Es stellt eine Vorschlagsliste mit sechs Namen auf, von denen das katholische Kollegium höchstens drei streichen kann. Der Staat beanspruchte ein vom Apostolischen Stuhl nie anerkanntes Plazet für die Wahl des Bischofs und der Residentialkanoniker. Auf letzteres verzichtete er im Jahr 1923, auf ersteres 1931.

Neben den Weltpriestern zählt man noch 85 Ordenspriester. Der Kapuzinerorden hat vier Klöster. Dazu kommen je eine Lehranstalt der Missionare von La Salette, von Steyl, von Wolhusen-Bethlehem, der Pallottiner und der Weißen Väter, je ein Haus der Benediktiner von St. Ottilien, der Aachener Alexianer und der Barmherzigen Brüder von Trier.

Barmherzige Schwestern aus Baldegg, Menzingen und Ingenbohl widmen sich in großer Zahl den verschiedenen geistlichen und leiblichen Werken der Barmherzigkeit; St. Anna-Schwestern üben die Wochenpflege. Im einstigen Kloster Neu St. Johann und im Iddaheim bei Lütisburg bestehen blühende Erziehungsanstalten für gebrechliche und hilfsbedürftige Kinder, ebenso im Josefsheim zu Altstätten und Wildhaus. In Oberwaid bei St. Gallen findet sich seit dem Jahr 1930 ein Exerzitienhaus.

Unsere Arbeit wäre nicht vollständig, wenn wir zum Schluss nicht der klösterlichen Niederlassungen gedächten, die sich im Bistum St. Gallen befinden und die teilweise zur ehemaligen Fürstabtei enge Beziehungen hatten. In ihnen lebt noch etwas fort von jenem hohen, gottnahen Geist und jener edlen, segenspendenden Kultur, die wie ein unvergänglicher Strahlenkranz über den großen Zeiten des untergegangenen Stifts ruhen.

Da sind zunächst die vier Kapuzinerklöster Rapperswil, Mels, Appenzell und Wil, von denen besonders die zwei letzteren mit der Abtei näher verbunden waren. Dasjenige von Wil wurde im Jahr 1652 durch eine Stiftung des Reichsvogts Georg Renner und unter Beihilfe von Schultheiß und Rat der Äbtestadt ins Leben gerufen und von den st. gallischen Äbten in vielfacher Weise ausgezeichnet. Das Kapuzinerkloster Appenzell (gebaut von 1587–1590) verdankt sein Entstehen vorab dem berühmten P. Ludwig von Sachsen, der daselbst als Guardian wirkte und zur Zeit Abt Joachim Opsers, von diesem kraftvoll unterstützt, in der ganzen Ostschweiz eine großartige Missionstätigkeit entfaltete. Seit dem Jahr 1908 besitzen die Patres von Appenzell ein blühendes Gymnasium nebst Realschule. Der Bau des Klosters Rapperswil war im Jahr 1596 auf Veranlassung des zeitweilig dort residierenden päpstlichen Nuntius beschlossen worden, konnte aber wegen Anständen mit Zürich erst 1604 begonnen und 1606 vollendet werden. Die Bürgerschaft steuerte wie in Wil kräftig zu dem Bau bei. Das Kloster in Mels geht auf das Jahr 1647 zurück. Diese vier Kapuzinerklöster besitzen eine ehrenvolle Geschichte und haben sich um die Seelsorge in den st. gallischen Landen reiche Verdienste erworben.

Eng verbunden mit dem Stift St. Gallen war im Weitern die Benediktinerabtei Pfäfers deren 1000jährige Geschichte neben ruhigen und glücklichen Zeiten manche dunkle, sorgenvolle Blätter aufweist. Die Abtei wurde gegen die Mitte des 8. Jahrhunderts vom Inselkloster der Reichenau aus gegründet. Sie war eine hochangesehene Kulturstätte in Rätien und hat für die materielle wie geistige Hebung des Volkes Großes getan. Ihre Lage an der Verkehrsstraße, die vom Limmattal über den Kunkels zu den Bündnerpässen führte, gab ihr eine besondere Bedeutung.

Kriege und Unglücksfälle jeder Art bedrohten die Abtei wiederholt mit dem Untergang, so dass oft Mönche aus andern Klöstern, z.B. aus St. Gallen, Einsiedeln, Rheinau zur Reform und zum Wiederaufbau herbeigerufen werden mussten. Der prachtliebende, sehr weltlich gesinnte Abt Jakob Russinger trat im Jahr 1531 mit den meisten Konventualen und einem großen Teil des Sarganserlandes zur Lehre Zwinglis über und befahl die Abschaffung der Messe, die Verbrennung der Bilder und Einführung des reformierten Gottesdienstes. Nach dem Sieg der katholischen Orte bei Kappel und am Gubel kehrte jedoch der Abt mit dem gesamten Sarganserland wieder zum katholischen Glauben zurück. Die finanziellen Verhältnisse des Klosters blieben indessen fortwährend misslich und unbefriedigend, so dass die Schweizerische Benediktinerkongregation wiederholt einschreiten musste und schließlich dasselbe im Jahr 1682 dem Stift Einsiedeln auf eine gewisse Zeit einverleibte. Der 1677 gewählte ausgezeichnete Abt Bonifaz I., vorher Stiftsdekan in Einsiedeln, vollendete den Ausbau des Klosters und der herrlichen Kirche, die mit ihren prachtvollen Altären und den Säulen aus schwarzem und weiß geadertem Marmor sowie mit ihren kostbaren Geräten und Paramenten noch heute eines der schönsten Gotteshäuser in der ganzen Ostschweiz ist.

Die Stürme der Französischen Revolution hatten für die Abtei Pfäfers ähnliche Folgen wie für St. Gallen und die übrigen schweizerischen Klöster. Sie wurde als Staatseigentum erklärt und musste, je nach dem wechselnden Kriegsglück, bald österreichischen, bald französischen Truppen Unterkunft gewähren.
Obwohl ihr später eine gewisse Selbständigkeit zurückgegeben wurde, und obwohl sie eine tüchtige Lateinschule unterhielt, konnte sie sich von den erhaltenen Schlägen nicht mehr erholen und ging unaufhaltsam ihrem Untergang entgegen.

Der letzte Abt, Plazidus Pfister von Tuggen (1819–1838), wollte zweimal abdanken, bis dann schließlich das versammelte Kapitel, seiner Gelübde und seiner Ehre nicht achtend, am 9. Januar 1838 selber die Auflösung beschloss, worauf die st. gallischen Kantonsbehörden, freilich durchaus unbefugt, das Kloster aufhoben. Über die entschiedenen Einsprachen der Kirche schritt der selbstherrliche Staat hinweg. Das übrigbleibende Vermögen wurde in ebenfalls widerrechtlicher Weise vom Kanton eingezogen und teils für die der Abtei bisher einverleibten Pfarreien, teils zu Schul- und Armenzwecken verwendet.

Ein reicher Kranz von Frauenklöstern war ehedem über das ganze st. gallische Land ausgebreitet. Manche derselben sind den Unbilden der Zeit zum Opfer gefallen, während andere heute noch eine segensvolle Wirksamkeit ausüben.

In St. Gallen selbst befanden sich das Kloster St. Katharina und die beiden Schwesternhäuser von St. Leonhard und St. Jakob, sowie das Benediktinerinnenkloster der heiligen Wiborada zu St. Georgen. Alle vier sind heute verschwunden; die ersten drei erlagen schon den Stürmen der Glaubensspaltung; St. Georgen fiel im Jahr 1834 einem Großratsbeschluss zum Opfer. In seinen Räumen wurde seit 1839 das st. gallische Priesterseminar untergebracht. Die tapferen Dominikanerinnen von St. Katharina fanden nach ihrer Vertreibung aus St. Gallen eine neue Heimstätte am Nollenberg bei Wuppenau und später in Wil, wo sie noch heute ein blühendes Kloster besitzen und eine bestbekannte Mädchenschule unterhalten.

Eine halbe Stunde oberhalb St. Gallen grüßt weithin von sanfter Bergeshöhe das Kloster Unserer Lieben Frau zu Notkersegg mit seinem stimmungsvollen, schön renovierten Barockkirchlein. Ursprünglich eine Schwesternklause, wurde es durch die väterliche Obsorge der Äbte von St. Gallen zu einem Kloster ausgebaut und dient heute der Ewigen Anbetung. Es ist auch ein beliebter kleiner Wallfahrtsort.

Im Jahr 1781 versetzte Fürstabt Beda die in Libingen angesiedelten Benediktinerinnen nach Glattburg bei Oberbüren, wo das frühere Schloss der Schenken von Kastell in ein Kloster umgewandelt wurde, St. Gallenberg geheißen. Die Klosterfrauen widmen sich der Ewigen Anbetung, der Landarbeit, sowie dem Arbeitsunterricht für die weibliche Jugend der Umgebung.

Ein sehr altes Kloster der Ewigen Anbetung ist ferner Maria der Engel bei Wattwil. Schon vor der Glaubensspaltung hatte es zahlreiche Mitglieder, und sogar zwei Schwestern Ulrich Zwinglis waren in dasselbe eingetreten. Der Zürcher Reformator bewog die meisten Klosterfrauen zum Verlassen des Ordensstandes. Nur wenige hielten trotz fortgesetzter Quälereien jahrzehntelang aus, bis die hervorragende Elisabetha Spitzlin aus Lichtensteig ins Kloster eintrat. Dieser mit seltenen Eigenschaften des Geistes und Gemütes ausgestatteten Frau gelang es, eine gründliche Reform durchzuführen und ihr Gotteshaus zu einem Vorbild für alle ähnlichen Klöster zu machen. Sie wurde dabei von dem großen Kapuzinermissionar P. Ludwig aufs nachhaltigste unterstützt. Klosterfrauen aus Wattwil mussten in vielen Klöstern des In- und Auslands die Reform durchführen.

Elisabetha Spitzlin ließ auch ein neues geräumiges Klostergebäude errichten, wurde aber vor dessen Vollendung mit vielen ihrer Mitschwestern hinweggerafft, da im Jahr 1611 eine furchtbare Pestseuche ausgebrochen war. Neun Jahre später zerstörte eine heftige Feuersbrunst das neue Kloster binnen weniger Stunden, worauf ein Neubau zu Füßen der Iburg am gegenwärtigen Standort ausgeführt wurde, den Abt Bernhard im Jahr 1621 einweihte.

Zwei Stunden südlich von Wattwil erhebt sich auf einer prächtigen Anhöhe, mit seinen weißen Mauern weithin sichtbar, das Prämonstratenserinnenkloster Berg Sion, das der fromme Pfarrer Josef Helg von Libingen gegründet hat, und in dem ebenfalls die Ewige Anbetung geübt wird.

Zwei uralte Zisterzienserinnen-Abteien treffen wir zu Magdenau bei Flawil und in Mariazell-Wurmsbach am oberen Zürichsee. Letzteres besitzt eine treffliche Erziehungsanstalt für Töchter und hat gleichwie Magdenau für Wohltätigkeitszwecke sehr viel getan. Es wurde im Jahr 1259 von der gräflichen Familie zu Rapperswil gegründet und reich ausgestattet.

Magdenau ist eine Stiftung des edlen Geschlechts der Gielen von Gielsberg und Glattburg, die im Jahr 1244 das Kloster an wohlgelegener Stelle erbauen ließen und mit beträchtlichem Grundbesitz versahen. Reiche Schenkungen von Seiten anderer Adelsfamilien brachten die Abtei bald zu hoher Blüte, so dass sie schon im Jahr 1363 fünfzig Schwestern zählte. Nach dem Sieg der Katholiken über Zwingli wurde das dem Verfall nahe Kloster durch die Bemühungen Abt Diethelm Blarers wiederhergestellt. Beim Toggenburger Krieg im Jahr 1712 hatte es sehr viel zu leiden; der Klostervogt Christoph Lieber wurde gefangengenommen und enthauptet, weil er der Sache des Abtes Leodegar ergeben war.

Hohes Ansehen genoss während eines vollen Jahrtausends das adelige Damenstift Schänis, das mit der Abtei St. Gallen in geistlicher Verbindung stand. Die Äbtissin hatte den Titel einer Reichsfürstin und besaß weitreichenden Einfluss. Zur Zeit der Glaubensspaltung unterhielt die damalige Äbtissin Barbara Trüllerin einen lebhaften Briefwechsel mit Zwingli. Nach der Schlacht bei Kappel verschwindet aber jede Hinneigung zur Reformation. Die Mitglieder des Stifts genossen verschiedene Freiheiten und betrachteten dasselbe nicht als Kloster in strengerem Sinn. Sein Fortbestand wurde im Jahr 1811 als »unvereinbar mit den Zeitverhältnissen und republikanischen Staatseinrichtungen« des Kantons erklärt und dasselbe vom Großen Rat kurzerhand aufgehoben, sowie alles Besitztum an Gebäuden und Liegenschaften verkauft, das Vermögen nach Dotierung der zuständigen Pfründen und Kirchen zuhanden teils des Staates, teils der katholischen Fonds eingezogen und jeder Stiftsdame eine lebenslängliche Pension ausgesetzt. Heute befindet sich in den Räumen des ehemaligen Damenstifts eine Niederlassung der Barmherzigen Brüder mit Anstalt für ältere und gebrechliche Männer (Kreuzstift).

Von der einstigen Größe des Stifts gibt die herrliche Pfarrkirche von Schänis noch heute beredtes Zeugnis.
Bis ungefähr zum Jahr 1259 reicht das Kloster Maria Zuflucht in Weesen zurück, das sein Entstehen zwei Töchtern des Grafen Rudolf von Rapperswil verdankt. Später nahm es die Regel des heiligen Dominikus an. Während der Reformation eine Zeitlang unterdrückt, wurde es im Jahr 1533 durch die Schwyzer wiederhergestellt.

In Altstätten bestand schon ums Jahr 1258 eine Schwesternklause, aus der sich das Kloster Maria Hilf entwickelte. Es war der Obhut der Äbte von St. Gallen anvertraut, die ihm große Sorge angedeihen ließen. Ewige Anbetung und Mädchenerziehung sind seine vornehmsten Aufgaben.

Daneben besitzt Altstätten aus neuerer Zeit noch eine Niederlassung der Frauen vom Guten Hirten, die ein Hort des Segens und der Rettung für Tausende von gefährdeten Mädchen geworden ist.

Rorschach barg in seinen Mauern seit den Tagen Abt Bernhards 1618 das Anbetungskloster St. Scholastika, das von den beiden Schwesternhäusern Huntobel und Steinertobel zwischen Mörschwil und Tübach seinen Ursprung herleitet. Weil aber später der Bahnhof von Rorschach ganz in die Nähe des Klosters zu stehen kam, erwies sich eine Verlegung des Baus wegen der großen Unruhe und des vielen Rauches als dringend wünschbar. Deshalb wurde nahe bei Tübach in herrlicher Lage ein neues Kloster gebaut, wohin die Klosterfrauen von St. Scholastika am 25. Mai 1905 übersiedelten.

Es seien auch noch die vier Frauenklöster im Kanton Appenzell genannt: Grimmenstein, Appenzell, Leiden Christi bei Gonten und Wonnenstein. Sie folgen der dritten Regel des heiligen Franziskus. Mit Ausnahme von Leiden Christi, das sich erst um das Jahr 1910 von Wonnenstein abzweigte, reichen diese Stiftungen tief ins Mittelalter hinein.

Zur steten dankbaren Erinnerung an das einstige Kloster St. Gallen gemahnen endlich die verschiedenen Fonds, welche den Katholiken des Kantons aus dem ehemaligen Stiftsvermögen zugeschieden worden sind und nun den Zwecken der Diözese dienen. Die Verwaltung dieser Vermögenswerte wie auch die Aufsicht über die dem katholischen Konfessionsteil zustehenden Gebäude und Institutionen obliegt dem Katholischen Administrationsrat und dem Katholischen Kollegium.

Als ehrwürdigen Rest der einst so berühmten Klosterschule besitzen wir noch die Kantonsrealschule und die von Menzinger-Schwestern geleitete katholische Mädchenrealschule, welche beide zusammen von über 800 Schülern und Schülerinnen besucht werden und sich eines wohlverdienten Ansehens erfreuen. Auch die weltberühmte Stiftsbibliothek mit ihrer kostbaren Manuskriptenkammer und ihren wertvollen Bücherbeständen sowie das Stiftsarchiv sind fortlebende Zeugen der hohen geistigen Kultur des Klosters St. Gallen und stete Mahner an die Nachgeborenen, sich ihrer Väter würdig zu erweisen.

Jedes Jahr wird nach dem Gallusfest in der Kathedrale ein feierliches Jahrzeit mit Pontifikalrequien für die verstorbenen Bischöfe der Diözese, sowie für die Äbte und Kapitularen des einstigen Klosters gehalten. Wir legen damit die Kränze unverwelklicher Dankbarkeit auf die Gräber derjenigen nieder, die wir zu den größten Wohltätern unserer Heimat und unseres Volkes zählen müssen. Im alten Kreuzgang des Klosters und in der »Schwarzen Kapelle« (Herz-Jesu Kapelle) sowie im Innern der Kathedrale selber harren sie der Auferstehung entgegen.


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Literatur-Nachweis

Aus dem überaus reichen Schrifttum ergibt sich die große Bedeutung des Klosters St.Gallen. Von den vielen Werken seien die wichtigsten genannt.

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Ehrenzeller, Vadian, sein Leben und seine Bedeutung. St.Gallen 1924.

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Scheiwiler, Fürstabt Joachim Opser von St.Gallen, ein Beitrag zur Gegenreformation. In: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte, Bd. 12. online

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Sulzberger, Geschichte der Reformation in der Stadt St.Gallen. Heiden 1874.

Sulzberger, Geschichte der Reformation im Toggenburg. St.Gallen (ohne Jahr).

Ferner Chroniken von Johannes Kessler, Miles und Sicher.

Zu Kapitel 9:

Delabar, Cölestin Sfondrati, Abt von St.Gallen. Einsiedeln 1903.

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Grolig, die Buchdruckerei des Klosters St.Gallen 1633 bis 1800. In: Mitteilungen für Vaterländische Geschichte, Bd. 39.

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Scheiwiler, Abt Pius Reher von St.Gallen, ein edles Fürstenbild aus dem 17. Jahrhundert. In: Schweiz. Rundschau 1920.

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Steiger, Das Kloster St.Gallen im Lichte seiner kirchlichen Rechtsgeschichte. Freiburg 1925.

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Nota Bene: Zum Abschnitt »Hervorragende Mönche« vergleiche nochmals Henggeler, Professbuch der Abtei St.Gallen.

Bischof, Athanas Gugger und die theatergeschichtliche Bedeutung des Klosters St.Gallen im Zeitalter des Barock. In: Mitteilungen für Vaterländische Geschichte 1934.

Zu Kapitel 10:

Benz, Pfarrer Schön, ein Kämpfer aus den Toggenburgerwirren. Altstätten 1925.

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