Heute steht in Uznach keine Sankt Gallus-Kirche mehr, obwohl es hier im Mittelalter sogar deren zwei gab. Sowohl die Pfarr- als auch die Friedhofskirche sind Nachfolgebauten von Gotteshäusern, die einst den heiligen Gallus zum Patron hatten.
Uznach wird bereits um das Jahr 741 erstmals schriftlich erwähnt, und zwar unter den zahlreichen Gütern, die die wohlhabende alemannische Adelsfrau Beata ihrem Hauskloster Lützelau vermachte. Um 743 übergab Beata diese Güter dem Kloster St.Gallen, wo damals noch der heilige Gründerabt Otmar regierte. Beata beabsichtigte eine Pilgerfahrt nach Rom zu unternehmen und ließ sich von St.Gallen die dazu benötigten Reiseutensilien zur Verfügung stellen: fünf Pferde samt Zaumzeug, Sätteln und Decken sowie ausreichend Bargeld. Außerdem sollte das Kloster die ihm anvertrauten Besitzungen während Beatas Abwesenheit treu verwalten, um sie ihr bei einer allfälligen Heimkehr wieder zurückgeben zu können. Dazu kam es aber offenbar nicht. Zwei Urkunden von Beatas Sohn Lantbert, die den definitiven Übergang der ›Beata-Güter‹ an das Kloster St.Gallen bestätigen, lassen vermuten, dass die fromme Frau auf ihrer Reise verstarb – vielleicht in Rom selber, der Heiligen Stadt, am Ziel ihrer Pilgerfahrt.
Nicht einmal zwanzig Jahre lang verblieben die Uzner ›Beata-Güter‹ beim Kloster St.Gallen. Bereits um das Jahr 760 wurden sie im Rahmen der fränkischen Repressionspolitik in Alemannien konfisziert und dem Fiskus Zürich einverleibt. Auch der heilige Abt Otmar wurde ein Opfer der Machtpolitik. Er starb in der Verbannung. Sein Kloster kam für Jahrzehnte in die Abhängigkeit der Konstanzer Bischöfe. Erst unter Abt Gozbert (816–837) erlangte es wieder eine gewisse Selbständigkeit. Gozbert bemühte sich hartnäckig um die Rückgewinnung des entfremdeten Klosterbesitzes. Mit Erfolg: Am 15. Februar 821 restituierte Kaiser Ludwig der Fromme dem Kloster St.Gallen die Besitzungen in Uznach.
Für Gozbert galt es nun, die zurückgewonnenen Güter fest an sein Kloster zu binden. Kurzfristig tat er dies, indem er sich wiederholt persönlich (und mit zahlreichem Gefolge) nach Uznach begab; einerseits um hier Rechtsgeschäfte zu verhandeln, andererseits um mit seiner Präsenz den Herrschaftsanspruch seines Klosters zu markieren – eine Strategie, die er wohl dem damaligen Reisekönigtum abschaute. Zur langfristigen ›Realpräsenz‹ St.Gallens ließ Gozbert wahrscheinlich auch die erste Steinkirche von Uznach errichten, als deren Patron er Sankt Gallus einsetzte. In seinen Reliquien war der Heilige nun leibhaftig in der Uzner Kirche anwesend. Damit wurde sie zur untrüglichen Besitzmarke, zum Hoheitszeichen des Klosters St.Gallen. Dieses machte das verkehrstechnisch günstig gelegene Uznach zu einem regionalen Stützpunkt seiner Grundherrschaft. Die Sankt Gallus-Kirche bildete das Zentrum der mittelalterlichen Großpfarrei Uznach.
Die Uzner Sankt Gallus-Kirche – beziehungsweise deren Vorhalle – diente in der Folge auch als symbolträchtiger Verhandlungsort für Rechtsgeschäfte. Vom 21. März 854 stammt die älteste überlieferte Urkunde, die »in der Vorhalle der Basilika, die zu Ehren des heiligen Gallus geweiht ist« ausgestellt wurde. Von der Regierungszeit Abt Gozberts bis ins frühe 10. Jahrhundert erscheint Uznach vergleichsweise häufig als Ausstellungsort von Urkunden, was seine Bedeutung innerhalb der St.Galler Verwaltung unterstreicht. Im 10. Jahrhundert verschwindet Uznach dann allerdings für längere Zeit ganz aus der schriftlichen Überlieferung. Die Sankt Gallus-Kirche wird erst nach über 400 Jahren, in einem Ablassbrief von 1300, wieder fassbar.
Die Herrschaftsverhältnisse in Uznach hatten sich inzwischen stark verändert. Das Kloster St.Gallen hatte viele seiner einstigen Rechte an die Grafen von Toggenburg verloren. Diese hatten gegen Ende des 12. Jahrhunderts das Gebiet zwischen Ricken und Zürichsee unter ihre Herrschaft gebracht. Etwas östlich der ursprünglichen Siedlung und der Pfarrkirche von Uznach gründeten sie ein befestigtes Städtchen mit einer Burg. Wiederholt hatten Mitglieder der Toggenburger Grafenfamilie das Amt des Pfarrherrn an der Uzner Sankt Gallus-Kirche inne. So zum Beispiel zu Beginn des 14. Jahrhunderts Kraft III., der die Seelsorge für die Pfarreiangehörigen freilich nicht selber wahrnahm (er war gleichzeitig Chorherr in Konstanz und Probst in Zürich), sondern sich von einem Vikar vertreten ließ.
Kraft III. ließ um 1310 innerhalb der Stadtmauern von Uznach ein neues Gotteshaus errichten, das jedoch nicht in Konkurrenz zur Pfarrkirche treten, sondern als Familienkapelle und Grablege der Toggenburger dienen sollte. Als Patrone erhielt diese Kapelle den ›ritterlichen‹ Erzengel Michael – den ›Hausheiligen‹ der Toggenburger – sowie den Uzner Ortsheiligen Gallus. Damit gab es in Uznach nun zwei Gotteshäuser, die Sankt Gallus zum Patron hatten. Die Grafen von Toggenburg haben nach ihrer Machtergreifung die Gallusverehrung also nicht nur beibehalten, sondern sogar noch ausgebaut. Trotzdem wurde Sankt Gallus in beiden Uzner Kirchen schon bald aus seiner Ehre verdrängt.
Seit den 1370er Jahren förderten die Grafen von Toggenburg in Uznach die Ansiedlung von Antönierbrüdern (Antoniusbrüdern), einem Krankenpflegeorden, der nach der Augustinerregel lebte. Sie sollten in der Stadt ein Hospital errichten. Für ihren Gottesdienst erhielten die Antönier die Michaels- und Galluskapelle zugesprochen. Verständlich, dass die Brüder hier nun die Verehrung ihres Ordensheiligen Antonius förderten. Bereits im Jahr 1436 wird die Michaels- und Galluskapelle erstmals als ›Antoniuskapelle‹ bezeichnet. Dieser Titel setzte sich in der Folge durch, ohne dass eine formelle Neuweihe auf dieses Patrozinium stattgefunden hätte. Die ›Antoniuskapelle‹ wurde 1867 abgerissen. An ihrer Stelle entstand eine große, neue Kirche, die zur Stadtpfarrkirche erhoben und im Oktober 1870 der unbefleckten Empfängnis Mariae (1854 von Papst Pius IX. als Dogma verkündet) geweiht wurde.
Auch an der alten Uzner Pfarrkirche verlor das Galluspatrozinium im 15. Jahrhundert an Bedeutung. Dieses Gotteshaus, in dem es ein von der Bevölkerung besonders verehrtes Kruzifix und einen Kreuzaltar gab, änderte seinen Namen allmählich in ›Heiligkreuzkirche‹. Am 13. März 1407 gründeten die fahrenden Spielleute, Geiger und Pfeifer von Uznach in der Pfarrkirche die Kreuzbruderschaft. Diese erfreute sich schon bald bis weit über Uznach hinaus einer großen Beliebtheit, nicht nur bei fahrenden Musikanten, sondern in allen Bevölkerungsschichten. Der Kreuzaltar in der Sankt Gallus-Kirche war das spirituelle Zentrum der Kreuzbruderschaft und wurde reichlich mit Stiftungen bedacht. Er hatte einen eigenen Kaplan, also einen Priester (neben dem eigentlichen Pfarrer der Sankt Gallus-Kirche), der nur für den Gottesdienst am Kreuzaltar und die damit verbundenen geistlichen Verpflichtungen gegenüber den Angehörigen der Bruderschaft zuständig war.
Die Kreuzkaplanei dürfte bald besser dotiert gewesen sein als die Uzner Pfarreipfrund. Jedenfalls war sie im Jahr 1412 in der Lage, dem Kloster St.Gallen, das sich damals in einer katastrophalen Verfassung befand, um zwanzig Pfund Zehntrechte in Uznach abzukaufen. Der ›Pförtnerzehnt‹, gelegen um die ›alte Stadt‹ (das ursprüngliche Siedlungsgebiet von Uznach westlich der befestigten Stadt), war das letzte Recht gewesen, das dem Kloster St.Gallen von der einst so bedeutenden Grundherrschaft in Uznach noch verblieben war. Nun waren alle Verbindungen gelöst. Dass der Uzner Kirchenpatron Gallus nun mehr und mehr in den Hintergrund trat, hing wohl aber nicht in erster Linie mit dem Machtverlust St.Gallens zusammen. Denn unabhängig von der geistlichen, politischen und ökonomischen Verfassung des Klosters war Sankt Gallus grundsätzlich nach wie vor ein sehr beliebter Kirchenpatron. Nicht der (vorübergehende) Misserfolg des Klosters St.Gallen, sondern vielmehr der überwältigende Erfolg des Heiligkreuzes und seiner Bruderschaft führte in Uznach zum Namenswechsel der Pfarrkirche, der seinen Ursprung offenbar im Sprachgebrauch der einheimischen Bevölkerung hatte. ›Offiziell‹ wird das Gotteshaus in einer päpstlichen Urkunde von 1493 immer noch als Galluskirche bezeichnet, wobei Sankt Otmar (dem Uznach einst geschenkt worden war) als Kompatron erscheint.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts war die Pfarrkirche von Uznach zu klein geworden. Deshalb erlaubte der Bischof von Konstanz 1480 die Feier von Gottesdiensten auf dem Feld vor der Kirche. 1482 wurde eine Kollekte für einen Neubau durchgeführt. Der Baubeginn dürfte allerdings erst in den 1490er-Jahren erfolgt sein. 1497 musste erneut Geld für den Kirchenbau gesammelt werden, bevor dieser um das Jahr 1505 fertiggestellt werden konnte. Eine Weiheurkunde oder -notiz der neuen Kirche ist nicht überliefert, weshalb wir das damals gewählte Patrozinium nicht mit Sicherheit bestimmen können. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Sankt Gallus bei der Neuweihe nicht vergessen gegangen ist: Noch in den Konstanzer Kirchenverzeichnissen des 18. Jahrhunderts wird nach dem Heiligkreuz immer auch Sankt Gallus als zweiter Patron der Pfarrkirche von Uznach angegeben.
Die Kreuzkirche war bis 1870 Pfarrkirche von Uznach. Dann wurde sie in dieser Funktion von der neu errichteten Kirche ›Mariae unbefleckte Empfängnis‹ abgelöst, die an der Stelle der alten Michaels- und Gallus- beziehungsweise Antoniuskapelle errichtet worden war. Die Heiligkreuzkirche hatte in der Barockzeit im Inneren eine tiefgreifende Umgestaltung erfahren, die jedoch 1887/88, als sie nicht mehr Pfarrkirche war, wieder radikal entfernt wurde. Nachdem – dem damaligen Geschmack und Frömmigkeitsempfinden gemäß – schon die neue Stadtpfarrkirche im neugotischen Stil errichtet worden war, erhielt nun auch die Kreuzkirche eine neugotische Innenausstattung. Schon bald gefiel dieser Stil aber nicht mehr. Die Stadtpfarrkirche wurde bereits 1938–40 grundlegend umgestaltet und vergrößert. Die Säulen im Kirchenschiff, die den freien Blick auf den Altar behinderten, wurden entfernt und eine Heizung eingebaut. Die der Gotik nachempfundenen Verzierungen am Kirchenäußern verschwanden und es entstand ein neuer Turm.
In der Kreuzkirche wurde die neugotische Ausstattung in den 1960er-Jahren entfernt und die Kirche in ihren (theoretischen) ursprünglichen Bauzustand rückgeführt. Obwohl die Kirche dabei zugegebenermaßen sehr schöne Proportionen zurückerhalten hat, so hat sie bei dieser ›Purifizierung‹ dennoch viel von ihrer Individualität und (Bau-)Geschichte verloren. Der bedeutende Schweizer Kunsthistoriker Bernhard Anderes schrieb dazu: »Die Kreuzkirche vertritt in der heutigen Form den landläufigen Bautyp der spätgotischen Pfarrkirche«. Mit anderen Worten: Dieses Gotteshaus könnte irgendwo im christlichen Europa stehen. Von seiner ursprünglichen Bedeutung für Uznach, seiner Geschichte als Pfarrkirche und von der einst so bedeutenden Kreuzbruderschaft und dem Kreuzaltar erzählt hier nichts mehr. Das gewaltige Chorbogenkreuz stammt zwar aus der Zeit der Spätgotik, seine Provenienz ist jedoch unklar. Sicher handelt es sich dabei nicht um jenes in Uznach einst hoch verehrte Kreuz, das die einstige Sankt Gallus-Kirche zur Kreuzkirche werden ließ.