(Kirchen-) Patrozinium

Auf sanktgallus.net sammeln und dokumentieren wir all jene Gotteshäuser, die den heiligen Gallus als Patron haben bzw. einst hatten: Das Patrozinium des heiligen Gallus verbindet uns.

Bereits das römische Recht kannte unter dem Begriff Patrocinium die Pflicht des Patrons, seine Klienten zu schützen. Seit dem 4. Jahrhundert erscheint dieser Schutzauftrag in abgewandelter Form auch im christlichen Gedankengut. »Der Heilige, ausgezeichnet durch seine irdisch-himmlische Doppelexistenz, stand vom Jenseits aus seinen Schutzbefohlenen bei, die sich an seinem Grab bzw. an seinen Reliquien an ihn wenden konnten.« (Flachenecker) Seit dem fünften Jahrhundert galten die (nota bene immer zunächst Gott geweihten) Kirchen zunehmend auch als bestimmten Heiligen gewidmet, und zwar jenen Heiligen, deren Reliquien man in der jeweiligen Kirche aufbewahrte. Bereits im sechsten Jahrhundert durfte in Gallien kein Altar mehr ohne Reliquien sein, wobei darunter allerdings nicht nur Gebeine zu verstehen sind. So hatte etwa Papst Gregor der Große – ein Zeitgenosse des heiligen Gallus – zur Verwendung von Berührungsreliquien geraten, nämlich Tüchern, die zuvor über ein Heiligengrab gelegt worden waren, wodurch sie die nötige Heiligkeit in sich ›aufsogen‹. Die nun in jeder Kirche befindlichen Reliquien konnten in der Folge namens- und patrozinienbildend wirken. Das ›Haus des Herrn‹ wurde so auch zum ›Haus der Heiligen‹, wie es der Theologe und Kirchenhistoriker Arnold Angenendt treffend formulierte.

Die Weihe einer Kirche auf den Namen eines in Reliquien präsenten Schutzpatrons begründete ein enges religiöses und rechtliches Verhältnis zwischen dem Heiligen und seinen Schutzbefohlenen. Und dieses wurde von den Menschen durchaus pragmatisch gedacht. Man rechnete damit, dass ein Heiliger bei Verstößen seinen Schutz entziehen oder sich auf sonst eine geeignete Weise rächen konnte. Auch die Gallusviten kennen Beispiele, wie der Heilige seinen Unmut über inkorrektes Verhalten kundzutun wusste (vgl. z.B. Wetti, c. 35, 37). Umgekehrt konnten aber auch die Menschen ihrem Patron bei ausbleibender Hilfe den gebührenden Kult verweigern oder ihn sogar ganz austauschen. So konnte es an Kirchen gelegentlich zu Patrozinienwechseln kommen, etwa wenn der verehrte Heilige aus religiösen, politischen oder sozialen Gründen seine Attraktivität verlor, aber auch, wenn eine Kirche in den Besitz von ›attraktiveren‹ Reliquien gelangte, welche die bisherigen in den Hintergrund drängten.

Im frühen Mittelalter war die Anzahl der zur Auswahl stehenden Kirchenpatrozinien noch relativ beschränkt, insbesondere wenn wir mit Arnold Angenendt davon ausgehen, dass diese vor allem durch Reliquienbesitz bestimmt wurde. Typische und weit verbreitete Kirchenheilige des Frühmittelalters waren – neben der Gottesmutter Maria – Johannes der Täufer, Petrus und Paulus sowie der Erzmärtyrer Stephan, aber auch Sankt Georg und Martin von Tours. Neben diesen bekannten gab es auch eine Anzahl weniger bekannte, auf einen einzelnen Ort oder eine kleine Region beschränkte Patrozinien, welche offensichtlich in einem Zusammenhang mit entsprechendem Reliquienbesitz zu sehen sind. Im Frühmittelalter spielten neben den Bischöfen insbesondere die hervorragend vernetzten Klöster eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung von Kirchenpatrozinien, indem sie untereinander Reliquien austauschten.

Der Brauch, Kirchen neben Gott auch einem Heiligen zu widmen, hat seine Wurzeln in der Antike. Die erste Sankt Gallus-Kirche entstand über dem Grab des Heiligen, wo heute die großartige St.Galler Kathedrale steht. (2015)

Ab dem 11. Jahrhundert beginnt dann sowohl für die Heiligenverehrung als auch für die Kirchenpatrozinien ein neues Zeitalter. Durch die Kreuzzüge gelangten viele neue Heiligenkulte und –reliquien aus dem Süden und Osten nach Zentral- und Westeuropa. Reformklöster und –orden übten nicht nur einen großen Einfluss auf die Volksfrömmigkeit aus, sie förderten auch spezifische, bisweilen noch kaum bekannte Patrozinien, beispielsweise dasjenige des heiligen Nikolaus (vgl. z.B. Neumarkt). Die reformorientierten Klöster gaben aber auch bereits bekannten Patrozinien neue Impulse, so etwa jenen von Maria, Petrus und Stephan.

Auch die verschiedenen Stände gaben sich jetzt eigene Patrone, denen sie ihre Kirchen und Kapellen weihten. Die Ritter erwählten vorzugsweise Sankt Georg, Sankt Mauritius oder Sankt Sebastian; die Bauern wiederum Wolfgang, Wendelin oder Notburga. Unzählige Bruderschaften entstanden und gaben sich ihre je eigenen Patrone. Die Sonderpatronate einzelner Heiliger erlangten im Spätmittelalter eine völlig neue Dimension: Für jedes Anliegen, für alle Situationen und Dinge im Leben gab es einen zuständigen Heiligen, an den man sich vertrauensvoll wenden konnte. Sankt Sebastian als Pestheiliger ist sicher eines der bekanntesten Beispiele eines Sonderpatrons, dem seit dem Spätmittelalter unzählige Kirchen bzw. vor allem Kapellen geweiht wurden. Sankt Gallus wurde bei Fieberkrankheiten angerufen und für das Gedeihen des Federviehs. In erster Linie aber galt Sankt Gallus als Patron seines Klosters und dessen Herrschaft.

Im 15. Jahrhundert wurde die Zahl der Kirchenheiligen und ihrer Patronate, die sich zunehmend überschnitten, schier unüberschaubar. Neben Sebastian gab es mehr als 60 weitere Pestheilige. Bei all dieser Spezialisierung und Ausweitung ist jedoch zu beobachten, dass die für größere Gemeinschaften bestimmten Gotteshäuser, also etwa die Pfarrkirchen, in der Regel weiterhin solchen Patronen anvertraut blieben, welche die Interessen der gesamten Gemeinde zu wahren versprachen.

Die Reformation brachte ein neues Verständnis der Heiligen und der Beziehung der Menschen zu Gott. In evangelisch-reformierten Gebieten – insbesondere in der Schweiz – wurden die Kirchenpatrone ganz beseitigt. Viele Kapellen, die nicht mehr benötigt wurden, verschwanden. Es fällt uns wegen der unsicheren Quellenlage oft schwer, das mittelalterliche Patrozinium von heute evangelisch-reformierten Kirchen zu bestimmen (vgl. z.B. Langenthal, Dielsdorf). Evangelisch-lutherische Kirchen tragen dagegen auch heute noch oft einen Heiligennamen.

Evangelisch-reformierte Kirchen in der Schweiz tragen in der Regel keinen Heiligennamen mehr. Ausnahmen wie die Galluskapelle von Oberstammheim gibt es allerdings. (2016)

Die katholische Gegenreform hielt am Patrozinienwesen fest. Allerdings wurde die Vergabe von den Bischöfen nun restriktiver gehandhabt, womit sich der Kreis der Kirchenpatrone wieder verengte. Gleichzeitig brachte die katholische Reform ihre spezifisch eigenen Patrozinien hervor. Das Marienpatrozinium gehörte auch jetzt wieder dazu. Neue Patrozinien – wie etwa dasjenige von Karl Borromäus – wurden geschaffen. Die Bedeutung der Reliquien blieb grundsätzlich unbestritten. Noch im heute gültigen allgemeinen Kirchenrecht bestimmt can. 1237 § 2 CIC: »Die alte Tradition, unter einem feststehenden Altar Reliquien von Märtyrern oder anderen Heiligen beizusetzen, ist nach den überlieferten Normen der liturgischen Bücher beizubehalten.«

Evangelisch-lutherische Galluskirchen gibt es zahlreiche, zum Beispiel die 1890/1891 errichtete Sankt-Galluskirche im nordfriesischen Neugalmsbüll. (2014)