Ingmarsheim

Hier stand einst Ingmarsheim. Das Dorf wurde schon im 15., die Pfarrei im 16. Jahrhundert aufgegeben. Im Hintergrund ist der Kirchturm von Bischoffsheim zu sehen. (2016)
Von der Ingmarsheimer Sankt Gallus-Kirche ist nichts übrig geblieben. Es ist auch kein Feldkreuz mehr zu finden, das ihren einstigen Standort bezeichnen würde. (2016)
Seit dem Jahr 1466 gehörte Ingmarsheim offiziell zum Territorium der Stadt Oberehnheim/Obernai. (2013)
Die eindrückliche Stadtbefestigung von Obernai ist heute ein Anziehungspunkt für viele Touristen. Im Mittelalter bot sie Schutz vor umherziehenden ›Banden‹ wie den Armagnaken und zog deshalb auch die Dorfbewohner von Ingmarsheim in die Stadt. (2013)
Mit den Bewohnern von Ingmarsheim wurde auch Sankt Gallus in Oberehnheim heimisch. 1447 wurde in der Stadtkirche ein Altar zu Ehren des heiligen Kreuzes, des Erzengels Michael und des heiligen Gallus geweiht. Von der 1873 abgebrochenen gotischen Kirche ist neben dem Rathaus nur der 60 Meter hohe Turm übrig geblieben. (2013)
In der im 19. Jahrhundert im neugotischen Stil errichteten Pfarrkirche von Obernai gibt es keinen Sankt Gallus-Altar mehr. (2016)
In den Chorfenstern der neugotischen Pfarrkirche von Obernai sind die Patrone des Elsass abgebildet. Unter ihnen befindet sich auch Sankt Gallus. (2016)
Auf dem Marktplatz von Oberehnheim/Obernai fand seit 1440 mit kaiserlicher Bewilligung jährlich der Gallusmarkt statt. (2013)
Einige Flurnamen in der Gemeinde Obernai erinnern noch an das abgegangene Dorf und die Pfarrei Ingmarsheim. (Skizze nach: André Humm; Villages et hameaux disparus en Basse-Alsace, Strasbourg 1971, S. 17.)

Zwischen Obernai und Bischoffsheim im Elsass existierte einst das Dorf Ingmarsheim. Güter im Ort gehörten vielleicht schon zur Gründungsausstattung des 774 von Abt Fulrad von Saint-Denis († 784) gestifteten Klosters Lièpvre/Leberau, das hier auch einen Dinghof gehabt haben soll. Im 12. Jahrhundert wird Ingmarsheim urkundlich als Pfarrei fassbar. Wie lange diese damals schon bestand und wann die erste Kirche im Ort errichtet wurde, wissen wir aber nicht. Im Spätmittelalter (1440) erfahren wir dann auch das Patrozinium der Ingmarsheimer Pfarrkirche. Sie war dem heiligen Gallus geweiht. In der Forschung wird die Wahl des Galluspatroziniums dem Kloster Leberau zugeschrieben.

Für Ingmarsheim und insbesondere seine Sankt Gallus-Kirche war allerdings noch ein zweites Kloster von großer Bedeutung, nämlich Hohenbourg/Hohenburg auf dem Mont Sainte-Odile/Odilienberg. Das bereits im 7. Jahrhundert gegründete Frauenkloster, das sich zunächst an den Regeln des heiligen Benedikt sowie des heiligen Columban orientierte, besaß ebenfalls Güter und einen Dinghof in Ingmarsheim. Darüber hinaus hatte Hohenburg das Patronatsrecht der Ingmarsheimer Pfarrkirche inne.

Im Jahr 1472 wurde die Pfarrei Ingmarsheim dem Kloster Hohenburg inkorporiert. Das Dorf Ingmarsheim existierte damals allerdings bereits nicht mehr. Seine Einwohner waren in die benachbarte Stadt Oberehnheim (Obernai) abgewandert. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts dürften die letzten Bewohner Ingmarsheim verlassen haben, wohl nicht zuletzt um hinter den Stadtmauern Schutz vor den marodierenden Armagnaken zu finden. Die Stadt benutzte den Kirchturm von Ingmarsheim als Wachtposten, weshalb sie vom Straßburger Bischof zurechtgewiesen wurde. 1466 wurde das ehemalige Ingmarsheim definitiv dem Territorium der Stadt Oberehnheim einverleibt.

Die Pfarrei Ingmarsheim blieb zunächst weiterhin bestehen. Als sie 1472 dem Kloster Hohenburg inkorporiert wurde, amtete Laurent Koch als Pfarrherr (rector ecclesiae). Dieser hatte nun zugunsten des Klosters auf sämtliche Einnahmen aus der Pfarrpfründe zu verzichten und erhielt fortan vom Kloster einen ›Jahreslohn‹ von fünfzig Florin. Koch versah die Pfarrei noch bis in sein Todesjahr 1483.

Vielleicht weil sich das Kloster Hohenburg den Pfarrerslohn sparen wollte, ließ es die Pfarrei nach Kochs Tod ein halbes Jahr unbesetzt. Da griff der Bischof von Straßburg ein und ernannte selber einen Priester für Ingmarsheim. Gleichzeitig beanspruchte er für dessen erstes Dienstjahr die Einnahmen der Pfarrpfründe für sich, weshalb ein bis 1497 andauernder Streit zwischen Bistum und Kloster entstand. Knapp fünfzig Jahre später entbrannte erneut ein Zwist um die Einsetzung eines Pfarrers von Ingmarsheim. Dieser Streit ›löste‹ sich für Hohenburg insofern, als das Kloster 1546 niederbrannte und in der Folge vorübergehend aufgegeben wurde.

Das Ende des Klosters Hohenburg bedeutete auch das Ende der Pfarrei Ingmarsheim. Sie bekam nie mehr einen eigenen Priester. Nach dem Dreißigjährigen Krieg begann die Kirche zu zerfallen; über dem verödeten Friedhof wurde ein Weinberg angelegt. Noch bis ins 19. Jahrhundert waren Reste der Kirchhofmauer zu erkennen. Heute erinnern nur noch Flurnamen an das ehemalige Dorf und die Pfarrei Ingmarsheim: ›Immerschen‹, ›Großes Immerschenfeld‹, ›Kleines Immerschenfeld‹, ›Immerschenrain‹ und ›Ingmarsheimerberg‹ bzw. früher: ›Ingmarsheimerholz‹.


Literatur

Barth, Médard, Handbuch der elsässischen Kirchen im Mittelalter, in: Archives de l’Eglise d’Alsace NS XI-XIII (1960-1963).

Erhart, Peter; Kuratli Hüeblin, Jakob; Oberholzer, Paul, 1400xGallus, St.Gallen 2012.

Gyss, J., Histoire de la ville d’Obernai et ses rapports. Avec les autres villes ci-devant impériales d’Alsace et avec les seigneuries voisines, comprenant l’histoire du mont Sainte-Odile, des anciens monastères et châteaux de la contrée et des localités limitrophes, Strasbourg 1866.

Humm, André, Villages et hameaux disparus en Basse-Alsace. Contribution à l’histoire et l’habitat rural (XIIe-XVIIIe siècles), Strasbourg 1971.

Staerkle, Paul, Von den Sankt Gallus-Patrozinien, in: Bischöfliches Ordinariat und Katholischer Administrationsrat St.Gallen (Hg.), Sankt Gallus Gedenkbuch. Zur Erinnerung an die Dreizehnhundert-Jahr-Feier vom Tode des heiligen Gallus am 16. Oktober 1951, St.Gallen 1952, S. 48–74.

Statistisches Bureau des Ministeriums für Elsass-Lothringen (Hg.), Das Reichsland Elsass-Lothringen. Landes- und Ortsbeschreibung, Dritter Theil, Ortsbeschreibung, Strassburg 1901-1903.

Stintzi, Paul, Von den St.Gallus-Patrozinien, in: Archives de l’Eglise d’Alsace 22 (1955), S. 22.

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Stand: Dezember 2017