Das Kloster Maursmünster (Marmoutier) errichtete in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts im nicht weit entfernt gelegenen Waldhofen am Fuße der Vogesen eine Kapelle. Kardinal Dietwin (†1151) weihte sie um das Jahr 1143 zu Ehren des heiligen Gallus. Bei der Kapelle existierte eine Einsiedelei. Sie war ein Rückzugsort für Mönche, die (wie Sankt Gallus) ein Leben in der Abgeschiedenheit führen wollten. Im 16. Jahrhundert verschwand der Ortsname Waldhofen. Die Gegend um Kapelle und Einsiedelei wurde jetzt St. Gallen (Saint-Gall) genannt.
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Kapelle vergrößert; 1740 erhielt sie einen neuen Hauptaltar. Saint-Gall hatte sich im 17. Jahrhundert zu einem Wallfahrtsort entwickelt, der insbesondere an den Bitttagen großen Zulauf hatte. Sankt Gallus wurde in der Wallfahrtskapelle von Saint-Gall als Patron der Kranken verehrt – ein Sonderpatronat, das damals auch im Kloster St.Gallen propagiert wurde, wo jeweils am Gallustag, dem 16. Oktober, der Galluswein gespendet wurde.
Ab dem 19. Jahrhundert rief man Sankt Gallus in Saint-Gall dann vor allem für die Gesundheit des Viehs an. Die Wallfahrt blühte. Am Gallustag, der in der Gegend noch bis in die Zwischenkriegszeit ein arbeitsfreier Feiertag war, vermochte die Kapelle die Pilgerscharen jeweils nicht zu fassen. Das Volk versammelte sich außerhalb der Kapelle, und der Priester predigte von einer mobilen Kanzel. Nach dem Gottesdienst wurde das Gallebrot (Gallusbrot) verteilt, das die Pilger mit nach Hause nahmen und an ihr Vieh verfütterten. So hoffte man, Sankt Gallus werde die Tiere und ihre Halter vor Schaden behüten.
Die Wallfahrt nach Saint-Gall wurde bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs gehalten. 1923 gehörte das Anwesen mit Kapelle und ehemaliger Einsiedelei einem Industriellen aus Saverne, der einige Umbauten vornehmen ließ. Auch heute noch befinden sich Kapelle und Nebengebäude in Privatbesitz und werden gut erhalten.