Tuggen nimmt in den Lebensbeschreibungen von Gallus eine wichtige Rolle ein. An diesem Ort tritt der Heilige erstmals als Missionar in Erscheinung. Entschlossen brennt er die Heiligtümer der ansässigen Heiden nieder, versenkt ihre Opfergaben im See. Damit zieht er jedoch den Zorn der Einheimischen auf sich und seine Gefährten. Abt Columban sieht sich gezwungen, mit seinen Jüngern aus Tuggen zu fliehen, obschon die Mönche diesen Ort als geeigneten Wohnplatz empfunden hatten. In seiner Enttäuschung verflucht Columban die Bewohner von Tuggen samt ihren Nachkommen, »damit bis in Ewigkeit ihre Schande für alle sichtbar bleibe«.
Die Bedeutung der Tuggener Missions-Episode, die nur in der Gallus-, nicht aber in der Columbansvita überliefert ist, ist schwer zu interpretieren. Etliche Forschende haben sich darüber schon den Kopf zerbrochen. Denn ausgerechnet in Tuggen, dem angeblich verfluchten Ort, stand die älteste christliche Kirche weit und breit. Die archäologischen Befunde zeigen, dass sie noch zu Lebzeiten von Gallus entstanden sein dürfte und damit erheblich älter ist als die Lebensbeschreibungen des Heiligen.
Freilich spielte Sankt Gallus in der Tuggener Kirche nie eine zentrale Rolle. Deren älteste nachweisbare Patronin ist Maria (1116); heute sind es die Heiligen Erhard und Viktor. Tuggen gehörte vom Frühmittelalter bis 1656 dem Kloster Pfäfers, von dem wohl auch das Marienpatrozinium herzuleiten ist. Das Kloster St.Gallen dagegen scheint in Tuggen nie im Besitz von irgendwelchen Rechten oder Gütern gewesen zu sein.
Trotzdem ist in Tuggen die Erinnerung an die irischen Wandermönche, und insbesondere den ungestümen Götzenstürmer Gallus, wach geblieben. Ob diese Erinnerung auf einen tatsächlichen Ansiedlungsversuch der Mönche um das Jahr 611 zurückgeht oder doch eher auf einer späteren Rezeption der Gallusvita beruht, soll hier offen bleiben. Jedenfalls lässt sich in Tuggen seit der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts ein Gallusbrunnen nachweisen, in dem sich das Andenken an unseren Heiligen manifestiert.
Der lokalen Tradition gemäß hatten sich Columban und seine Jünger – von Zürich her kommend – auf der Anhöhe ›Egg‹ zwischen Tuggen und Wangen niedergelassen. Von hier aus überschaute man den damals noch nicht verlandeten, fischreichen Tuggenersee. Deshalb schien dieser Ort nicht bloß für einen kurzen Aufenthalt, sondern auch für eine Klostergründung durchaus geeignet. Es gab hier sogar eine ergiebige Frischwasserquelle. Ihr Entdecker, so wurde schon argumentiert, müsse Sankt Gallus gewesen sein. Dies könne man aus dem bis in die heutige Zeit überlieferten Namen ›Gallenbrunnen‹ schließen.
Wie weit die Pläne für eine Klostergründung schon gediehen waren, als die Bewohner von Tuggen die irischen Missionare wieder aus der Gegend verjagten, wagte noch niemand mit Sicherheit zu bestimmen. Man konnte sich jedoch vorstellen, dass das ehemalige Brunnenhaus des ›Gallenbrunnens‹ auf der Egg noch ein Relikt aus der Missionszeit war. Dieser 1918 abgebrochene Steinbau sei ursprünglich jedoch nicht als Brunnenhaus gebaut worden, sondern trage vielmehr den Charakter einer Mönchszelle. Ob es sich gar um die Zelle des heiligen Gallus handelte, in der später das segensreiche Quellwasser gesammelt wurde? Auch diese These wurde schon geäußert.
Wissenschaftlich lässt sich die im lokalen Geschichtsbild verankerte Niederlassung der irischen Mönche auf der Egg bisher nicht erhärten, weder quellenmäßig noch archäologisch. Und dass die Bezeichnung ›Gallenbrunnen‹ oder gar das ehemalige Brunnenhaus tatsächlich bis ins frühe 7. Jahrhundert zurückreichen, ist doch eher unwahrscheinlich. Wenn man freilich, gestützt auf die Lebensbeschreibungen des heiligen Gallus, in Tuggen nach einem günstig gelegenen Ort suchen möchte, an dem sich die irischen Mönche um Sankt Columban niedergelassen haben könnten, dann wird man die Egg auf jeden Fall in Betracht ziehen müssen.
Auf der Egg erinnert seit 1910 eine Wegkapelle an den in Tuggen erfolglosen Missionar Gallus. Sie steht ganz in der Nähe des 1918 in den Untergrund verlegten ›Gallenbrunnens‹, also an jenem Ort, wo die irischen Glaubensboten um das Jahr 611 ihre Niederlassung gehabt haben sollen. Von diesem schönen Südhang aus überblickt man die gesamte March. Es scheint deshalb gut nachvollziehbar, wenn der Gallusbiograf Walahfrid Strabo in seiner Vita sancti Galli berichtet, die Beschaffenheit dieses Ortes habe den irischen Mönchen zum Wohnen sehr gut gefallen: placuit illis loci qualitas ad inhabitandum.