Tuningen

Der einstige Standort der Tuninger Sankt Gallus-Kirche wird im Gewann Vogelösch vermutet. (2016)
Eine Informationstafel am Spazierweg weist auf die lange Geschichte von Tuningen hin. (2016)
Die Pfarrkirche Sankt Gallus lag wahrscheinlich etwas außerhalb des heutigen Dorfkerns an der Straße nach Sunthausen. (2016)
Ursprünglich gehörten wohl auch die Nachbarorte Weigheim, Mühlhausen, Hochemmingen und Sunthausen zur Sankt Gallus-Pfarrei Tuningen. Die Galluskirche war damit mehr als nur die ›Dorfkirche‹ von Tuningen, sondern das spirituelle Zentrum eines größeren Einzugsgebiets. (2016)
Die evangelische Kirche von Tuningen steht nicht über der ehemaligen Pfarrkirche Sankt Gallus, sondern über der mittelalterlichen Friedhofskapelle im Dorfkern, deren Patron der Erzengel Michael war. (2016)
Der Kirchturm der evangelischen Kirche von Tuningen stammt aus dem Jahr 1686. Zwischen 1728 und 1731 entstand das Kirchenschiff. (2016)
Auch auf dem Dorfplatz von Tuningen wird an den irischen Glaubensboten Gallus und die alte Sankt Gallus-Kirche von Tuningen erinnert. (2016)
Nachdem die Tuninger Katholiken seit 1955 die evangelische Kirche für ihren Gottesdienst nutzen durften, konnten sie 1968 eine eigene Kirche weihen. (2016)

Die älteste schriftliche Erwähnung Tuningens stammt vom 30. Juli 797. Damals übertrug ein gewisser Trudbert seinen Besitz in Weigheim und Trossingen an das Kloster St.Gallen und ließ seine Schenkung in einer Urkunde festhalten. Das Rechtsgeschäft fand in Anwesenheit von Zeugen in Dainingas statt – so wurde der Ortsname Tuningen damals noch geschrieben. Zwanzig Jahre später, am 4. Juni 817, begegnet uns dann die Namensform Teiningas, und zwar in einer Urkunde Ludwigs des Frommen für das Kloster St.Gallen. Darin sicherte der Kaiser dem Kloster die Erträge von insgesamt 47 Mansen Land in zahlreichen Orten Schwabens zu, vier davon in Tuningen.

Bald erlangte St.Gallen noch mehr Eigentum in Tuningen. Am 1. September 818 übertrug Cundfred dem Kloster seinen Besitz in Teiningas. Im Jahr 870 kamen tauschweise noch weitere Besitzungen dazu. Wie umfangreich die klösterlichen Güter in Tuningen tatsächlich waren, können wir heute nicht mehr genau rekonstruieren. Möglicherweise gehörte sogar eine Kirche dazu, die vielleicht vom Kloster selber errichtet wurde. Jedenfalls ist für Tuningen eine mittelalterliche Sankt Gallus-Kirche urkundlich belegt, was auf eine enge Beziehung zum Kloster St.Gallen hinweisen könnte. Auch an etlichen anderen Orten weist das Galluspatrozinium quasi als Hoheitszeichen auf den Einfluss des Klosters St.Gallen (im Frühmittelalter) hin, beispielsweise in Wasserburg, Willmandingen oder Wurmlingen.

St.Gallen ließ seine Tuninger Güter von weltlichen Beamten verwalten. Diese handelten allerdings nicht immer im Interesse des Klosters. Die ›Maier von Tuningen‹ stiegen wohl auf Kosten ihrer Dienstherren von klösterlichen Verwaltern in den Niederadel auf. Am 21. Juni 1297 reichte der St.Galler Propst Heinrich von Lupfen beim Konstanzer Offizial Klage gegen Konrad von Grünburg ein, der dem Kloster Zehnten in Tuningen und anderen Orten auf der Baar entfremdet habe. Wie die Auseinandersetzung ausging, wissen wir leider nicht, denn der Prozessrodel ist nicht vollständig überliefert. Nach diesem Rechtsstreit erscheint Tuningen jedoch nicht mehr in den St.Galler Urkunden. Der Ort gehörte schon 1299 hauptsächlich zur Herrschaft Lupfen, in der vielleicht auch die einstigen St.Galler Rechtsansprüche aufgegangen sind.

Die Kirche und die Pfarrei von Tuningen werden um 1220 erstmals erwähnt. Das Galluspatrozinium wird nur in einer einzigen Urkunde schriftlich fassbar, und zwar in einem eindrücklichen Ablassbrief vom 25. April 1338. Heute ist die Kirche längst verschwunden. An ihrem vermuteten einstigen Standort wurden noch nie archäologische Grabungen durchgeführt, weshalb sie nur schwer zu fassen ist. Ihr Alter bleibt im Dunkeln. Das Galluspatrozinium könnte – wie oben ausgeführt – ins 9. Jahrhundert verweisen, wobei die Kirche – mit anderem Patrozinium – aber natürlich auch älter sein könnte als der St.Galler Einfluss in Tuningen. Sankt Gallus könnte freilich auch erst von den Herren von Lupfen als Patron eingesetzt worden sein, die beispielsweise um 1300 mit Propst Heinrich einen guten Draht nach St.Gallen hatten. Aber das sind alles Spekulationen. Die Geschichte der verschwundenen Sankt Gallus-Kirche von Tuningen bleibt geheimnisvoll.

Die Reformation leitete das Ende der Tuninger Sankt Gallus-Kirche ein. Kurz vor Weihnachten 1535 verließ Pfarrer Ludwig Schöttlin nach 18-jähriger seelsorgerischer Tätigkeit die Pfarrei. Er war der letzte katholische Priester von Tuningen. Die Gemeinde hatte beschlossen, sich der lutherischen Lehre zuzuwenden. Die Pfarrkirche Sankt Gallus verwaiste, denn die evangelische Gemeinde hielt ihre Gottesdienste fortan in der Tuninger Friedhofskapelle ab. Diese erhielt 1686 (Turm) beziehungsweise 1728–31 (Schiff) ihre heutige Form. Die Sankt Gallus-Kirche wurde wohl während des Dreißigjährigen Kriegs zerstört. Wie die ganze Region litt damals auch Tuningen große Not und verlor mehr als die Hälfte seiner Einwohner.

Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein blieb die Zahl der Katholiken in Tuningen klein. Nachdem sie dann aber kontinuierlich zugenommen hatte, stellte die evangelische Gemeinde ab 1955 den katholischen Mitbürgern ihr Gotteshaus zur Verfügung, damit hier jeweils am Sonntagmorgen die Heilige Messe gefeiert werden konnte. Am 15. September 1968 weihten die Tuninger Katholiken eine eigene Kirche. Sie erhielt die heilige Mutter Anna als Patronin.


Literatur

Erhart, Peter, Herr und Nachbar. Beziehungen zwischen dem Kloster St.Gallen und der Baar in der Karolingerzeit, in: Volkhard Huth, R. Johanna Regnath (Hg.), Die Baar als Königslandschaft. Tagung des Alemannischen Istituts vom 6.-8. März 2008 in Donaueschingen, Ostfildern 2010, S. 127–160.

Erhart, Peter; Kuratli Hüeblin, Jakob; Oberholzer, Paul, 1400xGallus, St.Gallen 2012.

Gemeinde Tuningen (Hg.), Heimatchronik Tuningen, Tuningen 1997.

Haid, Wendelin, Liber decimationis cleri Constanciensis pro Papa de anno 1275, in: Freiburger Diözesanarchiv 1 (1865), S. 1–303.

Hoffmann, Gustav, Kirchenheilige in Württemberg, Stuttgart 1932 (Darstellungen aus der Württembergischen Geschichte 23).

Huth, Volkhard; Regnath, R. Johanna (Hg.), Die Baar als Königslandschaft. Tagung des Alemannischen Instituts vom 6.-8. März 2008 in Donaueschingen, Ostfildern 2010 (Veröffentlichung des Alemannischen Instituts 77).

Klamert, Erich, Zeitspiegel der Tuninger Geschichte. Die digitale Version, hg. von Emil Klaiber, Norderstedt 2019.

Landesarchivdirektion Baden-Württemberg (Hg.), Das Land Baden-Württemberg. Amtliche Beschriebung nach Kreisen und Gemeinden, Band VI. Regierungsbezirk Freiburg, Stuttgart 1982.

Pietschmann, Dieter-Robert, Kirchenburgen in Baden-Württemberg, Weinheim-Sulzbach 2004-2011.

Staerkle, Paul, Von den Sankt Gallus-Patrozinien, in: Bischöfliches Ordinariat und Katholischer Administrationsrat St.Gallen (Hg.), Sankt Gallus Gedenkbuch. Zur Erinnerung an die Dreizehnhundert-Jahr-Feier vom Tode des heiligen Gallus am 16. Oktober 1951, St.Gallen 1952, S. 48–74.

Ulmer, Günther A., Tuningen als Wallfahrtsort. Auf den Spuren der Kirche des heiligen Gallus, in: Almanach. Heimatjahrbuch des Schwarzwald-Baar-Kreises 21 (1997), S. 212–215.

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Stand: Dezember 2020