Der Weiler Raßbach im Südschwarzwald besteht nur aus ein paar wenigen Häusern und Höfen. Heute leben hier vielleicht nicht mehr Menschen als im Jahr 1152, als der Ort in einer Urkunde Konrads III. erstmals schriftlich erwähnt wurde. Der König nahm damals das von einem nicht näher bekannten Edelfreien namens Marcward gestiftete Augustinerchorherrenstift von Detzeln in seinen Schutz und bestätigte dessen Grundausstattung, zu der auch Güter in Raßbach gehörten. Unter den Zeugen dieser Bestätigung, die am 7. Januar 1152 am Hoftag in Konstanz ausgestellt wurde, befand sich auch der St.Galler Abt Werinher (1133–1167).
Im nämlichen 12. Jahrhundert, in dem Raßbach erstmals urkundlich erwähnt wird, könnte auch der Bau der ersten Steinkirche erfolgt sein, die bis heute ziemlich ursprünglich erhalten geblieben ist. Schriftlich tritt dieses Gotteshaus zwar erst in der Neuzeit in Erscheinung, bau- und kunstgeschichtlich lässt sich sein Ursprung jedoch in die Zeit der Romanik einordnen. Renovierungsarbeiten im Jahr 1967 haben in der Apsis romanische Fresken zu Tage gefördert. Recht gut erhalten hat sich im unteren Wandbereich ein Vorhangmotiv, während die darüber liegende Darstellung der Majestas Domini, umgeben von den vier Evangelistensymbolen, nur fragmentarisch erhalten ist.
Schriftliche Hinweise zur Raßbacher Kapelle und ihrem Patrozinium haben sich aus mittelalterlicher Zeit wie gesagt keine erhalten. Wir kennen den Bauherrn, der das Gotteshaus wohl als Eigenkirche auf seinem Grundbesitz errichten ließ, nicht. Ebenso unklar bleiben die Gründe für die Wahl des Patroziniums, das erst 1731 erwähnt wird. Hauptpatron war damals Sankt Gallus, Nebenpatrone die Heiligen Erasmus und Antonius (der Einsiedler). Das Galluspatrozinium dürfte durchaus ursprünglich sein, also auf das Hochmittelalter zurückweisen. Gerade im 12. Jahrhundert entstanden auch außerhalb des direkten Einflussbereichs des Klosters St.Gallen mehrere Galluskirchen, die auf die Vermittlung von Reliquien durch St.Galler Äbte (Werinher) an adlige Kirchengründer zurückgehen könnten, beispielsweise in St.Gallen im Ennstal, in Roding am Regen oder in Wallerstein.
Die beiden Nebenpatrone haben sich vielleicht erst im Laufe der Zeit zu Sankt Gallus gesellt, und zwar dem Bedürfnis der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung nach umfassendem Schutz folgend. Sankt Gallus wurde bei Fieberkrankheiten angerufen, blieb sonst aber eher ein nüchterner, intellektueller Heiliger. Mit Erasmus und Antonius ergänzten ihn in Raßbach zwei ausgesprochen volkstümliche Patrone. Erasmus gehört zu den vierzehn Nothelfern und wird unter anderem bei Beschwerden in Bauch und Unterleib, bei Geburten sowie gegen Viehkrankheiten angerufen. Antonius ist der Patron der Bauern und ihres Nutzviehs, hilft bei Furunkeln und Abszessen und sollte die Menschen darüber hinaus vor dem gefürchteten ›Antoniusfeuer‹ (Mutterkornvergiftung) sowie anderen Seuchen bewahren.
Ihre Patrone machten die Raßbacher Kapelle zu einem beliebten Wallfahrtsort in der Region. Über die Raßbacher Wallfahrt unterrichtet uns 1731 der Untermettinger Pfarrer Joseph Frey, in dessen Sprengel das Gotteshaus lag. Die Landbevölkerung rufe die Kapellheiligen insbesondere für die Gesundheit der Tiere sowie um Genesung von schädlichen Fiebern, Geschwüren und anderen Krankheiten an. Um ihren Bitten Nachdruck zu verleihen, hätten die Gläubigen bisweilen Geld, Eier, Butter, Besen und andere Opfergaben mitgebracht, ein Brauch, den sein Vorgänger – Pfarrer Franz Theodorich Widerkehr – jedoch abgestellt habe.
Schon 1694, als der Konstanzer Generalvikar Raßbach von der alten Mutterpfarrei Schwerzen im Wutachtal trennte und der Pfarrei Untermettingen zuteilte, wird die Sankt Gallus-Kapelle als ›reich‹ bezeichnet. Ihren Reichtum verdankte sie wohl der Wallfahrt. Das Pfrundgut umfasste bereits 1000 Gulden, als es Pfarrer Widerkehr (†1731) testamentarisch um weitere 500 Gulden erhöhte. Vielleicht wollte er dadurch die Kapelle für die durch seine Weisung entgangenen Einkünfte aus der Wallfahrt entschädigen.
Die Baugeschichte der Raßbacher Sankt Gallus-Kapelle bleibt weitgehend im Dunkeln. Die Bausubstanz ist romanisch, die freigelegten Fresken in der Apsis könnten im 12. Jahrhundert entstanden sein. Eine Umgestaltung der Kapelle dürfte in der Barockzeit erfolgt sein, als die Raßbacher Wallfahrt ihren Höhepunkt erlebte. Das Retabel des einstigen Choraltars, das anlässlich der 1967 erfolgten Umgestaltung des Chorraums einen Platz an der nördlichen Langhauswand gefunden hat, trägt die Jahreszahl 1700, gleich wie die Mensa des ebenfalls 1967 neu platzierten Altartischs. Dies könnte auf einen Umbau der Kapelle in dieser Zeit hinweisen. Möglicherweise wurden damals auch die ursprünglichen romanischen Fenster vergrößert und das Fenster in der Apsis (das 1967 wieder geöffnet wurde) zugemauert.