Pfäfers

Die wunderschön gelegene Sankt Georgs-Kapelle von Pfäfers könnte in ihrer Frühzeit Sankt Gallus als Mitpatron gehabt haben. (2016)
In einem uralten rätoromanischen Volkslied wird eine Kapelle Sankt Georg und Gallus (sogn Gieri e sogn Gagl) erwähnt. Dabei könnte es sich um die Kapelle am Eingang zum Taminatal handeln. (2016)
Die Kapelle Sankt Georg (und Gallus?) gehörte dem churrätischen Benediktinerkloster Pfäfers (im Hintergrund). Sie könnte wie das Kloster bereits im 8. Jahrhundert errichtet worden sein. (2016)
Im Pfäferser Verbrüderungsbuch, dem Liber Viventium Fabariensis, findet sich eine Liste der St.Galler Mönche unter Abt Grimald (†872). Pfäfers und St.Gallen unterstrichen damit ihre Verbundenheit im Gebet. (Bildquelle: www.e-codices.ch)
Vorbei an der Sankt Georgs-Kapelle führt eine schon von den Römern begangene Nebenstraße Richtung Süden: die Porta Romana. Auch das Kloster Pfäfers erreichte man auf diesem Weg am einfachsten. (2016)
Die Innenausstattung der Pfäferser Sankt Georgs-Kapelle stammt teilweise noch aus dem Mittelalter. (2013)
Luftaufnahme der Kapelle Sankt Georg in Pfäfers
Die Sankt Georgs-Kapelle liegt erhöht über dem Rheintal, wo sich die Reiserouten von Zürich- und Bodensee treffen und weiter über die Bündner Alpenpässe Richtung Italien führen. (2021)
Drohnenbild der Sankt Georg-Kapelle in Pfäfers (ehemals auch St. Gallus?)
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts ließ das Kloster Pfäfers die Feste Wartenstein erbauen. Bis zu deren Aufgabe im 16. Jahrhundert diente Sankt Georg auch als Burgkapelle. (2015)
Beim Restaurant Wartenstein, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Sankt Georgs-Kapelle und der Ruine Wartenstein befindet, steht seit 2016 eine von weither sichtbare Christo-Skulptur. (2016)

Schon die Römer nutzten den Kunkelspass, um von Ragaz durch das Taminatal ins bündnerische Tamins zu gelangen. Der nördliche Passzugang führt durch die Porta Romana und vorbei an einer markanten Felskuppe, auf der laut Archäologen schon im 8./9. Jahrhundert eine Kapelle gestanden haben dürfte. Im 12. Jahrhundert wird ihr Patron erstmals schriftlich erwähnt: Es ist der heilige Georg. Die Kapelle gehörte der um 730 gegründeten Benediktinerabtei Pfäfers, die einen wichtigen Etappenort auf der alten Reichsstraße über den Lukmanier bildete.

Die Pfäferser Sankt Georgs-Kapelle könnte im Frühmittelalter Sankt Gallus als Mitpatron gehabt haben. Dies lässt jedenfalls eine uralte rätoromanische Volksweise vermuten: La Canzun da Sontga Margriata – das Sankt Margaretha-Lied. Es erwähnt in der letzten Strophe eine am Ausgang des Kunkelspasses gelegene Georgs- und Galluskapelle (sogn Gieri e sogn Gagl), bei der es sich um einen Vorgängerbau des heutigen Gotteshauses handeln könnte.

Die Volkskunde datierte das Sankt Margaretha-Lied (das freilich erst im 20. Jahrhundert schriftlich festgehalten und vertont wurde) ins 8. Jahrhundert und bezeichnete es als »grössten und ältesten Schatz der rätoromanischen Oralliteratur«, als »würdiges Nationallied des rätoromanischen Volkes«. Die dem Lied zugrunde liegende Sage trage ursprünglich heidnische Züge, die später – wenn auch sehr unbedarft – von christlichen Elementen überlagert worden seien. Zu diesen christlichen Elementen gehört neben der Georgs- und Galluskapelle auch die Figur der heiligen Margaretha, die freilich keinerlei Bezüge zur Märtyrin Margareta von Antiochien († um 305) aufweist und ihre Herkunft aus der volkstümlichen Sagenwelt kaum verbergen kann:

Margaretha verbringt sieben Sommer lang als Zusenn verkleidet auf der Alp. Wenige Tage vor dem Abzug stürzt sie unglücklich, und ein Hirtenjunge kann ihr wahres Geschlecht erkennen. Obwohl ihn die Frau mit Versprechungen und Drohungen davon abhalten will, verrät der Knabe das Geheimnis dem Sennen. Da flieht Margaretha über den Kunkels hinaus ins Tal, während hinter ihr die Alp vertrocknet und verödet. Als sie auf ihrer Flucht an der Kapelle von Georg und Gallus vorbeizieht, läutet deren Glocke so laut, dass der Klöppel herausspringt.

Die Canzun da Sontga Margriata ist der einzige Hinweis darauf, dass die Pfäferser Sankt Georgs-Kapelle einst auch den heiligen Gallus als Patron gehabt haben könnte. Dürfen wir diesem jahrhundertelang nur mündlich überlieferten Volkslied Glauben schenken? Kann die Sage einen ›wahren Kern‹ haben? Das ist immerhin möglich. Jedenfalls verfügte das Kloster Pfäfers schon früh (spätestens im 9. Jahrhundert) über Reliquien des heiligen Gallus, womit dessen Verehrung grundsätzlich nichts im Wege stand. Zudem pflegten Pfäfers und St.Gallen im Frühmittelalter eine Gebetsverbrüderung, von der das berühmte Pfäferser ›Buch der Lebenden‹, der Liber Viventium Fabariensis, ein eindrückliches Zeugnis ablegt. In diesem Kontext erscheint Sankt Gallus als Patron einer Pfäferser Kapelle durchaus realistisch. Auch in Quarten am Walensee besaß das Kloster Pfäfers seit dem Frühmittelalter ein Gotteshaus, das dem heiligen Gallus geweiht war.

Dass das Galluspatrozinium im Hochmittelalter nicht mehr erwähnt wird und danach offenbar in Vergessenheit gerät, könnte seinen Grund im damals nicht mehr ungetrübten Verhältnis des Klosters Pfäfers zu St.Gallen haben. Im Jahr 909 hatte Salomo, der sowohl Bischof von Konstanz als auch Abt von St.Gallen war, das rätische Kloster Pfäfers dem alemannischen Kloster St.Gallen einverleibt, wogegen sich Pfäfers energisch (und am Ende erfolgreich) wehrte. Der St.Galler Geschichtenschreiber Ekkehard IV. beschreibt die Auseinandersetzung mit dem Kloster Pfäfers in den Kapiteln 25, 70, 73, 77 und 86 seiner Casus Sancti Galli. Auch der Investiturstreit trieb einen Keil zwischen die beiden Klöster. Denn während Pfäfers stets treu auf der Seite des Papstes stand, gehörte St.Gallen zu den wichtigsten Stützen des Kaisertums, was Sankt Gallus zum Inbegriff eines kaiserlichen Heiligen machte. Möglich, dass sich die Differenzen der beiden Klöster auch in der Patrozinienwahl niedergeschlagen haben.

Von der frühmittelalterlichen Kapelle sogn Gieri e sogn Gagl ist heute zwar nichts mehr erkennbar. Sehenswert ist die Pfäferser Sankt Georgs-Kapelle aber allemal. Den Schlüssel kann man sich beim Pfäferser Messmer besorgen.


Panorama
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Literatur

St.Georgskapelle bei Pfäfers, in: Beilage zum Sarganserländer 123 (Freitag, 4. November 1949).

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Decurtius, Alexi, Zur Entstehung des rätoromanischen St. Margaretha-Liedes, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 58 (1962), S. 138–150.

Eberle, Fridolin, Kirchen und Kapellen im Sarganserland. Mels 2017.

Eichhorn, Ambrosius, Episcopatus Curiensis, St. Blasien 1797.

Gelpke, Ernst Friedrich, Die christliche Sagengeschichte der Schweiz, Bern 1862.

Gubler, Hans Martin, Die Klosterkirche von Pfäfers, Bern 1991 (Schweizerische Kunstführer).

Huber, Johannes, Entlang der Fürstenland-Strasse. Die Kulturlandschaft der Abtei St.Gallen, St.Gallen 2008.

Huber, Johannes, Die Gotteshäuser von Pfäfers, Pfäfers 2012.

Kohler, Othmar, Kircheninventar Pfarrei Pfäfers. Kelche, Messgewänder, Reliquien, Bilder, Schnitzereien, Fresken, Gebäude, Kapellen, Pfäfers 2009.

Kohler, Othmar, Kapelle St.Georg bei Pfäfers. St. Georg, der Patron der Kapelle, ist einer der beliebtesten Heiligen des Christentums, in: Terra plana 3 (2010), S. 43–47.

Lichtenthal, Manfred, La Canzun de Sontga Margriata. Das Epos im Spiegel interdisziplinärer Forschung, in: Bündner Monatsblatt 7/8. Juli/August (1984), S. 180–188.

Müller, Iso, Die christlichen Elemente des rätoromanischen Margaretha-Liedes, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 58 (1962), S. 125–137.

Perret, Franz, Porta Romana, in: Appenzeller Kalender 250 (1971).

Pfiffner, Leo, Die Gebetsstätten im Sarganserland. Kirchen, Kapellen, Grotten, Mels 1986.

Rothenhäusler, Erwin, Die Kunstdenkmäler des Kantons St.Gallen. Band I. Der Bezirk Sargans, Basel 1951 (Die Kunstdenkmäler der Schweiz 25).

Sulser, Walther, Zur Baugesehichte der Kapelle St. Georg, in: Sarganserländer Nr. 128 (4. November 1949).

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Stand: Dezember 2017