Am 23. September 1152 weihte Erzbischof Eberhard I. von Salzburg etwa vier Marschstunden vom Kloster Admont entfernt die Kirche des heiligen Gallus im Wald – ecclesiam s. Galli in silva. Der Edle Gottfried von Wetternfeld hatte dieses Gotteshaus gestiftet und überaus reich dotiert. Er übergab es dem Kloster Admont, das die Seelsorge in der neu errichteten Pfarrei sicherstellen und ein Hospiz für Durchreisende unterhalten sollte. So entstand in den Ennstaler Alpen, weit entfernt von den Wirkungsstätten des heiligen Gallus am Bodensee, ein neues St.Gallen.
Wir wüssten gerne mehr über Gottfried von Wetternfeld, den großzügigen Stifter von St.Gallen in der Steiermark. Offenbar besaß er weit verstreute Güter; seinen Stammsitz hatte er wohl auf Burg Wetterfeld bei Roding. Urkundliche Belege zeigen uns Gottfried als wichtige Persönlichkeit seiner Zeit: als Ministerialen des Markgrafen Diepold III. von Vohburg sowie König Konrads III., des Staufers.
Am Königshof könnte Gottfried in den Besitz von Gallusreliquien gekommen sein, die seine Patrozinienwahl ja erst ermöglichten. Auch der damalige St.Galler Abt Werinher (1133–1167) hielt sich nämlich öfters am Hof auf. Denkbar, dass Werinher bisweilen Reliquien des heiligen Gallus mitführte und diese an interessierte Kirchenstifter abgab. Gesichert ist das zwar nicht, aber immerhin ließe sich so die Entstehung von St.Gallen in der Steiermark erklären.
Die Geschichte von St.Gallen – das 1397 das Marktrecht erhielt – verlief weitgehend in ruhigen Bahnen. Die Weltpolitik hat sich außerhalb des beschaulichen Bergtals abgespielt. Doch unbedeutend war St.Gallen deswegen nicht. Wald- und Wasserreichtum machte die Region seit dem 13. Jahrhundert zu einem wichtigen Zentrum der Eisenindustrie. In zahlreichen Eisenhämmern wurde das am nahe gelegenen Erzberg gewonnene Eisenerz verhüttet. 1492 gründeten die Hammerleute von St.Gallen eine Bruderschaft. Ihr Mittelpunkt war die Kirche des heiligen Gallus, die vom guten Geschäftsgang der Hammerwerke profitierte: 1523 konnte eine von Grund auf neu gebaute spätgotische Pfarrkirche geweiht werden. Vier Priester kümmerten sich um die Seelsorge.
Schon bald nach Fertigstellung der neuen Galluskirche hielt im Ennstal die Reformation Einzug. Obwohl St.Gallen zur Herrschaft des Klosters Admont gehörte, scheint es deswegen keine ernsthaften Auseinandersetzungen gegeben zu haben. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war die gesamte Bevölkerung von St.Gallen evangelisch.
Folgenschwerer war die Gegenreformation, die in der Region um 1600 einsetzte. Die Bevölkerung war vor die Wahl gestellt, entweder den alten Glauben wieder anzunehmen oder wegzuziehen. Noch bis 1617 konnten im Ennstal Zwangsausweisungen verhindert werden, wofür sich auch das Kloster Admont einsetzte; nicht ganz uneigennützig, denn mit den evangelischen Hammerherren drohte St.Gallen seinen Wirtschaftsmotor – und das Kloster wichtige Einnahmen – zu verlieren. Zum Untergang der St.Galler Eisenindustrie hat die Ausweisung der Evangelischen zu Beginn des 17. Jahrhunderts zwar nicht geführt. Bald musste jedoch die Rentabilität der Hammerwerke mit schmerzhaften Umstrukturierungen gesichert werden.
Die Barockzeit brachte in Sankt Gallen eine rege Bautätigkeit. 1715 wurde der Pfarrhof errichtet, von 1736 bis 1753 etappenweise die Galluskirche erweitert und barockisiert. Namhafte Baumeister und Künstler waren daran beteiligt, so zum Beispiel Bartolomeo Altomonte, dem wir auch die künstlerische Ausgestaltung der großartigen Admonter Stiftsbibliothek verdanken.
Das 19. Jahrhundert brachte das Ende der Eisenindustrie. Die Hammerwerke verschwanden allmählich aus St.Gallen. Ein sichtbares Zeichen des Niedergangs stellte 1831 die Auflassung der Burg Gallenstein dar, die seit dem 13. Jahrhundert auf einem Felssporn über St.Gallen thronte und das regionale Herrschaftszentrum des Klosters Admont war. Gallenstein hatte seit seiner Errichtung wiederholt als Fluchtburg gedient – nicht nur für Menschen, sondern auch für Kirchen-, Archiv- und Bibliotheksschätze. Die Festung wurde nie von Feinden gebrochen, und selbst nach ihrer Aufgabe widersetzte sie sich ihrer totalen Zerstörung. Die Mauern erwiesen sich als zu stark für einen Abbruch, weshalb nur Holz, Ziegel und Metallbestandteile abgeführt wurden.
St.Gallen hat nach dem Ende der Hammerwerke neue Perspektiven gefunden, zum Beispiel als Tourismusort. Dank seiner wunderbaren Landschaft, dem Markt, der Ruine Gallenstein und der Sankt-Galluskirche zählt St.Gallen heute zu den schönsten Orten der Steiermark. Die Kirche erfuhr im 20. Jahrhundert mehrere Erneuerungen. 1909–1910 wurden unter anderem die damals akut einsturzgefährdeten Emporen gesichert und ein direkter Zugang von außen auf die obere Empore geschaffen. Außerhalb der Gottesdienstzeiten gelangt man heute nur über diesen Zugang in die Kirche.