San Gallo (Strassoldo)

Von der alten Sankt-Galluskirche im friulanischen San Gallo ist heute nichts mehr zu sehen. (2016)
Auf diesem Acker stand sie, die Sankt-Galluskirche von San Gallo. Selbst ihre letzten Überreste mussten der effizienten maschinellen Landwirtschaft weichen. (2016)
Um 1920 war das Mauerwerk des verfallenen Gotteshauses noch gut erkennbar, 1985 immerhin noch das Fundament. Entsprechende Bilder sind in der Publikation Le Chiese di Strassoldo e altre Notizie von Antonio und Luigi Deluisa abgebildet. (2016)
Der Ortsname San Gallo existiert heute noch und erinnert an die verschwundene Galluskirche, die hier einst stand. (2016)
Der Ortsname San Gallo entstand in Anlehnung an den örtlichen Kirchenpatron, den heiligen Gallus. Er setzte sich erst im 16. Jahrhundert gegen den ursprünglichen Ortsnamen Cerclaria durch. (2016)
San Gallo liegt ganz in der Nähe des alten Patriarchats Aquileia, dem ab 1086 der St.Galler Abt Ulrich von Eppenstein vorstand. (2016)
Die Basilika von Aquileia ist ein eindrückliches Denkmal der europäischen Kirchen- und Kulturgeschichte. (2016)

Einige hundert Meter abseits der alten Via Iulia Augusta, die von Aquileia über die Alpen Richtung Kärnten und Osttirol führt, stand einst eine Kirche, die dem heiligen Gallus geweiht war. An ihr vorbei führte eine Verbindungsstraße zur Via Ungaresca, die im Mittelalter eine wichtige Ost-/Westverbindung zwischen der Mark Treviso und Friaul darstellte. Dem Gotteshaus war ein kleiner Konvent bzw. eine Einsiedelei angefügt, was auf die Funktion eines Hospizes für Durchreisende hindeuten könnte.

Die Errichtung der Sankt Gallus-Kirche dürfte durch das Kloster Moggio erfolgt sein, das selber ebenfalls den heiligen Gallus zum Patron hatte. Moggio war um 1118 geweiht worden und verdankte sein Patrozinium Ulrich von Eppenstein, der gleichzeitig Abt von St.Gallen und Patriarch von Aquileia war. Seit seiner Erhebung zum Patriarchen im Jahr 1086 hielt sich Ulrich vornehmlich in Aquileia auf, das nur rund 15 Kilometer von unserer Sankt-Galluskirche entfernt liegt. Eine direkte Verbindung zu Ulrich lässt sich allerdings nicht nachweisen.

Die erste schriftliche Erwähnung der Galluskirche stammt vom 17. Mai 1334. Damals verfügte Bernhard von Strassoldo in seinem Testament unter anderem: »Ich vermache der Kirche des heiligen Gallus in Cerclaria vierzig Denare.« Die Ortschaft, in der die Sankt-Galluskirche stand, hieß damals noch Cerclaria. Erst im 16. Jahrhundert setzte sich der heutige, vom Kirchenpatrozinium abgeleitete Ortsname San Gallo durch.

Obwohl verschwunden, ist der Ortsname Cerclaria dennoch erinnerungswürdig. Denn von hier stammte der berühmte mittelalterliche Dichter Thomasîn von Zerclaere (= Cerclaria), der das fast 15‘000 Verse umfassende mittelhochdeutsche Lehrgedicht Der wälsche Gast verfasste. Thomasîn von Zerclaere war unter dem Patriarchen Wolfger von Erla, dem Förderer Walthers von der Vogelweide, Domherr in Aquileia und schrieb sein monumentales Werk in den Jahren 1215 bis 1216.

Heute gehört San Gallo zur Gemeinde Cervignano del Friuli und ist von einer intensiven landwirtschaftlichen Nutzung geprägt. Die Sankt Gallus-Kirche ist verschwunden. Wo 1985 noch Fundamente zu sehen waren, erstreckt sich jetzt Ackerland. Dank verschiedener Aufzeichnungen können wir uns aber trotzdem noch ein recht gutes Bild des alten, aus der Zeit der Romanik stammenden Gotteshauses machen. Die geostete Kirche war 11,2 Meter lang und 5,3 Meter breit. Die Mauerhöhe betrug 4,3 Meter, ihre Dicke etwa 50 Zentimeter. Auf der Nordseite der Apsis, die eine Länge von ungefähr zwei Metern hatte, war eine kleine Sakristei angebaut, die aber jünger war als die Kirche. Südlich der Apsis wurde ein kleiner Friedhof entdeckt, auf dem wahrscheinlich die Mönche bzw. die Eremiten von San Gallo ihre letzte Ruhestätte fanden. In einem kleinen Glockengiebel über dem Portal hing eine Glocke.

Die Kirche hatte noch eine zweite Tür sowie ein Fenster, die sie mit dem Nebengebäude verbanden. Dort wohnte möglicherweise noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ein Eremit. 1735 ordnete der Delegierte des Patriarchen von Aquileia nach einer Visitation des Gotteshauses an, Fenster und Türe zum Nebengebäude seien zuzumauern. San Gallo hatte damals keinen residierenden Geistlichen mehr, sondern wurde vom nahen Strassoldo aus betreut. Die Bedeutung des Gotteshauses schwand, und es wurde vernachlässigt. 1868 stürzte das Dach der Kirche ein, die in der Folge mehr und mehr verfiel. Heute erinnert nur noch der Ortsname San Gallo daran, dass hier einst eine Kirche des heiligen Gallus stand.


Literatur

Deluisa, Antonio; Deluisa, Luigi, Le chiese di Strassoldo e altre notizie, Strassoldo 1985.

Erhart, Peter; Kuratli Hüeblin, Jakob; Oberholzer, Paul, 1400xGallus, St.Gallen 2012.

Staerkle, Paul, Von den Sankt Gallus-Patrozinien, in: Bischöfliches Ordinariat und Katholischer Administrationsrat St.Gallen (Hg.), Sankt Gallus Gedenkbuch. Zur Erinnerung an die Dreizehnhundert-Jahr-Feier vom Tode des heiligen Gallus am 16. Oktober 1951, St.Gallen 1952, S. 48–74.

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Stand: Dezember 2017